S 14 KN 42/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 14 KN 42/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Der Beigeladene trägt 6 % der außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Auszahlung einer Rentennachzahlung nach Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente.

Der Kläger stand bei dem Beigeladenen seit September 2007 im Leistungsbezug nach dem SGB II; er bildete gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin eine Bedarfsgemeinschaft. Bereits im August 2006 hatte der Kläger bei der Beklagten den Antrag auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung gestellt. Hinsichtlich dieses Antrags verglichen sich die Beteiligten im Verfahren bei dem Landessozialgericht NRW (LSG NRW) am 21.06.2011 dahingehend, dass die Beklagte bei dem Kläger ab Mai 2008 den Zustand voller Erwerbsminderung annahm und sich verpflichtete, entsprechende Leistungen auf Zeit nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen bis zum 31.08.2009 und im Übrigen ab diesem Zeitpunkt unbefristet zu bewilligen. Mit Bescheid vom 04.08.2011 bewilligte die Beklagte sodann aufgrund des Vergleichs vom 21.06.2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.12.2008 befristet bis zum 31.08.2009. Die für diese Zeit errechnete Nachzahlung von 5.413,44 EUR werde zunächst nicht ausgezahlt. Mit Bescheid vom 09.08.2011 bewilligte die Beklagte im Anschluss an die zuvor bewilligte Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung diese Rente auf Dauer. Für die Zeit vom 01.09.2009 bis 31.08.2011 betrage die Nachzahlung 14.735,90 EUR; die Nachzahlung werde vorläufig nicht ausgezahlt.

Mit Schreiben vom 02.09.2011 machte der Beigeladene gegenüber der Beklagten Erstattungsansprüche in Höhe von insgesamt 17.016,98 EUR geltend. Diesen Betrag habe der Beigeladene der Bedarfsgemeinschaft zwischen dem 01.12.2008 und 31.08.2011 gezahlt. Die Beklagte sei insofern erstattungspflichtig. Sodann befriedigte die Beklagte den Anspruch des Beigeladenen – einerseits aufgrund der mit Bescheid vom 04.08.2011 gewährten Rente in Höhe von 4.727,28 EUR und andererseits aufgrund der mit Bescheid vom 09.08.2011 gewährten Rente in Höhe von 12.289,70 EUR – vollständig und in geltend gemachter Höhe. Diesen Umstand teilte die Beklagte mit Schreiben vom 12.09.2011 (bzw. 14.09.2011) dem Kläger mit. In den Schreiben heißt es: "Nachzahlung aufgrund der mit Bescheid vom 4.8.2011 (bzw.9.8.2011) gewährten Rente aus der Versicherung von H.-J. M., geboren am 19.07.19xx. Die einbehaltene Rentennachzahlung beträgt 5.413,44 EUR (bzw. 14.735,90 EUR). Hiervon bleiben einzubehalten/ sind bereits ausgezahlt 686,16 EUR (bzw. 2.446,20 EUR), verbleiben 4.727,28 EUR (bzw. 12.289,70 EUR). Darauf hat Erstattungsanspruch erhoben: ARGE Kreis Wesel 4.727,28 EUR (bzw. 12.289,70 EUR). Es verbleibt mithin keine Restzahlung. Mit freundlichen Grüßen ihre Deutsche Rentenversicherung Knappschaft Bahn See." Der in den Schreiben genannte Restbetrag wurde dem Kläger sodann unter Berücksichtigung einer bestandskräftig festgestellten Verrechnung ausgezahlt.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.09.2011 legte der Kläger Widerspruch gegen den "Bescheid vom 12.09.2011" bzw. gegen den "Bescheid vom 14.09.2011" ein. Die Beklagte habe mit vorbezeichneten Bescheiden im Hinblick auf angemeldete Erstattungsansprüche der ARGE des Kreis Wesel Beträge von 4.727,28 EUR bzw. 12.289,70 EUR einbehalten. Die diesbezügliche Einhaltung sei rechtswidrig im Hinblick darauf, dass die ARGE des Kreises Wesel die Vorschrift des § 40 Abs 4 SGB II nicht beachtet habe, wonach 56 % der Unterkunftskosten nicht zu erstatten seien und dementsprechend beim Kläger zu verbleiben hätten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.12.2011 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers "gegen die Mitteilungen über die Abrechnung der Nachzahlung vom 12.09.2011 und 14.09.2011 aus den Bescheiden vom 04.08.2011 und 09.08.2011" zurück. Der Widerspruch sei unzulässig, eine Entscheidung in der Sache nicht möglich, da ein überprüfungsfähiger Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X nicht erteilt worden sei. Den Mitteilungen über die Abrechnung der Nachzahlungen mangele es an einer Regelung, weshalb ein Verwaltungsakt nicht vorliege.

