L 4 KR 105/16 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 KR 3825/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 105/16 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. November 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme.

Der Kläger ist am 1940 geboren und Rentner. Er ist bei der Beklagten krankenversichert. Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. L. verordnete ihm am 4. November 2011 medizinische Rehabilitation wegen der Diagnosen einer psychischen Belastung, eines Zustandes nach Prostatacarzinom, einer Hyperuridämie, einer Psoriasis palmoplantaris und einer Hyperlipidämie; sie empfahl eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme, weil eine Distanzierung vom sozialen Umfeld erforderlich sei. Der Kläger beantragte sodann die Gewährung der Rehabilitationsmaßnahme bei der Beklagten.

Die Beklagte lehnte die Gewährung der Rehabilitationsmaßnahme mit Bescheid vom 3. Dezember 2014 ab, wogegen der Kläger am 29. Dezember 2014 Widerspruch erhob.

Im Auftrag der Beklagten erstellte Dr. Pl. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) unter dem 14. Januar 2015 ein sozialmedizinisches Gutachten. Die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung seien nicht erfüllt. Beim Vorliegen relevanter Erkrankungen wäre zunächst eine fachärztliche Diagnostik und Therapie vorrangig. Die Notwendigkeit einer stationären Rehabilitation sei nicht plausibel nachvollziehbar. Vorrangig und laut vorliegenden Unterlagen nicht ausgeschöpft seien ambulante Therapiemaßnahmen, insbesondere Facharztbehandlung (Psychiatrie, ggf. Psychosomatik, ggf. Dermatologie, Orthopädie), des Weiteren Psychotherapie und Heilmittel. Die Ehefrau werde in einem Pflegeheim versorgt, so dass die Annahme nicht plausibel sei, ambulante Therapiemaßnahmen seien nicht möglich.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 16. April 2015 zurück und verwies auf die Einschätzung des MDK.

Hiergegen erhob der Kläger am 15. Mai 2015 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG), die dort derzeit noch anhängig ist (S 7 KR 1561/15).

Am 24. November 2015 suchte der Kläger beim SG um einstweiligen Rechtsschutz nach. Er leide seit 30 Jahren an Schuppenflechte sowie seit längerem an chronischen Gelenkschmerzen, einem chronischen Wirbelsäulensyndrom, einem psychophysischen Erschöpfungssyndrom, Bluthochdruck, Schlafstörungen, Schwindelgefühl, Herzrasen, Sehstörungen, Hyperurikämie, Hyperlipidämie, Riesenzellarteriitis, Gicht und Konzentrationsstörungen. Er befinde sich deswegen seit Jahren regelmäßig in ärztlicher und fachärztlicher Behandlung. Er leide weiter seit Jahren an ganz erheblichen körperlichen und psychischen Belastungen, die bei ihm wegen der Betreuung seiner schwerst pflegebedürftigen Ehefrau entstanden seien. Im Spätjahr 2012 habe er sich auch noch wegen eines Prostatakarzinoms einer mehrmonatigen ambulanten Strahlentherapie im Städtischen Klinikum K. unterziehen müssen, in deren Folge es zu einer ganz erheblichen Schwächung seines Immunsystems und zu weiteren stationären Klinikaufenthalten gekommen sei. Er sei aufgrund seiner Erkrankungen und gesundheitlichen Einschränkungen sowie der seit Jahren andauernden starken psychischen Belastung in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit deutlich eingeschränkt. Eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme sei daher medizinisch notwendig. Er könne nicht auf weitere ambulante Behandlungsmaßnahmen verwiesen werden. Diese hätten in der Vergangenheit nicht zur wesentlichen Linderung geführt. Eine Rehamaßnahme sei dringend angeraten, um seine Mobilität und Selbständigkeit zu erhalten. Die besondere Dringlichkeit ergebe sich daraus, dass sich sein Gesundheitszustand seit September 2014 zunehmend verschlechtert habe und seither mehrfache stationäre Behandlungen notwendig geworden seien. Der Kläger legte den vorläufigen Entlassbrief des Prof. Dr. G. vom 25. Januar 2013 über eine teilstationäre Behandlung in der Hautklinik des Städtischen Klinikums K. vom 25. Januar bis 14. Februar 2013, einen Arztbrief des Prof. Dr. F. vom 15. April 2015 über einen stationären Aufenthalt des Klägers in der Urologischen Klinik des Städtischen Klinikums K. vom 2. bis 15. April 2015 sowie ein ärztliches Attest der Dr. L. vom 5. November 2015 vor.

Die Beklagte trat dem Antrag entgegen. Ein Anordnungsanspruch liege nicht vor, da eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme nicht erforderlich sei. Auch liege keine Eilbedürftigkeit vor.

