L 6 U 249/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 17 U 1366/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 249/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 30. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die (gerichtliche) Feststellung der Berufskrankheit (BK) Nr. 1302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung ("Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe").

Der Kläger ist im Jahre 1959 in Polen geboren und dort aufgewachsen. Als Kind litt er unter einer Oberlippen-Gaumen-Spalte. Er ist hörgeschädigt, als Kind bestanden häufige Mittelohrentzündungen. Oftmals musste er stationär behandelt werden. In der Schule wurde er mehrfach nicht versetzt. Nach seinen Angaben erreichte er mit Mühe die Fahrerlaubnis für Lkw und war als Kraftfahrer, Kfz-Mechaniker und Lagerist berufstätig. Mit etwa 20 Jahren begann der Konsum von Nikotin und Alkohol. Der Alkoholkonsum, der im Wesentlichen Wodka betraf, steigerte sich langsam, zunächst trank der Kläger nur an Wochenenden, später auch während der Woche. Nach seinen Angaben sind von seinen fünf Geschwistern vier ebenfalls alkoholabhängig.

Im Jahre 1988 übersiedelte der Kläger mit seiner Familie in die Bundesrepublik. Hier war er zunächst in kurzfristigen Beschäftigungen als Metallarbeiter tätig. Vom 16. Januar 1991 bis zum 16. April 2012 war er dann bei einem Unternehmen der Drehindustrie (Zulieferer der Uhrenindustrie) als Metallarbeiter beschäftigt und in dieser Eigenschaft bei der Beklagten bzw. einer ihrer Rechtsvorgängerinnen gesetzlich unfallversichert.

Der Alkoholkonsum blieb zunächst unverändert. Der Kläger erlitt mehrere Krampfanfälle und häufig Delirien. Nach einem massiven Anfall im Juli 2009 absolvierte er eine stationäre Rehabilitation in einer Fachklinik für Suchtkranke vom 5. Januar bis 27. April 2010 und anschließend eine ambulante Behandlung bei einer Fachstelle für Sucht vom 30. April bis 27. September 2010. Seit seiner Aufnahme in die Fachklinik am 5. Januar 2010 trinkt er keinen Alkohol mehr. Während der Behandlung erlitt der Kläger im Juni 2010 einen weiteren Krampfanfall, danach zunächst keine weiteren Anfälle mehr. In dieser Zeit trat ein Arbeitsplatzkonflikt auf, nachdem seine Vorgesetzte - nach den Angaben des Klägers - seine Alkoholabhängigkeit im Betrieb öffentlich gemacht hatte (zu allem die Berichte der Fachklinik Haus Renchtal vom 28. April 2010 und der bwlv-Fachstelle Sucht Lörrach vom 11. November 2010).

Am 16. April 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung einer BK. Er trug vor, er sei in seiner seit 1991 ausgeübten Berufstätigkeit 15 Jahre lang den Einwirkungen von Tetrachlorethylen (PER) ausgesetzt gewesen.

Die Beklagte zog das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse des Klägers und die Befundberichte der behandelnden Ärzte bei. In dem Entlassungsberichte der Ziegelfeld-Klinik St. Blasien vom 18. November 1999 waren ein chron. rez. Dorsolumbal-Syndrom bei Fehlstatik und paravertebralem Muskelhartspann, ein psychophysischer Erschöpfungszustand, kombinierte Hyperlipidämie, Hyperurikämie und arterielle Hypertonie angegeben. Nach dem Bericht des Kreiskrankenhauses Lörrach vom 17. Juli 2009 war der Kläger dort vom 10. bis 18. Juli 2009 behandelt worden. Als Diagnosen waren angegeben: Generalisierter Krampfanfall, ED, zweimal [zu Hause und auf dem Transport ins Krankenhaus], schädlicher Gebrauch von Alkohol ohne Abhängigkeitssyndrom, psychische Belastung mit Schlaflosigkeit, Sinusitis maxillaris, Elektrolytenentgleisung, hypertensive Entgleisung. Die Fachklinik Haus Renchtal hatte in dem genannten Bericht vom 28. April 2010 neben der Alkoholabhängigkeit eine Fettleber, eine chron. Omalgie links bei adhäsiver Kapsulitis und eine mäßige Omarthrose sowie eine rez. depressive Störung zurzeit remittiert angegeben. Der Bericht der bwlv-Fachstelle Sucht vom 11. November 2010 nannte neben der Alkoholabhängigkeit eine rez. depressive Störung, rez. Rückenschmerzen, Taubheit links und Schwerhörigkeit rechts. Letztlich teilte die MediClin Schlüsselbad Klinik unter dem 4. April 2013 mit, es beständen ein generalisiertes WS-Schmerzsyndrom, Schulterteilsteife links bei Z.n. Operation 11/12, Epilepsie [ED 2009, letzter Anfall 04/12], Z.n. Alkoholabusus [trocken seit 2010] und Schlaf-Apnoe [ED 2010]. Ferner gelangte zur Akte der Beklagten das für die Deutsche Rentenversicherung Bund erstattete Gutachten von Dr. B. vom 27. Januar 2012, wonach eine Angst und Depression gemischt, eine Alkoholkrankheit zurzeit trocken, ein Anfallsleiden unklarer Genese seit Juli 2009, ein WS-Syndrom ohne neurologische Ausfälle, eine Schlaf-Apnoe, Hypertonie und Adipositas diagnostiziert und ein quantitativ uneingeschränktes Leistungsvermögen als Arbeiter und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt festgestellt worden sind.

