L 1 KR 58/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 3 KR 481/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 58/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 35/16 B
Datum
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
BSG: Beschwerde (Beschluss -)
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Kostenerstattung und Kostenübernahme von Fahrtkosten zur Epilationsbehandlung in einer Kosmetikpraxis.

Die 1960 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Bei ihr liegt eine manifestierte Transidentität vor. Nach einem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Potsdam (SG; Az.: S 7 KR 174/03) wurde der Klägerin eine Kostenzusage für eine geschlechtsangleichende Operation erteilt. Außerdem wurde anlässlich eines weiteren Klageverfahren (Az.: S 15 KR 266/07) ein Vergleich zwischen den Beteiligten geschlossen, nach dem die Beklagte die Kostenübernahme der Nadelepilation am Gesicht mit hälftiger Erstattung des Betrages der durchgeführten und künftigen Epilationsbehandlungen übernimmt.

Die Klägerin beantragte am 18. Mai 2011 die Kostenübernahme für Fahrtkosten zur Nadelepilation zur Kosmetikpraxis Z in M. Sie könne die Fahrtkosten von ihrem derzeitigen Aufenthaltsort E nicht aus eigenen Mitteln tragen.

Mit Bescheid vom 1. Juni 2011 lehnte die Beklagte dies ab.

Die Klägerin erhob am 17. Juni 2011 Widerspruch und trug zur Begründung unter anderem vor, es läge nicht an ihr, dass es im Einzugsgebiet ihres Wohnortes keine Behandlungsmöglichkeit gäbe. Es handele sich damit um einen besonderen Ausnahmefall.

Die Klägerin nahm im Juni und Juli 2011 vier Termine zur Epilationsbehandlung wahr.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. November 2011 als unbegründet zurück. Sie verwies auf die gesetzlichen Grundlagen des § 60 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i. V. m. den Krankentransportrichtlinien.

Hiergegen hat die Klägerin am 22. Dezember 2011 Klage beim SG erhoben: Es sei schon fraglich, ob die Krankentransportrichtlinie im vorliegenden Fall in Anbetracht der Sachlage überhaupt anwendbar sei. Außerdem handele es sich bei § 60 Abs. 1 Satz 3 SGB V nicht ohne weiteres um eine abschließende Regelung. Im Ergebnis führe die von Seiten der Beklagten vertretende Auffassung dazu, dass eine Patientin eine Behandlung tatsächlich nicht wahrnehmen könne, soweit die finanziellen Mittel zur Fahrt zum Behandlungsort nicht zur Verfügung stünden. Die mangelnde vertragsärztliche Behandlungsmöglichkeit stelle ein Systemversagen dar, das im Wege einer Delegation auf eine Kosmetikpraxis kompensiert werden könne.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. Januar 2015 abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 9. Februar 2015. Zu deren Begründung hat sie im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.

Sie beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgericht Potsdam vom 22. Januar 2015 und des Bescheides vom 1. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 24. November 2011 die Beklagte zu verurteilen, ihr die Fahrkosten zur Epilationsbehandlung des Gesichts zu übernehmen und die Kosten für die am 11. Juni, 1. Juli, 11. Juli und 17.Juli 2011 wahrgenommenen Termine zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen. Er hält sie einstimmig für unbegründet. Eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich. Die Beteiligten sind auf die Absicht, so vorzugehen, mit Schreiben vom 11. Juni 2015 hingewiesen worden.

Der Berufung muss der Erfolg versagt bleiben. Das SG hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, auf die zunächst gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen wird.

Auch wenn sich die Beklagte vergleichsweise verpflichtet hat, die Hälfte der Kosten der Epilationen zu übernehmen, obwohl es sich dabei nicht um ein Heilmittel geschweige denn ärztliche Behandlung handelt, folgt hieraus nicht zusätzlich ein Anspruch auf die Erstattung von Fahrtkosten.

Ein solcher könnte sich nur aus § 60 SGB V ergeben, der etwaige Ansprüche auf Fahrtkosten abschließend regelt (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urt. v. 02. November 2007 - B 1 KR 4/07 R - juris-Rdnr. 13).

Dem Grundsatz nach ist nach dem Gesetz bei ambulanter Krankenbehandlung ein Anspruch auf Fahrkostenübernahme ausgeschlossen.

Das Risiko, als Bewohner des ländlichen Raumes nicht in unmittelbarer Nähe die erforderlichen Ärzte, Apotheken und sonstige Behandler vorzufinden, ist vom Versicherungsschutz der Krankenversicherung grundsätzlich nicht umfasst.

Auch liegen die Voraussetzungen der hier einzig möglichen Ausnahme- Anspruchsgrundlage des § 60 Abs. 1 S. 3 SGB V nicht vor, wonach die Krankenkasse nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen, die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V - also den Krankentransport-Richtlinien (in der Fassung vom 22. Januar 2004, BAnz Nr. 18 S. 1342, zuletzt geändert am 21. Dezember 2004 , BAnz 2005 Nr. 5 s. 2937) - festgelegt hat. Die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 2 Krankentransportrichtlinien sind nicht einschlägig, wie bereits das Sozialgericht im Urteil vom 22. Januar 2015 ausführlich dargelegt hat.

Über § 60 SGB V hinaus steht den gesetzlich Krankenversicherten kein Anspruch zu. Dass das Gesetz den Leistungsanspruch für Versicherte begrenzt, ist durch den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt. Das Grundgesetz erlaubt es nämlich, die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung auf einen abgeschlossenen Katalog zu begrenzen (BSG, Urt. v. 06. November 2008 -B 1 KR 38/07 R- juris-Rdnr. 23 mit weiteren Nachweisen).

Danach ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) den Versicherten Leistungen nur nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zur Verfügung stellt, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Nur das, was in diesen Leistungskatalog fällt, hat die GKV ihren Versicherten zu leisten. Jenseits der Regelung der Kernleistungen der GKV überschreitet der Gesetzgeber sein Gestaltungsermessen nicht, wenn er - im Hinblick auf die begrenzten finanziellen Mittel und zur Sicherung einer "Vollversicherung" bei Fällen schwerer Krankheiten - Leistungsansprüche in weniger dringlichen Fällen beschränkt oder gar nicht erst vorsieht. Sind aber schon Leistungsbegrenzungen in Fällen der Krankenbehandlung möglich, gilt das erst recht bei ergänzenden Leistungen wie den Fahrkosten, die eine Krankenbehandlung unterstützen oder erst ermöglichen sollen, ohne selbst unmittelbar einem medizinischen Zweck zu dienen (so -weitgehend wörtlich- BSG a. a. O. mit Bezugnahme u. a. auf Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98 –, BVerfGE 115, 25-51"Nikolausbeschluss").

Das von der Klägerin angeführte Urteil des SG Düsseldorf vom 11. Dezember 2007 (S 4 KR 78/07) betraf -wie sie selbst einräumt- einen Anspruch auf Epilation selbst, nicht jedoch auf Fahrtkostenerstattung. Auch der von ihr angeführte § 13 Abs. 2 S. 6 SGB V ist nicht einschlägig. Diese Vorschrift regelt wiederum nur die Erstattbarkeit von Behandlungsleistungen selbst, nicht von Fahrkosten.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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