L 1 KR 77/16 NZB

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 3 KR 207/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 77/16 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 14. Januar 2016 wird zurückgewiesen. Die Kosten dieses Verfahrens trägt die Klägerin. Der Streitwert dieses Verfahrens wird auf 475,44 EUR festgesetzt

Gründe:

Die gemäß § 145 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 14. Januar 2016 ist unbegründet. Denn weder ist die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts bereits kraft Gesetzes zulässig noch sind Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SGG gegeben.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei Erstattungsstreitigkeiten zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000,- EUR nicht übersteigt. Dies gilt nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Streitgegenständlich war im erstinstanzlichen Verfahren ein Erstattungsbegehren in Höhe von 475,44,- EUR zwischen zwei juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Im Streit ist damit ein Anspruch auf eine einmalige Leistung, mit dem der für die Zulassung der Berufung kraft Gesetzes erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes von 10.000,- EUR nicht erreicht wird.

Die Berufung ist nicht nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen. Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtsache nur zu, wenn von der Entscheidung der Rechtssache erwartet werden kann, dass sie zur Erhaltung und Sicherung der Rechtseinheit und zur Fortbildung des Rechts beitragen wird. Dies ist wiederum nur dann der Fall, wenn es in einem Rechtsstreit um eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage geht, deren Entscheidung über den Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Klärungsfähigkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn es auf die als grundsätzlich angesehene Rechtsfrage im konkreten Rechtsfall ankommt, sie also für den zu entscheidenden Streitfall rechtserheblich ist. Nicht klärungsbedürftig ist die Rechtsfrage, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, weil sie sich beispielsweise unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder sie bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl. Kummer, Der Zugang zur Berufungsinstanz nach neuem Recht, NZS 1993, S. 337 ff. [341] m. w. Nachw.).

Die Klägerin meint, im vorliegenden Fall sei die Rechtsfrage klärungsbedürftig, "ob die erstattungsfähigen Aufwendungen im Sinne des § 14 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) auch dann die ergänzenden Leistungen nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB IX umfassen, wenn der bezüglich der Hauptleistung erstattungspflichtige Rehabilitationsträger gegenüber den Versicherten nicht verpflichtet wäre, derartige ergänzende Leistungen zu erbringen und die Aufwendungen des vorleistenden Rehabilitationsträgers darin bestehen, den Erstattungsanspruch des (Leistungsträgers nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)) aufgrund einer vorschussweisen Leistungserbringung zu befriedigen."

An dem vorgenannten Maßstab gemessen ist diese Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig, weil sich die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder sie bereits höchstrichterlich entschieden ist.

§ 14 SGB IX räumt dem zweitangegangenen Träger einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegen den materiell-rechtlich originär zuständigen Reha-Träger ein. Dieser spezielle Anspruch geht den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem SGB X vor. Er ist begründet, soweit der Versicherte vom Träger, der ohne die Regelung in § 14 SGB IX zuständig wäre, die gewährte Maßnahme hätte beanspruchen können Dabei handelt es sich um eine gleichsam "aufgedrängte Zuständigkeit" Diese in § 14 Abs. 2 Satz 1 und 3 SGB IX geregelte Zuständigkeitszuweisung erstreckt sich im Außenverhältnis zum Versicherten auf alle Rechtsgrundlagen, die in dieser Bedarfssituation für Rehabilitationsträger vorgesehen sind. Im Verhältnis zum behinderten Menschen wird dadurch eine eigene gesetzliche Verpflichtung des zweitangegangenen Trägers begründet, die - vergleichbar der Regelung des § 107 Zehntes Buch - einen endgültigen Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistung in diesem Rechtsverhältnis bildet. Im Verhältnis der Rehabilitationsträger untereinander ist jedoch eine Lastenverschiebung ohne Ausgleich nicht bezweckt. Den Ausgleich bewirkt der Anspruch nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX (Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. September 2009 – B 1 KR 9/09 R -, zitiert nach juris).

Rechtsfolge des § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX ist die Pflicht des ohne § 14 SGB IX zuständigen Trägers, dem zweitangegangenen Träger "dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften" zu erstatten. Denn der zweitangegangene Rehabilitationsträger ist im Verhältnis zum behinderten Menschen nicht nur vorläufig, sondern endgültig und umfassend leistungspflichtig. Er erhält im Gegenzug hierfür einen vollständigen Ersatz aller Aufwendungen, wenn er nach der Zuständigkeitsordnung der Rehabilitationsträger Leistungen, für die er nicht zuständig war, aufgrund der Zuständigkeit als zweitangegangener Träger (nach § 14 Abs. 2 Satz 3 bis 5 SGB IX) erbringen musste. Weil ihn § 14 SGB IX dazu beruft, umfassend nach allen Leistungsvorschriften überhaupt zuständiger Reha-Träger zu leisten, er sich mithin dieser Leistungspflicht nicht entziehen kann, bedarf es eines umfassenden Ausgleichsmechanismus, wie ihn die Rechtsfolge des verdrängten § 102 Abs. 2 SGB X ebenfalls vorsähe (BSG a. a. O.).

