L 7 AS 386/16 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 20 AS 2002/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 386/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 27.01.2016 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung vom 17.12.2015 bis 31.05.2016 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt K aus N beigeordnet. Der Antragsgegner hat die Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren über die Verpflichtung des Antragsgegners bzw. der Beigeladenen zur Zahlung von Leistungen für den Lebensunterhalt einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung.

Die 1984 geborene Antragstellerin und ihr am 00.00.2009 geborener Sohn, der Antragsteller, sind estnische Staatsangehörige. Sie leben seit Oktober 2013 in der Bundesrepublik Deutschland. Sie wohnen in der C-straße 00 in N. Die Grundmiete beträgt 330,- EUR, für Betriebskosten sind 100 EUR und für Heizkosten 100 EUR zu zahlen. Der Antragsteller besucht derzeit noch nicht die Schule.

Die Antragstellerin arbeitete vom 09.10.2013 bis zum 13.11.2013 bei der Firma C Service, vom 19.02.2014 bis 30.06.2014 bzw. Juli 2014 bei der Firma D GmbH und zuletzt vom 21.07.2014 bis zum 31.01.2015 bei der Firma L GmbH. Die Antragstellerin kündigte diese Tätigkeit als Lagerhelferin in Vollzeit zum 31.01.2015, nachdem die Betreuung des Antragstellers infolge des Umzugs der Mutter der Antragstellerin nicht mehr sichergestellt war. Die Antragstellerin bezog bis Ende Mai 2015 Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 10.08.2015 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern Grundsicherung vom 01.06.2015 bis zum 31.07.2015. Die Bewilligung erfolgte nur bis zum 31.07.2015, da für die Antragstellerin nach unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung das Recht auf Freizügigkeit nur für sechs Monate unberührt bleibe und dieser Zeitraum am 31.07.2015 verstrichen sei. Auf den Inhalt des Bescheides wird Bezug genommen. Mit Bescheid 17.09.2015 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Grundsicherung ab September 2015 mit der Begründung ab, die Antragstellerin sei nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Die Antragstellerin legte rechtzeitig Widerspruch ein.

Am 17.12.2015 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Detmold beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Grundsicherung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Antragstellerin gab an, den Lebensunterhalt mit dem Unterhaltsvorschuss und dem Kindergeld zu bestreiten.

Mit Beschluss vom 27.01.2016 hat das Sozialgericht die Beigeladene verpflichtet, den Antragstellern vom 17.12.2015 bis zum 31.05.2016 vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe zu gewähren und den Antrag im Übrigen abgelehnt. Die Antragstellerin unterliege dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, da sie sich derzeit nur zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhalte. Aufgrund der Rechtsprechung des BSG sei aber der Beigeladene zur Leistungszahlung verpflichtet.

Gegen diesen Beschluss hat die Beigeladene am 25.02.2016 Beschwerde eingelegt. Sie ist der Ansicht, die Rechtsprechung des BSG, in Fällen wie dem vorliegenden den Sozialhilfeträger zu verpflichten, Leistungen nach dem SGB XII zu erbringen, sei falsch. Die Beigeladene hat den Beschluss des Sozialgerichts vom 27.01.2016 ausgeführt und mit Bescheid vom 08.04.2016 für die Zeit vom 17.12.2015 bis 30.04.2016 insgesamt 2.057,51 EUR an die Antragsteller und 2.084,03 EUR an den Vermieter überwiesen und ergänzend mitgeteilt, einen weiteren Bewilligungsbescheid für Mai 2016 zu erlassen.

Die Antragsteller sind der Ansicht, die Entscheidung des Sozialgerichts basiere auf der Rechtsprechung des BSG.

Der Antragsgegner hält die Ablehnung eines Leistungsanspruchs nach dem SGB II für zutreffend.

II.

Die Beschwerde der Beigeladenen ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Beigeladene und nicht den Antragsgegner zur Zahlung von Leistungen verpflichtet. Die Antragsteller haben im tenorierten Umfang einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund iSd § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG glaubhaft gemacht.

