L 8 R 612/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 40 R 15/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 612/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.5.2011 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am 00.00.1948 geborene Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Sie absolvierte nach achtjährigem Besuch der Volksschule vom 6.9.1963 bis zum 31.3.1966 das Berufskolleg Q in N, welches sie mit dem Berufsschulabschluss, jedoch ohne Berufsabschluss verließ. Zugleich begab sie sich nach eigenen Angaben vom 21.8.1963 bis zum 31.5.1964 in ein Anlernverhältnis als Textilnäherin bei der Firma K und H in N. Eine anerkannte Ausbildung absolvierte sie dort nicht, da es sich nicht um einen Meisterbetrieb handelte. In der Zeit vom 1.6.1964 bis zur Geburt ihres Sohnes im Jahr 1976 war sie bei verschiedenen Arbeitgebern als Näherin im Bereich der Damen- und Herrenkonfektion tätig. Vom 1.4.1995 bis zum 31.8.2008 sind im Versicherungsverlauf der Klägerin Pflichtbeitragszeiten für Pflegetätigkeiten gespeichert. In der Zeit vom 7.6.2006 bis zum 31.8.2008 erhielt sie aufstockende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Seit dem 1.9.2008 gewährt die Beklagte der Klägerin, die zwischenzeitlich über einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 und das Merkzeichen G verfügt, eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen (Bescheid v. 18.8.2008).

Am 24.8.1989 stellte die Klägerin einen ersten Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, den die Rechtsvorgängerin der hiesigen Beklagten, die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz, mit Bescheid vom 16.11.1989 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.7.1990 ablehnte. Das daraufhin angestrengte sozialgerichtliche Verfahren endete letztlich durch berufungszurückweisendes Urteil des Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen (LSG NRW, Urteil v. 7.1.1997, L 18 J 113/94).

Am 14.3.2006 stellte die Klägerin einen weiteren Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente bei der Beklagten. Diese gab ein sozialmedizinisches Gutachten bei Frau Dr. N (Untersuchungstermin 29.3.2006) in Auftrag, die zu einem sozialmedizinischen Leistungsvermögen der Klägerin für leichte Tätigkeiten zeitweise im Gehen, Stehen und Sitzen in Tagesschicht sechs Stunden und mehr arbeitstäglich kam.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13.4.2006 den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab, da die Voraussetzungen nicht vorlägen. Den dagegen am 21.4.2006 erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 25.7.2006, zugestellt am 27.7.2006, als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am Montag, den 28.8.2006 vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie habe drei Jahre die Berufsschule besucht. Den Beruf der Näherin habe sie bis 1978 ausgeübt und aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Sie sei nicht mehr in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein, denn sie leide unter Depressionen und orthopädischen Beschwerden. Sie sei zudem nicht mehr wegefähig.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.4.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.7.2006 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung auf der Grundlage eines Leistungsfalls vom 14.3.2006 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat an ihren Bescheiden festgehalten und auf ihre medizinischen Ermittlungen verwiesen.

Das SG hat zunächst Befund- und Behandlungsberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte, nämlich des Neurologen und Psychiaters Dr. G (Befundbericht v. 29.10.2006) und des Internisten Q (Befundbericht v. 24.1.2007) eingeholt und sodann Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens von Dr. G1 (Gutachten v. 9.5.2007) und eines orthopädischen Sachverständigengutachtens von Dr. E (Gutachten v. 9.8.2007). Die Gutachter haben bei der Klägerin einen labilen Bluthochdruck, erhebliches Übergewicht, Innenschielen, degenerativ bedingte Wirbelsäulenveränderungen mit im unteren Rückenbereich betonten Rückenschmerzen, Schädigung der Nervenwurzeln L5/S1 links durch Bandscheibenvorfall 1987 ohne funktionell bedeutsame Lähmungserscheinungen, leichtergradiges Karpaltunnelsyndrom sowie eine Depression festgestellt. Unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsstörungen seien der wegefähigen Klägerin noch leichte Tätigkeiten zeitweise im Gehen, Stehen und Sitzen in geschlossenen Räumen ohne betriebsunübliche Pausen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr arbeitstäglich zumutbar.

