L 4 VG 4/15 B

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 4 VG 18/14
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 4 VG 4/15 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 04.03.2015 – S 4 VG 18/14 – wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Im Hauptsacheverfahren begehrt die Klägerin Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Am 29.11.2013 beantragte die im Mai 1985 geborene Klägerin beim Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung Beschädigten-Versorgung nach dem OEG. Zur Begründung ließ sie vortragen, sie sei "Opfer einer gefährlichen Körperverletzung durch eine misslungene Blondierung" geworden und habe erhebliche, irreparable Schäden "in Gestalt des überwiegenden Haarverlustes sowie einer Anpassungsstörung" erlitten.
Aus der beigezogenen Strafakte ist ersichtlich, dass ein rechtskräftiger Strafbefehl des Amtsgerichts B gegen Herrn E D vom 24.01.2013 ergangen ist, durch den eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen bei einer Höhe des Tagessatzes von 30,00 EUR wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung gemäß §§ 229, 230 Strafgesetzbuch – StGB – festgesetzt wurde. Zu dem von der Staatsanwaltschaft ermittelten Sachverhalt ist im Strafbefehl angegeben, die Klägerin habe sich am 28.01.2011 in den Salon "Hairkiller" in B begeben, um ihr dunkles Haar blondieren zu lassen. Herr D habe ohne vorherige Aufklärung über die Risiken einer Blondierung mit Unterstützung einer Auszubildenden in zwei Schritten das Mittel "Platin Flash Blondierung" auf das Haar der Klägerin bis zum Ansatz aufgetragen, obwohl diese bereits anfänglich über ein Kribbeln und Spannungen der Kopfhaut sowie Jucken geklagt habe und habe dieses ca. 15 Minuten Einwirken lassen. Beim anschließenden Einsatz der Wärmehaube habe die Klägerin unverzüglich über heftige Schmerzen geklagt. Dennoch habe Herr D die Masse über eine längere Zeit unter der Wärmehaube einwirken lassen. Durch das im Haarfärbemittel enthaltene Wasserstoffperoxid hätten sich auf der Kopfhaut bis zum Schädelknochen abgestorbene Gewebeareale gebildet. Hierdurch, sowie durch eine später im Krankenhaus eingetretene Infizierung sei die Kopfhaut der Klägerin schwer beschädigt worden, sodass auf dem Hinterkopf etwa in der Größe einer Mönchstonsur dauerhaft keine Haare mehr wachsen könnten. Bei Beachtung der im Frisörhandwerk üblichen Sorgfalt hätte nach ersten Beschwerden der Klägerin die Behandlung unverzüglich abgebrochen werden müssen. Zudem habe der Frisör zuvor auf einem Allergietest bestehen und die Klägerin bzw. deren Mutter ausführlich über die Risiken der Behandlung unterrichten müssen.
Mit weiterem Strafbefehl des Amtsgerichts B vom 24.01.2013 wurde gegen Herrn B K eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen bei der Höhe eines Tagessatzes von 50,00 EUR wegen des Vergehens einer fahrlässigen Körperverletzung gemäß §§ 229, 230 StGB festgesetzt, weil er den gesondert verfolgten E D die Zeugin P habe ausbilden lassen, obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass Herr D keinen Meistertitel und auch nicht die hierfür erforderliche Sachkenntnis habe. Im Wege der Überwachungspflichten hätte Herr K dafür Sorge tragen müssen, dass ein Meister jederzeit während der Öffnungszeiten anwesend ist, da dieser aufgrund seiner Sachkenntnis eine solche falsche Behandlung hätte vermeiden können.
Mit Bescheid vom 01.08.2014 lehnte das Landesamt für Versorgung, Jugend und Versorgung die Gewährung von Versorgung nach dem OEG ab, da die Verursacher D und K der fahrlässigen Körperverletzung zum Nachteil der Klägerin für schuldig befunden und verurteilt worden seien. Deren Taten seien nicht geeignet, den Tatbestand eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG zu begründen. Gesundheitsschäden, die durch fahrlässige Begehungsweisen hervorgerufen wurden, seien von einer Entschädigungspflicht ausgenommen. Nach sorgfältiger tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des Geschehenssachverhalts, so wie er sich aus der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte ergebe, könne im Fall der Klägerin nicht als erwiesen angesehen werden, dass sie Opfer einer vorsätzlichen Gewalttat im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG geworden sei.