Der Kläger hat am 30.01.2012 Klage erhoben und verfolgt sein Begehren weiter. Darüber hinaus ist er nach den Urteilen des BSG vom 31.10.2012 (Az.: B 13 R 11/11 R und B 13 R 9/12 R) der Auffassung, der Kläger habe Anspruch auf Auszahlung der gesamten Nachzahlung, weil nach den Urteilen des BSG dem SGB II-Träger bei einem zurückliegenden Zusammentreffen mit einer Rente wegen voller Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen kein Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X zustehe. Nachdem der Beigeladene im Hinblick auf das BSG-Urteil vom 06.08.2014, Az.: B 11 AL 2/13 R in der mündlichen Verhandlung vom 22.01.2016 seine Erstattungsforderung gegenüber der Beklagten um 1.742,12 EUR reduziert und die Beklagte im Hinblick auf die Leistungsklage ein Höhe von 1.742,12 EUR ein Teilanerkenntnis, das der Kläger angenommen hat, abgegeben hatte, beantragt der Kläger zuletzt noch, die Bescheide der Beklagten vom 12.09.2011 und 14.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, an den Kläger einbehaltene Rentenversicherungsleistungen in Höhe von 15.274,86 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 21.06.2011 auszuzahlen, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 15.274,86 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 21.06.2011 zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der beigezogenen Akten des SG Duisburg S 14 KN 307/07 (L 18 (2) KN 236/09) sowie S 27 AS 5169/12. Der Inhalt aller Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist teilweise unzulässig, teilweise unbegründet.

Der Kläger beantragt hier mit dem Hauptantrag zunächst die Aufhebung der von ihm so genannten Bescheide vom 12.09.2011 und 14.09.2011; bei den genannten Schreiben handelt es sich jedoch nicht Verwaltungsakte im Sinne des § 31 SGB X, so dass mit der Klage auch nicht gem. § 54 Abs.1 S.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) deren Aufhebung begehrt und gem. § 54 Abs.1 S.2 SGG nicht behauptet werden kann, durch einen Verwaltungsakt beschwert zu sein.

Gemäß § 31 SGB X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Zunächst sind die hier angefochtenen Schreiben schon dem äußeren Anschein nach ([fehlende] Überschrift/ fehlende Rechtsbehelfsbelehrung) keine Verwaltungsakte. Zudem fehlt es jedenfalls an dem Merkmal einer Regelung. Eine Regelung liegt vor, wenn die Behörde eine potenziell verbindliche Rechtsfolge gesetzt hat, d.h., durch die Maßnahme ohne weiteren Umsetzungsakt Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt hat oder die Begründung, Änderung, Aufhebung oder Feststellung solcher Rechte abgelehnt hat. Dabei setzt eine Regelung auch voraus, dass die Behörde den Willen hat, verbindlich festzulegen, was für den Einzelnen rechtens sein soll (Engelmann in v. Wulffen/ Schütze, SGB X, § 31, Rn.23). Hier fehlt es aber an der Setzung einer verbindlichen Rechtsfolge. Denn die Beklagte hat in den genannten Schreiben vom 12.9.2011 bzw. 14.9.2011 bereits in der Überschrift Bezug genommen auf den Bescheid vom 4.8.2011 bzw. 9.8.2011, indem es dort heißt: "Nachzahlung aufgrund der mit Bescheid gewährten Rente", und sodann den in den Bescheiden vom 4.8.2011 bzw. 9.8.2011 festgestellten Nachzahlungsbetrag wiederholt, um dann mitzuteilen, was die in den genannten Bescheiden in Aussicht gestellte Klärung "weiterer Stellen" hinsichtlich der Nachzahlung ergeben hat. Es folgt sodann noch die Mitteilung, die ARGE Kreis Wesel habe einen Erstattungsanspruch erhoben und es bleibe nach erfolgter Auszahlung eines Betrages keine Restzahlung. Insoweit hat die Beklagte lediglich die Ergebnisse der mit den Bescheiden angekündigten Abrechnung mitgeteilt; schon durch die Bezugnahme wird deutlich, dass sie eine (neue) Regelung weder treffen wollte noch getroffen hat. Sie hatte eine verbindliche Regelung bereits mit Erteilung der Rentenbescheide getroffen und hat nun lediglich das Ergebnis der Abrechnung mitgeteilt.

Denn die Erstattung an den Beigeladenen erfolgte aufgrund der Verpflichtung der Beklagten als vorrangig leistungsverpflichteter Leistungsträger gegenüber dem Beigeladenen als nachrangig verpflichtetem Leistungsträger gem. § 104 Abs.1, § 106 Abs.1 SGB X. Es handelt sich insoweit um eine bloße Abrechnung. Soweit das LSG Niedersachsen-Bremen in seiner Entscheidung vom 10.12.2014 (Az.: L 2 R 494/13, Rn. 29, 30 nach juris) demgegenüber der Auffassung ist, die Ermittlung des auszuzahlenden Betrages beschränke sich nicht auf "rechnerische Operationen" sondern bedinge vielmehr "stets auch Abklärung und Feststellung der jeweiligen mitunter auch durchaus komplexen tatbestandlichen Voraussetzungen der maßgeblichen normativen Vorgaben" vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Denn einerseits legt das Landessozialgericht nicht dar, wie denn die Abklärung und Feststellung tatsächlich – im Unterschied zu einer (lediglich) rechnerischen Operation – aussehen soll, andererseits besteht auch ein qualitativer Unterschied der hier vorgenommenen Abrechnung zu der Berechnung der Rentenhöhe, die das LSG aber mit der hier vorgenommenen Berechnung vergleicht. Dabei berücksichtigt es aber nicht, dass sich die Berechnung der Renten aus §§ 64 ff. SGB VI ergibt und es insoweit der Anwendung originärer rentenrechtlicher Vorschriften bedarf, während die Abrechnung gemäß §§ 102 ff. SGB X nur in der Form erfolgt, dass nach Zuständigkeitsprüfung im Sinne der §§ 103, 104 SGB X der seitens des Beigeladenen geltend gemachte Betrag – mittels rechnerischer Operationen – im Wortsinne abgerechnet wird.

Auch der Hinweis des LSG auf die Vorschrift des § 117 SGB VI (LSG Nds-Bremen, Urteil vom 10.12.2014, Az.: L2 R 494/13, Rn.28) vermag insoweit nicht zu überzeugen. Denn die nach dieser Vorschrift erforderliche "Entscheidung" über einen Anspruch auf Leistung hat die Beklagte bereits mit Erteilung der Bescheide vom 4.8.2011 bzw. 9.8.2011 getroffen. Unabhängig davon, dass nach dem Vorstehenden mangels Verwaltungsaktqualität ein Vorverfahren gem. § 78 SGG ohnehin nicht durchzuführen ist, besteht hierfür auch kein Bedürfnis, weil die Beklagte in diesem Zusammenhang lediglich die (grundsätzliche) Anwendbarkeit der §§ 102 ff. SGB X sowie die vorgenommenen Rechenoperationen zu überprüfen hatte und nicht etwa die Frage der Anwendbarkeit des § 40 SGB II im Rahmen dieser Abrechnung; insofern kann auch nicht die Rede davon sein, dass sich die Beklagte hier etwa der sich aus § 78 SGG ergebenden Verpflichtung zur inhaltlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit dadurch entzogen hätte, dass sie unzulässiger Weise den Regelungscharakter der dem Kläger mitgeteilten Abrechnung in Frage gestellt hätte (so aber LSG Nds-Bremen, a.a.O, Leitsatz).

Aus diesen Gründen kann der Kläger die begehrte Auszahlung der Nachzahlung, die mit den bestandskräftigen Bescheiden vom 4.8.2011 bzw. 9.8.2011 festgestellt worden war, auch zulässigerweise mit der (echten) Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG geltend machen.

Insofern ist der Antrag, "die Beklagte zu verpflichten, Rentenversicherungsleistungen in Höhe von 15.274,86 EUR auszuzahlen", zulässig gemäß § 54 Abs. 5 SGG, aber unbegründet, der Hilfsantrag aufgrund des Umstandes, dass er identisch ist mit dem zulässigen Zahlungsantrag, unzulässig.

