L 5 KR 292/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 27 KR 604/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 292/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 27.3.2014 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Krankengeld (in Höhe von 1.116,54 Euro) während eines zweiwöchigen Auslandsaufenthalts in Spanien.

Der 1955 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger arbeitete bis zum 31.8.2011 als Pharmareferent. Er war ab dem 29.8.2011 wegen einer Angina Pectoris arbeitsunfähig und wurde vom 4.- 6.9.2011 stationär behandelt. Ab dem 10.9.2009 zahlte die Beklagte Krankengeld.

Nachdem die Mitarbeiterin der Beklagten Frau N dem Kläger in einem Telefonat vom 30.9.2011 mitgeteilt hatte, dass Krankengeld während eines Auslandsaufenthalts nicht gezahlt werden könne, wenn der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) dem nicht zustimme, übermittelte der Kläger der Beklagten zwei Atteste seiner behandelnden Ärzte vom selben Tag. Allgemeinmediziner Dr. N bescheinigte Arbeitsunfähigkeit bis "auf weiteres"; Kardiologe Dr. C gab an, der Kläger leide an einer schweren koronaren Dreigefäßerkrankung; wegen der belastenden psychischen Begleitumstände sei eine Entspannung durch Urlaub sinnvoll. In einer Aktennotiz vermerkte Frau N, der Aufenthalt ab dem 1.10.2011 in Spanien sei "mit W abgesprochen (!?)". Der Kläger flog vom 1.10. bis 14.10.2011 in sein Ferienhaus nach Spanien.

Dr. U vom MDK führte unter dem 11.10.2011 aus, der Kläger habe den Urlaub im Status der Arbeitsfähigkeit antreten können, da während des stationären Krankenhausaufenthalts ein gutes Ergebnis der Belastbarkeit festgestellt worden sei. Der Kläger sei nach seinem Urlaub zur Begutachtung einzubestellen. Frau Dr. T und Frau T1 vom MDK ergänzten am 13.10.2011 und 18.10.2011, der Urlaub sei wegen des Reisestresses und der enttäuschten Urlaubserwartung aus medizinischer Sicht nicht zu befürworten, zumal dadurch die Therapie unterbrochen werde.

Daraufhin stellte die Beklagte das Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 iVm Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für den Zeitraum vom 1.10. bis 14.10.2011 fest. Sie habe dem Auslandsaufenthalt vor Antritt der Urlaubsreise nicht zustimmen können, da eine solche medizinisch nicht sinnvoll gewesen sei (Bescheid vom 13.10.2011 in der Gestalt des Bescheids vom 4.1.2012).

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, durch die Fahrt in das Ferienhaus seiner Familie seien weder Stress noch enttäuschte Urlaubserwartung entstanden. Auch habe der Urlaub weder sportliche Betätigungen noch anderweitige Belastungen enthalten. Das Haus liege auf der M in N, einer Region, die für ihr gesundes Klima bekannt sei. Erst seit Ende Oktober 2011 befinde er sich in psychotherapeutischer Behandlung.

Dr. C führte am 3.11.2011 aus, die Beschwerden des Klägers seien im Wesentlichen somatisch bedingt. Da er aktuell stabil sei, finde keine tägliche ärztliche Vorstellung statt, gegen eine bedarfsweise Vorstellung bei einem Kardiologen in Spanien spreche nichts.

Nach persönlicher Untersuchung des Klägers schrieb Frau Dr. T vom MDK am 1.12.2011, der Kläger sei weiterhin arbeitsunfähig und nicht in der Lage, seinen Beruf als Pharmareferent auszuüben. Die Fortführung der einmal wöchentlich stattfindenden Psychotherapie, sportliche Maßnahmen sowie die Einnahme eines ACE-Hemmers seien sinnvoll. Da die Therapiemaßnahmen kontinuierlich fortgeführt werden sollten, sei eine Reise nach Spanien wegen der Angstzustände, Albtraume und der rezidivierenden Angina Pectoris nicht empfehlenswert.

Gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 19.6.2012 hat der Kläger am 3.7.2012 Klage erhoben und sein Vorbringen vertieft. Er habe vor und nach seinem Urlaub medizinische Nachweise von Fachärzten darüber erbracht, dass die Urlaubsreise medizinisch sinnvoll sei, sodass die Beklagte von einer Ermessensreduzierung auf Null habe ausgehen müssen. Er habe geglaubt, alles Erforderliche für eine Genehmigung getan zu haben, da die Mitarbeiterin der Beklagten T ihm am 27.9.2011 telefonisch mitgeteilt habe, dass er nur ein ärztliches Attest für einen Urlaub im Ausland vorlegen müsse. Dass Frau T und Frau N unterschiedlicher Rechtsansicht seien, könne ihn nicht dazu zwingen, seinen Flug kostenpflichtig zu stornieren. Die Beklagte müsse sich die Auskünfte von Frau T, auf die er habe vertrauen dürfen, zurechnen lassen.