Der technische Aufsichtsdienst der Beklagten teilte unter dem 29. Juli 2014 nach Ermittlungen im Betrieb des Arbeitgebers des Klägers mit, dieser habe im Wesentlichen in der Metallreinigung gearbeitet. Er sei dort von November 1991 bis April 2005 an einer Anlage eingesetzt gewesen, in der PER verwandt worden sei, sodass eine Exposition vorgelegen habe. Die ursprüngliche Anlage habe "im Wesentlichen" den Vorgaben des Immissionsschutzrechts entsprochen. 1995 sei eine andere Maschine mit einer Messeinrichtung für PER-Dämpfe eingeführt worden, die den gesetzlichen Vorgaben voll entsprochen habe. Nach der Bauart der Anlagen und den Messungen von Berufsgenossenschaften in der Metallentfettung sei der zur Zeit der Exposition gültige Grenzwert für PER von 345 mg/m³ sicher eingehalten gewesen. Zudem habe der Kläger nicht ständig in der Teilereinigung gearbeitet. Im Jahre 2005 sei eine völlig neue Reinigungsanlage eingeführt worden, die mit Benzinkohlenwasserstoffen betrieben werde, sodass er seitdem nicht mehr gegenüber PER exponiert gewesen sei.

Mit Schreiben vom 12. September 2014 schlug der Staatliche Gewerbearzt die BK Nr. 1302 nicht zur Anerkennung vor. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Klägers und einer Erkrankung im Sinne dieser BK sei nicht wahrscheinlich zu machen.

Mit Bescheid vom 24. Oktober 2014 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK Nr. 1302 ab und stellte fest, "Ansprüche auf Leistungen" beständen nicht. Sie führte aus, zum einen seien die Grenzwerte nicht überschritten worden, zum anderen sei keine "typische" Erkrankung nachgewiesen, die in Folge einer Exposition gegenüber Halogenkohlenwasserstoffen auftreten könne.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger insbesondere eine Erkrankung im Zentralnervensystem sowie Leber- und Nierenschäden geltend. Ein Arzt namens Dr. K., der ihn früher behandelt habe, der aber inzwischen verstorben sei, habe ihn darauf hingewiesen, dass seine Erkrankung Folge von PER sein könne. Die Beklagte hörte ergänzend Dr. W., den behandelnden Neurologen des Klägers, an. Dieser teilte am 20. Januar 2015 mit, er habe den Kläger zuletzt am 21. Juli 2009 gesehen, klinische neurologische Auffälligkeiten hätten sich nicht gezeigt. Es hätten Schlafstörungen und ein Z.n. Krampfanfall bestanden. Einen Zusammenhang zu einer beruflichen Exposition könne er nicht beurteilen. Die Beklagte erteilte dar¬aufhin den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 6. März 2015.

Am 20. März 2015 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Der Widerspruchsbescheid enthalte inhaltlich kein verwertbares Gedankengut.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Der Neurologe und Psychiater Dr. Sch.-B. hat am 11. Juni 2015 bekundet, der Kläger sei bei ihm mit wechselnden Beschwerden seit August 2009 in laufender Behandlung. Er könne zu einer Nieren- oder Lebererkrankung nicht Stellung nehmen. Er gehe davon aus, dass PER neurologisch zu peripheren wie auch zentralen Schädigungen führe. Eine wesentliche mittelgradig bis schwere Polyneuropathie sei bei dem Kläger nicht festzustellen. Überdies wäre differentialdiagnostisch die bis 2010 bestehende Alkoholkrankheit zu berücksichtigen. Die seltenen Grand-mal-Anfälle seien mit weitaus größerer Wahrscheinlichkeit auf die Alkoholkrankheit zurückzuführen. Hierfür spreche, dass es nach Abstinenz und unter antikonvulsiver Therapie seit Oktober 2011 nicht zu weiteren Anfällen gekommen sei. Der Internist Dr. M. hat mit Schreiben vom 18. Juni 2015 mitgeteilt, es liege kein Nieren- oder Leberschaden vor, der in ursächlichem Zusammenhang mit einer Exposition gegenüber PER stehen könne.