Ein Anspruch auf Zahlung des in den Bescheiden vom 4.8.2011 bzw. 9.8.2011 festgestellten Nachzahlungsbetrages – abzüglich des bereits augezahlten und des in der mündlichen Verhandlung anerkannten Betrages – besteht nicht, weil insoweit ein Erstattungsanspruch des Beigeladenen besteht und gem. § 107 SGB X der Anspruch des Berechtigten (Kläger) gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger (Beklagte) als erfüllt gilt. Denn entgegen der Auffassung des Klägers ist diese Vorschrift uneingeschränkt anwendbar, nachdem § 40 a SGB II mit Wirkung vom 1.1.2009 durch Gesetz vom 28.7.2014 eingefügt worden ist. Danach steht dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter den Voraussetzungen des § 104 des Zehnten Buches ein Erstattungsanspruch gegen den anderen Sozialleistungsträger zu, wenn einer leistungsberechtigten Person für denselben Zeitraum, für den ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen erbracht hat, eine andere Sozialleistung bewilligt wird (S.1). Gem. § 40 a S.2 SGB II besteht der Erstattungsanspruch auch, soweit die Erbringung des Arbeitslosengeldes II allein auf Grund einer nachträglich festgestellten vollen Erwerbsminderung rechtswidrig war; gem. S.3 gelten die §§ 106 bis 114 des Zehnten Buches entsprechend. Die in Reaktion auf die BSG-Entscheidungen vom 31.10.2012 (B 13 R 9/12 R und B 13 R 11/11 R) eingefügte Vorschrift regelt in Satz 2 genau die hier streitgegenständliche Fallkonstellation und erklärt die §§ 106 ff. SGB X, mithin den § 107 SGB X ohne weiteres für anwendbar. Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Vorschrift hat die Kammer nicht. Zwar hat § 40 a S.2 SGB II echte Rückwirkung. Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift (BVerfG, Beschluss vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, Rn. 41, juris). Aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sind echt rückwirkende belastende Gesetze grundsätzlich unzulässig. Eine Änderung der Rechtsfolgen eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens bedarf vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des GG einer besonderen Rechtfertigung (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 – 1 BvL 5/08 –, BVerfGE 135, 1-48, Orientierungssatz 2 c) cc). Im Vertrauensschutzgrundsatz findet das Rückwirkungsverbot jedoch zugleich seine Grenze. Der Grundsatz der Unzulässigkeit echter Rückwirkung gilt daher ausnahmsweise nicht, wenn die Betroffenen mit einer Änderung einer unklaren und verworrenen Rechtslage rechnen mussten (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 – 1 BvL 5/08 –, BVerfGE 135, 1-48, Orientierungssatz 3b). So verhält es sich im Fall des hier anwendbaren § 40 a S.2 SGB II. Denn bis zu den Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 31.10.2012 ging die Rechtspraxis größtenteils davon aus, dass in Fällen rückwirkender Gewährung von Erwerbsminderungsrenten ein Erstattungsanspruch der Träger der Grundsicherung nach dem SGB II gegen die Rentenversicherung wegen nachträglichen Wegfalls der Leistungspflicht gemäß § 103 SGB X bestehe (Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 40a, Rn. 12). Auch der damit rückwirkend erfolgte Eingriff in den bis dahin bestehenden Erfüllungsanspruch ist daher verfassungsrechtlich hinzunehmen, weil das Vertrauen des Klägers sich als nicht schutzwürdig erweist. Denn bis zu den Entscheidungen des BSG vom 31. Oktober 2012 wurde die Rechtsauffassung, dass keinerlei Erstattungsanspruch bestehe und daher der betroffene Personenkreis sowohl das bezogene Alg II behalten als auch Zahlung der für dieselben Leistungszeiträume bewilligten EM-Rente verlangen dürfe, ersichtlich nirgends vertreten (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09. Dezember 2015 – L 16 R 134/13 –, Rn. 31, juris). Durch die Neuregelung in § 40a Satz 2 SGB II wird letztlich nur eine erst durch die Entscheidungen des BSG entstandene unklare Rechtslage – auf welche Rechtsgrundlage ist der Erstattungsanspruch zwischen den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Rentenversicherung zu stützen – bereinigt. Sie ist daher auch mit dem aus dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG folgenden grundsätzlichen Verbot echt rückwirkender Rechtsnormen vereinbar (Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 40a, Rn. 13). Aus diesem Grunde kann der Kläger mit seiner Klage auch für den Monat Dezember 2008 keinen Erfolg haben, denn die nun normierte Rechtslage galt auch schon vor dem 1.1.2009.

