L 6 VU 97/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 VU 3486/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VU 97/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 23. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach einem Grad der Schädigung (GdS) von mindestens 40 ab 1. September 2009 streitig.

Der 1949 geborene Kläger hat in der ehemaligen DDR/Jena das Gymnasium besucht, dieses 1965 mit dem Abitur beendet, danach eine Berufsausbildung bei der Firma C. Z. als Feinmechaniker absolviert, die er 1967 abschloss. Danach war er weiter bei der Firma Z. beschäftigt, unterbrochen durch die Zeit bei der Nationale Volksarmee (NVA) von 1969 bis 1972, die er als Unteroffizier verließ. 1972 wurde er nach oppositionellen Aktivitäten in der Evangelischen Kirchengemeinde aus der Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) ausgeschlossen, verlor 1973 seine Tätigkeit bei der Firma Z. und arbeitete in der Folgezeit in der Gastronomie. Bei seiner letzten Tätigkeit wurde er wegen Diebstahls (Warenschwund) vorbestraft (Anamnese im Gutachten Prof. Dr. W., Bl. 77 SG-Akte).

Am 25. Mai 1975 wurde er verhaftet, befand sich dann bis 15. Oktober 1977 in Untersuchungshaft in Rudolstadt und Gera. Mit Urteil des Ersten Strafsenats des Bezirksgerichts Gera vom 26. September 1977 (Az.: 1 BS 23/77) wurde er wegen staatsfeindliche Hetze, staatsfeindlicher Verbindungen und Vorbereitung zum ungesetzlichen Grenzübertritt zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von Oktober 1977 bis Januar 1978 saß er diese Strafe im Zuchthaus Cottbus und dann bis zu seiner vorzeitigen Entlassung am 28. November 1979 im Zuchthaus Brandenburg ab. Am 1. November 1980 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland aus. Mit Verfügung vom 12. Januar 1981 erklärte die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Stuttgart die Vollstreckung aus dem Urteil vom 26. September 1977 für unzulässig (Az.: 11 RH 74/80).

Der Kläger fand zunächst eine Beschäftigung als Feinwerktechniker bei Z. Oberkochen. In der Folgezeit trennte er sich von seiner Ehefrau, kündigte seine Arbeit, war dann in wechselnden Berufen tätig, hatte viele kurzlebige Frauenbeziehungen, ließ es "krachen", bevor er seine um 20 Jahre jüngere Frau heiratete, die eine Tochter in die Ehe mit einbrachte, und schließlich bei der Firma KKS tätig wurde (Anamnese im Gutachten Prof. Dr. W., Bl. 79 f. SG-Akte).

Mit Bescheid vom 11. Dezember 2007 wurde dem Kläger nach § 17 a StrRehaG eine monatliche Rente als besondere Zuwendung in Höhe von 250 EUR gewährt (Bl. 21 V-Akte).

Im August 2008 nahm er Einsicht in die über ihn erstellten Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (Mfs). Danach erkrankte der Kläger am 15. September 2008, war arbeitsunfähig und wurde deswegen vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) begutachtet. In seinem Sozialmedizinischen Gutachten vom 05.08.2009 führte Dr. G. aus, die Arbeitsunfähigkeit sei wegen der Wahrnehmung einer diskreten Hemisymptomatik rechts attestiert worden. Er diagnostizierte eine depressive ängstliche Störung mit somatischen Symptomen, eine Hemisymptomatik und eine koronare Herzkrankheit.