Die Klägerin hat danach einen Erstattungsanspruch in Höhe des gezahlten Übergangsgeldes einschließlich der gezahlten Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung. Unstreitig zwischen den Beteiligten ist nämlich, dass der bei der Beklagten Versicherte einen Anspruch auf die begehrte Rehabilitationsmaßnahme hatte. Die Beklagte hat der Klägerin dementsprechend die Pflegekosten und die Fahrtkosten erstattet. Die Beklagte hat der Klägerin aber auch deren "Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften zu erstatten", also auch die streitbefangenen Leistungen. Denn unstreitig hatte der Versicherte nach diesen Rechtsvorschriften einen Anspruch auf Übergangsgeld.

Dem steht nicht entgegen, dass tatsächlich nicht der Rentenversicherungsträger Übergangsgeld gezahlt hat, sondern der Grundsicherungsträger nach dem SGB II seine Leistungen insoweit als Vorschuss auf die Leistungen des Rentenversicherungsträgers weiter gezahlt hat (§ 25 Satz 1 1. HS SGB II) und die Klägerin ihm diese Leistungen bereits erstattet hat. Denn der Grundsicherungsträger ist insoweit lediglich für die Klägerin in Vorleistung getreten. Aus § 21 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGB VI folgt ein Vorrang des Anspruchs auf Übergangsgeld vor dem ALG II-Anspruch. Folglich handelt es sich bei dem streitigen Betrag im Ergebnis um eine Aufwendung der Klägerin "nach den für sie geltenden Rechtsvorschriften", die ihr als zweitangegangenem Leistungsträger gem. § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX zu erstatten war (vgl. Urteil des Hessischen LSG vom 7. Mai 2015 – L 8 KR 145/12-, zitiert nach juris).

Die Berufung ist auch nicht wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung eines Obergerichts zuzulassen (Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG). Dieser Zulassungsgrund setzt nach der Rechtsprechung des BSG voraus, dass einerseits ein abstrakter Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung und andererseits ein der Entscheidung eines Obergerichts zu entnehmender abstrakter Rechtssatz nicht übereinstimmen. Dabei muss das abweichende Gericht den mit der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht übereinstimmenden Rechtssatz seiner Entscheidung zugrunde gelegt, insoweit eine die Entscheidung tragende Rechtsansicht entwickelt und damit der obergerichtlichen Rechtsprechung im Grundsätzlichen widersprochen haben (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 160 RdNr. 13 und 14 m. w. Nachw.).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen seines Urteils vom 14. Januar 2016 weder eine Entscheidung eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte zitiert noch einen Rechtssatz eines dieser Gerichte seiner Entscheidung zugrunde gelegt, geschweige denn bewusst eine hiervon abweichende Rechtsansicht entwickelt.

Jedenfalls begründet der danach gegebene Rechtsirrtum im Einzelfall, also die unzutreffende Beurteilung oder das Übersehen einer Rechtsfrage nicht die Voraussetzungen des Zulassungsgrundes nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG (Leitherer, a. a. O.).

Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines Verfahrensmangels (Zulassungsgrund § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG) zuzulassen. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt. Der geltend gemachte Mangel muss sich auf das Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil und nicht auf den sachlichen Inhalt des Urteils beziehen. Der Verfahrensmangel muss wesentlich sein, d. h. das angefochtene Urteil muss auf diesem Mangel beruhen können. Dies ist schon dann der Fall, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Verfahrensmangel das Urteil beeinflusst hat, das Gericht also ohne diesen Verfahrensmangel zu einem für den Kläger günstigeren Urteil gekommen wäre (Leitherer, a. a. O., § 160 RdNr. 23). Dabei ist bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, von der Rechtsauffassung des Gerichts auszugehen, dem der Verfahrensmangel unterstellt wird. Die Klägerin hat weder solche Gründe geltend gemacht noch sind Anhaltspunkte für deren Vorliegen auch nur im Ansatz ersichtlich.

Die Streitwertentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Zivilprozessordnung.

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden. Nach § 145 Abs. 4 Satz 5 SGG wird das Urteil des Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig.
Rechtskraft
Aus
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