Der Senat lässt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren offen, ob die Antragstellerin insgesamt ein volles Jahr beschäftigt gewesen ist, d.h. die Arbeitnehmereigenschaft nach § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU eingreift, oder ob der Antragsgegner zutreffend insgesamt eine Beschäftigungszeit von 11 Monaten und 28 Tagen ermittelte. Im Hauptsacheverfahren wird insoweit zu prüfen sein, ob die Antragstellerin bei der Firma D GmbH vom 19.02.2014 bis 30.06. oder bis 31.07.2014, wie es der Arbeitsvertrag vom 16.02.2014 ausweist, beschäftigt gewesen ist. Denn abweichend von den Lohnabrechnungen für die Monate Februar 2014 bis Juni 2014 wird zu klären sein, welche Bedeutung die Abrechnung für Juli 2014 hat, die "wegen Nichterfüllung der vertraglichen Arbeitszeit eine Kürzung des ab Juni vereinbarten Festlohnes von 240,- EUR auf 0,- EUR" feststellt.

Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (vergl. Beschlüsse vom 16.12.2015 - L 7 AS 1466/15 B ER, vom 17.12.2015 - L 7 AS 1711/15 B ER, vom 04.03.2016 - L 7 AS 2143/15 B ER, vom 22.03.2016 - L 7 AS 354/16 B ER und vom 05.04.2016 - L 7 AS 453/16) ist der Antragsgegner als Träger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (§§ 6, 44 b Abs. 1 SGB II) nach § 43 SGB I zur Erbringung vorläufiger Leistungen verpflichtet.

Besteht ein Anspruch auf Sozialleistungen und ist zwischen mehreren Leistungsträgern streitig, wer zur Leistung verpflichtet ist, kann gem. § 43 SGB I der unter ihnen zuerst angegangene Leistungsträger vorläufig Leistungen erbringen, deren Umfang er nach pflichtgemäßen Ermessen bestimmt. Er hat gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB I Leistungen zu erbringen, wenn der Berechtigte es beantragt; die vorläufigen Leistungen beginnen spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des Antrags.

Die Antragsteller haben dem Grunde nach einen Anspruch auf existenzsichernde Sozialleistungen (zur Notwendigkeit der Zweckidentität von vorgeleisteter und ggfs. endgültig zustehender Leistung Grube, in: JurisPK, § 102 SGB X Rn. 37). Sie sind mangels ausreichenden eigenen Einkommens und Vermögens hilfebedürftig und haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Die Antragstellerin erfüllt sowohl die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 SGB II als auch die des §§ 19 Abs. 1, 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII und bewegt sich innerhalb der Altersgrenzen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II; für Leistungen nach dem SGB XII sind Altersgrenzen nicht vorgegeben (lediglich die Leistungsart ist gem. § 19 Abs. 2 SGB XII altersabhängig). Der Antragsteller kann bei einem Leistungsanspruch nach dem SGB II Sozialgeld beanspruchen (§ 19 Abs. 1 S. 2 SGB I). Der Umstand, dass nach Meinung des Antragsgegners und der Beigeladenen die Antragstellerin sowohl nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II als auch nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII als Person, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus der Arbeitsuche ergibt, von existenzsichernden Leistungen ausgeschlossen ist, steht der höchstrichterlichen Rechtsprechung zufolge einem Anspruch nicht entgegen. Das BSG hat mit Urteilen vom 03.12.2015 (B 4 AS 59/13 R, B 4 AS 44/15 R und B 4 AS 43/15 B ER), vom 16.12.2015 (B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R), vom 20.01.2016 (B 14 AS 15/15 R und B 14 AS 35/15 R), vom 17.02.2016 (B 4 AS 24/14 R) sowie vom 17.03.2016 (B 4 AS 32/15 R) entschieden, dass sowohl für Arbeitsuchende, als auch für Personen, die in Ermangelung von Erfolgsaussichten bei der Arbeitsuche nicht über eine Freizügigkeitsberechtigung verfügen, zumindest Sozialhilfeleistungen im Ermessenswege zu erbringen sind, wenn - wie bei der Antragstellerin - ein verfestigter Aufenthalt (über sechs Monate) vorliegt. Das in der Norm vorgesehene Ermessen ist aufgrund der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Existenzminium in der Weise reduziert, dass regelmäßig zumindest Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten ist.

