L 29 AS 2428/15 NZB

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 127 AS 4022/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 AS 2428/15 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. September 2015 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Der Kläger begehrt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. September 2015.

In der Hauptsache wendet sich der Kläger gegen die (teilweise) Aufrechnung in Höhe von 77,44 EUR mit einer erneuten Kostenforderung (über 618,40 EUR).

Der Kläger betrieb gegen den Beklagten diverse Gerichtsverfahren und erhielt in diesen um 71,01 EUR überhöhte Kostenerstattungen seiner außergerichtlichen Kosten durch den Beklagten. Mit Schreiben vom 8. Oktober 2010 erklärte der Beklagte die Aufrechnung dieser Forderung zuzüglich Zinsen (Gesamtbetrag 77,44 EUR) gemäß § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) mit einem erneuten Kostenerstattungsanspruch über 618,40 EUR. Hiergegen erhob der anwaltlich vertretene Kläger Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2011 als unzulässig verwarf, weil es sich bei dem Schreiben vom 8. Oktober 2010 nicht um einen Verwaltungsakt handele, sondern eine Aufrechnung mittels einseitiger Willenserklärung. Das Sozialgericht Berlin hat die Klage hiergegen mit Urteil vom 22. September 2015 abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Es stehe in der Befugnis des Beklagten, durch eine öffentlichrechtliche Willenserklärung in Form einer Aufrechnung zu handeln; ein Verwaltungsakt sei nicht zwingend vorgeschrieben.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwal-tungsakt betrifft, 750 EUR nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistung für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG). Die Nichtzulassung der Berufung durch das Sozialgericht kann durch Beschwerde angefochten werden (§ 145 Abs. 1 Satz 1 SGG); diese ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten einzulegen (§ 145 Abs. 1 S. 2 SGG). Das Landessozialgericht entscheidet durch Beschluss (§ 145 Abs. 4 Satz 1 SGG).

Vorliegend ist die Berufung nach § 144 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht zulässig, weil ein Beschwerdewert von 750 EUR nicht überschritten wird. Der Kläger wendet sich gegen eine Aufrechnung in Höhe von insgesamt 77,44 EUR. Das Erreichen des Mindestbeschwerdewerts und die Statthaftigkeit einer Berufung nach § 144 Absatz 1 S. 1 SGG ist damit nicht ersichtlich. Auch die Ausnahme des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG liegt nicht vor, weil keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als 12 Monate im Streit sind.

Damit ist die Nichtzulassungsbeschwerde insgesamt statthaft.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn

1. die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundes-sozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Diese Voraussetzungen sind sämtlich nicht erfüllt.

Das Urteil weicht nicht von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab.

Zwar wird von dem Kläger eine Abweichung von der Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Februar 2014, L 32 AS 2279/13 B (richtig: L 32 AS 2279/13 B PKH) behauptet. Eine solche ein Berufungsverfahren eröffnende Divergenz kann aber schon deshalb nicht angenommen werden, weil in dem genannten Prozesskostenhilfebeschluss des Landessozialgerichts eine Entscheidung über eine Rechtsfrage gerade nicht erfolgt ist und daher in dem PKH-Beschluss keine divergenzfähige Entscheidung im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG gesehen werden kann (vergleiche hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Auflage, 2014, § 160 Rn. 11a, mit weiteren Nachweisen).

Außerdem liegt selbst nach dem eigenen Vortrag des Klägers hierzu eine inhaltliche Abweichung nicht vor. Der Kläger führt insoweit noch zutreffend aus, dass der 32. Senat ebenfalls von der rechtlichen Zulässigkeit einer Aufrechnungserklärung durch eine Behörde ausgegangen ist. In welcher Form die Verwaltung gehandelt hat (ob mit einer Aufrechnungserklärung nach § 387 BGB oder als Verwaltungsakt) ist somit auch nach der Rechtsprechung des 32. Senats in jedem Einzelfall zu entscheiden. Hiervon ist das Sozialgericht in seiner Entscheidung nicht abgewichen, hat diese Frage im hier anhängigen Einzelfall entschieden und ausdrücklich einen Verwaltungsakt verneint.