Zur Begründung ihres hiergegen eingelegten Widerspruchs ließ die Klägerin ausführen, die Folgen der fehlerhaften Haarbehandlung in Gestalt einer toxischen Kontaktdermatitis mit Haarverlust und Anpassungsstörung seien als Gesundheitsstörungen nach dem OEG anzuerkennen und zu entschädigen. Entgegen der Feststellung im angefochtenen Bescheid liege eine jedenfalls bedingt vorsätzliche Tatbegehung vor. Sowohl dem Betreiber der Filiale, als auch dem dort tätigen Mitarbeiter sei klar, dass toxische Substanzen, zu denen "vor allem auch Wasserstoffperoxid" gehören würden, Verätzungen und erhebliche Schäden hervorrufen könnten. Ein Indiz für solche Reaktionen sei ein Missempfinden auf den betroffenen Arialen. Dass die Verwendung solcher Substanzen die Gefahr bringe, hätten sowohl der Filialbetreiber, als auch der dort tätige Mitarbeiter gewusst. Bei der Beurteilung des Vorsatzes komme es allein darauf an, dass die Täter das Auftreten einer Kontaktdermatitis für möglich gehalten hätten. Der bedingte Vorsatz müsse sich nicht auf den gesamten Umfang der entstandenen Folgen beziehen. Die Tatsache, dass im Rahmen eines Strafbefehlsverfahrens nur von einer Fahrlässigkeit ausgegangen worden sei, stehe der Beurteilung nicht entgegen.
Der Widerspruch der Klägerin wurde durch Widerspruchsbescheid vom 25.11.2014 zurückgewiesen.
Zur Begründung ihrer hiergegen beim Sozialgericht Koblenz am 29.12.2014 erhobenen Klage ließ die Klägerin vortragen, sie habe am 29.01.2012 einen "Frisörunfall" erlitten. Im Salon, in welchem die Behandlung der Klägerin stattgefunden habe, sei zum Zeitpunkt der Behandlung kein Meister eingesetzt gewesen, und die Auszubildende, die eine toxische Substanz auf den Kopf der Klägerin aufgebracht habe, verfüge nicht über eine Berufsausbildung zum Frisör. Da Laien mit dem Umgang derart toxischer Substanzen betraut worden seien, habe damit gerechnet werden müssen, dass es hier zu Unfällen und damit zu Körperverletzungen von Kunden habe kommen können. Insoweit sei "eine schädliche/feindliche Willensrichtung" anzunehmen, als der Eintritt einer toxischen Reaktion durchaus für akzeptabel gehalten" worden sei. Der Vorsatz müsse sich nicht auf die gesamten Folgen der Tat beziehen. Sowohl der behandelnde Mitarbeiter, als auch der Inhaber der Filiale hätten gewusst, dass Substanzen wie Wasserstoffperoxid zu toxischen Reaktionen auf der Haut führen konnten. Insbesondere der Betreiber der Filiale habe wissen müssen, dass genaue Kenntnisse der chemischen Reaktionen dieser Substanz erforderlich seien, um im Einzelfall Kunden vor Schäden zu bewahren. Dass dies nicht geschehen sei, sei den Beteiligten bekannt gewesen. Es sei nicht erforderlich, dass der konkrete Überwacher das Maß der Folgen gekannt habe, sondern er habe nur um die Risiken und den möglichen Erfolg der Behandlung wissen müssen.
Durch Beschluss vom 04.03.2015 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab, da ein Angriff im Sinne des OEG ein feindseliges Einwirken auf das Opfer verlange, was vorliegend nicht zu erkennen sei. Fahrlässige Straftaten würden nach dem OEG nicht entschädigt.