Vom 8. April bis 3. Juni 2009 wurde der Kläger stationär und danach bis 10. Juni 2009 teilstationärer in der Klinik für Symptomatik und Psychotherapeutische Medizin des Ostalb-Klinikums behandelt. Diagnostiziert wurden eine mittelgradige depressive Episode mit Teilsymptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), eine dissoziative Bewegungs- Sensibilitäts- und Empfindungsstörung, eine somatoforme Schmerzstörung, eine koronare Herzkrankheit und eine Hypothyreose (Schilddrüsenunterversorgung). Der Kläger habe sowohl über traumatische Erfahrungen in verschiedenen Gefängnissen (körperliche Züchtigungen wie psychische Beeinflussungsmethoden) berichtet, als auch die Zeit von Abschiebung und Neuorientierung in der BRD habe er als verlustreich und schwierig erlebt. Die Beschäftigung mit seiner Stasi-Akte und die damit verbundenen menschlichen Enttäuschungen über dort aufgeführte Informanten hätten zur Dekompensation mit ausgeprägten körperlichen Symptomen geführt. Der Kläger könne daher seine Ressourcen (Ingenieurstammtisch, Ehrenämter, täglich ein bis zwei Stunden lesen, Kino, Spazierengehen, Entspannung/Meditation, Freude/Familie, Musik, Bewegung/Schwimmen) nur teilweise nutzen. Er habe deutlich psychisch stabilisiert nach Hause entlassen werden können.

Mit Bescheid vom 30. Oktober 2009 war bei dem Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 ab 31. August 2009 auf Grund einer seelischen Störung, depressiven Verstimmung, funktioneller Organbeschwerden, chronischem Schmerzsyndrom wie einer koronaren Herzkrankheit anerkannt worden.

Am 28. September 2009 beantragte der Kläger Beschädigtenversorgung und gab an, er sei während seiner politischen Haft schwerwiegenden Folgen ausgesetzt gewesen und nunmehr unfähig, seinen Beruf weiter auszuüben. Er leide unter Depressionen, einer PTBS, Lähmungen, Bewegungs- und Empfindungsschmerzen, welche er auf die körperlichen und psychischen Gewalteinwirkungen der Haft und durch die Staatssicherheit zurückführe.

Auf Nachfrage seitens des Beklagten beschrieb der Kläger am 11. November 2009 die Haftbedingungen wie folgt: Die Inhaftierung (Untersuchungshaft) sei in Einzelzellen erfolgt, wobei er isoliert worden sei, keinen Freigang gehabt habe, es zu Schlafentzug gekommen sei und er unter der Trennung zu seinem damals drei Monate alten Sohn gelitten habe. In Cottbus sei er bei katastrophalen hygienischen Verhältnissen auf kleinstem Raum mit 14 bis 16 Gefangenen untergebracht gewesen, wobei die abverlangten Arbeitsnormen 25 bis 50 % über dem üblichen Maß gelegen hätten. Er sei von Aufsehern der Anstalt geschlagen und misshandelt worden. Im Zuchthaus Brandenburg sei er mit Schwerkriminellen, Mördern und lebenslänglich verurteilten untergebracht gewesen, die versucht hätten, ihn sexuell zu missbrauchen. Er sei offenem Terror und Demütigungen durch die Mitgefangenen mit Wissen der Anstaltsleitung ausgesetzt gewesen und einmalig von mehreren Vollzugsbeamten am Boden liegend verprügelt worden (Bl. 50 ff V-Akte).

Der Beklagte zog die Gefangenenpersonalakte nebst medizinischer Akte (Bl. 64 ff V-Akte) die Behandlungsdaten der AOK Ost-Württemberg (Bl. 114 ff V-Akte) und die Akten der Deutschen Rentenversicherung bei. Auf Grund seines Antrags vom 30. Oktober 2009 bezieht der Kläger danach eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen als Vollrente in Höhe von 740,06 EUR brutto (Bl. 127 V-Akte).

Auf Nachfrage teilte Dipl-Psych. M. am 31. Mai 2010 mit, der Kläger habe sich vom 24. September 2009 bis 4. Februar 2010 in ihrer psychotherapeutischen Behandlung (13 Stunden der bewilligten 25 Stunden einer Kurzzeittherapie) wegen einer mittelgradigen depressiven Episode, einer PTBS, dissoziativen Bewegungs-, Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen sowie einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung befunden. Bei seiner letzten Vorstellung am 4. Februar 2010 habe er beabsichtigt, die Therapie abzuschließen, da er sich gut fühle, denn er sei nach seiner Berentung zur Ruhe gekommen und seine Beschwerden hätten sich deutlich gebessert. Die Beantragung der Versorgungsrente habe eine Beschäftigung mit den traumatischen Ereignissen der Inhaftierung mit sich gebracht, Partnerschaftsschwierigkeiten hätten die depressive Episode letztlich deutlich verstärkt, nunmehr plane er einen Umzug ins Heimatland seiner Ehefrau und damit ergäben sich für beide neue Perspektiven. Den Folgetermin habe er dann ohne Angabe von Gründen nicht mehr wahrgenommen.

