L 4 R 1252/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 4100/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 1252/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 2. März 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 1. Juni 2013.

Der Kläger ist am 1964 geboren. Er war seit 1998 versicherungspflichtig beschäftigt, zuletzt als Verkaufsfahrer. Seit September 2011 bezieht er Sozialleistungen, zuletzt Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Bei ihm ist ein Grad der Behinderung von 30 anerkannt (Bescheid des Landratsamtes O. vom 11. Februar 2013 und Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes Baden-Württemberg vom 24. April 2013).

Vom 22. November bis 21. Dezember 2012 befand sich der Kläger zur medizinischen Rehabilitation in der Klinik S. in B. S.; den Aufenthalt dort beendete der Kläger sechs Tage vor dem geplanten Abschluss wegen "Sehnsucht nach der Familie" vorzeitig. Im Entlassungsbericht vom 4. Januar 2013 berichtete Privatdozent Dr. D. über die Diagnosen einer depressiven Entwicklung, einer anhaltenden Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Anteilen, eines chronisch rezidivierenden Lendenwirbelsyndroms bei muskulärer Dysbalance und relativer Spinalkanalstenose bei Zustand nach Bandscheibenvorfall, einer Migräne mit visueller Aura sowie eines Übergewichts. Der Kläger könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch sechs Stunden und mehr täglich verrichten.

Der Kläger beantragte am 15. Mai 2013 Rente wegen Erwerbsminderung.

Im Auftrag der Beklagten erstellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. auf Grund einer Untersuchung des Klägers vom 24. September 2013 am selben Tag ein ärztliches Gutachten. Er diagnostizierte eine Dysthymie, eine Somatisierung sowie degenerative Wirbelsäulenveränderungen ohne Ausfälle mit Relevanz für das Leistungsvermögen. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht sei der Kläger in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Nachtschicht, ohne erhöhten Zeitdruck und ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 16. Oktober 2013 ab. Er sei noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich zu arbeiten.

Hiergegen erhob der Kläger am 7. November 2013 Widerspruch. Er fühle sich antriebslos, ohne Motivation, er könne sich nur schwer auf Sachen konzentrieren. Er könne 24 Stunden am Stück durchschlafen und wenn er aufstehe, sei er trotzdem noch müde. Wenn er irgendwo Dinge hinlege, suche er manchmal eine Stunde, bis er diese wiederfinde. Er habe Kopfschmerzen, die mehrere Tage anhielten. Er nehme Schmerzmittel. Die "Kur" habe nicht den gewünschten Erfolg gehabt, deshalb sei sie eine Woche früher beendet worden. Er habe sich dort nicht wohl gefühlt. Es seien ihm zu viele Leute dort gewesen. Er gehe sonst wenig aus dem Haus. Er habe sich in der Klinik überfordert gefühlt mit den vielen Menschen. Er habe wenig Kraft in den Händen, fühle sich schlapp und müde, habe Schwindelgefühle. Er meine immer, dass er alles falsch mache, fühle sich ohnmächtig. Ein Bandscheibenvorfall liege auch vor. Er habe oft schlechte Gefühle. Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. T. hielt die Leistungsbeurteilung im Gutachten des Dr. H. für zutreffend (Stellungnahme vom 29. November 2013).

Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 4. Dezember 2013 zurück. Der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein.

Hiergegen erhob der Kläger am 19. Dezember 2013 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG). Er sei durch schwere Depressionen mit Antriebslosigkeit nicht in der Lage, länger als fünf Minuten konzentriert einer Tätigkeit nachzugehen. Durch die Schmerzen in der Wirbelsäule seien ihm auch jegliche körperliche Arbeiten eine unzumutbare Last. Seine häufigen Kopfschmerzen und Schwindelgefühle machten es ihm unmöglich, einer Arbeit nachzugehen. Der Kläger trat den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. (dazu unten) entgegen.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie legte eine Äußerung des Nervenarztes Dr. L. vom 6. Oktober 2014 vor.

