L 6 U 1974/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 26 U 5239/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 1974/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 25. März 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt auf Grund eines Arbeitsunfalls vom 2. August 1973 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 v.H. an Stelle der zwischenzeitlich gewährten Stützrente nach einer MdE um 15 v.H.

Der 1956 geborene Kläger war im Jahre 1973 als Bauhelfer bei einem Bauunternehmen in Birkmannsweiler beschäftigt und in dieser Eigenschaft bei der früheren Tiefbau-Berufs¬genos¬sen-schaft, einer der Rechtsvorgängerinnen der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte), gesetzlich unfallversichert.

Am 2. August 1973 erlitt der Kläger bei der Arbeit einen Unfall, bei dem seine linke Hand verletzt worden ist (Unfallanzeige der Arbeitgeberin vom 19. September 1973).

Nach dem Durchgangsarztbericht von Dr. S.-W. vom Unfalltag erlitt der Kläger eine starke Quetschung besonders der Finger 3 bis 5 mit Fehlstellung, eine fast totale Abtrennung der Fingerkuppe des Kleinfingers und des Ringfingers im Mittelglied mit freiliegenden Knochensplittern sowie eine starke Quetschung des 3. Fingers mit Platzwunde an der ulnaren und radialen Hand. In der Folge wurde das Endglied des 4. Fingers amputiert und das Mittelglied des 3. Fingers fixiert. Hierzu führte Dr. S.-W. in dem Ersten Rentengutachten (Untersuchung am 25. März 1974) aus, der 4. Finger links sei oberhalb des Mittelgelenks amputiert und reizlos. Der Mittelfinger im Mittelgelenk sei teilweise versteift, Wackelbewegungen im Mittelgelenk des Mittelfingers links seien stark schmerzhaft. Die MdE sei für die Zeit vom 19. November 1973 bis zum 23. März 1974 mit 30 v.H., für die Zeit vom 23. März 1974 bis zur Festsetzung der ersten Dauerrente nach einem Jahr mit 20 v.H. und nach Beendigung des zweiten Jahres vo¬r¬aussichtlich mit 20 v.H. zu schätzen. Entsprechend diesem Gutachten gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 4. Oktober 1974 eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 ab dem 1. April 1974, wobei als Unfallfolgen der Verlust des linken Ringfingers oberhalb des Mittelgelenkes, der Teilversteifung und Verdickung des Mittelgelenkes des linken Mittelfingers sowie eine Behinderung des Faustschlusses der linken Hand anerkannt wurden.

In dem Zweiten Rentengutachten (Untersuchung vom 17. Juli 1975) kam Dr. S.-W. zu dem Ergebnis, die MdE betrage derzeit noch 15 v.H., wobei sich die Be¬schwerden bis voraussichtlich nach Ablauf eines weiteren Jahres noch verringern würden. Dementsprechend entzog die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 31. Juli 1975 die Rente ab September 1975.

35 Jahre später, am 27. August 2010, ging bei der Beklagten der Nachschaubericht des Dr. W. vom selben Tage ein. Es seien inzwischen posttraumatische Arthrosen im PIP (Mittelgelenk) des 3. Fingers links und im DIP (Endgelenk) des 5. Fingers links aufgetreten. Am 19. Oktober 2010 wurde der Kläger in der BG-Klinik Tübingen operiert. Es wurde eine Arthrodese (operative Gelenkversteifung) des Endgelenks des 5. Fingers links durchgeführt (Bericht der Klinik vom 9. November 2011 Akte). Am 11. November 2010 teilte die Klinik ergänzend mit, am linken Finger habe sich nach der OP eine Phlegmone (eitrige Infektion) entwickelt. Diese wurde in der BG-Klinik operativ saniert (Bericht vom 24. November 2010). Nach den Angaben des Klägers bestanden Schmerzen im Operationsgebiet aber fort, er war deswegen weiterhin arbeitsunfähig. Im Auftrag der Beklagten zahlte seine Krankenkasse Verletztengeld aus.

Mit Schreiben vom 23. Mai 2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Wiedergewährung der Verletztenrente.

