Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 EG 3722/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 EG 649/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28.01.2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Betreuungsgeld für ihren am 12.08.2014 geborenen Sohn.
Mit Art 1 Nr 3 des Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) vom 15.2.2013 (BGBl I 254) in das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) hat der Gesetzgeber in den §§ 4a bis 4d BEEG ab dem 01.08.2013 einen Anspruch auf Betreuungsgeld des Inhalts geschaffen, dass Eltern in der Zeit vom ersten Tag des 15. Lebensmonats bis zur Vollendung des 36. Lebensmonats ihres Kindes grundsätzlich einkommensunabhängig Betreuungsgeld in Höhe von mittlerweile 150 Euro pro Monat beziehen können, sofern für das Kind keine Leistungen nach § 24 Abs 2 iVm den§§ 22 bis 23 Sozialgesetzbuch Achtes Buch, also weder eine öffentlich geförderte Tageseinrichtung noch Kindertagespflege in Anspruch genommen werden. Am 21.07.2015 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, 1 BvF 2/13, NJW 2015, 2399) entschieden, dass die §§ 4a bis 4d BEEG mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar und nichtig sind.
Am 30.08.2015 beantragte die Klägerin Betreuungsgeld für ihren am 12.08.2014 geborenen Sohn D. P ... Mit Bescheid vom 08.10.2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Das BVerfG habe in seinem Urteil vom 21.07.2015 entschieden, dass das Gesetz zur Einführung eines Betreuungsgeldes mit dem GG unvereinbar und nichtig sei. Für eine Bewilligung von Betreuungsgeld bestehe keine gesetzliche Grundlage.
Mit Schreiben vom 14.10.2015 erhob die Klägerin Widerspruch und führte aus, die Entscheidung des BVerfG über die Nichtigkeit eines Gesetzes könne nicht dazu führen, dass die Rechtssicherheit der betroffenen Bürger verletzt werde. Der Gesetzgeber habe durch die Schaffung eines gesetzlichen Rahmens dafür zu sorgen, dass das Betreuungsgeld übergangslos ausgezahlt werde. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück unter erneutem Verweis auf die fehlende Rechtsgrundlage für eine Bewilligung von Betreuungsgeld.
Hiergegen richtet sich die am 16.11.2015 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage unter Wiederholung des Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren.
Mit Gerichtsbescheid vom 28.01.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Rechtsgrundlage habe sich bis zur Entscheidung des BVerfG vom 21.07.2015 (1 BvF 2/13, aaO) aus den §§ 4a bis 4d BEEG ergeben. Das BVerfG habe die Nichtigkeit dieser Vorschriften festgestellt, es bestehe danach für die Bewilligung von Betreuungsgeld keine gesetzliche Grundlage. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin mangels einer Bewilligung von Betreuungsgeld nicht stützen. Allein das Vertrauen auf eine zukünftige Bewilligung von Leistungen sei nicht geschützt. Es bestehe auch kein Anspruch auf Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Bewilligung von Betreuungsgeld.
Gegen den ihr am 29.01.2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 19.02.2016 eingelegte Berufung der Klägerin. Das BVerfG habe lediglich festgestellt, dass der Bund für die Gesetzgebung des Betreuungsgeldes nicht zuständig sei, was nicht gleichbedeutend mit der Nichtigkeit des bestehenden Gesetzes sei. Vielmehr sei es eine Aufforderung an den Gesetzgeber, durch entsprechende Änderung die in den §§ 4a bis 4d BEEG enthaltenen Rechtsansprüche gesetzgeberisch korrekt zu fassen. Da der Gesetzgeber dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, sei die vor dem 21.07.2015 definierte Fassung der §§ 4a bis 4d BEEG als rechtsgültig anzusehen. Mit der leichtfertigen Entscheidung des SG sei der in Art 6 Abs 4 GG definierte Anspruch als Mutter auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft in erheblichem Maße verletzt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28.01.2016 und den Bescheid der Beklagten vom 08.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.10.2015 aufzuheben und ihr Betreuungsgeld für ihren Sohn D. P. gemäß §§ 4a bis 4d BEEG idF vom 15.02.2013 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das BVerfG habe ausdrücklich für Recht erkannt, dass die §§ 4a bis 4d BEEG mit Art 72 Abs 2 GG unvereinbar und nichtig seien. Dies ergebe sich auch aus § 78 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG). Damit sei die Rechtsgrundlage für die Bewilligung von Betreuungsgeld rückwirkend entfallen. Das BVerfG führe in dem genannten Urteil auch aus, dass sich konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen aus Art 6 GG nicht herleiten ließen. Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, eine Leistung der hier in Rede stehenden Art zu gewähren.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG) und damit zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat mangels gesetzlicher Grundlage keinen Anspruch auf Betreuungsgeld.