Der auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Rahmen eines neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens gehörte Dr. W hat bei der Klägerin eine rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig mittelgradige Episode), eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, ein älteres senso-motorisches L5/S1-Syndrom links sowie Verschleißveränderungen der Wirbelsäule, einen labilen Hypertonus und eine Adipositas (BMI 38) diagnostiziert. Insbesondere aufgrund der Schmerzsymptomatik sei das Leistungsvermögen der Klägerin im Erwerbsleben so eingeschränkt, dass sie nicht mehr in der Lage sei, auch nur leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen in geschlossenen Räumen für drei Stunden täglich auszuüben. Es seien betriebsunübliche Pausen erforderlich. Die Klägerin verfüge zudem weder über ein genügendes Umstellungsvermögen noch sei sie wegefähig.

Der daraufhin im Rahmen einer ergänzenden Stellungnahme vom 27.6.2008 gehörte Sachverständige Dr. G1 hat Dr. W im Rahmen der Diagnosen bis auf die von diesem festgestellte rezidivierende depressive Störung zugestimmt. Der dortigen Beurteilung des klägerischen Leistungsvermögens hat er sich indes nicht anschließen können. Es bestünde nur eine niederfrequente nervenärztliche Behandlung, die bereits zur Stabilisierung der Klägerin geführt habe. Der Tagesablauf sei nicht gestört.

Das SG hat mit Urteil vom 6.8.2008 die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das der Klägerin am 10.9.2008 zugestellte Urteil hat sie am 7.10.2008 Berufung eingelegt, die unter dem Aktenzeichen L 13 R 152/08 geführt worden ist. Das SG habe sich mit der Gutachtenlage nicht ausreichend auseinandergesetzt. Der Einschätzung des Herrn Dr. W sei zu folgen.

Mit Urteil vom 28.11.2008 hat das LSG auf die Berufung der Klägerin das Urteil des SG Düsseldorf aufgehoben und den Rechtstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückverwiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Im wiedereröffneten Prozess vor dem SG hat die Klägerin ergänzend vorgetragen, dass sie als Facharbeiterin zu behandeln sei. Sie habe im August 1983 bei der Firma K und H in N als Näherin begonnen. Sie habe zwar kein formelles Ausbildungsverhältnis durchlaufen, dort jedoch sämtliche Kenntnisse erlangt, die sie auch in einem Ausbildungsverhältnis hätte erlernen können. Parallel dazu habe sie die Berufsschule für Näherinnen in N besucht, die sie ohne förmlichen Abschluss, da sie nicht in einem Ausbildungsbetrieb beschäftigt gewesen sei, verlassen habe. Sie verfüge aufgrund ihrer danach aufgenommenen Tätigkeit zudem über alle Kenntnisse, die eine Näherin in der Damen- und Herrenkonfektion benötige. Sie habe einen Stundenlohn von etwa 8 DM erhalten.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.4.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.7.2006 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung auf der Grundlage eines Leistungsfalls vom 14.3.2006 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat an ihren Bescheiden festgehalten. Berufsschutz könne die Klägerin nicht für sich in Anspruch nehmen.

Das SG hat durch zwei weitere neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten von Dr. H (Gutachten v. 21.6.2009) und Dr. W1 (Gutachten v. 26.11.2009) Beweis über den Gesundheitszustand der Klägerin und ihr Leistungsvermögen im Erwerbsleben erhoben. Die Sachverständigen sind zu folgenden Gesundheitsstörungen gelangt, Zustand nach Bandscheiben-OP L5/S1 links 1987 mit Sensibilitätsstörungen und Reflexabschwächung im Dermatom S1 links, leichte depressive Störung mit Somatisierungstendenz, Karpaltunnelsyndrom beidseitig bzw. diskrete Sensibilitätsstörungen an den Außenseiten der Unterschenkel und Füße, Verschleißbeschwerden der Lendenwirbelsäule nach operativ behandelten Bandscheibenvorfall, wiederkehrende, vorwiegend nachts auftretende Einschlafmissempfindungen der Finger II bis IV beidseitig wegen Kompressionssyndroms des Medianusnerven an der Handwurzel (Karpaltunnelsyndrom), Stimmungslabilität mit zeitweiligen depressiven Verstimmungszuständen sowie leichtes Einwärtsschielen des rechten Auges, räumliches Sehen sei nicht möglich. Beide Sachverständigen sind übereinstimmend zu der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung gekommen, dass der Klägerin noch leichte Tätigkeiten in wechselnder bzw. vorwiegend sitzender Körperhaltung in geschlossenen Räumen ohne betriebsunübliche Pausen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr möglich seien.