Die Beklagte ließ den Kläger daraufhin durch Prof. Dr. Sch. (Direktor der Klinik für Hand-, Plastische, Rekonstruktive und Verbrennungschirurgie der Berufsgenossenschaftlichen Unfall-klinik Tübingen) untersuchen. In seinem Gutachten vom 2. August 2011 stellte dieser eine seitengleiche Beschwielung der Hände ohne Hinweis auf Dystrophiezeichen fest. Die linke Hand zeige eine Schwellung über dem Mittelgelenk des linken Mittelfingers, zudem einen Stumpf des Ringfingers links. Eine reizlos verheilte Narbe am End¬gelenk nach Arthrodese sei am Kleinfinger links zu sehen. Der Schlüssel- und Pinzettengriff konnte vom Kläger bei der Untersuchung ebenso wie der Grobgriff an beiden Seiten problemlos durchgeführt werden. Die Fingerstreckung konnte der Kläger vollständig demonst¬rieren, wobei der Faustschluss an der linken Hand erschwert war, da er den Mittelfinger nicht vollständig in die Faust führen konnte. Bei der Untersuchung zeigte sich ebenfalls ein deut¬licher Kraftverlust im Bereich der linken Hand von 15 kg, gemessen mit dem Dynamometer nach Jamal, rechts betrug die grobe Kraft 35 kg. Als Folgen des Arbeitsunfalles von 1973 be¬zeichnete Prof. Dr. Schallen "einen mehr als hälftigen Kraftverlust der linken Hand im Seitenvergleich, eine Arthrose und Bewegungseinschränkungen im Mittelfingermittelgelenk links, eine Stumpfbildung der Ringfinger links auf Höhe der Mittelgliedbasis und eine Arthrodese des Kleinfingerendgelenks". Die bei dem Kläger unfallbedingt vorliegende MdE schätzte Prof. Dr. Sch. mit 15 v.H. unter Dauerrentengesichtspunkten ein.

Mit Bescheid vom 22. Dezember 2011 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Unfallrente ab. Zur Be¬gründung führte sie aus, die bei dem Unfall verursachten Gesundheitsstörungen "mit nachfolgender Versteifung des Kleinfingerendgelenks und Teilversteifung und Verdickung des Mittelgelenks des linken Mittelfingers" bedingten keine MdE in rentenberechtigendem Grade.

Während des Widerspruchsverfahrens erlitt der Kläger am 5. März 2012 erneut einen Arbeitsunfall, bei dem er sich den rechten Arm und die rechte Hand verletzte. Hierzu ging bei der Beklagten – erstmals – der Arztbericht von Dr. S. vom 13. August 2012 ein, aus dem sich ergab, dass der Kläger an den Folgen einer distalen Radiusfraktur rechts, einer Thoraxprellung und an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Beklagte wiederholte zur Begründung im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem an¬gefochtenen Bescheid und wies ergänzend noch daraufhin, dass sich die MdE-Bewertung am objektiven Befund orientiere und dass subjektive Beschwerden (z. B. Schmerzen) keine eigene MdE-Relevanz hätten.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 24. September 2012 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) er¬hoben. Er hat vorgetragen, die von der Beklagten festgestellte MdE von 15 v.H. spie¬gele nicht seine Verletzungen wieder. Sie sei viel zu niedrig einge¬schätzt. Insbesondere lasse sie den massiven Kraftverlust in der linken Hand als erhöhend unberücksichtigt.

Wegen des Arbeitsunfalls vom 5. März 2012 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 5. April 2013 ab dem 1. Januar 2013 eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 10 v.H. Anspruch auf diese Rente habe er nur, solange seine Erwerbsfähigkeit wegen eines anderen Ver-sicherungsfalls um mindestens 10 v.H. gemindert sei (Stützrententatbestand).

Dementsprechend bewilligte die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 3. Mai 2013 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 2. August 1973 dem Kläger eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 15 v.H., wiederum unter der Einschränkung des Stützrententatbestandes.

