L 11 R 379/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 2803/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 379/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18.12.2014 abgeändert und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 08.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.07.2013 verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.4.2015 bis 31.03.2018 zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt 3/4 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

Die 1958 geborene Klägerin ist in Rumänien geboren und absolvierte dort eine sechsmonatige Lehre als Schneiderin. 1989 übersiedelte sie in die Bundesrepublik Deutschland und war hier von 1990 bis 2010 mit Krankheitszeit zwischen 2006 und 2009 als Arbeiterin in der Holzindustrie versicherungspflichtig beschäftigt, zuletzt arbeitete sie bei einer Transfergesellschaft. Ab 18.08.2011 war die Klägerin arbeitsunfähig krank und bezog vom 09.09.2011 bis 14.02.2013 Krankengeld, ab 15.02.2013 bis zur Erschöpfung des Anspruchs Arbeitslosengeld und seither Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Einen ersten Rentenantrag stellte die Klägerin am 27.11.2008, welcher mit Bescheid vom 03.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.08.2009 abgelehnt wurde.

Vom 21.11. bis 27.12.2012 absolvierte die Klägerin eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in B. S ... Nach dem Entlassungsbericht vom 28.12.2012 wurde sie mit den Diagnosen Fibromyalgie-Syndrom (ED 2007), rezidivierende Zervikobrachialgie beidseits bei Bandscheibenvorfall C6/7, rezidivierende Thorakolumboischialgie beidseits bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, Periarthritis humeroscapularis beidseits und psychovegetativer Erschöpfungszustand mit mittelgradiger depressiver Episode arbeitsunfähig entlassen. Es wurde eingeschätzt, dass aus orthopädisch-rheumatologischer Sicht leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich möglich seien.

Am 24.01.2013 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte holte ein Gutachten bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. U. ein. Diese diagnostizierte im Gutachten vom 20.04.2013 eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.41), Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen (F68.0) und eine histrionische Persönlichkeitsstörung (F60.4). Beschwerdeschilderung und Verhalten in der Untersuchungssituation seien diskrepant gewesen. Körperlich leichte Tätigkeiten ohne Nachtschicht, besondere psychische Beanspruchung, Zeitdruck und möglichst ohne Publikumsverkehr seien mindestens sechs Stunden täglich möglich. Mit Bescheid vom 08.05.2013 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Den Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 18.07.2013 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 08.08.2013 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage. Die Beklagte habe ihre Leiden nicht ausreichend berücksichtigt. Ergänzend hat sie den Entlassungsbericht der Klinik B. B. vom 12.10.2013 vorgelegt über eine stationäre multimodale Schmerztherapie in der Zeit vom 01. bis 12.10.2013 sowie den Entlassungsbericht der A.-Kliniken B.-B. vom 30.10.2014 über eine stationäre interdisziplinäre rheumatologisch-psychosomatische Behandlung in der Zeit vom 29.10. bis 18.11.2014.

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt und vom Allgemeinmediziner Dr. E. Befundunterlagen und die Patientenkartei beigezogen. Dr. W. hat mit Schreiben vom 19.12.2013 mitgeteilt, bei der Klägerin bestehe eine zentrale Reizverarbeitungsstörung mit vegetativen und psychischen Beschwerden. Der Orthopäde Dr. L. hat auf ein eingeschränktes Leistungsvermögen hingewiesen, maßgebend sei der psychische, endokrinologische und internistische Bereich (Schreiben vom 13.01.2014). Der Neurologe und Psychiater Dr. H. hat mit Schreiben vom 30.01.2014 mitgeteilt, im psychopathologischen Befund seien durchweg Einbußen im dynamischen Bereich, Vitalgefühlsstörungen und kognitive Einschränkungen zu erheben. Eine Tätigkeit könne nur unter drei Stunden täglich erbracht werden.