Versorgungsärztin Dr. W. führte in Auswertung der Unterlagen aus, der Kläger sei während seiner Haft körperlicher und psychischer Gewalt ausgesetzt, eine Vorschädigung sei nicht eruierbar gewesen. Die traumatischen Ereignisse seien auf Grund notwendiger Stabilisierung zunächst verdrängt worden. Eine erste nervenärztliche Behandlung sei erst im Juli 2007 erfolgt, so dass der zeitliche Zusammenhang problematisch sei. Als Schädigungsfolge sei eine psychoreaktive Störung mit funktionellen Organbeschwerden anzuerkennen. Der dadurch begründete GdS betrage ab Antragstellung unter 25, da eine zwischenzeitliche Besserung eingetreten sei.

Gestützt hierauf stellte der Beklagte mit Erstanerkennungsbescheid vom 12. August 2010 als Folge einer Schädigung eine psychoreaktive Störung mit funktionellen Beschwerden fest, hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne von §§ 31 StrRehaG. Da der dadurch bedingte GdS unter 30 betrage, werde die Gewährung einer Beschädigtengrundrente abgelehnt. Es bestehe aber Anspruch auf Heilbehandlung nach dem BVG.

Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger weitere Symptome einer PTBS, nämlich belastende, wiederkehrende Erinnerung an die Haftzeit, starke Schlafstörungen, Platzangst, Tendenzen zur Isolierung, Selbstgespräche, Angst sowie körperliche Symptome geltend, die in keinster Weise gewürdigt worden seien. Nach Einholung einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. (trotz Fehlens der Brückensymptome habe eine Anerkennung stattgefunden und sei dem Behandlungsbericht der Psychotherapeutin gefolgt worden, dass eine wesentliche Besserung im Gesundheitszustand eingetreten sei, so dass sich keine abweichende Beurteilung des GdS ergebe), wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. September 2010 mit der ergänzenden Begründung zurückgewiesen, die geltend gemachte dissoziative Störung sei mit berücksichtigt, die Festsetzung eines höheren GdS lasse sich indessen nicht begründen.

Am 7. Oktober 2010 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben, mit der er u. a. die Feststellung eines GdS von 40 bis 50 im Hinblick auf die Anerkennung seiner Schwerbehinderung mit einem GdB von 50 geltend gemacht hat. Diese Einstufung sei größtenteils auf Grund der Spätfolgen seiner politischen Haft (Depressionen, funktionelle Organbeschwerden, chronisches Schmerzsyndrom) erfolgt. Trotz mehrmaliger stationärer Aufenthalte leide er noch vermehrt unter den Folgen, so nähmen Bewegungs- und Koordinationsstörungen wie die psychosomatischen Schmerzen eher zu. Zeitenweise müsse Psychopharmaka und Schmerzmittel einnehmen.

Im November 2010 hat der Kläger seinen ständigen Wohnsitz nach Bulgarien verlegt.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das SG die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt und den Kläger anschließend nervenärztlich begutachten lassen.

Der Neurologe Dr. B., der den Kläger bis 17. November 2009 behandelt hat, hat über eine mindestens mittelschwere depressive Störung mit häufiger Angst und Schlafstörungen berichtet, durch die der Kläger in seinem Alltag merklich eingeschränkt gewesen sei. Über die Entwicklung seitdem lägen ihm keinerlei Informationen vor (Bl. 28 SG-Akte). Die Internistin Dr. H., bei welcher der Kläger seit 1998 Patient ist, hat über eine mittelgradige reaktive Depression, PTBS mit sofomatormer Schmerzstörung wie ein Bandscheibenprolaps L5/S1 berichtet (Bl. 29 ff. SG-Akte).