Das SG befragte die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen. Internist Dr. Kn. berichtete unter dem 20. Mai 2014 über regelmäßige Behandlungen des Klägers. Er teilte als Diagnosen eine mittelgradige Depression, eine Migräne, eine somatoforme Schmerzstörung sowie eine Lumboischialgie rechts mit geringer Spinalkanalstenose mit. Die Diagnostik und Therapie erfolge durch Neurologen. Im Verlaufe hätte sich eine zunehmende Verschlechterung der Erkrankung durch eine Chronifizierung der Schmerzen, eine Rückzugstendenz und eine Zunahme der depressiven Symptomatik gezeigt. Bezüglich der Rückenproblematik sei der Kläger arbeitsunfähig. Bezüglich der im Vordergrund stehenden psychischen Probleme könne er dies nicht beurteilen, da primär vom Neurologen behandelt. Die Gehfähigkeit sei kaum eingeschränkt, lediglich durch gelegentlichen Schwindel zeige sich eine Gangunsicherheit. Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Br. berichtete unter dem 4. Juni 2014, dass sich der Kläger seit dem 18. September 2012 in seiner ambulanten nervenärztlichen Behandlung befinde. In der Regel habe er sich in dieser Zeit alle vier bis sechs Wochen in seiner Praxis vorgestellt. Nach der Entlassung aus dem stationären Heilverfahren in B. S. habe er ihm im Januar 2013 nahegelegt, sich um einen Psychotherapieplatz zu bemühen. Die Chancen seien jedoch ausweglos, da er mit Migrationshintergrund und gebrochenem Deutsch normalerweise keinen Richtlinienpsychotherapieplatz finden werde. Beim Kläger liege eine anhaltende schwere depressive Störung, eine Lumboischialgie rechts mit leichter Wurzelreizung L5, eine somatoforme Schmerzstörung, eine Migräne mit visueller Aura sowie eine chronifizierte neurotische Fehl- und Versagenshaltung vor. Seit Dezember 2012 sei es zu einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes, hier insbesondere einer weitgehenden Chronifizierung der depressiven Symptomatik gekommen. Der Kläger sei aus seiner Sicht sicherlich nicht mehr in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Die depressive Symptomatik habe einen Schweregrad erreicht, bei dem selbst einfache konzentrative Tätigkeiten kaum über zwei Stunden möglich seien. Die Gehfähigkeit des Klägers sei nicht eingeschränkt.

Das SG bestellte Dr. M. von Amts wegen zur gerichtlichen Sachverständigen. Diese erstattete unter dem 4. November 2014 auf Grund einer Untersuchung des Klägers vom 24. Oktober 2014 ein nervenfachärztliches Gutachten. Zum psychopathologischen Untersuchungsbefund hielt Dr. M. fest, dass der Kläger unrasiert und mit schmutziger Kleidung erschienen sei. Auf Letzteres angesprochen wirke er etwas irritiert. Hier erscheine auch unter Berücksichtigung der Vorbefunde eine Verdeutlichung vorzuliegen. Kontakte und Kommunikation seien nicht grob beeinträchtigt. Es bestünden ausreichende Deutschkenntnisse. Der Kläger schildere eine geordnete psychosoziale Situation und einen Migrationshintergrund. Er wirke hierdurch jedoch nicht belastet. Eine Belastungssituation sei nach Angaben des Klägers durch die Kündigung des letzten Arbeitsverhältnisses und die Tatsache, dass er keine neue Arbeit gefunden habe, entstanden. Der Kläger schildere ein ausgesprochenes Rückzugs- und Vermeidungsverhalten, wobei er andererseits durchaus in der Lage sei, außer Haus Tätigkeiten zu verrichten (einkaufen, spazieren gehen, Auto fahren). Die Stimmung wirke moros-gedrückt. Die affektive Resonanz sei reduziert. Der Blickkontakt sei reduziert. Es bestünden keine vegetativen Symptome, keine Angst oder Panik. Der Kläger sei mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Untersuchung gekommen. Autofahren sei ihm möglich. Der Kläger habe über Lustlosigkeit und Antriebslosigkeit geklagt. Bezüglich der bei Angabe von psychischen Beschwerden völlig fehlenden stationären Maßnahmen und abgebrochenen Psychotherapie in der Klinik am Schönen Moos antworte der Kläger ausweichend, "wolle er nicht". Psychotisches Erleben werde verneint. Der Antrieb werde als reduziert angegeben. Die Antriebsreduktion sei jedoch offensichtlich durch willentlichen Entschluss zu durchbrechen. Es bestehe verschiedentlich der Eindruck eines Tendenzverhaltens (Symptomwechsel während der Untersuchung, teils Abheben auf Schmerzen, dann wieder auf Psyche, Verhalten auffällig, erscheine jedoch bewusstseinsnah gesteuert). Es bestehe kein Hinweis auf Suizidalität. Es bestünde eine geordnete psychosoziale Situation. Es fänden sich Hinweise auf Versorgungswünsche. Sie habe psychosymetrische Untersuchungen durchgeführt. Die Antworten auf den strukturierten Fragebogen simulierter Symptome (SFSS/SIMS) sei nicht verwertbar gewesen, da 21 Fragen nicht beantwortet worden seien. Bei der ZUNG-Depressions-Skala erreiche der Kläger einen Punktwert von 50. Danach bestehe allenfalls eine leichte Depressivität nach den ICD-10-Kriterien. Beim Zahlenverbindungstest werde eine massive Verlangsamung dargelegt, die nicht dem sonstigen Verhalten und der Tatsache, dass der Kläger Auto fahre, entspreche. Dies müsse als Verdeutlichung bewertet werden. Das Demenzscreening habe eine leichte kognitive Beeinträchtigung ergeben. Sie habe eine depressive Störung (ICD-10 F32.9) sowie ein degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom mit Spinalkanalstenose (ICD-10 M47.2) diagnostiziert. Anamnestisch bestehe ein Spannungskopfschmerz. Es handele sich einerseits um eine psychiatrische Störung in Sinne einer leichten affektiven Störung, behandlungsfähig und besserungsfähig durch Inanspruchnahme einer adäquater Maßnahme. Hier zu nennen seien in erster Linie die Eskalation der medikamentösen Behandlung, eine psychologische Beratung und arbeitsfindende Maßnahmen, gegebenenfalls Anpassung der Medikation. Bezüglich der bestehenden degenerativen Wirbelsäulenerkrankung sollten Tätigkeiten mit schwerem Heben, Tragen, anhaltendem Bücken und anhaltender körperlicher Zwangshaltung ausgeschlossen bleiben. Bezüglich der depressiven Erkrankung sollten keine Tätigkeiten mit überwiegendem Publikumsverkehr, mit über dem das normale Maß hinausgehendem Stress und Druck und keine Nachtarbeit durchgeführt werden. Zumutbar seien Tätigkeiten leichter und zeitweilig mittelschwerer Art unter Berücksichtigung der genannten qualitativen Einschränkungen. Der Kläger könne diese Tätigkeiten vollschichtig verrichten. Es bestehe keine Einschränkung der Wegefähigkeit. Den Ausführungen des Dr. Br. könne in Bezug auf die daniederliegende Funktionalität des Klägers nicht zugestimmt werden. Es handele sich um einen fluktuierenden Verlauf. Es liege eine abgebrochene Behandlung in der Psychosomatik vor. Privatdozent Dr. D. gehe von vollschichtigem weiterbestehendem Leistungsvermögen aus. Es hätten keine stationären psychiatrischen Behandlungsmaßnahmen, keine Änderung der Medikation und nur niedrig frequente Konsultationen stattgefunden.

Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 2. März 2015 ab. Der Kläger sei nicht erwerbsgemindert, da er durchgehend mindestens sechs Stunden einer Erwerbstätigkeit habe nachgehen können und weiterhin nachgehen könne. Das SG stützte sich insbesondere auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. M ...

Gegen den ihm am 6. März 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 2. April 2015 Berufung eingelegt. Die Feststellungen der Dr. M. seien nicht geeignet, eine rentenrechtliche Entscheidung zu begründen. Ihre Ausführungen seien nicht nachvollziehbar und überzeugend gewesen, da sie sich mit wesentlichen Aspekten seines Krankheitsbildes nicht auseinandergesetzt habe und ihm zu Unrecht Verdeutlichungstendenzen bzw. Versorgungswünsche unterstellt habe. Er sei wirklich krank. Seine Ärzte, die er seit Jahren aufsuche, könnten das bestätigen. Ein Arzt, der ihn ein einziges Mal für zwei Stunden untersucht habe, könne dies nicht beurteilen. Er habe früher Kant, Hegel und Nietzsche gelesen, er könne sich aber seit einigen Jahren nicht mehr konzentrieren. Der Kläger ist dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Di. (dazu unten) entgegen getreten. Er hat auf die abweichenden Leistungseinschätzungen seiner behandelnden Ärzte verwiesen. Der Kläger hat einen Arztbrief der Vertreterin des Dr. Br., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Lei., vom 18. März 2015 über eine Behandlung des Klägers vom selben Tag vorgelegt, in dem sie die Diagnose einer schweren depressiven Episode (chronifiziert) sowie eine chronische psychosomatische Schmerzsymptomatik insbesondere mit lumboischialgieformen Beschwerden mitteilt. Der Kläger hat den Arztbrief des Dr. Ded. (Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie S. G.) vom 23. Juni 2015 über einen teilstationären Aufenthalt des Klägers vom 1. Juni bis 23. Juni 2015 (vorzeitig abgebrochen) vorgelegt. Darin wird die Diagnose einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome (ICD-10 F32.2) gestellt. Der Kläger hat weiter den Arztbrief des Dr. Br. vom 23. Juni 2015 vorgelegt. Darin hat dieser die Diagnose einer anhaltenden schweren depressiven Störung bei Migrationshintergrund, einer chronifizierten Fehl- und Versagenshaltung, einer somatoforme Schmerzstörung, einer Lumboischialgie rechts mit leichter Wurzelreizung L5 sowie einer Migräne mit visueller Aura mitgeteilt. Der Kläger hat schließlich Arztbriefe des Dr. H., der die Behandlung des Klägers nach dem Tod Dr. Br. fortgeführt hat, vom 5. Oktober 2015 (Diagnosen: Lumboischialgie rechts mit leichter Wurzelreizung L5, somatoforme Schmerzstörung, Migräne mit visueller Aura, chronifizierte neurotische Fehl- und Versagenshaltung, psychovegetative Beschwerden, anhaltende schwere depressive Störung) und vom 8. Februar 2016 (Diagnosen: schwere depressive Episode ohne psychotische Symptomatik, somatoforme Schmerzstörung, Migräne mit visueller Aura, chronifizierte neurotische Fehl- und Versagenshaltung, psychovegetative Beschwerden) vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 2. März 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2013 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise teilweise Erwerbsminderung ab dem 1. Juni 2013 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält an ihrer Entscheidung fest. Sie hat Stellungnahmen der Ärztin für Allgemeinmedizin und Allergologie Dr. Bü. vom 15. Juni 2015 und vom 24. September 2015 vorgelegt.

Der Senat hat Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Oberärztin We. von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in S. G. schriftlich als sachverständige Zeugin gehört. Sie hat unter dem 25. August 2015 ausgeführt, dass sich der Kläger vom 1. bis 23. Juni 2015 in der Tagesklinik in psychiatrischer Behandlung befunden habe. Es liege eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptomatik vor. Es bestünden eine starke Antriebsminderung, ein Interessenverlust, eine gefühlte Gleichgültigkeit, ein erhöhtes Schlafbedürfnis und Konzentrationsschwierigkeiten. Der Kläger beschreibe einen ständigen Druck im Kopf. Insgesamt lebe er sozial sehr zurückgezogen, meide den Kontakt zu Menschen. Er wirke sehr niedergeschlagen und berichte davon, Schwierigkeiten zu haben, Entscheidungen zu treffen. Es habe ein Gefühl der Freudlosigkeit bestanden. Der Antrieb und die Psychomotorik seien verlangsamt gewesen. Es habe jedoch kein Anhalt für Selbst- oder Fremdgefährdung bestanden. Insgesamt habe sich eine ausgeprägte negativistische nihilistische Grundhaltung gezeigt. Auf Grund des eingeschränkten Antriebs und des sozialen Rückzugs falle es dem Kläger schwer, regelmäßig und zuverlässig das Haus zu verlassen sowie in Kontakt mit anderen Menschen zu treten bzw. irgendwelchen Aufgaben nachzugehen. So sei er auch nicht in der Lage gewesen, die Therapie in der Tagesklinik länger als drei Wochen durchzuhalten. Es habe sich schnell ein Motivationsproblem gezeigt. Im Laufe der drei Wochen in der Tagesklinik sei es zu keiner Veränderung der ausgeprägten depressiven Symptomatik gekommen. Die ausgeprägte negativistische Grundhaltung, die auch ein Symptom der Depression sei, habe letztlich zum Abbruch der Therapie durch den Kläger geführt.