Auch ansonsten liegt eine Divergenz zu obergerichtlicher Rechtsprechung nicht vor. Im Gegenteil hat das Sozialgericht zutreffend erkannt und ausdrücklich unter Zitierung einschlägiger Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass die Rechtsfrage, ob die Verwaltung sich überhaupt zu einer (einfachen) Aufrechnungserklärung entscheiden kann oder allgemein gezwungen ist, durch Verwaltungsakt zu entscheiden, seit langem geklärt ist. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundessozialgerichts, dass auch Behörden - wie jedem anderen Teilnehmer am Rechtsverkehr - ein Gestaltungsrecht des allgemeinen Schuldrechts (hier einer Aufrechnungserklärung nach § 387 BGB) zusteht (siehe unter anderem Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20. November 2008,3 C 13/08 und Bundessozialgericht Urteil vom 15. Dezember 1994,12 RK 69/93, zur Rechtsprechung insgesamt siehe Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 29. Oktober 2012, L 9 AS 601/10, jeweils mit weiteren Nachweisen und zitiert nach juris).

Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG wird von dem Kläger nicht einmal behauptet und ist für den Senat auch nicht ersichtlich.

Schließlich kommt der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zu.

Wie bereits dargestellt, ist seit langem in der Rechtsprechung geklärt, dass auch eine Behörde eine Aufrechnungserklärung nach § 387 BGB grundsätzlich vornehmen kann; diese Rechtsfrage ist somit nicht mehr klärungsbedürftig.

Soweit der Kläger der Ansicht ist, der Rechtssache käme grundsätzliche Bedeutung zu, weil zu klären sei, ob in dem Schreiben vom 8. Oktober 2010 ein Verwaltungsakt zu sehen ist, so verkennt er den Prüfungsmaßstab einer Nichtzulassungsbeschwer-de.

Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegt nicht vor, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die weitere Entwicklung des Rechts zu fördern (vgl. Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 144 Rz. 28). Eine Tatsachenfrage kann auch dann die Zulassung der Berufung nicht begründen, wenn ihre Klärung verallgemeinerungsfähige Auswirkungen haben kann (Leitherer, a. a. O., Rz. 29 m.w.N.). Der Kläger hat bereits keine klärungsbedürftige Rechtsfrage formuliert, der eine grundsätzliche Bedeutung zukommen kann. Vielmehr rügt er im Wesentlichen die Begründung des angegriffenen Urteils und hält diese für inhaltlich falsch. Eine fehlerhafte Würdigung von Einzelheiten eines Sachverhalts begründet jedoch noch keine grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage.

Hier ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob das Schreiben vom 8. Oktober 2010 im konkreten Fall einen Verwaltungsakt darstellt, keine Rechtsfrage, sondern eine Tatsachenfrage ist und schon deshalb nicht zur Zulassung der Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG führen kann, weil nur - wie der Kläger insoweit selbst zutreffend ausführt - "nicht geklärte Rechtsfragen abstrakter Art, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegen", eine Berufungszulassung begründen können.

Davon abgesehen ist ein allgemeines klärungsbedürftiges Interesse, ob in dem Aufrechnungsschreiben vom 8. Oktober 2010 ein widerspruchsfähiger Verwaltungsakt enthalten ist, nicht erkennbar. Das Sozialgericht hat diese Frage nur für den hier anhängigen Einzelfall entschieden; eine grundsätzliche Relevanz über den Einzelfall hinaus entfaltet diese Feststellung nicht.

Letztlich wendet sich der Kläger also lediglich inhaltlich gegen diese erstinstanzliche Entscheidung. Die inhaltliche Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung kann jedoch grundsätzlich keinen Zulassungsgrund im Sinne von § 144 Abs. 2 SGG darstellen, weil ansonsten die Regelungen des § 144 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SGG ins Leere laufen würden. Nach diesen Regelungen ist eine Berufung grundsätzlich unstatthaft und damit die erstinstanzliche Entscheidung einer inhaltlichen Prüfung durch das Landessozialgericht entzogen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 EUR nicht übersteigt und die Klage nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Liegen in einem solchen Fall die in § 144 Abs. 2 SGG genannten Zulassungsgründe vor, ist die Berufung zuzulassen; liegt keiner der Gründe vor, darf sie nicht zugelassen werden (siehe Leitherer zur vergleichbaren Regelung des § 160 SGG, a.a.O., § 160 Rz. 5).

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

Mit der Ablehnung der Beschwerde wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. September 2015 rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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