Hiergegen hat die Klägerin am 24.03.2015 Beschwerde einlegen und zur Begründung vortragen lassen, bedingter Vorsatz sei auch dann gegeben, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung nur für möglich halte. Die gefährliche Körperverletzung sei durch Aufbringen von Wasserstoffperoxid auf den Kopf der Klägerin verwirklicht worden. Dass die eingesetzte Chemikalie eine Substanz gewesen sei, welche unter "gesundheitsschädliche Stoffe gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu subsummieren" sei, sei nicht in Zweifel zu ziehen. Dass eine toxische Reaktion und damit eine Körperverletzung eintreten würde, hätten die Handelnden billigend in Kauf genommen. Dass die tatsächlich eingetretene Folge gravierender ausgefallen sei, als alle Beteiligten angenommen hätten, ändere an der Körperverletzung nichts. Dass die Beteiligten gewusst hätten, dass es eine gefährliche Substanz sei und dass diese zu einer Körperverletzung führen würde, sei dadurch deutlich, dass der Geschädigten mitgeteilt worden sei, ein Brennen bzw. Unwohlsein während der Einwirkzeit der Substanz sei normal. Die Tatsache, dass alle Beteiligten auf einen glücklichen Ausgang insoweit vertraut hätten, dass das Brennen nachlassen und die Haut sich wieder beruhigen würde, stehe der Annahme des dolus eventualis nicht entgegen. Zwischen den Schädigern, also dem Inhaber des Frisörsalons und dem tatsächlich die Arbeiten der Auszubildenden überwachenden Herrn D sei zu unterscheiden. Auch nach allgemeiner Lebenserfahrung handele es sich bei Wasserstoffperoxid um eine Chemikalie, die gefährliche, toxische Reaktionen auslöse. Es sei auch lebensnah, dass bei derartigen Lösungen Hautreaktionen und gefährliche Intoxikationen erfolgen könnten. Für den Eintritt einer toxischen Schädigung seien die Dosierung der Substanz, deren Einwirkzeit und weitere exogenen Faktoren, die der Anwender beeinflussen könne, relevant. Mithin müsste beiden Schädigern klar gewesen sein, dass das Aufbringen einer solchen gefährlichen Substanz zu einer Körperverletzung führen könne. Ob eine feindliche Willensrichtung mit dem finalen Zweck bestanden habe, einen Kunden zu schädigen, sei für einen Eventualvorsatz nicht von Bedeutung. Wichtig sei, dass sowohl der Betreiber des Salons als auch der tatsächlich tätige Mitarbeiter hätten wissen können bzw. müssen, dass es zu gravierenden Reaktionen und damit zu Schädigungen auf der Haut des Betroffenen kommen könne. Dies stelle ebenso wie ein Haarschnitt "grundsätzlich eine Körperverletzung dar", an deren Rechtswidrigkeit es nur wegen der vorherigen Einwilligung fehle. Die Klägerin sei zum maßgeblichen Zeitpunkt 15 Jahre alt gewesen und die Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreterin sei "gerade nicht gegenüber dem Betreiber des Salons erklärt worden". Die durchgeführte Beweisaufnahme im Zivilverfahren habe nachgewiesen, dass die Mitarbeiter des Salons der Klägerin erklärt hätten, leichtes Kribbeln, Brennen und Schmerzen seien normal, und dass entgegen jeder Anwenderrichtlinie eine Wärmehaube verwendet worden sei, was den chemisch-toxischen Prozess verschlimmert und zu den katastrophalen Folgen der Tat geführt habe.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) ist zulässig, aber nicht begründet, da das Sozialgericht durch Beschluss vom 04.03.2015 zu Recht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren abgelehnt hat.
Die Voraussetzungen des § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung – ZPO – für die Gewährung von Prozesskostenhilfe liegen nicht vor. Nach § 114 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung des § 114 ZPO dem aus Artikel 3 Abs. 1, Artikel 19 Abs. 4, Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG – abzuleitenden verfassungsrechtlichen Gebot entsprechen soll, wirtschaftlich unbemittelten Prozessbeteiligten annähernd gleichen Zugang zu den Gerichten wie denjenigen zu gewähren, die die dafür erforderlichen Kosten selbst aufbringen können. Die Gleichstellung ist nur soweit geboten, als ein wirtschaftlich Denkender, die Prozessaussichten vernünftig abwägender Prozessbeteiligter das verfahrensrechtliche Kostenrisiko in Kauf nehmen würde. Erfolgsaussicht liegt danach nur dann vor, wenn das Gericht den Standpunkt des Klägers aufgrund dessen Angaben oder von ihm vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält und hinsichtlich der Tatsachen ein im Rahmen einer summarischen Prüfung günstiges Beweisergebnis nicht unwahrscheinlich ist (vgl. zum Beispiel BVerfG, FamGZ 2009, 1654).