Das SG hat daraufhin ein nervenärztliches Gutachten bei Dr. S. eingeholt. In dem Gutachten vom 05.05.2014 werden folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: - Verdacht auf anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.4) - Dysthymia (F34.1) - histrionische Persönlichkeitsakzentuierung (Z73.1) - Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen (ausgeprägtes Rentenbegehren, F68.0) - degenerative Wirbelsäulenveränderungen ohne ausreichend objektivierbare radikuläre Reiz- oder Ausfallsymptome - Struma multinodosa, medikamentös behandelt - Osteoporose, medikamentös behandelt. Die psychische Symptomatik entziehe sich nicht der zumutbaren Willensanspannung. Ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich liege vor. Ein zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen lasse sich nicht belegen, zumal zweifelsfrei ein Aggravations- und Simulationsverhalten vorgelegen habe.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ein weiteres nervenärztliches Gutachten bei Prof. Dr. Brecht eingeholt. Im Gutachten vom 26.09.2014 stellt der Gutachter folgende Diagnosen: - schwere und anhaltende somatoforme Schmerzstörung - histrionische Persönlichkeitsstörung - Bandscheibenvorfall HWK 6/7 bei degenerativen WS-Veränderungen - Struma nodosa - Osteoporose - leichte Hörminderung beidseits Die Klägerin sei seit vielen Jahren nicht in der Lage, auch nur leichten Tätigkeiten nachzugehen. Es bestehe eine lange Krankheitsanamnese mit komplexem Krankheitsverlauf und vielen frustranen therapeutischen Bemühungen. Die psychiatrischen Vorgutachten von Dr. U. und Dr. S. hätten die Komplexität des Krankheitsgeschehens nicht genügend erfasst.

Dr. M. vom beratungsärztlichen Dienst der Beklagten hat mit Stellungnahme vom 03.11.2014 geltend gemacht, dass bei der auch von Prof. Dr. B. festgestellten Aggravation auch die sonstigen Angaben der Klägerin unter diesem Gesichtspunkt zu sehen seien und daher keine leistungsmindernde Beeinträchtigung begründen könnten.

Mit Urteil vom 18.12.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Soweit die behandelnden Ärzte und Prof. Dr. B. ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden verneinten, sei dies bereits nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. nicht nachvollziehbar. Danach könne die Klägerin noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten ohne Akkord- oder Fließbandbedingungen, Nachtarbeit und ohne emotionale Belastungen und erhöhtes Konfliktpotential mindestens sechs Stunden täglich leisten. Sowohl Dr. S. als auch Dr. U. hätten eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens nicht zu objektivieren vermocht.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 09.01.2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 30.01.2015 eingelegte Berufung der Klägerin. Das Urteil habe darauf verzichtet, zumindest den groben Inhalt der sachverständigen Zeugenaussagen und der Gutachten von Dr. S. und Prof. Dr. B. darzustellen und bewege sich nicht mehr in dem von § 136 Abs 1 Nr 5 SGG vorgegebenen Rahmen. Es sei nicht erkennbar, welchen entscheidungserheblichen Sachverhalt das Gericht berücksichtigt habe, es enthalte auch keine Begründung und ein Mindestmaß an Beweiswürdigung fehle. Insbesondere habe das SG nicht einfach über das Gutachten von Prof. Dr. B. hinweggehen dürfen mit der Auffassung, "insbesondere bereits" durch lange vor der durch Prof. Dr. B. durchgeführten Untersuchungen sei ja schon alles geklärt.

Die Klägerin beantragt (teilweise sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18.12.2014 und den Bescheid der Beklagten vom 08.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.07.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ab 01.01.2013 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass weiterhin keine anspruchsbegründende Erwerbsminderung vorliege.

Der Senat hat zunächst eine ergänzende Stellungnahme bei Prof. Dr. B. angefordert im Hinblick auf die Einwendungen des beratungsärztlichen Dienstes. Mit Schreiben vom 15.04.2015 hat Prof. Dr. B. ua ausgeführt, dass bei Vorliegen von Aggravation nicht grundsätzlich leistungsmindernde Beeinträchtigungen ausgeschlossen werden könnten. Die Aggravation sei auch Folge der histrionischen Persönlichkeitsstörung mit dramatisierendem Verhalten. Hierzu hat sich Dr. M. mit Schreiben vom 29.05.2015 geäußert.