Nach einer Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30. Dezember 2015 abgewiesen. Es bestehe kein Anspruch auf Anerkennung der BK Nr. 1302. Zwar sei der Kläger während seiner Tätigkeit als Metallarbeiter an einer Reinigungsanlage von 1991 bis 2005 gegenüber PER exponiert gewesen. Dieser Stoff könne Schädigungen des Nervensystems, zentral oder peripher, bzw. Nieren- oder Leberschäden auslösen. Bei dem Kläger könne eine solche Schädigung jedoch nicht nachgewiesen werden. Lediglich das Anfallsleiden könnte in einen Zusammenhang mit der PER-Exposition gebracht werden. Es lasse sich jedoch nicht feststellen, dass dieses mit Wahrscheinlichkeit auf der Exposition beruhe. Die Erkrankung sei vielmehr mit größerer Wahrscheinlichkeit auf den langjährigen schweren Alkoholmissbrauch zurückzuführen. Dies habe Dr. Sch.-B. ausdrücklich herausgestellt. Die ersten Anfälle seien 2009 aufgetreten, also mehrere Jahre nach dem Ende der Exposition. Ferner habe der Kläger unter Abstinenz und Behandlung keine weiteren Anfälle erlitten.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19. Januar 2016 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Er trägt vor, es müsse ein gerichtlicher Gutachter beauftragt werden, weil die bislang gehörten Ärzte nicht unabhängig gewesen seien und auch keine besonderen Kenntnisse auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin aufwiesen. Hierzu hat er dem Senat eine Liste mit seiner Ansicht nach geeigneten Sachverständigen vorgelegt. Erneut verweist er auf einen inzwischen verstorbenen Arzt, der seine Erkrankung auf die frühere Berufstätigkeit mit toxischen Stoffen zurückgeführt habe. Leider seien darüber keinerlei Unterlagen mehr vorhanden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 30. Dezember 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. März 2015 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt, und die Beklagte zu verurteilen, Leistungen zur Entschädigung dieser Berufskrankheit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass sie lediglich über die BK Nr. 1302 entschieden habe. Sie trägt ergänzend vor, die von ihr angehörte Ärztin sei eine Arbeitsmedizinerin und somit fachlich absolut kompetent gewesen, die Erkrankungen des Klägers zu würdigen. Zur Einholung eines Gutachtens im Verwaltungsverfahren habe kein Anlass bestanden, nachdem der Kläger nicht an typischerweise durch Halogenkohlenwasserstoffe verursachten Erkrankungen leide. Die Grand-mal-Anfälle, bei denen einzig ein Zusammenhang mit der Exposition gegenüber PER überhaupt in Betracht komme, seien erstmals 2009 und damit lang nach Beendigung der Einwirkung aufgetreten.

Zu der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist der Kläger nicht erschienen, was er zuvor mit Schriftsatz vom 23. März 2016 mitgeteilt hat.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung des Klägers entscheiden, obwohl er nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen war (vgl. § 110 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 126 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Der Kläger war hierauf in der Ladung und erneut mit gerichtlichem Schreiben vom 5. April 2016 hingewiesen worden.

Die Berufung ist statthaft (§ 105 Abs. 2 Satz 1, § 143 SGG), insbesondere nicht zulassungsbedürftig nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, da der Kläger zum einen keine Leistung, sondern eine Feststellung begehrt, und sich zum anderen sein Leistungsbegehren auf mehr als ein Jahr erstrecken dürfte (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben.

Sie ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG die beiden Anträge des Klägers abgewiesen.

Soweit der Kläger die gerichtliche Feststellung begehrt, dass die bei ihm eine BK Nr. 1302 vorliegt ist diese Klage nach § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 1 SGG zulässig.