In dem laufenden Streitverfahren vor dem SG hat der Kläger unter dem 24. Juli 2013 deutlich gemacht, dass er die von ihm behauptete posttraumatische Belastungsstörung nicht auf den Unfall von 1973, sondern auf jenen von 2012 zurückführe. Er sei dort von einem umstürzenden Bagger begraben worden und habe Lebensgefahr erlitten. Die Beklagte teilte hierauf mit, der Bescheid vom 5. April 2012 wegen des Unfalls aus dem Jahre 2012 sei bindend geworden.

Mit Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 25. März 2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Dieses Verfahren betreffe nur die Folgen des Arbeitsunfalls vom 2. August 1973 an der linken Hand des Klägers. Insoweit habe die Beklagte verschiedene Unfallfolgen anerkannt. Der Bescheid über die Bewilligung der gestützten Rente nach einer MdE um 15 v.H. vom 3. Mai 2013 sei von Gesetzes wegen Gegenstand des Verfahrens geworden. Der Kläger könne aber wegen jenes Unfalls keine Rente nach einer MdE um 20 v.H. verlangen. Die einschlägigen Erfahrungswerte sähen eine MdE um 20 v.H. für den Verlust sowohl des End- als auch des Mittelgliedes an drei Fingern, und zwar den Fingern 3 bis 5, einer Hand vor. Im Vergleich hierzu sei der Kläger besser gestellt. Auch eine Erhöhung der MdE wegen besonderer Funktionsdefizite sei nicht zu fordern. Prof. Dr. Sch. habe bei dem Kläger eine seitengleiche Beschwielung festgestellt und Dystrophiezeichen verneint. Schlüssel- und Pinzettengriff hätten problemlos durchgeführt werden können. Auch der Grobgriff, der bei einem völligen oder teilweisen Verlust eine Erhöhung der MdE bedingen könne, habe problemlos mit der linken Hand durchgeführt werden können. Bei dem Kläger lägen besondere Defizite nur insoweit vor, als die grobe Kraft um mehr als die Hälfte verringert und der Faustschluss links nur erschwert durchführbar sei. Deswegen sei die MdE von 10 v.H., die eigentlich für die Verletzungen des Klägers an der linken Hand angemessen sei, auf 15 v.H. zu erhöhen, wie es die Beklagte getan habe.

Gegen dieses Urteil, das seinen Prozessbevollmächtigten am 4. April 2014 in vollständiger Form zugestellt worden ist, hat der Kläger am Montag, dem 5. Mai 2014 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben. Er trägt vor, die Verletzungsfolgen bei ihm entsprächen jenen, für die die unfallversicherungsrechtlichen Erfahrungswerte eine MdE von 20 v.H. vorsähen. Insbesondere sei die Versteifung des Endgelenks am 5. Finger dem Verlust zweier Glieder gleichzusetzen. Zusätzlich seien der Kraftverlust und die Probleme beim Faustschluss zu berücksichtigen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 25. März 2014 aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 22. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2012 in der Fassung des Bescheides vom 3. Mai 2013 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 2. August 1973 eine Ver¬letztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von min¬destens 20 vom Hundert zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil und ihre Entscheidungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Ge-richtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, denn der Kläger begehrt eine - geringe - Erhöhung einer laufenden Rente, also Sozialleistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere hat sie der Kläger form- und - bei Eingang beim LSG am Montag, dem 5. Mai 2014 - auch fristgerecht binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Urteils des SG (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben.

Sie ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG) auf Verurteilung zur Gewährung einer höheren Verletztenrente dem Grunde nach (§ 130 Abs. 1 SGG) abgewiesen.

Zunächst ist das SG zutreffend davon ausgegangen, dass der Bescheid vom 3. Mai 2013 nach § 96 SGG Gegenstand des laufenden sozialgerichtlichen Verfahrens geworden ist. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte - auf Grund nachträglich eingetretener bzw. bekannt gewordener Umstände - den Ablehnungsbescheid vom 22. Dezember 2011 abgeändert, indem sie nunmehr eine Verletztenrente zumindest nach einer MdE von 15 v.H. gewährt hat. Auch im Übrigen ist die Klage, so wie sie der Kläger zur Überprüfung des SG gestellt hat, zulässig.