Der Senat folgt der abweichenden Rechtsprechung einiger Instanzgerichte in Eilverfahren (vergl. ua LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.01.2016 - L 29 AS 20/16 B ER; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11.02.2016 - L 3 AS 668/15 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.02.2016 - L 9 AS 1335/15 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.03.2016 - L 12 SO 79/16 B ER) nicht. Auch für den Fall, dass ein Gericht der zitierten Rechtsprechung des BSG nicht zu folgen bereit ist, sind im einstweiligen Rechtsschutzverfahren dennoch Leistungen jedenfalls im Wege der Folgenabwägung zuzusprechen Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 GG, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es - wie hier - im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens geht (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschlüsse des Senats vom 09.11.2015 - L 7 AS 1234/15 B ER, vom 04.05.2015 - L 7 AS 139/15 B ER, vom 22.01.2015 - L 7 AS 2162/14 und vom 10.09.2014 - L 7 AS 1385/14 B ER). Ist eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden, in die insbesondere die grundrechtlich relevanten Belange des Antragstellers einzustellen sind (BVerfG, Beschlüsse vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 und 06.02.2013 - 1 BvR 2366/12; Beschluss des Senats vom 11.07.2014 - L 7 AS 1035/14 B ER). Die Abwägung führt hier zu einem Leistungsanspruch, da ein Obsiegen der Antragsteller im Hauptsacheverfahren jedenfalls gegenüber der Beigeladenen angesichts der zitierten feststehenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts mindestens wahrscheinlich ist.

Es liegt zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen ein negativer Kompetenzkonflikt iSd § 43 SGB I vor. Dies folgt aus § 21 Satz 1 SGB XII. Nach dieser Regelung erhalten Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII. Umstritten ist, ob das Tatbestandsmerkmal "dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II" nur allgemein die Leistungssysteme des SGB II einerseits und des SGB XII andererseits nach dem Kriterium der Erwerbsfähigkeit abgrenzt mit der Folge, dass erwerbsfähige Personen keinen Anspruch nach dem SGB XII geltend machen können, auch nicht bei Eingreifen eines Leistungsausschlusses (so z.B. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.05.2014 - L 8 SO 129/14 B ER mwN auch zur Gegenauffassung), oder ob die Vorschrift den Zugang zum SGB XII eröffnet, wenn Hilfebedürftige aufgrund eines negativen Tatbestandsmerkmals keinen Zugang zu SGB II-Leistungen haben (so u.a. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.11.2012 - L 19 AS 1917/12 B ER). Seit dem Urteil des BSG vom 03.12.2015 (B 4 AS 44/15 R) ist höchstrichterlich entschieden, dass jedenfalls auch erwerbsfähige Personen mit einem verfestigten Aufenthalt Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII haben können. Damit ist die Frage, ob Antragsteller dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II unterfallen, - ähnlich wie die Frage der Erwerbsfähigkeit iSd § 8 Abs. 1 SGB II (vergl. § 44 a Abs. 1 Satz 7 SGB II) - (lediglich) maßgeblich für die Bestimmung des zuständigen Leistungsträgers. Unterliegt die Antragstellerin dem Leistungsausschluss nicht, weil sie - was im Hauptsacheverfahren detailliert zu prüfen sein wird - sich auf ein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU berufen kann, ist der Antragsgegner für die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zuständig. Unterliegen die Antragsteller hingegen dem Leistungsausschluss, ist die Beigeladene als Träger der Sozialhilfe bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen für die Erbringung von Hilfe zum Lebensunterhalt zuständig.

Der Umstand, dass die Beigeladene vor der Beiladung mit dem Leistungsfall noch nicht befasst war, steht der Anwendung von § 43 SGB I nicht entgegen. Ausreichend ist, dass ein Leistungsträger - hier der Antragsgegner - den Anspruch aus einem Grund ablehnt, der zur Zuständigkeit eines anderen Sozialleistungsträgers führt, wenn - wie hier - alle übrigen Voraussetzungen für den Leistungsanspruch bestehen (Lilge, SGB I, § 43 Rn. 26). Es ist nicht erforderlich, dass der zuerst angegangene Träger ausdrücklich auf die Einstandspflicht eines anderen Trägers verweist (Lilge, SGB I, § 43 SGB I Rn. 25).

