L 13 AS 4920/14 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AS 3849/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 4920/14 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 29. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ohne Ratenzahlungsanordnung bewilligt und Rechtsanwalt W. beigeordnet.

Gründe:

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg (SG) vom 23. April 2015 ist zulässig (vgl. § 145 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung liegen nicht vor.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der hier anwendbaren, ab 1. April 2008 geltenden Fassung bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Diese Regelung findet nur dann keine Anwendung, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Dieser Beschwerdewert wird vorliegend nicht erreicht; der Ausnahmetatbestand des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG liegt nicht vor.

Gegenstand des Klageverfahrens ist die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung in der Zeit vom 1. Juni 2013 bis 31. Oktober 2013 gewesen. Das SG hat den Beklagten verurteilt, die tatsächlichen Kosten der Bedarfsgemeinschaft (in Höhe von 601,01 EUR monatlich) zu gewähren und nicht nur 555,82 EUR monatlich (Bescheide vom 17. Juli 2013). Damit ergibt sich für den Beklagten keine Beschwer von über 750,00 EUR; auch sind nicht Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen.

Da das SG eine Zulassung der Berufung nicht ausgesprochen hat, bedarf eine Berufung der Zulassung durch Beschluss des Landessozialgerichts (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG). Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, (2.) das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts (BSG) oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor.

Der Rechtssache kommt zunächst keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn ihre Entscheidung über den Einzelfall hinaus dadurch an Bedeutung gewinnt, dass die Einheit und Entwicklung des Rechts gefördert wird oder dass für eine Anzahl ähnlich liegender Fälle eine Klärung erfolgt (ständige Rechtsprechung des BSG seit BSGE 2, 121, 132 zur entsprechenden früheren Vorschrift des § 150 Nr. 1 SGG). Die Streitsache muss mit anderen Worten eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwerfen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern; die entscheidungserhebliche Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 144 Rdnr. 28; vgl. dort auch § 160 Rdnr. 6 ff. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung zur Frage der Revisionszulassung). Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage in diesem Sinn wirft die Streitsache nicht auf.

Denn zu der hier im Streit stehenden Frage, welche angemessene Wohnungsgröße für die Berechnung der angemessenen Unterkunftskosten zu berücksichtigen ist, wenn eine Wohnung von mehreren Familienangehörigen bewohnt wird, die aber nicht alle zur Bedarfsgemeinschaft gehören, ist bereits die höchstrichterliche Entscheidung des BSG vom 18. Februar 2010 - B 14 AS 73/08 R, Juris - ergangen, die das SG in seinem Gerichtsbescheid angewandt hat. Hiernach ist allein die Zahl der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft für die Bestimmung der angemessenen Wohnungsgröße relevant, nicht die aller in einer Wohnung zusammenlebender Familienangehöriger. Der Beklagte hat zwar ausführlich dargetan, dass er die Entscheidung des SG bzw. BSG für falsch hält, sie zum Teil zu nicht sachgerechten Lösungen führe und die Angemessenheit jeden Monat neu zu bewerten sei, obwohl sich an der Wohnsituation nichts geändert habe. Dies stellt aber keinen Zulassungsgrund darstellt, denn die Richtigkeit einer Entscheidung ist nicht Prüfungsgegenstand einer Beschwerde (vgl. nur Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 145 SGG Rdnr. 5). Weder hat der Beklagte dargetan noch ist für den Senat ersichtlich, dass dem Urteil des BSG in nicht nur geringfügigem Umfang widersprochen wird (vgl. Breitkreuz/Fichte, Kommentar zum SGG, 2. Auflage, § 144 Rdnr. 32 m.w.N.). Der Senat hält es anhand der Entscheidung des BSG auch für eine logische Konsequenz, dass der vom Beklagten angenommene Zirkelschluss nicht vorzunehmen ist. Ist ein Familienmitglied nach einem ersten Berechnungsschritt mangels Bedürftigkeit nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, ist dies nicht mit einem geänderten, höheren Bedarf wieder in Frage zu stellen; dieses Familienmitglied ist auch dann kein Mitglied der Familien-Bedarfsgemeinschaft, wenn es nach einem zweiten Berechnungsschritt wegen einer höheren angemessenen Wohnungsgröße bedürftig ist. Eine grundsätzliche Frage kann darin nicht gesehen werden. Da der Regelbedarf nicht rechtshängig ist, können diesbezügliche Fragen von vornherein nicht zur Zulassung der Berufung führen.

Darüber hinaus liegt auch eine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG nicht vor. Eine solche Divergenz ist anzunehmen, wenn tragfähige abstrakte Rechtssätze, die einer Entscheidung des SG zugrunde liegen, mit denjenigen eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte nicht übereinstimmen. Das SG muss seiner Entscheidung also einen Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit der Rechtsprechung jener Gerichte nicht übereinstimmt (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 160 Rdnr. 13 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung zur Frage der Revisionszulassung). Einen Rechtssatz in diesem Sinn hat das SG in seinem Gerichtsbescheid nicht aufgestellt.

Letztlich ist auch ein wesentlicher Mangel des gerichtlichen Verfahrens im Sinne des dritten Zulassungsgrundes nicht geltend gemacht worden, weshalb die Beschwerde zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs. 1 SGG. Im Rahmen des den Gerichten danach eingeräumten Ermessens sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Sach- und Rechtslage bzw. der Ausgang des Verfahrens (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 193 Rdnr. 12 ff.). Hiernach war für den Senat maßgeblich, dass das eingelegte Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist und kein berechtigter Anlass für dessen Einlegung bestanden hat. Wird die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen, hat das Gericht in Abweichung vom Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung nur über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden. Denn im Zwischenverfahren der Nichtzulassungsbeschwerde hat das Beschwerdegericht nicht über die Erfolgsaussichten des Verfahrens in der Hauptsache zu entscheiden, sondern lediglich über die Zulassungsgründe. Dann kann dem Beschwerdegericht nicht die Kompetenz eingeräumt sein, mittelbar über die Kostenentscheidung doch über die Sach- und Rechtslage der Klage -gar abweichend- zu befinden (BSG, Beschluss vom 12. September 2011, B 14 AS 25/11 B, BGH, Beschluss vom 27. Mai 2004, VII ZR 217/02, beide veröffentlicht in Juris; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 145 Rdnr. 10, § 160a Rdnr. 17b, 20a, § 193 SGG Rdnr. 2a).

Da der Beklagte das Rechtsmittel eingelegt hat (§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO), die Antragsteller bedürftig im Sinne der Vorschriften über die PKH sind und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint, war den Antragstellern PKH zu bewilligen und Rechtsanwalt W. beizuordnen.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).

Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG wird hiermit rechtskräftig (vgl. § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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