Der Sachverständige Prof. Dr. Dr. med. Dipl.-Ing. W. hat in seinem nervenärztlichen Gutachten vom 23. Mai 2012 eine Neigung zu rezidivierenden depressiven Episoden im Rahmen von Konfliktsituationen mit weitgehend asymptomatischen Symptomen mit Ausnahme somatoformer Halbseitensymptomatik) wie Teilsymptomen einer PTPS mit relativ häufigen Angst gefärbten Albträumen beschrieben. Auf neurologischem Fachgebiet lägen keine Gesundheitsstörungen vor. Die Teilsymptome der PTPS in Form von Albträumen seien wesentlich auf den Freiheitsentzug zurückzuführen, nicht jedoch die Neigung zu depressiven Störungen, da diese eindeutig bereits zu einem Zeitpunkt aufgetreten seien, in dem auf die Freiheitsentziehung zurückzuführende Symptome allenfalls in marginalem Umfang zum Auftreten der Symptomatik beigetragen hätten. Für die Zeit ab Frühjahr 2009 sei ein GdS von 20 anzusetzen. Anders sei dies für den unmittelbaren Zeitraum von September 2009 bis Frühjahr 2010, der mit einem GdS von 30 bewertet werden müsse.

Hierauf hat der Beklagte ein Vergleichsangebot des Inhalts unterbreitet, dass als Schädigungsfolge "psychoreaktive Störung mit funktionellen Organbeschwerden" anerkannt werde, der dadurch bedingte GdS vom 1. September 2009 bis 28. Februar 2010 30 und ab 1. März 2010 20 betrage.

Mit Urteil vom 23. Juli 2013 hat das SG, nachdem der Kläger den Vergleich nicht angenommen hat, den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger eine Beschädigtenrente nach einem GdS von 30 für die Zeit vom 1. September 2009 bis 28. Februar 2010 zu gewähren und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der Sachverständige habe überzeugend dargelegt, dass nur die Teilsymptomatik einer PTBS wesentlich auf die Freiheitsentziehung zurückzuführen sei, wenngleich in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang keine relevanten Funktionsstörungen nach der Haftzeit imponiert hätten. Vielmehr habe der Kläger eine Arbeitsstelle angetreten und einen normalen Lebensablauf ohne sozialen Rückzug oder Angstsymptome aufgewiesen. Schließlich habe der Sachverständige dargelegt, dass es nur im Rahmen der koronaren Herzerkrankung als lebensbedrohlicher Erkrankung und der dokumentierten Konflikt am Arbeitsplatz und in der Familie zu einer depressiven Entwicklung gekommen sei, d.h. lange vor der erneuten Beschäftigung mit der Haftzeit, so dass schlüssig sei, dass diese nicht auf den Freiheitsentzug, sondern persönlichkeitsimmanente Faktoren zurückzuführen sei. Dass der Kläger unter rechtsseitigen Schmerzbildern leide, werde von ihm selbst nicht als massiv beschrieben und wirke sich auch nicht wesentlich auf seinen Tagesablauf aus. Deswegen bestehe nur in dem beschränkten Zeitraum Anspruch auf Rente. Das Urteil ist dem Kläger am 13. Dezember 2013 im Honorarkonsulat der BRD in Bulgarien ausgehändigt worden.