Der Antragsgegner ist zuerst angegangener Leistungsträger iSd § 43 SGB I. Die Antragsteller haben bislang nur bei dem Antragsgegner existenzsichernde Leistungen geltend gemacht. Die Antragstellerin hat erst am 22.01.2016 nach Hinweis der Beigeladenen vom 18.01.2016 dort einen Antrag gestellt. Unbeachtlich ist, dass der Antragsgegner seine Leistungspflicht aufgrund der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II bereits mit Bescheid abgelehnt hat. Eine - der Sache nach wegen fehlender Zuständigkeit - bereits ergangene Ablehnungsentscheidung steht einer Vorleistungspflicht nach § 43 SGB I jedenfalls solange die Ablehnungsentscheidung (wie hier) noch nicht bestandskräftig geworden ist, nicht entgegen. Vorläufigen Entscheidungen nach dem Sozialgesetzbuch kommt nach Zweck und Bindungswirkung allein die Funktion zu, eine (Zwischen-)Regelung bis zur endgültigen Klärung der Sach- und Rechtslage zu treffen. Vorläufig bewilligte Leistungen sind daher als aliud gegenüber endgültigen Leistungen anzusehen, deren Bewilligung keine Bindungswirkung für die endgültige Leistung entfaltet (BSG, Urteil vom 29.04.2015 - B 14 AS 31/14 R mwN) und die daher unabhängig von der Ablehnung endgültig zustehender Leistungen erbracht werden können.

In dem Leistungsantrag ist im Zweifel auch ein Antrag iSd § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB I zu sehen, vorläufige Leistungen zu erbringen. Ein Antrag ist jede gegenüber dem erstangegangenen Leistungsträger abgegebene Willenserklärung, aus der - erforderlichenfalls durch Auslegung - zu entnehmen ist, dass der Berechtigte zumindest vorläufige Leistungen wünscht (Lilge, SGB I, § 43 Rn. 40). Dies ist bei einem Antrag auf existenzsichernde Leistungen im Regelfall zu bejahen.

Der Anwendung von § 43 SGB I steht nicht entgegen, dass die Bewilligung von Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII grundsätzlich im Ermessen des Sozialhilfeträgers steht. Zwar trifft zu, dass § 43 SGB I nach wohl herrschender Meinung nicht angewendet werden kann, wenn die Leistung des einen Trägers eine gebundene Leistung ist, während die Leistung des anderen Trägers in dessen Ermessen steht (Wagner, in: JurisPK, § 43 SGB I Rn 23 mit Hinweisen auf die Gegenauffassung). Vorliegend ist jedoch maßgeblich, dass nach der zitierten Rechtsprechung des BSG eine Ermessensreduktion auf Null anzunehmen ist. Insoweit ist der Anwendungsbereich von § 43 SGB I damit eröffnet.

Die Rechte des Antragsgegners sind gewahrt, weil er für den Fall, dass die Antragsteller von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen sind, einen Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X gegen die Beigeladene geltend machen kann. Der aus der Anwendung von § 43 SGB I folgende Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X erfordert die grundsätzliche Rechtmäßigkeit der vorläufig erbrachten Leistungen (allg. Meinung, vergl. nur LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.04.2013 - L 20 SO 453/11 mwN). Sie ist gegeben, weil es sich bei der Frage, ob der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II eingreift, in Folge der zitierten Rechtsprechung des BSG nicht um den Streit um eine materielle Anspruchsvoraussetzung, sondern um die Eröffnung eines Kompetenzkonfliktes handelt. Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den Antragsgegner geltenden Rechtsvorschriften (§ 102 Abs. 2 SGB X). Die Beigeladene kann diese evtl. erweiterte Erstattungspflicht vermeiden, indem sie den Leistungsfall übernimmt und den negativen Kompetenzkonflikt damit beendet.

Der Ausspruch lediglich dem Grunde nach folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 130 SGG. Bei der Berechnung der Ansprüche sind als Einkommen der Unterhaltsvorschuss und das Kindergeld sowie der Anspruch der Antragstellerin auf den Mehrbedarf für Alleinerziehende zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved