L 8 R 231/15 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 27 R 1583/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 231/15 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.1.2015 geändert. Dem Kläger wird für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt I aus E beigeordnet. Kosten für das Beschwerdeverfahren haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Die am 3.3.2015 bei dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf schriftliche eingelegte Beschwerde des Klägers gegen den ihm am 3.2.2015 zugestellten Beschluss vom 22.1.2015 ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 Satz 1 SGG). Die Beschwerde ist nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a) SGG ausgeschlossen, da das SG nicht die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH verneint hat.

II. Die Beschwerde ist auch begründet. Dem Kläger ist Prozesskostenhilfe (PKH) für das erstinstanzliche Verfahren unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt I aus E zu gewähren.

Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

1. Nach diesen Maßstäben bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg. Eine solche besteht zum einen, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt, zum anderen, wenn eine entscheidungserhebliche Tatsache zwischen den Beteiligten strittig ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Beweisaufnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Lasten des Antragstellers ausgehen würde (statt vieler BVerfG, Beschluss v. 8.12.2009, 1 BvR 2733/06, NJW 2010, 1129 m.w.N.). Ausgehend davon ist von hinreichenden Erfolgsaussichten für die Klage gegen den Bescheid der Beklagten v. 5.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides v. 15.8.2013 auszugehen.

a) Das gilt selbst dann, wenn man sich mit dem SG auf den Standpunkt stellt, die Beklagte habe den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid v. 5.12.2012 als unzulässig verworfen.

aa) In tatsächlicher Hinsicht wäre in diesem Fall zunächst dem Vortrag des Klägerbevollmächtigten nachzugehen, er habe der Beklagten mit Schriftsatz v. 8.5.2013 eine vom Kläger unter dem 10.12.2012 unterzeichnete Vollmacht übersandt. Zwar befindet sich dieser Schriftsatz nicht in den Verwaltungsakten, und den Kläger trifft ggf. die objektive Beweislast des Zugangs der Vollmacht. Allerdings ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass der Schriftsatz v. 8.5.2013 in der Betreffzeile noch das Aktenzeichen des Prüfdienstes trägt, während sich die Akte ausweislich der Verwaltungsakte zu diesem Zeitpunkt bereits in der Widerspruchsstelle der Beklagten befand (vgl. Aufforderungsschreiben der Beklagten v. 16.4.2013 mit dem entsprechend geänderten Geschäftszeichen). Vor diesem Hintergrund wäre der Kläger aufzufordern darzulegen, unter welchen tatsächlichen Umständen sich die behauptete Versendung der Vollmachturkunde vollzog, während die Beklagte ggf. darzulegen hätte, inwiefern unter den gegebenen Umständen sichergestellt war, dass der Schriftsatz v. 8.5.2013 zum Vorgang der Widerspruchsstelle gelangte.

bb) Soweit sich ein Zugang der Vollmachturkunde bei der Beklagten nicht nachweisen lassen sollte, wirft der vorliegende Fall mehrere bislang ungeklärte Rechtsfragen auf, die im Verfahren auf Bewilligung von PKH nicht beantwortet können, nämlich (vgl. zum Folgenden ausführlich Sächsisches LSG, Beschluss v. 5.6.2015, L 3 AL 150/13 B PKH, m.w.N.): Ist die Befugnis der Behörde, die Vorlage einer Vollmacht im Widerspruchsverfahren zu verlangen, bei Vertretung durch Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälte gemäß § 62 SGB X i.V.m. § 73 Abs. 6 Satz 5 SGG eingeschränkt? Bedarf die Entscheidung, die Vorlage einer Vollmacht zu verlangen, einer Begründung jedenfalls dann, wenn die Zurückweisung des Widerspruchs mit dem Fehlen einer schriftlichen Vollmacht begründet werden soll? Bestehen gesonderte - im vorliegenden Fall möglicherweise nicht hinreichend beachtete - Hinweispflichten auf die drohende Konsequenz einer Zurückweisung des Widerspruchs wegen Nichtvorlage einer schriftlichen Vollmacht, wenn zuvor - wie vorliegend - auch ohne eine solche Vollmacht mit dem Klägerbevollmächtigten im Prüfverfahren in der Sache korrespondiert worden ist? Gegebenenfalls: Heilt die Vorlage der Vollmacht im Klageverfahren die unterlassene Vorlage im Widerspruchsverfahren?

b) Erst recht besteht noch Anlass zu weiteren Ermittlungen (in der Sache), wenn man entgegen dem SG annimmt, dass die Beklagte den Widerspruch des Klägers auch inhaltlich beschieden hat.

aa) Für eine dahingehende Auslegung sprechen - ausgehend vom objektiven Empfängerhorizont des Klägers (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch) - folgende Gesichtspunkte: Die Beklagte hat sich bereits im ersten Absatz der Widerspruchsbegründung auf "die Begründung und die Erläuterungen in dem Bescheid vom 15.12.2013" bezogen. Einer solchen Bezugnahme hätte es nicht bedurft, wenn sie den Widerspruch bereits als unzulässig ansah. Im zweiten Absatz heißt es, eine Widerspruchsbegründung sei nicht vorgelegt worden; die Begründung des Widerspruchs ist keine Voraussetzung seiner Zulässigkeit, sodass es zumindest nicht fernliegt anzunehmen, dass die Beklagte den Widerspruch mangels vorgetragener Argumente gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides (auch) als unbegründet zurückgewiesen hat. Schließlich wird abschließend mit dem Hinweis auf die stattgefundene Schlussbesprechung, die als Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X gelte, auf einen Aspekt der formellen Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheides hingewiesen, der im Falle der Unzulässigkeit des Widerspruchs ebenfalls keiner Erwähnung bedurft hätte.

bb) Folgt das SG im weiteren Hauptsacheverfahren dieser - aus Sicht des Senates vorzugswürdigen - Auslegung des Widerspruchsbescheides, so sind voraussichtlich weitere Ermittlungen zur Sache geboten, die sich insbesondere aus einer (bislang noch nicht erfolgten) Beiziehung und kritischen Durchsicht der Ermittlungsakten ergeben können. Die in der Verwaltungsakte enthaltenen Berichte des Hauptzollamtes beziehen sich auf eine Vielzahl von Dokumenten, die ihrerseits nicht Bestandteil der Verwaltungsakte sind, sodass eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Prüfbescheides ohne weitere Ermittlungen nicht möglich ist.

2. Die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind erfüllt.

3. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung ist auch nicht mutwillig (vgl. § 114 Abs. 2 ZPO).

II. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Hinblick auf die aufgeworfenen Sach- und Rechtsfragen erforderlich (§ 121 Abs. 2 ZPO).

III. Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten (§ 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

IV. Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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