Die von der Klägerin erhobene sozialgerichtliche Klage hat nach der im vorliegenden Beschwerdeverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage keine Aussicht auf Erfolg.
Für einen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG ist unter anderem ein vorsätzlicher tätlicher Angriff erforderlich (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG), wie das Sozialgericht im angefochtenen Beschluss bereits zutreffend ausgeführt hat. Fahrlässigkeitstaten sollen von den gesetzlichen Leistungen ausgeschlossen sein (vgl. BT-Drs 7/2506). Der Vorsatzbegriff ist dabei nach strafrechtlichen Gesichtspunkten zu bestimmen (Weiner in: Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, 5. Auflage 2010 § 1 Rn. 26 m.w.N.).
Ein solcher vorsätzlicher Angriff auf die Klägerin in Form einer von ihr behaupteten gefährlichen Körperverletzung ist nicht erwiesen.
Zwar gebietet das OEG eine vom Straf- und Zivilverfahren unabhängige Beweiswürdigung (BSG, Urteil vom 24.04.1991), sodass die Versorgungsverwaltung nicht in jedem Fall auf die Feststellung im Tenor des Strafurteils zurückgreifen darf (Weiner, a.a.O. § 1 Rn. 26a). Auch lässt insbesondere die auf Fahrlässigkeit lautende Anklage bzw. das darauf lautende Strafurteil nicht den Schluss zu, ein vorsätzlicher Angriff liege nicht vor. Nach derzeitiger Würdigung der Akten durch den Senat ist eine vorsätzliche Schädigung der Klägerin aus Anlass ihres Besuchs am 26.01.2011 im Frisörsalon "Hairkiller" in B aber nicht nachgewiesen. Auch der Vortrag des als rechtskundig anzusehenden Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur Begründung der sozialgerichtlichen Klage sowie der Beschwerde im Schriftsatz vom 23.03.2015 ist nicht geeignet, einen dolus eventualis der Schädiger in Bezug auf eine gefährliche Körperverletzung der Klägerin in Gestalt einer dauerhaften Schädigung der Kopfhaut mit dauerhaftem Haarverlust zu belegen.
Entgegen der Behauptung des Vertreters der Klägerin ist ein bedingter Vorsatz nicht "auch dann gegeben, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung weder anstrebt, noch für sicher, sondern nur für möglich hält". Zwar wurde zu den Anfängen der modernen Strafrechtswissenschaft in der Literatur vereinzelt vorgeschlagen, den Vorsatz gemäß der sogenannten Möglichkeitstheorie bereits dann anzunehmen, wenn der Täter einen strafrechtlich missbilligten Erfolg für möglich hält und dennoch handelt, bzw. wenn der Täter nach der (etwas enger gefassten) Wahrscheinlichkeitstheorie den Erfolgseintritt darüber hinaus für wahrscheinlich hält (vgl. Grossmann, Die Grenzen von Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1924, S. 36; Lacmann Goltdammer’s Archiv für Strafrecht [GA] 1911, S. 109, 129; Sauer, Grundlagen 1921, S. 609 ff; insbesondere auch: Schmidthäuser GA 1957, S. 305 ff). Gegen diese Auffassung wurde überwiegend eingewandt, dass allein das Erkennen eines Erfolgseintritts nichts über die aufgrund der Strafzwecke erforderlichen Unrechtsgesinnung aussage. Ansonsten hätte derjenige, der sich viele Gedanken über die möglichen Folgen seines Tuns macht gegenüber dem Gedankenlosen eher Vorsatz, was nicht sachgerecht sei. Selbst wenn ein Täter einen missbilligten Erfolgseintritt für wahrscheinlich halten würde, könne es an einer Unrechtsgesinnung fehlen, wenn er darauf vertraut, dass ein als wahrscheinlich erkannter Erfolg nicht eintritt. Somit ist im Strafrecht auch eine bewusste Fahrlässigkeit denkbar, und für den Vorsatz ist neben dem Wissenselement auch ein entsprechendes Wollen erforderlich (vgl. z.B. Bramsen JZ 1989, S. 71, 78; Prittwitz StV 1989, S. 123 f.; SK-Rudolphi, § 16 Rn 41; Maurach/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil Band 1 8. Auflage 1992, S. 22, 35; Canestrari GA 2004, S. 210, 216 ff). Dementsprechend setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – BGH – (z.B. NStZ 2003, 306) bedingt vorsätzliches Handeln voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet; bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. Da diese beiden Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen nach BGH bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall gesondert geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH St 36, 1, 9f). Der Vorsatz muss sich zudem auf die gesamte Tatbestandverwirklichung und damit auch auf die eingetretene konkrete Rechtsgutsverletzung beziehen.