Zusätzlich hat der Senat ein weiteres gerichtliches Sachverständigengutachten eingeholt. Im Gutachten vom 14.12.2015 führt die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. aus, bei der Klägerin bestehe eine inzwischen erheblich chronifizierte somatoforme Schmerzstörung und eine chronifizierte depressive Erkrankung im Sinne einer Dysthymie. Es ergäben sich Aspekte einer kombinierten Persönlichkeitsakzentuierung mit ängstlich vermeidenden, dependenten Elementen und histrionischen Tendenzen. Neurologisch bestehe eine Migräne mit häufigen Kopfschmerzen, die wegen erheblicher Überlagerungen mit der somatoformen Schmerzstörung nicht gesondert gewertet werde. Es bestünden sicherlich Verdeutlichungstendenzen in der Schilderung der Schmerzintensität, hierbei dürfe die einfache intellektuelle Struktur der Klägerin eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Die Klägerin habe authentisch und glaubhaft gewirkt, an ihrem Leidensdruck habe kein Zweifel bestanden. Auch unter Beachtung qualitativer Einschränkungen könnte die Klägerin nur unter drei Stunden täglich arbeiten. Letztlich habe sich ein ähnliches Bild gezeigt wie bei der Untersuchung durch Prof. Dr. B., so dass als Beginn der Leistungseinschränkung September 2014 vorgeschlagen werde.

Die Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme von Dr. M. vom 25.01.2016 vorgelegt. Dieser verweist erneut darauf, dass den Angaben der Klägerin bei Vorliegen von Verdeutlichungstendenzen nicht gefolgt werden dürfe, da diese nicht dem objektiven Krankheitsbild entsprächen sondern der theatralischen Darbietung.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, zulässig und teilweise begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.04.2015 bis 31.03.2018.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554).

Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflicht-beiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt.

Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage ist, eine leichte Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens drei Stunden täglich zu verrichten.