Soweit der Kläger weiter argumentiert, der Erstattungsanspruch des Beigeladenen sei im Hinblick auf die Vorschrift des § 40 Abs.4 SGB II, wonach 56 % der Unterkunftskosten nicht zu erstatten seien und beim Kläger zu verbleiben hätten, jedenfalls nicht vollständig zu befriedigen, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Gem. § 40 Abs. 4 SGB II sind abweichend von § 50 SGB X 56 Prozent der bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft nicht zu erstatten. Der Anwendungsbereich des § 40 Abs.4 SGB II ist aber nicht eröffnet, weil die Voraussetzungen des § 50 SGB X nicht vorliegen. Nach § 50 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist (Abs.1 S.1), soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind sie zu erstatten. (Abs.2 S.1). Diese Voraussetzungen liegen hier ersichtlich nicht vor. Der Beigeladene hat keinen Verwaltungsakt aufgehoben, sondern seinen Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten geltend gemacht; auch hat er keine Leistungen ohne Verwaltungsakt erbracht, vielmehr aufgrund der Bewilligungsbescheide nach dem SGB II. Insofern kann auch nicht "abweichend" von § 50 SGB X im Rahmen des § 40 Abs.4 SGB II verfahren werden. Die Kammer kann sich aus diesem Grunde nicht der Auffassung des Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen im Urteil vom 29. April 2015 (Az.: L 2 R 237/13) anschließen. Dabei kann es zunächst offen bleiben, ob es tatsächlich zu sachwidrigen Ergebnissen führen würde, wenn zu vernachlässigen wäre, dass der Versicherte bei zeitnaher Rentengewährung neben den Rentenleistungen auch noch einen Anspruch auf weitere Sozialleistungen in Form von Wohngeld gehabt hätte (a.a.O Rn. 43, juris); denn ob und ggf. in welchem Umfang der Leistungsempfänger bei rechtzeitiger Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung Anspruch auf Wohngeld gehabt hätte und ob dieser Anspruch ggf. nachträglich noch realisiert werden kann, ist ggf. im Verhältnis zur Wohngeldstelle bzw. vor den Verwaltungsgerichten zu klären (Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 40, Rn. 142.1). Jedenfalls ist die Auslegung des LSG Niedersachsen-Bremen mit dem Wortlaut der Vorschrift des § 40 Abs.4 SGB II nicht vereinbar. Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den Wortlaut des Gesetzes hintanstellt und sich über den erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, ist unzulässig (BVerfG, Beschluss vom 03. März 2015 – 1 BvR 3226/14 –, Rn. 18, juris). Der gesetzgeberische Wille kommt sowohl in der Vorschrift des § 40 Abs.4 SGB II, als auch in der Vorschrift des § 40 a SGB II klar zum Ausdruck. § 40 Abs.4 SGB II ist auf die Fälle des § 50 SGB X (i.V.m. §§ 45, 48 SGB X) beschränkt, § 40 a SGB II bezieht sich ausweislich des eindeutigen Wortlautes auf die §§ 102 ff. SGB X. Hätte der Gesetzgeber § 40 Abs.4 SGB II in die in § 40a SGB II geregelten Fallkonstellationen einbeziehen wollen, hätte er dies bei der Einführung des Gesetzes unproblematisch tun können. Indem er dies unterlassen hat, hat er einen eindeutigen Anwendungsbereich geschaffen, der gerade die Anwenbarkeit des § 50 SGB X ausschließt. Insoweit spricht auch hier, ebenso wie im Fall der der Erbenhaftung nach § 35 SGB II (Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 27. August 2015 – L 2 AS 1161/13 –, Rn. 17, juris) nichts für ein gesetzgeberisches Versehen. Nach Auffassung der Kammer wird bei anderer Auffassung der Regelungsgehalt und der Anwendungsbereich des § 40 Abs. 4 SGB II auch unter Berücksichtigung seines Regelungszwecks contra legem überdehnt (so Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 40, Rn. 142.1).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt das Obsiegen des Klägers nach dem Teilanerkenntnis der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, das erst aufgrund der Reduzierung des Erstattungsanspruchs durch den Beigeladenen erfolgen konnte.
Rechtskraft
Aus
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