Die Behauptung des Bevollmächtigten, die Schädiger hätten die Körperverletzung der Klägerin gebilligt, ist durch keinerlei tatsächliche Feststellungen belegt. Der Bevollmächtigte der Klägerin räumt sogar selber ein, es sei der Klägerin gesagt worden, ein Brennen bzw. Unwohlsein während der Einwirkungszeit der Substanz sei normal. Die Beteiligten hätten auf einen glücklichen Ausgang insoweit vertraut, als das Brennen nachlassen und die Haut sich wieder beruhigen würde. Warum dies der Annahme des dolus eventualis nicht entgegenstehen soll, wie der Prozessbevollmächtigte der Klägerin behauptet, ist nicht nachvollziehbar, sondern im Gegenteil, nach der Rechtsprechung des BGH gerade ein Ausschlusskriterium für den Vorsatz.
Unerheblich für die hier zu beantwortende Rechtsfrage ist der Vortrag des Bevollmächtigten der Klägerin, bei dem angewandten Färbe- bzw. Bleichmittelwasserstoffperoxid handele es sich nach allgemeiner Lebenserfahrung um eine gefährliche, toxische Reaktionen auslösende Chemikalie und es sei auch lebensnah, dass bei derartigen Lösungen Hautreaktionen und gefährliche Intoxikationen erfolgen könnten. Dies gilt auch für den Vortrag, den beiden Schädigern hätte klar gewesen sein müssen, dass das Aufbringen einer solchen gefährlichen chemischen Substanz zu einer Körperverletzung führen konnte, und es sei wichtig, dass auch der Betreiber des Salons hätte wissen können bzw. wissen müssen, dass es bei der Anwendung derart gefährlicher Stoffe zu gravierenden Reaktionen habe kommen können. Eine derart weite Auslegung des dolus eventualis würde sogar über die – heute auch in der Strafrechtswissenschaft noch nicht einmal mehr vereinzelt vertretene Möglichkeitstheorie hinausgehen und den Vorsatz auf Fälle erstrecken, in denen ein Handelnder den Erfolg hätte erkennen können. Mit der Argumentation des Bevollmächtigten der Klägerin wäre sogar die Abgrenzung zwischen dolus eventualis und unbewusster Fahrlässigkeit kaum möglich. Würde diese Auffassung des Bevollmächtigten zutreffen, läge beispielsweise beim Auftragen von Wasserstoffperoxid zur Haarbleiche immer ein Körperverletzungsvorsatz in Bezug auf mögliche dauerhafte Schädigungen der Kopfhaut von Kundinnen bzw. Kunden vor.