Das SG hat mit Urteil vom 11.5.2011 die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das der Klägerin am 26.5.2011 zugestellte Urteil hat sie am Montag, den 27.6.2011 Berufung eingelegt. Sie wiederholt und vertieft ihren bisherigen Vortrag.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.5.2011 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.4.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.7.2006 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles vom 14.3.2006 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Der Senat hat einen unverschlüsselten Versicherungsverlauf der Klägerin sowie Befund- und Behandlungsberichte der behandelnden Ärzte beigezogen, nämlich von dem Neurologen und Psychiater Dr. G (Befundbericht v. 8.1.2012), dem Internisten Q (Befundbericht v. 2.2.2012), dem Dermatologen Dr. P (Befundbericht v. 21.10.2013), dem Facharzt für Chirurgie Dr. O (Befundbericht v. 18.12.2013) sowie dem Orthopäden Dr. K (Befundbericht v. 23.6.2014). Zudem hat der Senat die Klägerin zu ihrem beruflichen Werdegang im Rahmen eines Termins zur Erörterung des Sachverhalts mit den Beteiligten am 18.9.2013 befragt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen. Er hat die Akten, soweit noch vorhanden, im Verfahren LSG NRW L 18 J 113/94 beigezogen und eine Stellungnahme des Berufskollegs Q für Technik und Medien in N eingeholt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

Darüber hinaus hat er Beweis erhoben über den Gesundheitszustand der Klägerin und ihr Leistungsvermögen im Erwerbsleben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens von Herrn S und eines orthopädischen Zusatzgutachtens von Herrn C. Nach Ansicht der Sachverständigen ist die Klägerin unter Berücksichtigung der von ihnen festgestellten Gesundheitsstörungen in der Lage, leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, in geschlossenen Räumen sechs Stunden und mehr arbeitstäglich regelmäßig an fünf Tagen in der Woche mit den betriebsüblichen Pausen auszuüben. Auf die Gutachten im Übrigen wird Bezug genommen.

Nachdem die Klägerin im Jahr 2015 an einem beidseitigen Karpaltunnelsyndrom operiert worden ist, hat der Senat einen weiteren Befundbericht des Handchirurgen Dr. I vom 31.10.2015 eingeholt sowie ergänzende Stellungnahmen des Herrn S vom 30.1.2015 und 8.3.2016 beigezogen, auf deren Inhalt jeweils Bezug genommen wird.

Ferner hat der Senat das berufskundliche Gutachten der Sachverständigen I1 zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, welches den Beteiligten terminsvorbereitend übersandt worden ist.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten - insbesondere die Niederschrift der mündlichen Verhandlung - und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der beigezogenen Unterlagen aus dem Verfahren L 18 J 113/94, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige, insbesondere gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie form- und fristgerecht (§§ 151 Abs. 1, Abs. 3, 64 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG vom 11.5.2011 ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13.4.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.7.2006 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht nach § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in ihren Rechten. Denn ihr steht zur Überzeugung des Senats weder ein Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) noch nach § 240 SGB VI zu.

1. Die Klägerin hat zunächst keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI.

Danach haben Versicherte bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 bzw. § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB VI) einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) bzw. auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

a) Bei der die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllenden Klägerin bestanden während des Rentenverfahrens und bestehen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme folgende Krankheiten und Behinderungen, die Auswirkungen auf ihr Leistungsvermögen haben: Auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet leidet die Klägerin unter Lendenwirbelsäulenbeschwerden nach Bandscheibenoperation vor Jahren mit Restschädigung der Nervenwurzel S1 links, aktuell ohne beweisende Zeichen einer Nervenwurzelreizung oder Nervenwurzelquetschung, unter einer vorwiegend reaktiven depressiven Verstimmung auf Belastung der Lebenssituation hin sowie einer Quetschung des Mittelnerven (nervus medianus) in seinem Handgelenkstunnel beidseits (Karpaltunnelsyndrom), welches allerdings im April und August 2015 operativ versorgt worden ist. Auf orthopädischem Gebiet sind eine leichte Wirbelsäulenfehlhaltung, ein insuffizientes Rumpfmuskelkorsett mit vereinzelt schmerzhaften Verspannungen sowie ein geringgradiger Verschleiß und eine leichte Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule festzustellen. Hinzu tritt ein labiler Bluthochdruck, erhebliches Übergewicht und Innenschielen bei aufgehobener Fähigkeit zu räumlichem Sehen.