Das BVerfG hat die §§ 4a bis 4d BEEG idF vom 15.2.2013 (BGBl I 254) mit Art 72 Abs 2 GG für unvereinbar und nichtig erklärt, weil die Voraussetzungen, unter denen der Bund nach Art 72 Abs 2 GG zur konkurrierenden Gesetzgebung befugt ist, fehlen. Die Frage der Vereinbarkeit des Betreuungsgeldes nach §§ 4a bis 4d BEEG mit den Grundrechten brauche vor diesem Hintergrund nicht beantwortet werden und eine Übergangsregelung nach § 35 BVerfGG erscheine nicht notwendig. Vertrauensschutzgesichtspunkten lasse sich nach § 79 Abs 2 Satz 1 BVerfGG ggf iVm§ 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Rechnung tragen (Urteil vom 21.07.2015, aaO; siehe hierzu auch Dau, jurisPR-SozR 18/2015 Anm 1). Diese Entscheidung hat am 24.08.2015 gemäß § 31 Abs 2 BVerfGG Gesetzeskraft erlangt (BGBl I 1565).
Soweit die Klägerin weiter darauf beharrt, die Regelungen zum Betreuungsgeld seien nicht für nichtig erklärt worden bzw das BVerfG habe dem Gesetzgeber aufgegeben, eine wirksame Regelung zum Betreuungsgeld zu treffen, lässt sich schon dem Tenor der genannten Entscheidung des BVerfG das Gegenteil entnehmen. Aufgrund der Nichtigkeit des Gesetzes zur Einführung des Betreuungsgeldes vom 15.2.2013 (BGBl I 254) kann die Klägerin keinen Anspruch mehr geltend machen, es liegt auch kein die Durchbrechung des Nichtigkeitsgrundsatzes rechtfertigendes Vertrauen vor. Das Bundessozialgericht (BSG 15.12.2015, B 10 EG 2/15 R, SozR 4-7837 § 27 Nr 2) hat zu dieser Rechtsfrage ausgeführt:
"1. Die Unvereinbarkeit des Betreuungsgeldgesetzes mit dem GG hat dessen Nichtigkeit und damit Unanwendbarkeit zur Folge. Regelungen die gegen höhere Normen - wie das GG - verstoßen, dürfen grundsätzlich nicht angewendet werden, da die Verwaltung und Gerichte nach Art 20 Abs 3 GG an Gesetz und Recht gebunden und deshalb gehalten sind, gesetzeswidrige Handlungen zu unterlassen (vgl BSG vom 4.12.2014 – B 2 U 11/13 R - SozR 4-2700 § 161 Nr 1 = in BSGE vorgesehen, RdNr 28 mwN; BVerfG vom 3.11.1982 – 1 BvR 620/78 ua – BVerfGE 61, 319, Juris RdNr 101 mwN). Verstößt ein Gesetz gegen das GG, so ist es grundsätzlich von Anfang an nichtig und unwirksam (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl 2014, Art 20 RdNr 33 mwN zur Rechtsprechung). Damit ist das vom BVerfG mit Gesetzeskraft für nichtig erklärte Betreuungsgeldgesetz von Anfang an unwirksam und aus diesem Gesetz können nicht bewilligte Ansprüche - wie im Falle des Klägers - nicht mehr hergeleitet werden.