Hiergegen hat der Kläger am 8. Januar 2014 Berufung mit der Begründung eingelegt, die Besserung sei nur vorübergehend gewesen. Die Behandlung bei Dipl-Psych. M. habe er abgebrochen, weil er kein Vertrauensverhältnis zu ihr habe aufbauen können. Seine Lebensqualität sei in stärkstem Maße eingeschränkt, ihm fielen selbst elementarste Tätigkeiten schwer.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 23. Juli 2013 sowie den Bescheid vom 12. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm eine Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 40 ab 1. September 2009 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und verweist darauf, dass nach der Schilderung seines Tagesablaufs bei Prof. Dr. Dr. W. sich keinerlei Hinweise auf soziale Rückzugstendenzen oder wesentliche Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ergeben hätten. Somit sei die Einschätzung, dass sich der Gesundheitszustand gebessert habe und ab März 2010 nur noch ein Restzustand einer psychoreaktiven Störung vorliege, nachvollziehbar. Dies werde auch dadurch belegt, dass der Kläger keine weiteren Behandlungen in Anspruch genommen habe und zuletzt die Hausärztin am 5. Juli 2010 eine erfreuliche Stabilisierung nach Berentung mitgeteilt habe. Der GdB habe keine Auswirkungen auf die Höhe des GdS.

Als Nachfrage seitens des Senats hat der Kläger mitgeteilt, dass er sich in allgemeinärztlicher Behandlung befände, auch stationär wegen Polypen, Tumor im Darmbereich etc. habe behandelt werden müssen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und die beigezogenen Akten über das Schwerbehindertenverfahren verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist unbegründet. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung vom 12. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2010 erweist sich nur in dem vom SG tenorierten Umfang als rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten. Das SG hat daher der zutreffend als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) erhobene Klage nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattgegeben, im Übrigen zu Recht abgewiesen.

Vorliegend ist als Anspruchsgrundlage allein § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG maßgebend. Denn nach § 23 Abs. 1 StrRehaG wird, wenn Ansprüche aus § 21 StrRehaG mit Ansprüchen aus § 1 BVG oder aus anderen Gesetzen zusammentreffen, die - wie § 4 Abs. 1 HHG bei einer gesundheitlichen Schädigung infolge Gewahrsams - eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) vorsehen, die Versorgung unter Berücksichtigung des durch die gesamten Schädigungsfolgen bedingten Grades der Schädigungsfolgen nach dem StrRehaG gewährt.

Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhalten danach Betroffene, die infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, wegen der gesundheitlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG. Rechtsgrundlage für die Gewährung einer Beschädigtenrente ist § 31 Abs. 1 i. V. m. § 30 Abs. 1 BVG. Danach erhalten Beschädigte eine monatliche Grundrente erst ab einem GdS von 30.

Die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale - eine in Folge der rechtsstaatswidrigen Freiheitsentziehung erlittene gesundheitliche Schädigung und die gesundheitlichen Folgen dieser Schädigung - müssen nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren an die richterliche Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen voll bewiesen sein. Dagegen genügt nicht nur zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung, also für die haftungsausfüllende Kausalität (§ 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG), sondern auch bereits für die haftungsbegründende Kausalität zwischen der rechtsstaatswidrigen Freiheitsentziehung und der gesundheitlichen (Erst-)Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999 - B 9 VS 2/98 R -, SozR 3-3200 § 81 Nr. 16; Rademacker, in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 21 StrRehaG Rz. 5 und Knickrehm, in dies., a.a.O., § 1 BVG Rz. 30 f.).

Mit Erstanerkennungsbescheid vom 12. August 2010 hat der Beklagte bestandskräftig (§ 77 SGG) festgestellt, dass der Kläger einer schädigenden Einwirkung im Sinne des § 21 StrRehaG ausgesetzt war, die zu einer psychoreaktiven Störung mit funktionellen Beschwerden geführt hat. Diese Störung begründet aber nicht den für eine Rentenberechtigung erforderlichen GdS von 30.

Der GdS ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG). Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu 5 Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten (§ 30 Abs. 1 Satz 3 BVG).

Der Senat orientiert sich bei der Prüfung des GdS an der seit 1. Januar 2009 an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) 2008 getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV).

Nach Nr. 3.7 VG ist für Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen im Falle leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen der GdS 0 bis 20. Bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) 30 bis 40. Bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 50 bis 70, mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten 80 bis 100.