Der Senat hat Dr. Di. von Amts wegen zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt. Dr. Di. hat auf Grund einer Untersuchung des Klägers vom 1. Dezember 2015 unter dem 11. Januar 2016 ein nervenärztliches Gutachten erstattet. In psychopathologischer Hinsicht sei der Kläger bewusstseinsklar und allseits richtig orientiert. Der Kläger berichte mit lebhafter Mimik und Gestik über seinen Zustand. Die Grundstimmung sei leicht bis allenfalls mittelgradig in depressiver Richtung verschoben. Die affektive Resonanzfähigkeit sei leicht vermindert. Für Suizidalität bestehe kein Hinweis. Der formale Denkablauf sei geordnet, doch neige der Kläger zu ausweichendem Antwortverhalten und repetitiver Darstellung seiner Beschwerden. Inhaltliche Denkstörung sowie Störungen von Wahrnehmen und Ich-Erlebnis seien nicht nachweisbar. Konzentration und Aufmerksamkeit seien in der Untersuchungssituation ungestört. Im subjektiven Erleben bestehe eine erhöhte Ermüdung und Erschöpfbarkeit, wobei sich dies im Rahmen einer ca. 90minütigen Exploration nicht objektivieren lasse. Auch sichere mnestische Störungen seien nicht nachweisbar. Der Antrieb sei reduziert. Beim Kläger liege eine Dysthymie, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sowie ein Wirbelsäulensyndrom ohne neurologisches Defizit vor. Der Kläger neige hinsichtlich der psychischen Störung dazu, seine Beschwerden im Sinne einer Aggravation überhöht darzustellen. Er zeige bei der durchgeführten Untersuchung über weite Strecken hinweg kein authentisches Verhalten. Auch bei der Darstellung der körperlichen Beschwerden habe die Neigung zur überhöhten Darstellung bestanden, was auch bei der neurologischen Untersuchung zum Ausdruck gekommen sei. Hier seien beispielsweise motorische Einschränkungen im Bereich der oberen Extremitäten präsentiert worden, für die sich weder anhand der Vorgeschichte noch anhand der Beobachtung des Klägers in der Untersuchungssituation sonst irgendwelche Hinweise ergeben hätten. Danach lasse sich unter Anlegung eines strengen Maßstabes und bei kritischer Würdigung nicht ausschließen, dass diese Störungen zumindest teilweise aggraviert würden bzw. nur gelegentlich (etwa bei ärztlichen Untersuchungen) zu beobachten seien. Dennoch sei davon auszugehen, dass bei dem Kläger durchaus eine depressive Störung von Krankheitswert bestehe, doch handele es sich dabei um eine leichte depressive Störung im Sinne einer Dysthymie, nicht aber um eine schwere chronifizierte depressive Symptomatik. Es handele sich also nicht um reine Simulation, sondern um die überhöhte, aggravierte Darstellung tatsächlich vorhandener psychischer und körperlicher Beschwerden. Es sei davon auszugehen, dass sich die Störung mit Hilfe zumutbarer ärztlicher Behandlung zumindest teilweise verbessern würde. Voraussetzung wäre allerdings, dass sich der Kläger auf eine solche Behandlung einließe. Nicht nachvollziehbar sei die Auffassung der Oberärztin We., die in ihrer Stellungnahme letztlich erkläre, dass der Behandlungsabbruch in der Tagesklinik krankheitsbedingt gewesen sei. Gerade bei hohem Leidensdruck wäre zu erwarten, dass der Kläger die tagesklinische Behandlung fortgesetzt hätte, auch mit der Möglichkeit einer erneuten medikamentösen Umstellung. Inkonsistenzen ergäben sich auch dadurch, dass der Kläger berichte, praktisch 24 Stunden am Tag zu schlafen, während eine tagesklinische Behandlung offensichtlich über einen Zeitraum von zumindest drei Wochen habe in Anspruch genommen werden können. Darüber hinaus bestünde, falls tatsächlich eine so ausgeprägte Isomnie vorläge, die Möglichkeit einer antidepressiven Behandlung mit Medikamenten, die weitaus stärker antriebssteigernd wirksam seien als Venlafaxin. Auf Grund der Dysthymie sei der Kläger in seiner psychischen Belastbarkeit reduziert. Die Stresstoleranz sei vermindert. Zwingend zu beachten sei, dass Akkord- und Fließbandarbeiten sowie Wechselschicht und Nachtschicht nicht zumutbar seien. Auch sollte keine besondere Verantwortung bestehen. Der Kläger sei einer besonderen geistigen Beanspruchung nicht gewachsen. Auf Grund der chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren könne der Kläger nur noch leichte körperliche Tätigkeiten verrichten. Das Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne Hilfsmittel (über zehn Kilogramm) sei zu vermeiden. Es sollte ihm ein Wechsel der Körperhaltung zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ermöglicht werden. Gleichförmige Körperhaltung seien zu meiden. Der Kläger sollte keine erhöhten Absturz- oder Unfallgefahr ausgesetzt werden. Er könne dementsprechend nicht auf Leitern, Treppen und/oder Gerüsten arbeiten. Einschränkungen der Wegefähigkeit bestünden nicht. Bei Beachtung der genannten Einschränkungen sei der Kläger aus neurologisch-psychiatrischer Sicht in der Lage, Erwerbstätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche auszuüben.