Unzulässig ist jedoch die weitere Klage auf eine Verurteilung zu nicht näher bezeichneten Leistungen. Ein solcher Antrag ist gerichtet auf ein unzulässiges Grundurteil (vgl. § 130 Abs. 1 SGG) ohne vollstreckungsfähigen Inhalt, dem neben dem Feststellungsausspruch keine eigenständige Bedeutung zukäme (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 30. Januar 2007 – B 2 U 6/06 R –, Rz. 11, juris). Zulässig wären allenfalls eine Klage auf Gewährung einer ansatzweise konkretisierten Leistung oder eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf Bescheidung eines Antrags auf Gewährung einer Leistung aus einem bestimmten Bereich, wie z.B. eine Heilbehandlung (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2011 - B 2 U 21/10 R -, Rz. 16, juris). Aber selbst eine solche, geringe Konkretisierung lässt sich den Ausführungen des Klägers nicht entnehmen. Es bleibt unklar, welche Art von Leistung er begehrt (vgl. zu allem LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. März 2016 – L 6 U 4796/13 –, Rz. 30, juris).

Soweit die Klage zulässig ist, hat sie in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der - allein streitgegenständlichen - BK Nr. 1302.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB VII). Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Mai 2015 – L 6 U 4974/13 –, Rz. 46, juris). In der Anlage 1 zur BKV sind Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe als BK Nr. 1302 enthalten.

Für die Feststellung einer Listen-BK (Versicherungsfall) ist es erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung" und die durch sie bedingten schädigenden "Einwirkungen" einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen) sowie die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit. Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung auf Grund der BK (vgl. zu allem BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – B 2 U 11/14 R –, BSGE (vorgesehen), SozR 4, Juris Rz. 10).

Der ursächliche Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie zwischen Einwirkung und Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) beurteilt sich nach der unfallrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Danach sind nur die Bedingungen (mit-)ursächlich die wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität müssen nicht nur möglich, sondern hinreichend wahrscheinlich sein. Das ist dann der Fall, wenn unter Zugrundelegung der herrschenden arbeitsmedizinischen Lehrauffassung mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (BSG, Urteil vom 23. April 2015 – B 2 U 10/14 R –, BSGE (vorgesehen), SozR 4-1500 § 163 Nr. 8, Juris Rz. 16).

Der Kläger war während seiner Berufstätigkeit, von 1991 bis 2005, der Einwirkung durch Halogenkohlenwasserstoffe ausgesetzt, und zwar durch PER. Hierbei handelt es sich um einen ungesättigten aliphatischen Halogenkohlenwasserstoff (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 1238). Das klinische Bild einer chronischen Intoxikation mit diesem Stoff - eine akute Intoxikation, z.B. auf Grund eines Unfalls, macht der Kläger nicht geltend - ist vielfältig. Bekannt sind Wirkungen auf das zentrale Nervensystem, auf Herz und Kreislauf und auf Nieren und Leber (a.a.O.).

Bei dem Kläger liegen nach den Aussagen der behandelnden Ärzte im erstinstanzlichen Verfahren und nach den im Verwaltungsverfahren beigezogenen medizinischen Unterlagen keine internistischen Erkrankungen vor, die auf eine Einwirkung von PER zurückgeführt werden könnten.

Auch die neurologischen Symptome des Klägers, vor allem die Grand-mal-Anfälle zwischen 2009 und 2014, die zwischenzeitlich als epileptische Anfälle eingestuft worden sind, können nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Einwirkung durch PER zurückgeführt werden.

Bei einer Einwirkung durch Halogenkohlenwasserstoffe auf das Zentralnervensystem stehen akute und subakute Vergiftungen im Vordergrund. Nur in Einzelfällen werden "chronische Vergiftungserscheinungen in Form peripherer Neuritiden (toxische Neuropathie) oder einer retrobulbären Neuritis" beschrieben (vgl. Merkblatt zur BK 1302, Bekanntmachung des Bundesministers für Arbeit vom 29. März 1985, BArbBl. 6/1985, S. 6). Sofern sich die chronischen Schädigungen im peripheren Nervensystem zeigen, ist die Verursachung durch eine Einwirkung mit Halogenkohlenwasserstoffen umstritten (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 1237). Im Bereich des zentralen Nervensystems tritt im Wesentlichen die Enzephalopathie auf, zum Teil werden auch Polyneuropathien einer Verursachung durch Halogenkohlenwasserstoffen zugeschrieben (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 1236 f.). Auch das Merkblatt zur BK Nr. 1302 (a.a.O.) nennt - in Bezug auf insektizid wirkende chlorierte Kohlenwasserstoffe unter anderem - allerdings akute - enzephalotoxische Reaktionen in Form von Tremor, tonisch-klonischen Krämpfen und komatösen Zwischenperioden sowie - nach überlebten schweren Intoxikationen - auch Polyneuropathien.