Das SG lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 30. November 2015 ab. Es fehle ein Anordnungsanspruch. Eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme sei nicht notwendig. Den aktenkundigen ärztlichen Unterlagen könne nicht entnommen werden, dass ambulante Maßnahmen zur Behandlung der vom Kläger benannten Beschwerden nicht ausreichten.

Gegen den ihm am 7. Dezember 2015 zugestellten Beschluss des SG hat der Kläger am 7. Januar 2016 beim SG Beschwerde eingelegt und diese am 29. März 2016 – im Wesentlichen unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrages – begründet.

Der Kläger beantragt (sachgerecht gefasst),

den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. November 2015 aufzuheben und die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm gemäß seinem Antrag vom 4. November 2014 eine stationäre Rehabilitation zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und die Gründe des angegriffenen Beschlusses.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde des Klägers ist zulässig. Der Kläger hat die Beschwerde form- und fristgerecht (§ 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegt. Die Beschwerde ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. Denn eine Berufung in der Hauptsache bedürfte nicht der Zulassung. Der Kläger begehrt eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme, deren Kosten voraussichtlichen mehr als EUR 750,00 betragen, so dass der Beschwerdewert im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG überschritten ist.

2. Die Beschwerde des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Dabei dürfen sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. April 2010 – 1 BvR 216/07 – juris, Rn. 64; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. August 2014 – 1 BvR 1453/12 – juris, Rn. 9).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt (vgl. Landessozialgericht [LSG] Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris, Rn. 18; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Januar 2007 – L 7 SO 5672/06 ER-B – juris, Rn. 2). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris, Rn. 18; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Februar 2007 – L 9 AS 254/06 ER – juris, Rn. 4). Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris, Rn. 18; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Februar 2007 – L 9 AS 254/06 ER – juris, Rn. 4).

b) Es kann dahinstehen, ob ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden ist. Denn jedenfalls liegt kein Anordnungsgrund vor.

aa) Ein Anordnungsgrund liegt nur dann vor, wenn der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig ist; d. h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert (Hessisches LSG, Beschluss vom 21. März 2006 – L 9 AS 124/05 ER – juris, Rn. 35). Eilbedürftigkeit besteht, wenn dem Betroffenen ohne die Eilentscheidung eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnte (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – juris, Rn. 23; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Februar 2014 – L 2 AS 252/14 B ER – juris, Rn. 27). Die Dringlichkeit einer die Hauptsache vorwegnehmenden Eilentscheidung kann in aller Regel nur bejaht werden, wenn dem Antragsteller schlechthin unzumutbare Nachteile entstünden, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen würde (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. August 2006 – L 13 AS 2759/06 ER-B – juris, Rn. 4; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. Oktober 2006 – L 13 AS 4113/06 ER-B – juris, Rn. 4).

bb) Eine solche Dringlichkeit liegt hier nicht vor. Der Kläger selbst hat insofern auch im Beschwerdeverfahren nur darauf hingewiesen, dass die möglichst kurzfristige Aufnahme der stationären Rehabilitation angezeigt sei, um die bei ihm bestehenden Beschwerden und Behinderungen zu lindern. Damit ist aber keine besondere Dringlichkeit aufzeigt, die über den Wunsch jedes Versicherten, eine beantragte Leistung so schnell wie möglich erhalten zu wollen, hinaus geht. Der Kläger hat auch nicht dargetan, warum nicht wenigstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache ambulante Rehabilitationsmaßnahmen ausreichen. Gegen eine besondere Dringlichkeit – auch aus Klägersicht selbst – spricht im Übrigen, dass er gegen den Beschluss des SG erst am letzten Tag der einmonatigen Beschwerdefrist Beschwerde eingelegt und diese wiederum erst fast drei weitere Monate später begründet hat.

Im Übrigen hat der Kläger auch nicht vorgebracht, dass es ihm nicht zumutbar wäre, sich die begehrte Rehabilitationsmaßnahme zunächst auf eigene Kosten selbst zu beschaffen und anschließend gegenüber der Beklagten einen Kostenerstattungsanspruch (§ 13 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch [SGB V] i.V.m. § 15 Sozialgesetzbuch Elftes Buch [SGB XI]) geltend zu machen. Er hätte selbst in dem Fall, dass eine einstweilige Anordnung erlassen worden wäre, dass Risiko getragen, die Kosten der Maßnahme später selbst tragen zu müssen, wenn der von ihm geltend gemachte Anspruch im Hauptsacheverfahren rechtskräftig verneint werden würde. Denn der Charakter einer einstweiligen Anordnung und das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache führen dazu, dass Gegenstand der einstweiligen Anordnung nur die Verpflichtung der Beklagten zur vorübergehenden Gewährung (und Kostentragung) gewesen wäre.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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