Dass die psychischen Gesundheitsstörungen im Falle des Klägers nur in der Zeit vom 1. September 2009 bis 28. Februar 2010 einen GdS von 30 begründen, hat das SG in Auswertung der sachverständigen Zeugenaussage von der Diplom-Psychologin M. wie dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. med. Dipl.-Ing. W. ausführlich begründet und zutreffend dargelegt. Der Senat nimmt darauf zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass der Sachverständige plausibel dargelegt hat, warum es angesichts der Biografie des Klägers nicht wahrscheinlich ist, dass die depressive Entwicklung auf die Haft zurückgeführt werden kann, sondern nur in Teilsymptomatik mit der Freiheitsentziehung im Zusammenhang steht. Die unrechtmäßige Inhaftierung kann daher nur in dem zeitlichen Umfang und Grad vom 1. September 2009 bis 28. Februar 2010 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als wesentliche Bedingung für den Eintritt der Schädigungsfolge angesehen werden. Dafür spricht aus Sicht des Senats, dass der Kläger sich hinsichtlich der Haftbedingungen introspektionsfähig und diskussionsbereit auch bezüglich konkurrierender Probleme zeigen konnte. Die Verfolgungsmaßnahme stellt daher nur eine Ursache für die psychische Erkrankung dar, wesentlich sind persönlichkeitsimmanente Faktoren. Dafür spricht auch aus Sicht des Senats, dass sich der Kläger nach der Haftentlassung und Übersiedlung in die BRD eine gesicherte berufliche Existenz mit neuer Partnerschaft, zahlreichen Hobbys und Freundeskreis hat aufbauen können, sodass direkt nach der Haft keine relevanten Funktionsbeeinträchtigungen dokumentiert sind. Solche imponieren erst im Zusammenhang mit der koronaren Erkrankung sowie den Konflikten am Arbeitsplatz und in der Familie, d.h. zeitlich vor der Beschäftigung des Klägers mit seiner Stasiakte. Unzweifelhaft hat Letzteres zu einem auch behandlungsbedürftigen Einbruch des Klägers geführt, was die zwischenzeitliche Behandlung bei Diplom-Psychologin M. belegt, die aber noch vor Ausschöpfung der bewilligten Therapie beendet werden konnte und zwar nicht aus den von dem Kläger im Berufungsverfahren vorgetragenen Gründen eines fehlenden Vertrauensverhältnisses, sondern weil dieser sich eine neue Perspektive in Bulgarien aufbauen konnte. Somit bedurfte es lediglich einer kurzzeitigen Krisenintervention, die dann wiederum eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit begründet, der mit einem GdS von 30 Rechnung zu tragen ist. Die Richtigkeit dieser gutachterlichen Einschätzung wird dadurch belegt, dass der Kläger seitdem keinerlei richtungsweisende Behandlung mehr durchgeführt hat, was gegen einen entsprechenden Leidensdruck spricht. Aktuell ist der Kläger nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht nennenswert in seinem Tagesablauf beeinträchtigt, kann vielmehr seinen Alltag in Bulgarien mit neuem Schwung angehen. So hat er berichtet, dass er, weil es ihm sonst zu langweilig ist, noch in Teilzeit als Administrator eines deutschen Unternehmens bis 2013 tätig war, daneben ausgiebige Spaziergänge unternimmt, seine Ehefrau bei der Versorgung der Schwiegereltern unterstützt, im Sommer am Meer entspannt, viel liest und gerne kocht. Er kann den Haushalt führen und sich für diverse Dinge interessieren. Vor diesem Hintergrund war die Einschätzung des Sachverständigen, dass es sich aktuell um eine leichtere psychische Störung handelt, die allenfalls einen GdS von 20 begründet, auch für den Senat angesichts fehlenden sozialen Rückzugs, lebhafter Art ohne Konzentrationsabfall mit guter affektiver Schwingungsfähigkeit und entsprechendem Antrieb gut nachvollziehbar. Insoweit kann der Kläger aus der Feststellung eines GdB von 50 für den vorliegenden Rechtsstreit nichts für sich herleiten, da insoweit nicht danach differenziert wird, inwieweit eine psychische Störung schädigungsbedingt ist.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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