Die Klage ist aber nicht begründet. Ein Anspruch auf die begehrte Verletztenrente nach einer MdE von wenigstens 20 v.H. besteht nicht.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 vom Hundert (v.H.) gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchti-gung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeits-möglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), das heißt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versiche-rungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 2 Satz 2 SGB VII). Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII).

Dabei ist die Entscheidung der Frage, in welchem Grade die Erwerbsfähigkeit eines Verletzten gemindert ist, eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Die Bemessung des Gra¬des der unfallbedingten MdE richtet sich nach dem Umfang der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen und nach dem Umfang der dem Verletzten dafür verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Ge¬biet des Erwerbslebens. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, betrifft in erster Linie das ärztlich-wissenschaftliche Gebiet. Hierbei sind aber auch die zumeist in jahrzehntelanger Ent¬wicklung von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind, aber die Grundlage für eine gleiche, ge¬rechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfallen der täglichen Praxis bilden und einem ständigen Wandel unterliegen (z.B. BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - B 2 U 5/10 - juris Rz. 16 m.w.N.). In der gesetzlichen Unfallversicherung sind diese Erfah¬rungswerte in Form von sog. Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst sind und als Anhaltspunkte für die MdE-Einschätzung im Einzelfall geeignet.

Bei dem Kläger sind der Arbeitsunfall vom 2. August 1973 (§ 8 Abs. 1 SGB VII) und die bereits damals vorliegenden Unfallfolgen (Verlust des linken Ringfingers oberhalb des Mittelgelenkes, Teilversteifung und Verdickung des Mittelgelenkes des linken Mittelfingers sowie eine Behinderung des Faustschlusses der linken Hand) bindend durch den Bescheid 4. Oktober 1974 anerkannt. Als weitere Unfallfolge hat die Beklagte mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 22. Dezember 2011 die "nachfolgende Versteifung des Kleinfingerendgelenks" auf Grund der Operation im November 2010 festgestellt. Weitere Unfallfolgen hat der Kläger in diesem Verfahren nicht geltend gemacht, sie sind auch nicht ersichtlich.

Diese Schädigungen bedingen keine höhere MdE als 15 v.H. Dies gilt bereits für eine MdE von 20 v.H., das heißt, auch eine Erhöhung um 5 Prozentpunkte kommt hier nicht in Betracht. Es dann daher offen bleiben, ob den Unfallversicherungsträgern bei der Festsetzung einer MdE, auch bei der erstmaligen Festsetzung im Rahmen einer Dauerrentenbewilligung, wie sie hier im Jahre 2013 erneut vorlag, ein Beurteilungsspielraum zukommt, der gerichtlicherseits nur insoweit überprüft werden kann, als eine Veränderung der MdE um mehr als 5 Prozentpunkte in Rede steht (vgl. SG Landshut, Urteil vom 11. Juni 2014 - S 13 U 253/12 -, juris Rz. 36 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 7. Dezember 1976 - 8 RU 14/76 –, SozR 2200 § 581 Nr. 9, BSGE 43, 53-56, Juris Rz. 12).

