L 9 AS 1242/16 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
13 AS 349/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 1242/16 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 29. Februar 2016 geändert: Die Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 8. Februar 2016 bis 31. Mai 2016 vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII) in Höhe von 402,01 EUR (Februar 2016) bzw. von 548,20 EUR/Monat (März bis Mai 2016) zu gewähren.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Beigeladene trägt 7/10 der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen. Sonstige außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Beigeladenen ist zulässig, aber nur zum Teil begründet. Das Sozialgericht Heilbronn (SG) hat die Beigeladene zu Recht zur vorläufigen Leistungsgewährung verpflichtet. Die Beschwerde hat lediglich in Bezug auf die Leistungshöhe teilweise Erfolg.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Beschlusses zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die Beurteilung des Sachverhalts dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die - näher dargelegten - Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erfüllt sind, weil unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund für die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII glaubhaft gemacht sind. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG von einer weiteren Darstellung der Gründe weitgehend ab und weist die Beschwerde insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Das Beschwerdevorbringen der Beigeladenen führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Die Einwendungen der Beigeladenen beziehen sich auf die Bestimmungen der §§ 21 und 23 SGB XII, die diese anders auslegen will als das BSG in den Urteilen vom 03.12.2015 und 20.01.2016 (B 4 AS 44/15 R bzw. B 14 AS 35/15 R, B 14 AS 15/15 R, alle in Juris, bestätigt durch Urteil vom 17.02.2016 – B 4 AS 24/14 R –, vgl. Nr. 2 im Terminbericht 3/16 und 17.03.2016 – B 4 AS 32/15 R –, vgl. Nr. 1 im Terminbericht 10/16, beide auf www.bundessozialgericht.de unter "Termine"). Die Einwendungen der Beigeladenen gegen die Entscheidungen des BSG – gestützt auf von ihr zitierte Entscheidungen von Sozial- und Landessozialgerichten, die zum Teil zeitlich vor diesen Entscheidungen ergangen sind – vermögen in einem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes keine andere Entscheidung zu rechtfertigen. Denn auch unter Berücksichtigung der erheblichen Bedenken, die beispielsweise das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 17.03.2016 – L 9 AS 1580/15 B ER –, nicht ganz so weitgehend der 15. Senat dieses LSG: Beschluss vom 07.03.2016 – L 15 AS 185/15 B ER, beide in Juris) nach Veröffentlichung der Entscheidungen des BSG hinsichtlich deren Richtigkeit geäußert hat, kann eine Erfolgsaussicht im Hauptsacheverfahren angesichts der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht verneint werden. Denn insoweit sind auch die genannten vom BSG abweichenden Entscheidungen nicht ohne Kritik geblieben (vgl. ausführliche Darstellung bei Coseriu in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, Stand 04.05.2016, § 23 SGB XII, Rdnr. 63.1 ff.).

Nach der deshalb zu treffenden Folgenabwägung tritt das Interesse der Beigeladenen, keine finanziellen Aufwendungen an den Antragsteller zu erbringen, hinter dem Interesse des Antragstellers zurück. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass es sich um eine faktische Vorwegnahme der Hauptsache handelt. Jedoch dienen existenzsichernde Leistungen - wie die des SGB XII - nach ihrer Konzeption dazu, eine gegenwärtige Notlage zu beseitigen. Die spätere, nachträgliche Erbringung von existenzsichernden Leistungen verfehlt insoweit ihren Zweck. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Bundesregierung ein Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch plant (vgl. Referentenentwurf der Bundesregierung vom 28.04.2016) und deswegen mit einer Neuregelung des Fragenkomplexes und einer dann veränderten Rechtslage in absehbarer Zeit zu rechnen ist. Auch vor diesem Hintergrund einer möglicherweise zeitnah veränderten Rechtslage sieht der erkennende Senat keine Veranlassung, im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens von der gefestigten, auch im Rahmen von Hauptsacheverfahren geäußerten Rechtsauffassung des BSG abzuweichen.

Soweit zum Teil das Vorliegen eines Anordnungsgrunds unter Hinweis auf die in einer Entscheidung des LSG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 05.11.2015 - L 3 AS 479/15 B ER - in juris) geäußerte Auffassung, das Existenzminimum könne durch die Inanspruchnahme von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes des Heimatlandes gewährleistet werden, bezweifelt wird, hat das BSG (Urteil vom 20.01.2016 – B 14 AS 35/15 R – in juris Rdnr. 42) hierzu entschieden, dass diese Möglichkeit im Hinblick auf die Ausgestaltung des genannten Grundrechts als Menschenrecht schon verfassungsrechtlich jedenfalls solange unbeachtlich ist, wie der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland von den zuständigen Behörden faktisch geduldet wird. Der Verweis auf eine so verstandene Selbsthilfe finde auch sozialhilferechtlich keine Grundlage. § 2 Abs. 1 SGB XII beinhalte – von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen – keine eigenständige Ausschlussnorm. Einen Grund, hiervon im vorliegenden Eilverfahren abzuweichen, sieht der Senat mit Blick auf den Aufenthalt des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland (wohl) seit dem Jahr 2013 nicht.

Allerdings ist die Höhe der dem Antragsteller zu gewährenden (vorläufigen) Leistungen nach dem SGB XII mit Blick auf das Beschwerdevorbringen auf 402,01 EUR (für den Monat Februar) bzw. auf 548,20 EUR monatlich (Monate März bis Mai 2016) zu reduzieren. Hierbei legt der Senat zum einen den beanspruchten Regelbedarf von 323,20 EUR monatlich (80% aus 404,- EUR) bzw. für den Monat Februar von anteilig 237,01 EUR (323,20 EUR / 30 x 22 Tage) zugrunde. Bei den Kosten der Unterkunft (KdU) sind im Rahmen des vorliegenden summarischen Verfahrens die tatsächlichen Kosten (brutto-kalt) von 450 EUR/Monat (350,- EUR Miete + 100,- EUR Betriebskosten) zu berücksichtigen. Dies folgt einerseits daraus, dass die Angemessenheit der von der Stadt Heilbronn zugrunde gelegten Mietobergrenze für einen Einpersonenhaushalt von 339,- EUR Gegenstand des beim LSG Baden-Württemberg anhängigen Verfahrens L 7 SO 992/15 ist und daher nicht abschließend beurteilt werden kann und andererseits daraus, dass sich die vorliegenden Unterkunftskosten von 450,- EUR (brutto-kalt) im Rahmen der hilfsweise anzuwendenden Tabellenwerte des § 12 WoGG n.F. (rechte Spalte) von 434,- EUR (Mietstufe IV) unter Berücksichtigung eines "Sicherheitszuschlags" von 10% (vgl. zur Angemessenheitsobergrenze BSG, Urteile vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R -, vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - und vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - (alle juris)) halten. Allerdings erscheint bei vorläufiger Prüfung eine Reduzierung der KdU auf die Hälfte der geltend gemachten Kosten von 225,- EUR/Monat (bzw. für Februar auf anteilig 165,00 EUR) deswegen angebracht, weil nach den vom Beigeladenen vorgelegten, dem Antragsteller zugänglich gemachten Unterlagen (Niederschrift über Außendienstbesuch des Sozialamts vom 10.03.2016) manches dafür spricht, dass der Antragsteller die Wohnung im streitbefangenen Zeitraum nicht alleine, sondern mit seinem Sohn bewohnt (hat). Der Antragsteller hat sich hierzu nicht weiter geäußert. Eine weitergehende Sachverhaltsaufklärung ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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