Der Berichterstatter hat den Sachverhalt mit den Beteiligten am 8. April 2016 erörtert. Die Beteiligten haben in dem Termin ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedarf insbesondere nicht der Zulassung, da der Kläger Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Der Senat konnte über die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.

2. Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2013 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Juni 2013.

a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

b) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden pro Tag verrichten kann.

(1) Der Kläger leidet unter einer Dysthymie, einer chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sowie einem Wirbelsäulensyndrom ohne neurologischem Defizit. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. Di ... Außerdem besteht eine Migräne mit visueller Aura. Dies ergibt sich sowohl aus dem Entlassungsbericht des Dr. D. als auch den sachverständigen Zeugenaussagen des Dr. Kn. und des Dr. Br ...

Vom Vorliegen einer über eine Dysthymie hinausgehenden Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet, die jeweils mindestens sechs Monate angedauert hat oder noch andauert, konnte sich der Senat nicht überzeugen. Zwar gingen insbesondere Dr. Br. und die weiteren in seiner Praxis tätigen Ärzte Dr. Lei. und Dr. H. sowie Dr. Ded. und die sachverständige Zeugin We. jeweils von einer schweren depressiven Störung aus, dem steht aber nicht nur die Diagnosen durch Dr. Di., sondern auch diejenige der gerichtlichen Sachverständigen Dr. M. und diejenige des im Verwaltungsverfahren tätigen Gutachter Dr. H., dessen Gutachten der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51), entgegen: Dr. M. hat – auch auf der Basis durchgeführter psychometrischer Untersuchungen – lediglich eine depressive Episode, Dr. H. lediglich eine Dysthymie diagnostiziert. Dr. Di. hat seine Einschätzung in Kenntnis und unter Berücksichtigung der abweichenden ärztlichen Einschätzung insbesondere des Dr. Br. getroffen. Dr. Di. hat festgestellt, dass der Kläger in psychopathologischer Hinsicht bewusstseinsklar und allseits richtig orientiert, die Grundstimmung leicht bis allenfalls mittelgradig in depressiver Richtung verschoben und die affektive Resonanzfähigkeit leicht vermindert ist. Für Suizidalität bestand kein Hinweis. Der formale Denkablauf ist geordnet. Inhaltliche Denkstörungen sowie Störungen von Wahrnehmen und Ich-Erlebnis waren nicht nachweisbar. Konzentration und Aufmerksamkeit waren in der Untersuchungssituation ungestört. Im subjektiven Erleben bestand eine erhöhte Ermüdung und Erschöpfbarkeit, wobei sich dies im Rahmen der ca. 90minütigen Exploration durch Dr. Di. nicht objektivieren ließ. Auch sichere mnestische Störungen waren nicht nachweisbar. Lediglich der Antrieb war reduziert. Die diagnostische Einordnung durch Dr. Di. ist angesichts des erhobenen Befundes plausibel. Der Senat folgt ihr daher.