aa) Die auf neurologisch-psychiatrischem und fachorthopädischem Gebiet festgestellten Gesundheitsstörungen ergeben sich aus den überzeugenden Gutachten aller im gerichtlichen Verfahren von Amts wegen gehörter Sachverständigen: des Neurologen und Psychiaters Dr. G1 und des Orthopäden Dr. E (erstes sozialgerichtliches Verfahren), der Neurologen und Psychiater Dr. H und Dr. W1 (zweites sozialgerichtliches Verfahren) sowie des Neurologen und Psychiaters S und des Orthopäden C (zweites Berufungsverfahren). Die erfahrenen Sachverständigen haben ihre Gutachten nach sorgfältiger Anamnese- und Befunderhebung sowie unter vollständiger Würdigung des Sachverhaltes und des Beschwerdevortrags der Klägerin schlüssig und in sich widerspruchsfrei begründet. Die Feststellungen zu den Gesundheitsstörungen stehen zudem mit den Vorgutachtern und Befundberichten der behandelnden Ärzte im Wesentlichen in Einklang. Die auf internistischem und ophthalmologischem Gebiet bestehenden Gesundheitsstörungen sind von den Sachverständigen mit gewürdigt worden und zudem unstreitig.

bb) Soweit der nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Dr. W darüber hinaus bei der Klägerin eine depressive Störung (gegenwärtig mittelgradige Episode) und eine somatoforme Schmerzstörung festgestellt hat, ist dem nicht zu folgen. Bereits die Sachverständige Dr. H hat überzeugend darauf verwiesen, dass der Gutachter in seinem psychopathologischem Befund auf Stimmung und Antriebslage nicht ausreichend eingegangen ist. Die Diagnose der Depression hat er auf einen Selbstbeurteilungstest gestützt, welcher nur ein mäßig valides Instrument darstellt. Der Sachverständige S hat bei leichtgradig gedrückter Stimmungslage, gut erhaltener affektiver Schwingungsfähigkeit und nicht beweisend gestörtem Antrieb keine ausgeprägte psychopathologische Veränderung der Klägerin festgestellt. Zudem hat er auch keine Anhaltspunkte für eine Somatisierungsstörung gesehen.

b) Trotz der festgestellten Gesundheitsstörungen ist die Klägerin noch in der Lage, eine geistig einfache und körperlich leichte Tätigkeit in jeder Körperhaltung vermehrt im Sitzen in geschlossenen Räumen und gelegentlich im Freien in Tag- und Wechselschicht mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu den betriebsüblichen Bedingungen und mit den betriebsüblichen Pausen regelmäßig an fünf Tagen in der Woche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Dabei kann sie Termine einhalten. Die Seh- oder Hörfähigkeit ist bei teilweiser Hilfsmittelversorgung (Gleitsichtbrille) nicht in einem Maße eingeschränkt, das Bedenken gegen die Fähigkeit zur Verrichtung einfacher Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt rechtfertigen würde. Insbesondere ist Bildschirmarbeit möglich. Wesentliche Einschränkungen im Verantwortungsbewusstsein oder in der geistlichen Beweglichkeit bestehen ebenso wenig wie bei Konzentration, Reaktion und Aufmerksamkeit. Die Umstellungsfähigkeit reicht aus, eine ungelernte Tätigkeit innerhalb von drei Monaten vollwertig auszuführen.

Ausgeschlossen sind demgegenüber mittelschwere und schwere Arbeiten sowie Tätigkeiten unter besonderem Zeitdruck mit ausgeprägt stressbelastetem Publikumsverkehr, an gefährdenden Maschinen, im Akkord, am Fließband, in Nachtschicht, in Zwangshaltung, mit ständigen Überkopf- und Überschulterarbeiten, auf Gerüsten oder Leitern sowie unter ausgeprägter Witterungseinwirkung.

aa) Mit den Feststellungen zum Leistungsvermögen der Klägerin im Erwerbsleben folgt der Senat den ausführlichen und schlüssigen begründeten Darlegungen in den schriftlichen Gutachten der von Amts wegen gehörten Sachverständigen, insbesondere der Sachverständigen S und C.

bb) Soweit die Klägerin beanstandet, dass der Sachverständige S sich im Rahmen der gutachterlichen Beurteilung ihres Leistungsvermögens auf die ihrerseits in Anspruch genommene Therapie sowie auf ihren intakten Tagesablauf beziehe, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Nach der Leitlinie für die ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen (AWMF-Leitlinien-Register Nr. 030/102) steht beim Nachweis und der Beurteilung der Auswirkung schmerzbedingter Funktionsstörungen u.a. im Vordergrund, inwieweit der Gutachter bei kritischer Würdigung der Befunde davon überzeugt ist, dass die geklagten Funktionsbeeinträchtigungen bestehen. Leitliniengemäß können sich insbesondere Zweifel am Ausmaß der vorgetragenen Beschwerden durch festgestellte Diskrepanzen zwischen der subjektiven Beeinträchtigung und einem weitgehend intakten psycho-sozialen Funktionsniveau bei der Alltagsbewältigung sowie zwischen dem Ausmaß der geschilderten Beschwerden und der Intensität der bisherigen Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe (AWMF-Leitlinie Nr. 030/102, Seite 15) begründen.

cc) Dementsprechend hat sich - entgegen der Ansicht der Klägerin - auch der Sachverständige S mit der durch den Sachverständigen C aufgeworfenen Diskrepanz zwischen den als "hochintensiv angegebenen Beschwerden und den Untersuchungsbefunden" auseinandergesetzt. Der Sachverständige S führt in diesem Zusammenhang überzeugend aus, dass das klägerische Schmerzerleben aus nervenärztlicher Sicht nicht überwiegend durch eine seelische Erkrankung erklärbar ist. Die Klägerin erhält seit Jahren Schmerzmittel, inzwischen eines der Opiatreihe. Bei lediglich aufgrund gewöhnungsbedingten Wirkungsverlustes gesteigerter Dosis hat der behandelnde Arzt der Klägerin darauf verzichtet, das Behandlungskonzept auf eine Therapie mit schmerzdämpfenden Mitteln gegen Depression umzustellen. Dass der Sachverständige dies behandlungsanamnestisch als Indiz gegen eine maßgebliche seelische Verursachung des Schmerzerlebens gewertet hat, ist für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar.

dd) Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht aufgrund der abweichenden Leistungsbeurteilung des nach § 109 SGG bestellten Sachverständigen Dr. W. Übereinstimmend haben sich die nach § 106 SGG berufenen Sachverständigen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet Dr. G1, Dr. W1 und Dr. H sowie zweitinstanzlich der Sachverständige S dieser Einschätzung nicht anschließen können. So hat der Sachverständige S die in dem Gutachten W beschriebene Intensität der seelischen Veränderung weder nach der durchgeführten Untersuchung noch nach Aktenlage nachvollziehen können. Er hat vielmehr überzeugend darauf hingewiesen, dass diese Intensität auch mit dem durch den behandelnden Neurologen und Psychiater Dr. G gewählten und seit Jahren nicht veränderten Therapiekonzept mit einem zwischenzeitlich überholten Mittel gegen Depression bei niedriger Dosierung nicht im Einklang stehe. Ebenso hat schon erstinstanzlich der Sachverständige Dr. G1 auf die Unvereinbarkeit der von Dr. W vorgenommenen Leistungsbeurteilung sowohl mit der Behandlungsanamnese also auch den Feststellungen zu einem weitgehenden ungestörten Tagesablauf aufmerksam gemacht. Zudem ist der Schluss des Sachverständigen Dr. W, dass eine - bereits nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bei der Klägerin nicht festzustellende - chronische Schmerzsymptomatik grundsätzlich ein untervollschichtiges Leistungsvermögen mit sich bringt, nicht plausibel.

c) Mit dem vorhandenen Restleistungsvermögen ist die Klägerin in der Lage unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu arbeiten.

aa) Der Arbeitsmarkt ist für die Klägerin zunächst nicht unter dem Gesichtspunkt einer aufgehobenen Wegefähigkeit verschlossen. Nach dem insoweit gebotenen generalisierenden Maßstab reicht es aus, wenn der Versicherte noch in der Lage ist, viermal täglich eine Wegstrecke von etwas mehr als 500 Metern innerhalb von 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel innerhalb der Hauptverkehrszeit zu benutzen (BSG, Urteil v. 12.12.2011, B 13 R 21/10 R, juris; Urteil v. 12.12.2011, B 13 R 79/11 R, SozR 4-2600 § 43 Nr. 17; Urteil v. 21.3.2006, B 5 RJ 51/04 R, SozR 4-2600 § 43 Nr. 8; jeweils m.w.N.). Hieran bestehen nach übereinstimmender Beurteilung aller nach § 106 SGG gehörten Sachverständigen keine durchgreifenden Bedenken. Der Einschätzung des Sachverständigen Dr. W konnten diese sich gleichfalls nicht anschließen, nachdem weder die orthopädischen noch die neurologischen Befunde eine andere Einschätzung zulassen.

Eine rentenversicherungsrechtlich relevante Aufhebung der Wegefähigkeit der Klägerin folgt angesichts der Unterschiedlichkeit der Voraussetzungen schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass bei ihr zwischenzeitlich die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "G" zuerkannt worden sind (Senat, Urteil v. 9.12.2015, L 8 R 655/12, juris m.w.N.).

bb) Das klägerische Restleistungsvermögen reicht aus für Tätigkeiten wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Telefonieren, Kopieren, Scannen, Faxen und Ablegen. Damit sind aktuell ernste Zweifel an der Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wegen ihrer qualitativen Leistungseinschränkungen ausgeräumt (vgl. BSG Urteil v. 19.10.2011, B 13 R 78/09 R, SozR 4-2600 § 43 Nr. 16; Urteil v. 9.5.2012, B 5 R 68/11 R, SozR 4-2600 § 43 Nr. 18).

cc) Der Senat kann offen lassen, ob die erstmals im Jahr 2015 durch den Sachverständigen S festgestellten Handfunktionsstörungen aufgrund des damals noch bestehenden beidseitigen Karpaltunnelsyndroms die Durchführung von Tätigkeiten im Bereich Sortieren, Verpacken, Montieren und Zusammensetzen von Teilen und damit die Einsatzfähigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt maßgeblich einschränkten und wenn, ob dadurch das grundsätzlich heterogene Arbeitsfeld der ungelernten und angelernten Tätigkeiten im unteren Bereich dadurch so beschränkt worden ist, dass wiederum die Benennung einer konkreten Tätigkeit erforderlich geworden ist (vgl. BSG, Urteil v. 9.5.2012, a.a.O.). Denn auch unter Berücksichtigung dieser Aspekte zugunsten der Klägerin war diese trotz ihrer qualitativen Leistungseinschränkungen noch in der Lage, "erwerbstätig zu sein", nämlich durch die Tätigkeit einer Pförtnerin an der Hauptpforte (= Empfang) Erwerbseinkommen zu erzielen.

Diese Tätigkeit entsprach und entspricht den Kräften und Fähigkeiten der Klägerin.

Zum generellen Aufgabengebiet gehören das Überwachen des Personen- und Fahrzeugverkehrs an Türen, Toren von Fabriken, Gebäuden, Geschäfts- und Bürohäusern, Museen, Krankenhäusern usw. Dabei werden Besucher, Betriebsangehörige, Lieferanten etc. empfangen, gegebenenfalls deren Legitimation geprüft, Besucher angemeldet, Besucherscheine ausgestellt und Auskünfte erteilt. Die Besucher werden an die zu besuchenden Stellen oder Personen innerhalb des Betriebs, der Behörde etc. weitergeleitet. Je nach Arbeitsplatz gehört auch das Bedienen der Telefonanlage oder das Verwalten von Schlüsseln oder Schließanlagen zum Aufgabengebiet. Gegebenenfalls und arbeitsplatzabhängig führen Pförtner auch Aufzeichnungen, nehmen Postsendungen an und leiten sie weiter. Teilweise gehören auch das Aushändigen von Formularen sowie das Aufbewahren von Fundsachen und Gepäck zu ihrem Aufgabengebiet. Sie kontrollieren ggf. Werksausweise und führen Taschenkontrollen durch. Auch Kontrollgänge gehören zu ihrem Aufgabengebiet sowie ggf. einfache Bürohilfsarbeiten, z.B. fotokopieren. Der Arbeitsraum ist teilweise mit Überwachungsmonitoren ausgestattet. Sie verhindern das Eindringen von Unbefugten und überwachen zeitlich bzw. örtlich Zugangsberechtigungen und eventuell bestehende Fotografierverbote.

Es handelt sich generell um körperlich leichte Arbeiten, die überwiegend in geschlossenen Räumen, im Sitzen mit der Möglichkeit des Haltungswechsels zwischen Gehen und Stehen verrichtet werden. Zwangshaltungen, mittelschweres und schweres Heben und Tragen fallen grundsätzlich nicht an. Gearbeitet wird in Tagesschicht, auch im Schicht- und Nachtdienst. Bei der Tätigkeit einer Pförtnerin an der Hauptpforte (= Empfang) sind ausreichend Stellen in Tagesschicht vorhanden. Wenn die Arbeit mit Publikumsverkehr verbunden ist, erfolgt zum Teil auch stoßweise Arbeitsbelastung, abwechselnd mit relativ monotoner Tätigkeit. In psychischer Hinsicht sind Reaktionsvermögen, Entschlusskraft, Handlungsbereitschaft, Flexibilität, Besonnenheit, Umsicht, Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit, Kontaktfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit und gute Umgangsformen nötig.

Der Senat entnimmt diese Feststellungen der berufskundlichen Beurteilung der Sachverständigen I1 (Diplom-Verwaltungswirtin, Gutachten v. 17.4.2009) aus dem vor dem LSG NRW unter dem Aktenzeichen L 13 R 125/08 geführten Rechtsstreit, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden ist. Einwände gegen die Richtigkeit der Feststellungen in diesem Gutachten sind nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht geltend gemacht worden.

Mit dem ihr verbliebenen Leistungsvermögen ist die Klägerin noch in der Lage, diese Tätigkeiten und Arbeiten auszuüben. Bedenken gegen die erforderliche Umstellungsfähigkeit der Klägerin auf diese Tätigkeit innerhalb von drei Monaten bestehen nicht.

2. Die vor dem 2.1.1961, nämlich am 23.8.1948 geborene Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI.

Sie ist nicht berufsunfähig i.S.d. § 240 SGB VI. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Dabei umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann.

a) "Bisheriger Beruf" im Sinne dieser Bestimmungen ist im Falle der Klägerin derjenige der Näherin. Als "bisheriger Beruf" ist grundsätzlich die versicherungspflichtige Tätigkeit zu verstehen, die der Versicherte auf Dauer, d.h. mit dem Ziel, diese bis zum Erreichen der Altersgrenze oder bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit durchzuführen, ausgeübt hat (BSG, Urteil v. 20.7.2005, a.a.O., B 13 RJ 29/04 R, SozR 4-2600 § 43 Nr. 4 m.w.N.). In der Regel ist dies die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, jedenfalls dann, wenn sie die qualitativ höchste ist (BSG, Urteil v. 20.7.2005, a.a.O.). Damit kommen Tätigkeiten, mit denen nur vorübergehend Einkommen erzielt worden ist, nicht in Betracht (Nazarek, in: jurisPK-SGB VI, 2. Aufl., § 240 Rdnr. 35). Die Klägerin war zwischen 1963 und 1976 als Näherin tätig. Da nennenswerte andere Tätigkeiten nicht ersichtlich sind, ist diese Beschäftigung daher als "bisheriger Beruf" im Sinne von § 240 SGB VI anzusehen.

b) Den Beruf der Näherin kann die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. Nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme ist sie zumindest bis zur operativen Behandlung in 2015 aufgrund des Karpaltunnelsyndroms in ihrer Finger- und Handgeschicklichkeit beschränkt gewesen. Zudem arbeiten Näherinnen häufig in sitzender, vornübergebeugter Haltung. Der Klägerin sind jedoch derartige Zwangshaltungen nicht zuzumuten.

c) Trotz ihres gesundheitsbedingten Unvermögens zur Ausübung ihres bisherigen Berufs ist die Klägerin nicht im Sinne des § 240 Abs. 2 SGB VI berufsunfähig. Sie kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nämlich auf die ihr objektiv (s.o.) und subjektiv zumutbare Verweisungstätigkeit der Pförtnerin am Empfang verwiesen werden.

aa) Zur Beurteilung der Frage, auf welche Tätigkeiten Versicherte subjektiv zumutbar verwiesen werden können, hat das BSG in ständiger Rechtsprechung das sog. Mehrstufenschema entwickelt (vgl. BSG, Urteil v. 14.5.1996, 4 RA 60/94, SozR 3-2600 § 43 Nr. 13; Urteil v. 13.12.2000, B 5 RJ 28/99 R ;Urteil v. 12.2.2004, B 13 RJ 34/03 R; jeweils m.w.N.). Danach werden die Arbeiterberufe nach ihrer Leistungsqualität in hierarchisch geordnete Gruppen untergliedert, die durch Leitberufe beschrieben werden. Der unteren Gruppe mit dem Leitberuf der "ungelernten Arbeiter" werden einfache Tätigkeiten zugeordnet, die mit entsprechendem Leistungsvermögen von jedem verrichtet werden können, und gehobene Tätigkeiten, die durch Einweisungs- oder Einarbeitungszeiten von nicht mehr als drei Monaten gekennzeichnet sind. Daneben hat sich die Gruppe der "angelernten Arbeiter" mit einer Ausbildung von mehr als drei Monaten bis zu zwei Jahren entwickelt, innerhalb derer zwischen Versicherten im oberen Bereich (Ausbildungszeit von mehr als einem Jahr) und sonstigen Angelernten zu differenzieren ist. Dem folgt die Gruppe der "Facharbeiter", die einen anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei, regelmäßig drei Jahren ausüben. Schließlich werden von der Gruppe mit der höchsten Qualifikation "Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion" und "besonders hoch qualifizierte Facharbeiter" erfasst.

bb) Im Sinne dieses Schemas ist die Berufstätigkeit der Klägerin als Näherin im Bereich der Damen- und Herrenkonfektion der Stufe der Angelernten des oberen Bereichs (Ausbildungszeit von mehr als einem Jahr bis zu zwei Jahren) zuzuordnen, wobei der Senat - obwohl sie eine entsprechende Berufsausbildung förmlich nicht durchlaufen hat - zugunsten der Klägerin davon ausgeht, dass sie diesen Beruf vollwertig ausgeübt hat. Eine Einstufung in die Gruppe der Facharbeiterinnen (Ausbildung von mehr als zwei Jahren) kommt dagegen nicht in Betracht.

Bis zur Neuordnung des Berufsbildes handelte es sich bei der sog. Kleidernäherin um einen Anlernberuf mit einer Ausbildungszeit von anderthalb Jahren (Ministerialblatt des Bundesministers für Wirtschaft 1955, Nr. 20, Seite 440). Mit Erlass der Verordnung über die Berufsausbildung in der Bekleidungsindustrie vom 3.6.1971 (BeklIndAusbV) wurden die aufeinander aufbauenden Berufe des Bekleidungsnähers, des Bekleidungsfertigers sowie des Bekleidungsschneiders staatlich anerkannt. Nach § 2 BeklIndAusbV betrug die Ausbildungsdauer für den Beruf des Bekleidungsnähers zwölf Monate und die des Bekleidungsfertigers 24 Monate. Lediglich ergänzend ist darauf zu verweisen, dass auch aktuell nach § 2 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Textil- und Modenäher und zur Textil- und Modenäherin vom 25.6.2015 (gültig ab dem 1.8.2015; TexModNäherAusbV) die Ausbildung zum nochmals neugefassten Berufsbild weiterhin max. zwei Jahre dauert.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist ihre berufliche Tätigkeit damit nicht im Rahmen des Mehrstufenschemas des BSG in die Stufe des Facharbeiters einzuordnen. Es fehlt bereits an der anerkannten Ausbildungsdauer von mehr als zwei Jahren.

Unerheblich ist vor diesem Hintergrund ebenfalls, dass die Klägerin in der Zeit vom 6.9.1963 bis zum 31.3.1966 das Berufskolleg Q in N besucht hat. Auf eine ggf. individuelle Ausbildungsdauer ist nicht abzustellen. Zudem ist die Klägerin nach der dortigen Auskunft vom 6.11.2013 als Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag unterrichtet worden und erwarb zwar einen Berufsschul- allerdings keinen Berufsabschluss.

Vor dem Hintergrund der festgestellten Wertigkeit des ausgeübten Berufs konnte der Senat zudem offen lassen, ob die Klägerin entsprechend einer Näherin mit abgeschlossener Ausbildung vergütet worden ist, denn auch diese tarifliche Einstufung würde die von ihr ausgeübte Tätigkeit nicht der Gruppe der Facharbeiter gleichstellen.

cc) Als Angelernte im oberen Bereich ist die Klägerin grundsätzlich auf alle Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar, soweit es sich nicht um allereinfachste Tätigkeiten oder Verrichtungen handelt, wobei eine in Betracht kommende Verweisungstätigkeit konkret zu benennen ist (BSG, SozR 2200 § 1246 Nr. 131, 143; Senat, Urteil v. 29.4.2015, L 8 R 654/11). Die Klägerin ist unter Bezugnahme auf die obigen Ausführungen mit ihrem nach der medizinischen Beweisaufnahme feststehenden Restleistungsvermögen in der Lage, die Tätigkeit einer Pförtnerin an der Hauptpforte (= Empfang) auszuüben. Diese Verweisungstätigkeit ist ihr unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zumutbar.

3. Da die Klägerin durchgängig seit Antragstellung weder voll noch teilweise erwerbsgemindert bzw. berufsunfähig war, kommt es auf die Frage, zu welchen Zeitpunkten innerhalb des Streitzeitraums die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen entsprechenden Rentenanspruch erfüllt waren bzw. inwiefern ein solcher an § 34 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI gescheitert wäre, nicht entscheidend an.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

III. Gründe, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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