Diese Überzeugung schöpft der Senat aus den Sachverständigengutachten von Prof. Dr. B. und Dr. H ... Danach liegen bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen vor: - chronifizierte somatoforme Schmerzstörung - chronifizierte depressive Erkrankung im Sinne einer Dysthymie - histrionische Persönlichkeitsstörung bzw kombinierte Persönlichkeitsakzentuierung mit ängstlich vermeidenden, dependenten Elementen und histrionischen Tendenzen - Bandscheibenvorfall C6/7 bei degenerativen WS-Veränderungen - Struma nodosa - Osteoporose - leichte Hörminderung beidseits - Migräne Ganz im Vordergrund für die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit steht die somatoforme Schmerzstörung, die auch bereits von Dr. U. diagnostiziert worden war. Die depressive Störung, die in der Vergangenheit zeitweise schon stärker ausgeprägt war als zuletzt bei der Untersuchung durch Dr. H. (mittelgradig bei der stationären Behandlung in B. B. im Oktober 2013, hochgradig bei der stationären Behandlung in B.-B. im Oktober/November 2014), tritt dagegen zurück. Ob die Kriterien einer histrionischen Persönlichkeitsstörung (so Prof. Dr. B.) oder lediglich einer Persönlichkeitsakzentuierung mit histrionischen Anteilen (so Dr. H.) erfüllt sind, spielt für die Leistungsbeurteilung letztlich keine Rolle. Aufgrund der gravierenden Ausprägung der Schmerzerkrankung ist der Senat insbesondere unter Zugrundelegung des Gutachtens von Dr. H. der Überzeugung, dass auch leichte Tätigkeiten jedenfalls seit September 2014 nur noch unter drei Stunden von der Klägerin verrichtet werden können. Dr. H. hat die Klägerin ausführlich exploriert, eigene Befunde erhoben und unter kritischer Würdigung auch der Vorgutachten daraus für den Senat schlüssig und nachvollziehbar ein aufgehobenes Leistungsvermögen hergeleitet. Dabei hat Dr. H. insbesondere nicht unberücksichtigt gelassen, dass die Klägerin Beschwerden aggraviert, wie auch zuvor schon ausführlich von Dr. U. und Dr. S. beschrieben. Anders als insbesondere Dr. S. geht sie nachvollziehbar davon aus, dass es sich nicht um bewusstseinsnahe Prozesse handelt, sondern die übertriebene Darstellung von Beschwerden insbesondere in den Vorgutachten eher der Angst vor Nichtwahrnehmung oder Nichtanerkennung durch die Gutachter entsprang. Insoweit hat bereits Prof. Dr. B. darauf hingewiesen, dass nach dem klinischen Eindruck ein eher einfach strukturierter Intellekt vorliegt, der es der Klägerin erschwert, sich differenziert mit ihren Problemen auseinanderzusetzen und adäquat mitzuteilen. Auch Dr. U. hatte in ihrem Gutachten vom 20.04.2013 trotz der Diskrepanzen zwischen Beschwerdeschilderung und Verhalten in der Untersuchungssituation ausdrücklich festgehalten, dass ein erhöhter Leidensdruck nicht zu bezweifeln sei. Entgegen der Auffassung von Dr. M. vom beratungsärztlichen Dienst der Beklagten kann allein aus dem Vorliegen von Aggravation nicht zwingend geschlossen werden, dass sämtliche Angaben unglaubwürdig sind und statt tatsächlicher Leistungseinbußen und –beeinträchtigungen nur theatralische Darstellungen vorliegen. Darauf hat zu Recht bereits ausführlich Prof. Dr. B. hingewiesen. Erforderlich ist insoweit eine angemessene Berücksichtigung etwaiger tendenziöser Haltungen durch eine Beschwerdevalidierung (vgl Sk2–Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen (AWMF – Registernr 051/029). Dr. H. hat insoweit nachvollziehbar ausgeführt, dass der Leidensdruck hinreichend überzeugend ist und sich insbesondere auch in den bisherigen therapeutischen Bemühungen widerspiegelt. Seit vielen Jahren erfolgt eine fachärztliche Behandlung, es fanden mehrere stationäre Rehabilitationsmaßnahmen statt, ebenso stationäre und ambulante Behandlungen. Auch in der privaten Lebensführung bestehen deutliche Schwierigkeiten und Einschränkungen. Durch die Schmerzerkrankung ist die Klägerin nach alledem nachvollziehbar in ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit in erheblichem Ausmaß beeinträchtigt, ebenso bezüglich ihrer Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit und ihres Stressbewältigungsvermögens. Diese Einschränkungen kann die Klägerin nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. H. nicht mit zumutbarer und möglicher eigener Willensanspannung überwinden.

Ein genauer Zeitpunkt des Eintritts der Leistungsminderung lässt sich kaum bestimmen. Der Senat folgt insoweit dem Vorschlag von Dr. H., auf den Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. B. im September 2014 abzustellen. Bereits zu diesem Zeitpunkt stellte sich der psychische Befund und der Gesamtzustand der Klägerin deutlich schlechter dar als noch zuvor im Rahmen der Rehabilitation 2012 oder bei den Untersuchungen durch Dr. U. und Dr. S ... Der behandelnde Arzt Dr. H. geht zwar schon mindestens seit Rentenantragstellung von einem aufgehobenen Leistungsvermögen aus, dies lässt sich jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Denn insbesondere bei der Untersuchung durch Dr. U. im April 2013 stellte sich der Gesundheitszustand der Klägerin noch deutlich stabiler dar. Eine zunehmende Verschlechterung der Symptomatik im Laufe der Zeit lässt sich erkennen. So musste die Klägerin im Oktober 2014 sogar stationär aufgenommen und für die Dauer von drei Wochen behandelt werden, weil eine akute Schmerzexazerbation aufgetreten war, die sich ambulant nicht mehr beherrschen ließ (so dargelegt im Entlassungsbericht der A. Kliniken B.-B. vom 30.10.2014).