(2) Die festgestellten Gesundheitsstörungen schränken das berufliche Leistungsvermögen des Klägers in qualitativer Hinsicht ein. Ausgeschlossen sind Tätigkeiten mit erhöhter psychischer Belastbarkeit. Die Stresstoleranz des Klägers ist vermindert. Akkord- und Fließbandarbeiten sowie Wechselschicht und Nachtschicht sowie Tätigkeiten mit besonderer Verantwortung sind nicht zumutbar. Das Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne Hilfsmittel (über zehn Kilogramm) ist ebenfalls ausgeschlossen, gleichförmige Körperhaltung ist zu vermeiden. Der Kläger darf keiner erhöhten Absturz- oder Unfallgefahr ausgesetzt werden. Er kann daher nicht auf Leitern, Treppen und/oder Gerüsten arbeiten. Dies entnimmt der Senat den Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Dr. M. und Dr. Di ...

Zur Überzeugung des Senats steht aber fest, dass der Kläger trotz der festgestellten Gesundheitsstörungen leichte bis gelegentlich schwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden pro Tag an fünf Tagen pro Woche verrichten kann. Auch insofern folgt der Senat den angesichts der erhobenen Befunde plausiblen Einschätzungen der gerichtlichen Sachverständigen Dr. M. und Dr. Di ... Den gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf orthopädischem und neurologischen Fachgebiet ist durch die qualitativen Einschränkungen hinreichend Rechnung getragen. Das Gleiche gilt auch mit Blick auf die Erkrankung des Klägers auf psychiatrischem Fachgebiet. Insoweit konnte der Senat – siehe oben – nur eine Dysthymie feststellen. Bei einer Dysthymie handelt es sich nach ihrer Definition nach dem ICD-10 (F34.1) (lediglich) um eine chronische, wenigstens mehrere Jahre andauernde depressive Verstimmung, die weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder rezidivierenden depressiven Störung zu erfüllen. Eine Dysthymie ist in der Regel nicht geeignet, eine zeitliche Leistungseinschränkung herbeizuführen (Beschluss des Senats vom 7. April 2015 – L 4 R 5183/14 –, Urteil des Senats vom 19. Juni 2015 – L 4 R 4233/14 –, Urteil des Senats vom 18. September 2015 – L 4 R 864/15 –, Urteil des Senats vom 11. Dezember 2015 – L 4 R 4616/14 – und Urteil des Senats vom 18. März 2016 – L 4 R 3006/15 – alle nicht veröffentlicht). Die abweichende Leistungseinschätzung Dr. Br., der von einer Limitierung der Leistungsfähigkeit bei einfachen konzentrativen Tätigkeiten auf zwei Stunden ausging, beruht auf dessen Annahme, dass eine schwere depressive Störung vorliege. Dies ist aber – siehe oben – gerade nicht Grundlage der Beurteilung durch den Senat.

(3) Ob dem Kläger ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, er also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 13 R 78/09 R – juris, Rn. 31). Dies bejaht der Senat wie zuvor dargelegt.

(4) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (siehe – auch zum Folgenden – etwa Urteil des Senats vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 – nicht veröffentlicht). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.

Dies ist hier nicht der Fall. Die qualitativen Leistungseinschränkungen des Klägers (siehe oben) sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris, Rn. 28 m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei dem Kläger vorhanden.

(5) Auch die Wegefähigkeit des Klägers war und ist gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 73/90 – juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R – juris, Rn. 21 f.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – juris, Rn. 19 f.). Der Kläger ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Aus den ärztlichen Äußerungen ergeben sich keine Befunde, die für eine unter den genannten Maßstäben eingeschränkte Gehfähigkeit des Klägers sprechen. Die gerichtlichen Sachverständigen Dr. M. und Dr. Di. haben die Wegefähigkeit des Klägers, der im Übrigen noch selbst Auto fährt, ausdrücklich bestätigt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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