2. Nichts anderes gilt für die Frage der Durchbrechung des Nichtigkeitsgrundsatzes aufgrund eines eventuellen Vertrauens in die Leistungsbewilligung im Zeitpunkt vor der Nichtigkeitsfeststellung. Das BVerfG hat den Verzicht auf die Schaffung einer Übergangsregelung nach § 35 BVerfGG damit begründet, dass genügend Vertrauensschutz der betroffenen Antragsteller gemäß § 79 Abs 3 S 1 BVerfGG gegebenenfalls iVm § 45 Abs 2 SGB X bestehe. Nach § 79 Abs 2 S 1 BVerfGG bleiben indes grundsätzlich nur nicht mehr anfechtbare Bewilligungsbescheide über Betreuungsgeld als begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung von der Nichtigkeit unberührt unter Konkretisierung durch das SGB X (siehe hierzu insgesamt: Dau, jurisPR-SozR 18/2015 Anm 1 zu C). Der Kläger kann von dieser Ausnahmevorschrift aber nicht profitieren, da er schon keine positive bescheidmäßige Betreuungsgeldgewährung erhalten hat, die hätte in Bestandskraft erwachsen können. Somit kann er keinerlei begründetes Vertrauen in eine Betreuungsgeldgewährung geltend machen. Etwas anderes ergibt sich für den vorliegenden Fall auch nicht aus der Ankündigung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) wonach Eltern, die Betreuungsgeld erhalten haben, "umfassender Vertrauensschutz" zuteil werden solle (vgl Dau, aaO, zu D mit Hinweis auf www.bmfsfj.de/BMFSFJ/aktuelles). Selbst wenn diese Äußerung Vertrauen von Leistungsempfängern über die Regelung von § 79 BVerfGG hinaus begründen sollte, bezog sie sich eindeutig nur auf Inhaber eines positiven Bewilligungsbescheids. Zu dieser Gruppe zählt der Kläger nicht, weil der Beklagte seinen Antrag von Anfang an abgelehnt hat."
Der Senat schließt sich dieser Auffassung vollumfänglich an. Weitere Darlegungen sind angesichts der klaren und eindeutigen Rechtslage nicht veranlasst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Betreuungsgeld für ihren am 12.08.2014 geborenen Sohn.
Mit Art 1 Nr 3 des Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) vom 15.2.2013 (BGBl I 254) in das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) hat der Gesetzgeber in den §§ 4a bis 4d BEEG ab dem 01.08.2013 einen Anspruch auf Betreuungsgeld des Inhalts geschaffen, dass Eltern in der Zeit vom ersten Tag des 15. Lebensmonats bis zur Vollendung des 36. Lebensmonats ihres Kindes grundsätzlich einkommensunabhängig Betreuungsgeld in Höhe von mittlerweile 150 Euro pro Monat beziehen können, sofern für das Kind keine Leistungen nach § 24 Abs 2 iVm den§§ 22 bis 23 Sozialgesetzbuch Achtes Buch, also weder eine öffentlich geförderte Tageseinrichtung noch Kindertagespflege in Anspruch genommen werden. Am 21.07.2015 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, 1 BvF 2/13, NJW 2015, 2399) entschieden, dass die §§ 4a bis 4d BEEG mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar und nichtig sind.
Am 30.08.2015 beantragte die Klägerin Betreuungsgeld für ihren am 12.08.2014 geborenen Sohn D. P ... Mit Bescheid vom 08.10.2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Das BVerfG habe in seinem Urteil vom 21.07.2015 entschieden, dass das Gesetz zur Einführung eines Betreuungsgeldes mit dem GG unvereinbar und nichtig sei. Für eine Bewilligung von Betreuungsgeld bestehe keine gesetzliche Grundlage.
Mit Schreiben vom 14.10.2015 erhob die Klägerin Widerspruch und führte aus, die Entscheidung des BVerfG über die Nichtigkeit eines Gesetzes könne nicht dazu führen, dass die Rechtssicherheit der betroffenen Bürger verletzt werde. Der Gesetzgeber habe durch die Schaffung eines gesetzlichen Rahmens dafür zu sorgen, dass das Betreuungsgeld übergangslos ausgezahlt werde. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück unter erneutem Verweis auf die fehlende Rechtsgrundlage für eine Bewilligung von Betreuungsgeld.