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Rente liegen vor. Nach § 43 Abs 1 Satz 1 Nr 2 und Nr 3 SGB VI iVm § 43 Abs 4 und 5 SGB VI müssen vor Eintritt des Versicherungsfalles der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt und in den davor liegenden fünf Jahren für mindestens 36 Monate Pflichtversicherungsbeiträge gezahlt worden sein. Dies ist hier der Fall. Die Klägerin hat die allgemeine Wartezeit erfüllt und in den letzten fünf Jahren vor Eintritt des Leistungsfalls (Untersuchung bei Prof. Dr. B. am 16.09.2014) mehr als 36 Monate Pflichtbeiträge zurückgelegt.

Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet (§ 101 Abs 1 SGB VI). Maßgeblich ist im Übrigen der Rentenantrag (§ 99 Abs 1 Satz 2 SGB VI). Der Eintritt des Leistungsfalles ist zur Überzeugung des Senats seit dem 16.09.2014 nachgewiesen, wie oben ausgeführt. Danach ist der Rentenbeginn am 01.04.2015.

Die Rente war zu befristen, da ein Dauerzustand zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht angenommen werden kann. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen (§ 102 Abs 2 Satz 5 SGB VI). Eine Besserung im Gesundheitszustand ist solange noch nicht unwahrscheinlich, solange nicht alle therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten erschöpft sind. Hierzu zählen alle anerkannten Behandlungsmethoden, auch geläufige Operationen, die zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit führen können, soweit nicht im Gesundheitszustand des Versicherten liegende Kontraindikationen entgegenstehen (BSG 29.03.2005, B 13 RJ 31/05 R, SozR 4-2600 § 102 Nr 2). Nach § 102 Abs 2 S 1 SGB VI sind Erwerbsminderungsrenten grundsätzlich auf längstens drei Jahre zu befristen. Wenn auf die Rente - wie vorliegend - ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, wird sie nur dann unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Es ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht ausgeschlossen, dass sich die seelischen Leiden der Klägerin wieder derartig bessern, dass ein Wiedereintritt in eine mindestens sechsstündige leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich wird, auch wenn die Prognose nach den Ausführungen von Prof. Dr. B. und Dr. H. eher schlecht ist. Die Rente steht der Klägerin daher zunächst befristet bis zum 31.03.2018 zu. Über eine Verlängerung entscheidet die Beklagte nach entsprechender Antragstellung der Klägerin.

Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Dauer steht der Klägerin nicht zu, auch wenn sie die körperlich schwere Tätigkeit als Arbeiterin in der Holzindustrie auf Dauer nicht mehr ausüben können wird. Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist nach § 240 SGB VI, dass die Klägerin vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Die Klägerin ist 1958 und damit vor dem Stichtag geboren, Berufsunfähigkeit liegt jedoch nicht vor. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs 2 Satz 1 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI). Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind (§ 240 Abs 2 Satz 3 SGB VI). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs 2 Satz 4 SGB VI). Im Rahmen der Beurteilung, ob einem Versicherten eine Tätigkeit iSd § 240 Abs 2 Sätze 2 bis 4 SGB VI sozial zumutbar ist, kann ein Versicherter auf eine Tätigkeit derselben Stufe bzw auf Tätigkeiten jeweils nächstniedrigeren Stufe verwiesen werden (zum Stufenschema des BSG vgl BSG 22.10.1996, 13 RJ 35/96, SozR 3-2200 § 1246 Nr 55; BSG 18.02.1998, B 5 RJ 34/97 R, SozR 3-2200 § 1246 Nr 61, jeweils mwN). Die Klägerin hat seit ihrer Übersiedlung aus Rumänien nur ungelernte Tätigkeiten ausgeübt und ist daher auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die Sachverständigengutachten von Dr. S., Prof. Dr. B. und Dr. H. nebst den vorliegenden Arztauskünften bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats und haben die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO); weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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