Für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs besonders maßgeblich ist die Dauer und Intensität der Exposition. Chronische Schädigungen des Nervensystems treten, wie ausgeführt, meistens als Folge einer akuten Intoxikation auf, also nach der Aufnahme höherer Dosen. Insoweit ist gerade für PER eine Expositionszeit von fünf Jahren oder mehr beschrieben (Schönberger/Mehrtens/Va¬len¬tin, a.a.O., S. 1237). Nur bei Leber- und Nierenschäden geht das Merkblatt (S. 6) davon aus, dass sie auch nach langfristiger Exposition gegenüber geringen Konzentrationen von Halogenkohlenwasserstoffen auftreten können. Ferner ist bei chronischen Nervenschädigungen zu erwarten, dass sie während oder alsbald nach der Exposition mit Halogenkohlenwasserstoffen auftreten.

Ebenso ist relevant, ob andere Ursachen für die geltend gemachte Erkrankung bzw. Gesundheitsschädigung in Betracht kommen. Sie können den Ursachenzusammenhang zu der beruflichen Einwirkung durch Halogenkohlenwasserstoffe ausschließen. Dies gilt im Falle eines Anfallsleidens, wie es der Kläger im Wesentlichen geltend macht, vor allem für Alkohol. Epileptische "Gelegenheitsanfälle", die von der chronischen Epilepsie abzugrenzen sind, können durch Fieber, übermäßigen Konsum von Kaffee, Nikotin oder Alkohol, einen beginnenden Alkoholentzug, Schlafentzug, Pharmaka, exzessiven körperlichen Anstrengungen und Hitzestauungen ausgelöst werden (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 188). Hierbei kommt bei einer Exposition wie hier dem Alkohol eine besondere Bedeutung zu, weil Alkoholkonsum die Giftwirkung der meisten Halogenkohlenwasserstoffe verstärkt (Merkblatt, a.a.O., S. 7).

Vor diesem Hintergrund kann sich auch der Senat nicht davon überzeugen, dass die neurologischen Symptome des Klägers auf die Einwirkung mit PER zurückzuführen sind. Die Exposition war nicht hoch, vielmehr wurden die Grenzwerte nach den Feststellungen des Präventionsdienstes der Beklagten eingehalten, insbesondere nach dem Einbau der neuen Reinigungsmaschine 1995. Die Latenzzeit zwischen dem Ende der Exposition im Jahre 2005 nach dem Einbau einer weiteren Reinigungsmaschine, die nicht mit PER betrieben wurde, und dem erstmaligen Auftreten eines Anfalls im Jahre 2009 ist zu groß, um noch als Indiz für eine berufliche Verursachung gewertet werden zu können. Als Alternativursache für die neurologischen Symptome kommt ferner der langjährige und starke Alkoholkonsum des Klägers in Frage. Selbst wenn dieser allein nicht ausgereicht hätte, die Erkrankung zu verursachen, sondern dies erst durch seine verstärkende Wirkung auf die Halogenkohlenwasserstoffe erreicht hätte, so wäre nicht die berufliche Einwirkung als rechtlich wesentliche Ursache zu sehen, sondern der Alkoholkonsum.

Bei dieser Einschätzung stützt sich der Senat wie schon das SG maßgeblich auf die Angaben der behandelnden Ärzte. Sowohl Dr. Sch.-B. als auch Dr. M. haben ebenfalls keinen Ursachenzusammenhang zwischen der Erkrankung des Klägers und der lange zurückliegenden beruflichen Exposition mit Halogenkohlenwasserstoffen gesehen. Dr. Sch.-B. als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie hat ferner ebenfalls auf die näher liegende Verursachung durch den Alkoholmissbrauch hingewiesen. Seine Einschätzung, darin liege die Ursache der Symptome, wird bestätigt durch die weitere Entwicklung. Nachdem der Kläger abstinent gelebt hat und antikonsulviv behandelt worden ist, sind keine neuen Anfälle aufgetreten.

Vor dem Hintergrund dieser Angaben fehlten auch ausreichende Anhaltspunkte, auf die eine weitere Beweisaufnahme von Amts wegen hätte gestützt werden können.

Hieran haben auch die Angaben des Klägers im Berufungsverfahren nichts geändert. Sein Verweis auf einen inzwischen verstorbenen behandelnden Arzt, der eine berufliche Verursachung angenommen habe, hilft nicht weiter, nachdem dieser Arzt - vermutlich der im Verwaltungsverfahren angegebene Dr. K. - inzwischen verstorben ist und der Kläger selbst eingeräumt hat, dass Unterlagen über die damalige Behandlung nicht mehr vorliegen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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