Unerheblich ist auch der Vortrag des Bevollmächtigten der Klägerin im Schriftsatz vom 17.04.2015, wonach jeder Anwender von Wasserstoffperoxid wisse, dass es sich um einen gefährlichen Stoff handele, der auf der Haut des betroffenen Kun-den zu Schädigungen führe, was ebenso wie der Haarschnitt grundsätzlich eine Körperverletzung darstelle. Die von den Schädigern erkannte und möglicherweise auch gebilligte Reizung der Kopfhaut sowie eine womöglich erfolgte Kürzung der Haare mit entsprechendem Substanzverlust ist vorliegend nicht die von der Klägerin geltend gemachte gesundheitliche Schädigung. Der auch durch die Strafbefehle sanktionierte Unrechtserfolg liegt hier in den durch das Bleichmittel und weitere Komplikationen verursachten bleibenden Schädigungen der Kopfhaut mit dauerndem Haarverlust. Da in dieser erheblichen Folge das sanktionierte Unrecht des Geschehens begründet ist, muss sich der Vorsatz auch gerade hierauf beziehen. Die Schädiger hätten also die bleibenden Schäden der Kopfhaut mit dauerndem partiellem Haarverlust im Sinne des dolus eventualis billigen müssen, um in Bezug auf die im Fall der Klägerin relevante Körperverletzung vorsätzlich zu handeln.
Die Argumentation des Bevollmächtigten zielt vielmehr auf die typische Situation der Fahrlässigkeit. Diese liegt vor, wenn der Täter einen rechtlich missbilligten Erfolg als Folge seines Tuns erkannt hat (bewusste Fahrlässigkeit) oder bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können (unbewusste Fahrlässigkeit). Beleg für die hier bei den Schädigern nur vorhandene Fahrlässigkeit in Bezug auf die verwirklichte Körperverletzung der Klägerin ist auch die Feststellung des Bevollmächtigten im Schriftsatz vom 23.03.2015, "der letztendlich eingetretene Schaden musste nicht und konnte nicht bekannt sein". Damit zielt die Argumentation des Bevollmächtigten der Klägerin – wie auch die der Staatsanwaltschaft und des Amtsgerichts Bad Neuenahr-Ahrweiler – auf eine fahrlässige Körperverletzung. Die rechtsirrige Behauptung, dies sei Vorsatz, ändert daran nichts.
Nach Durchsicht der Akten sprechen nach Auffassung des Senats noch nicht einmal Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Handeln der Schädiger D und K in Bezug auf die dauerhafte Schädigung der Kopfhaut der Klägerin. Es ist geradezu abwegig anzunehmen, der Frisör habe ohne erkennbares Schädigungsmotiv ein Mittel eingesetzt und dabei gebilligt oder sich auch nur damit abgefunden, dass es infolge der Anwendung eines Bleichmittels zu irreparablen Schäden der Kopfhaut mit dauerhaftem sichtbarem Haarverlust sowie psychischen Schäden kommen würde, zumal dies gegen die wirtschaftlichen Interessen der Frisöre gerichtet wäre und auf eine wirtschaftliche Selbstschädigung hinauslaufen würde.
Schließlich liegt auch der Hinweis der Bevollmächtigten der Klägerin neben der Sache, wonach diese zur Tatzeit 15 Jahre alt gewesen sei und ihre gesetzliche Vertreterin gegenüber dem Betreiber des Salons keine Einwilligung erklärt habe. Diese Argumentation zielt auf die Frage, ob die Rechtswidrigkeit aufgrund einer wirksamen Einwilligung entfallen ist. In Bezug auf die eingetretene konkrete ge-sundheitliche Schädigung in Gestalt des dauerhaften Haarverlustes am Hinterkopf der Klägerin von der Größe einer Mönchstonsur fehlt es bereits am Tatbestand einer vorsätzlichen (gefährlichen) Körperverletzung, sodass sich die Frage der Rechtswidrigkeit nicht stellt. Dass keine Einwilligung in die fahrlässige Körperverletzung bestand, dürfte unstreitig sein, spielt aber für den hier geltend gemachten Anspruch keine Rolle. Dass die gesetzliche Vertreterin der Klägerin nicht in den Haarschnitt an sich und das Auftragen der Blondierung eingewilligt hat – unabhängig von der Frage, ob eine 15-Jährige insoweit nicht selbst einwilligungsfähig ist , spielt vorliegend keine Rolle, denn es geht hier nicht um die Haarlänge und Kopfhautreizung, sondern um die Dauerhafte Kopfhautschädigung.
Die Beschwerde ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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