Hiergegen richtet sich die am 16.11.2015 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage unter Wiederholung des Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren.
Mit Gerichtsbescheid vom 28.01.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Rechtsgrundlage habe sich bis zur Entscheidung des BVerfG vom 21.07.2015 (1 BvF 2/13, aaO) aus den §§ 4a bis 4d BEEG ergeben. Das BVerfG habe die Nichtigkeit dieser Vorschriften festgestellt, es bestehe danach für die Bewilligung von Betreuungsgeld keine gesetzliche Grundlage. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin mangels einer Bewilligung von Betreuungsgeld nicht stützen. Allein das Vertrauen auf eine zukünftige Bewilligung von Leistungen sei nicht geschützt. Es bestehe auch kein Anspruch auf Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Bewilligung von Betreuungsgeld.
Gegen den ihr am 29.01.2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 19.02.2016 eingelegte Berufung der Klägerin. Das BVerfG habe lediglich festgestellt, dass der Bund für die Gesetzgebung des Betreuungsgeldes nicht zuständig sei, was nicht gleichbedeutend mit der Nichtigkeit des bestehenden Gesetzes sei. Vielmehr sei es eine Aufforderung an den Gesetzgeber, durch entsprechende Änderung die in den §§ 4a bis 4d BEEG enthaltenen Rechtsansprüche gesetzgeberisch korrekt zu fassen. Da der Gesetzgeber dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, sei die vor dem 21.07.2015 definierte Fassung der §§ 4a bis 4d BEEG als rechtsgültig anzusehen. Mit der leichtfertigen Entscheidung des SG sei der in Art 6 Abs 4 GG definierte Anspruch als Mutter auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft in erheblichem Maße verletzt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28.01.2016 und den Bescheid der Beklagten vom 08.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.10.2015 aufzuheben und ihr Betreuungsgeld für ihren Sohn D. P. gemäß §§ 4a bis 4d BEEG idF vom 15.02.2013 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das BVerfG habe ausdrücklich für Recht erkannt, dass die §§ 4a bis 4d BEEG mit Art 72 Abs 2 GG unvereinbar und nichtig seien. Dies ergebe sich auch aus § 78 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG). Damit sei die Rechtsgrundlage für die Bewilligung von Betreuungsgeld rückwirkend entfallen. Das BVerfG führe in dem genannten Urteil auch aus, dass sich konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen aus Art 6 GG nicht herleiten ließen. Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, eine Leistung der hier in Rede stehenden Art zu gewähren.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG) und damit zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat mangels gesetzlicher Grundlage keinen Anspruch auf Betreuungsgeld.
Das BVerfG hat die §§ 4a bis 4d BEEG idF vom 15.2.2013 (BGBl I 254) mit Art 72 Abs 2 GG für unvereinbar und nichtig erklärt, weil die Voraussetzungen, unter denen der Bund nach Art 72 Abs 2 GG zur konkurrierenden Gesetzgebung befugt ist, fehlen. Die Frage der Vereinbarkeit des Betreuungsgeldes nach §§ 4a bis 4d BEEG mit den Grundrechten brauche vor diesem Hintergrund nicht beantwortet werden und eine Übergangsregelung nach § 35 BVerfGG erscheine nicht notwendig. Vertrauensschutzgesichtspunkten lasse sich nach § 79 Abs 2 Satz 1 BVerfGG ggf iVm§ 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Rechnung tragen (Urteil vom 21.07.2015, aaO; siehe hierzu auch Dau, jurisPR-SozR 18/2015 Anm 1). Diese Entscheidung hat am 24.08.2015 gemäß § 31 Abs 2 BVerfGG Gesetzeskraft erlangt (BGBl I 1565).