Nach der unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Be-rufskrankheit, 8. Auflage 2010, S. 565) ist bei der MdE-Bewertung bei Finger(teil)verlusten davon auszugehen, ob die Amputationsstümpfe der betroffenen Finger gut einsetzbar sind, Durchblutungs- und Sensibilitätsstörungen sowie Neurome nicht vorliegen und vorhandene Ge-lenke der teilamputierten Finger sowie nicht betroffene Nachbarfinger frei in der Bewegung sind. Die Verletzungen sind mit dem jeweiligen Finger(teil)verlust zu vergleichen und daraufhin zu prüfen ob sie in etwa gleich, besser oder schlechter zu bewerten sind. Ausgangspunkt der Bewertung sind demnach die Erfahrungswerte für (vollständige) Verluste von Fingergliedern. Für die Bewertung der Verletzungen des Klägers sind hierbei die Erfahrungswerte für Teilverluste an zusammen drei Fingern, nämlich Mittel-, Ring- und Kleinfinger maßgeblich. Insoweit wird in der unfallmedizinischen Literatur für den Verlust (nur) der Endglieder (genauer: bei einer Verlustlinie im Endglied) am Mittel-, Ring- und Kleinfinger - jedenfalls für die Zeit ab 12 Monaten nach der Schädigung - eine MdE von 10 v.H. angenommen (so auch die Abb. 3.39 bei Schönberger/Mehr¬tens/Valen¬tin, a.a.O., S. 569), für den Verlust der End- und der Mittelglieder dieser drei Finger eine MdE von 20 v.H. (vgl. Abb. 3.40, a.a.O.) und für den Verlust von End-, Mittel- und Grundglied (bei Erhalt nur des MCP-Gelenks [Grundgelenk]) in allen drei Fingern eine MdE von 35 v.H. (vgl. Abb. 3.41, a.a.O.).

Bei dem Kläger entspricht nur die Verletzung am Ringfinger den genannten Erfahrungswerten. Nur dort ist überhaupt amputiert worden, und zwar oberhalb des Mittelgelenks, also im Mittelglied. Die beiden anderen Finger sind vollständig vorhanden, auch im Endglied. Im Kleinfinger ist seit 2010 das Endgelenk versteift. Im Mittelfinger geht die Behinderung zwar bis in das zweite Glied, weil auch das Mittelgelenk versteift ist, aber dieses nur teilweise, außerdem kann die Versteifung hier – ebenso wie im kleinen Finger – nicht einem Verlust der Glieder gleichgesetzt werden. Der Kläger kann die vorhandenen Fingerglieder noch in großem Umfang einsetzen. Nach den Feststellungen aus dem Gutachten von Prof. Dr. Sch. vom 2. August 2011 kann der Kläger mit der linken Hand die besonderen Griffformen des Schlüssel- und Pinzettengriffs problemlos vorführen. Auch der Grobgriff, der bei Totalverlust eine MdE von 30 v. H. und bei teilweisem Verlust eine entsprechende Abstu¬fung der MdE bedingt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 534), konnte vom Kläger bei der Untersuchung problemlos mit der linken Hand durchgeführt werden. Die Bewegungs- und Funktionseinschränkungen sind beim Kläger, gemessen an diesen Vergleichsparametern, daher gering. Zu berücksichtigen ist nur, dass Prof. Dr. Sch. die grobe Kraft der linken Hand des Klägers um die Hälfte verringert eingeschätzt hat. Dabei ist die grobe Kraft ein wichti¬ges Merkmal des Grobgriffes (Schönberger/Mehr¬tens/Va¬lentin, a.a.O., S. 534). Weiterhin eingeschränkt war der Kläger in seiner Funktionalität insoweit, als der Faustschluss links er-schwert durchführbar ist, da er den Mittelfinger wegen der Versteifung nicht vollständig in die Faust führen kann. Diese Beeinträchtigungen wiegen jedoch nicht so schwer, dass die Behinderung des Klägers dem vollständigen Verlust von End- und Mittelgliedern in drei Fingern gleichgestellt werden kann. Bei dieser Einschätzung ist auch zu berücksichtigen, dass Prof. Dr. Sch. bei dem Kläger bei den Händen eine seitengleiche Beschwielung festgestellt und Zeichen einer (muskulären) Dystrophie verneint hat, was darauf schließen lässt, dass der Kläger in Beruf und Alltag wenig beeinträchtigt ist.

Dementsprechend liegt die Funktionseinschränkung in der linken Hand des Klägers über der MdE für den Verlust nur der Endglieder in den drei Fingern von 10 v.H., jedoch unter der MdE für den Verlust von End- und Mittelglied in den drei Fingern von 20 v.H. Die Bemessung mit einer MdE von 15 v.H. trifft demnach zu.

Weitere Folgen des Unfalls vom 2. August 1973 liegen nicht vor.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht vorgetragen oder ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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