Der Kläger hat sinngemäß beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 13.10.2011 und 4.1.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.6.2012 zu verurteilen, seinem Auslandsaufenthalt vom 1. bis 14.10.2011 zuzustimmen und für diesen Zeitraum Krankengeld zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ihrer Ansicht nach sei es befremdlich, dass der Kläger sich am 30.9.3011 bei zwei Ärzten zugleich vorgestellt habe. Darüber hinaus enthielten die Atteste keinen Hinweis auf eine Reise ins Ausland. Der Kläger habe jedenfalls nach seinem Kontakt mit Frau N gewusst, dass eine Zahlung von Krankengeld ohne die Zustimmung des MDK nicht möglich sei.

Im Erörterungstermin vor dem Sozialgericht vom 11.4.2013 hat die Kammervorsitzende erläutert, Kardiologe Dr. L (der zusammen mit Dr. C in einer Praxis tätig ist) habe ihr gegenüber in einem Telefonat erklärt, dass auch eine Reise nach Spanien nicht kontraindiziert gewesen sei. Sodann sind die Mitarbeiterinnen der Beklagten T und N als Zeuginnen vernommen worden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat (mit Zustimmung der Beteiligten) ohne mündliche Verhandlung am 27.3.2014 durch Urteil entschieden und die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Auslandsaufenthalt des Klägers vom 1.10. bis 14.10.2011 zuzustimmen und ihm für diesen Zeitraum nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen Krankengeld zu zahlen. Der zwischen den Beteiligten unstreitig entstandene Krankengeldanspruch habe nicht nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V geruht, da der Kläger die Genehmigung von der Beklagten habe beanspruchen können. Der Schutzzweck der Norm, Schwierigkeiten bei der Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit im Ausland vorzubeugen, sei im vorliegenden Fall nicht einschlägig, da die Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig von Dr. N festgestellt worden und offensichtlich auch nicht während des Urlaubs entfallen sei. Da eine Flugreise zu einem bekannten Ziel keinen Stress verursache, der Kardiologe die Sinnhaftigkeit der Urlaubsreise zur Entspannung bestätigt und der Kläger auch keine Therapie unterbrochen habe, sei das Ermessen der Beklagten auf Null reduziert gewesen.

Gegen das ihr unter dem 10.4.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 8.5.2014 Berufung eingelegt. Das Ruhen des Krankengeldanspruchs während eines Auslandsaufenthalts sei der Regelfall, da der Versicherte im Interesse der Solidargemeinschaft alles zu unternehmen habe, um seine Genesung voranzutreiben. Sie habe ihr Ermessen unter Einbezug der MDK-Gutachten nicht falsch ausgeübt, zumal in dem vom Kläger vorgelegten Attest auf eine schwere Erkrankung hingewiesen worden sei. Dass die behandelnden Ärzte bei ihren Attestierungen davon Kenntnis gehabt hätten, dass der Kläger ins Ausland habe reisen wollen, sei nicht ersichtlich. Die Aussage des Dr. L, dass auch eine Reise ins Ausland nicht kontraindiziert gewesen sei, ändere nichts daran, dass der Kläger bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustands während der Reise wegen der besseren deutschen medizinischen Versorgungsmöglichkeiten nach Deutschland habe zurück transportiert werden müssen. Dass eine Versagung der Genehmigung wegen der zu erwartenden Erholung im Urlaub eine unzumutbare Härte dargestellt habe, sei nicht dargetan. Durch seinen kurzfristigen Antrag habe der Kläger ihr überdies die Möglichkeit genommen, die näheren Umstände zu ermitteln.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 27.3.2014 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hat sein Vorbringen im Wesentlichen wiederholt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 13.10.2011 und 4.1.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.2.2012 zu Recht verurteilt, dem Auslandsaufenthalt vom 1.10. bis 14.10.2011 zuzustimmen und für diesen Zeitraum Krankengeld zu gewähren.

Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ruht der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB V, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthaltes erkranken, soweit in diesem Gesetzbuch nichts Abweichendes bestimmt ist. Abweichend hiervon besagt § 16 Abs. 4 SGB V, dass der Anspruch auf Krankengeld nicht ruht, solange sich Versicherte nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit mit Zustimmung der Krankenkasse im Ausland aufhalten. Die Entscheidung über die Zustimmung liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Krankenkasse.