Soweit die Klägerin weiter darauf beharrt, die Regelungen zum Betreuungsgeld seien nicht für nichtig erklärt worden bzw das BVerfG habe dem Gesetzgeber aufgegeben, eine wirksame Regelung zum Betreuungsgeld zu treffen, lässt sich schon dem Tenor der genannten Entscheidung des BVerfG das Gegenteil entnehmen. Aufgrund der Nichtigkeit des Gesetzes zur Einführung des Betreuungsgeldes vom 15.2.2013 (BGBl I 254) kann die Klägerin keinen Anspruch mehr geltend machen, es liegt auch kein die Durchbrechung des Nichtigkeitsgrundsatzes rechtfertigendes Vertrauen vor. Das Bundessozialgericht (BSG 15.12.2015, B 10 EG 2/15 R, SozR 4-7837 § 27 Nr 2) hat zu dieser Rechtsfrage ausgeführt:
"1. Die Unvereinbarkeit des Betreuungsgeldgesetzes mit dem GG hat dessen Nichtigkeit und damit Unanwendbarkeit zur Folge. Regelungen die gegen höhere Normen - wie das GG - verstoßen, dürfen grundsätzlich nicht angewendet werden, da die Verwaltung und Gerichte nach Art 20 Abs 3 GG an Gesetz und Recht gebunden und deshalb gehalten sind, gesetzeswidrige Handlungen zu unterlassen (vgl BSG vom 4.12.2014 – B 2 U 11/13 R - SozR 4-2700 § 161 Nr 1 = in BSGE vorgesehen, RdNr 28 mwN; BVerfG vom 3.11.1982 – 1 BvR 620/78 ua – BVerfGE 61, 319, Juris RdNr 101 mwN). Verstößt ein Gesetz gegen das GG, so ist es grundsätzlich von Anfang an nichtig und unwirksam (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl 2014, Art 20 RdNr 33 mwN zur Rechtsprechung). Damit ist das vom BVerfG mit Gesetzeskraft für nichtig erklärte Betreuungsgeldgesetz von Anfang an unwirksam und aus diesem Gesetz können nicht bewilligte Ansprüche - wie im Falle des Klägers - nicht mehr hergeleitet werden.
2. Nichts anderes gilt für die Frage der Durchbrechung des Nichtigkeitsgrundsatzes aufgrund eines eventuellen Vertrauens in die Leistungsbewilligung im Zeitpunkt vor der Nichtigkeitsfeststellung. Das BVerfG hat den Verzicht auf die Schaffung einer Übergangsregelung nach § 35 BVerfGG damit begründet, dass genügend Vertrauensschutz der betroffenen Antragsteller gemäß § 79 Abs 3 S 1 BVerfGG gegebenenfalls iVm § 45 Abs 2 SGB X bestehe. Nach § 79 Abs 2 S 1 BVerfGG bleiben indes grundsätzlich nur nicht mehr anfechtbare Bewilligungsbescheide über Betreuungsgeld als begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung von der Nichtigkeit unberührt unter Konkretisierung durch das SGB X (siehe hierzu insgesamt: Dau, jurisPR-SozR 18/2015 Anm 1 zu C). Der Kläger kann von dieser Ausnahmevorschrift aber nicht profitieren, da er schon keine positive bescheidmäßige Betreuungsgeldgewährung erhalten hat, die hätte in Bestandskraft erwachsen können. Somit kann er keinerlei begründetes Vertrauen in eine Betreuungsgeldgewährung geltend machen. Etwas anderes ergibt sich für den vorliegenden Fall auch nicht aus der Ankündigung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) wonach Eltern, die Betreuungsgeld erhalten haben, "umfassender Vertrauensschutz" zuteil werden solle (vgl Dau, aaO, zu D mit Hinweis auf www.bmfsfj.de/BMFSFJ/aktuelles). Selbst wenn diese Äußerung Vertrauen von Leistungsempfängern über die Regelung von § 79 BVerfGG hinaus begründen sollte, bezog sie sich eindeutig nur auf Inhaber eines positiven Bewilligungsbescheids. Zu dieser Gruppe zählt der Kläger nicht, weil der Beklagte seinen Antrag von Anfang an abgelehnt hat."
Der Senat schließt sich dieser Auffassung vollumfänglich an. Weitere Darlegungen sind angesichts der klaren und eindeutigen Rechtslage nicht veranlasst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
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