Eine Zustimmung im Sinne einer Zusicherung nach § 34 Abs. 1 Zehntes Buch Gesetzbuch (SGB X) kann nicht bereits in der telefonischen Auskunft der Frau T gesehen werden. Denn zum einen entspricht diese nicht den Formerfordernissen des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X, zum anderen hatte Frau T auch noch keine unbedingte Zustimmung erteilt, sondern eine solche von dem Inhalt ärztlicher Atteste abhängig gemacht.

Da die Arbeitsunfähigkeit des Klägers und deren Feststellung im fraglichen Zeitraum zwischen den Beteiligten unstreitig sind, war das Ermessen der Beklagten bei der Erteilung der Zustimmung zu dem Auslandsaufenthalt jedoch auf Null reduziert. Denn nach dem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Sinn uns Zweck des an die §§ 209a, 313 und 216 Reichsversicherungsordnung (RVO) anknüpfenden Ruhenstatbestands ist das Ruhen des Sachleistungsanspruchs im Ausland nur vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten bei der Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit im Ausland gerechtfertigt (BR-Drucksache 200/88, S. 164 und BT-Drucksache 11/2237, S. 164, jeweils zu § 16 SGB V). Da die höchstrichterliche Rechtsprechung über den Wortlaut des § 216 Abs. 1 Nr. 2 RVO hinaus auch Krankengeld für die Zeit des Auslandsaufenthalts zuerkannte, in der der Versicherte nachweislich arbeitsunfähig war (BSGE 31, S. 100ff., 101 f. und BSG SozR 3-2200 § 182 RVO Nr.12, S.49ff., 50) wurde die Regelung des § 216 Abs. 1 Nr. 2 RVO nach den Gesetzesmaterialien (a.a.O. zu § 16 Abs. 4 SGB V) mit redaktionellen Änderungen übernommen. Da somit nur eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Krankengeld in den Fällen verhindert werden soll, in denen die Arbeitsunfähigkeit im Ausland nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen festgestellt werden kann, bleibt in den Fallgestaltungen, in denen die Arbeitsunfähigkeit unstreitig festgestellt wurde, für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr, da hier keine praktischen Schwierigkeiten bei der Feststellung bestehen (LSG NRW, Urteil vom 30.1.1996 -L 5 KR 102/95-; LSG Berlin, Urteil vom 22.3.2000 -L 9 KR 69/98-; so auch Krauskopf/Wagner SGB V § 16 Rn. 28). In den beiden zitierten Entscheidungen wurde in Fällen, in denen die Arbeitsunfähigkeit erst während des Auslandsaufenthalts eingetreten war, als solche aber unstreitig war, eine Ermessensentscheidung auf Null angenommen. Dies muss erst recht gelten, wenn die Arbeitsunfähigkeit bereits im Inland festgestellt worden ist und unstreitig sogar weit über den Auslandsaufenthalt hinaus (nämlich bis Januar 2012) angedauert hat. Dem stehen entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht die Ausführungen des Schleswig-Holsteinischen OLG (Urteil vom 3.6.2004 -11U 7/03-) entgegen, da auch hier ausgeführt wird, dass die Zustimmung durch die Kasse nicht versagt werden kann, wenn der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit nicht erschwert ist oder von vorneherein feststeht, dass Arbeitsunfähigkeit für die Zeit des Auslandsaufenthalts besteht (a.a.O. Rz. 21). Unabhängig von dem hiesigen Fall, in dem die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen inländischen Arzt erfolgte, weist der Senat auch auf die Entscheidung des EuGH vom 12.3.1987 (Az.: 22/86) hin. Darin führt der EuGH zu Art. 18 Abs. 1 bis 4 der EWGV Nr. 574/72 aus, dass der zuständige Sozialversicherungsträger in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an die vom Träger des Wohnorts getroffenen ärztlichen Feststellungen über Eintritt und Dauer der Arbeitsunfähigkeit gebunden ist, sofern er nicht von der in Abs. 5 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, den Betroffenen durch einen Arzt seiner Wahl untersuchen zu lassen (siehe BSG, Urteil vom 10.9.1987-8 RK 8/87-, SozR 6055 Art 18 Nr. 2).

Da es bei unzweifelhaft feststehender Arbeitsunfähigkeit nicht auf die Frage ankommt, ob der Auslandsaufenthalt der Genesung des Versicherten förderlich ist, war das Ermessen der Beklagten auf Null reduziert. Im Übrigen hängt der Anspruch auf Krankengeld auch im Inland nicht davon ab, ob sich der Versicherte gesundheitsfördernd verhält oder an seiner Genesung dienenden Therapien oder Untersuchungen teilnimmt (Ausnahme: § 52 SGB V).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Anlass, die Revision zuzulassen besteht nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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