L 11 R 4111/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 20/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4111/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 20.05.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1962 in Polen geborene Klägerin arbeitete dort als Buchhalterin in einem Steinkohlebergbaubetrieb. Sie übersiedelte im Mai 1989 in die Bundesrepublik Deutschland. Zuletzt war sie hier versicherungspflichtig beschäftigt von Januar 1999 bis Januar 2007 als Produktionshelferin, wo sie laut Arbeitgeberauskunft der Firma S. S. S. M. GmbH hauptsächlich mit der manuellen Kuvertierung von Post befasst war. Ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 vH ist seit November 2010 anerkannt.

Einen ersten Antrag auf Erwerbsminderungsrente stellte die Klägerin am 11.12.2008 wegen Bandscheibenvorfällen im HWS-Bereich, Spannungskopfschmerzen, Bewegungseinschränkungen im rechten Arm, hohem Blutdruck und Schilddrüsenunterfunktion. Die Beklagte lehnte den Antrag nach orthopädischer und nervenärztlicher Begutachtung mit Bescheid vom 13.03.2008 ab, da nur eine leichtgradige depressive Episode vorliege. Widerspruch und Klage dagegen blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27.05.2009, Klage vor dem Sozialgericht Mannheim S 8 R 1953/09).

Am 19.01.2012 beantragte die Klägerin erneut Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte holte ein orthopädisches Gutachten bei Dr. B. ein, der im Gutachten vom 12.04.2012 folgende Diagnosen stellte: - chronisches Schmerzsyndrom der Wirbelsäule bei nachgewiesener Bandscheibendegeneration der HWS, BWS und LWS mit lokalen und zT ausstrahlenden Beschwerden, - Kapsel- und Sehnenreizung rechtes Schultergelenk mit Minderbeweglichkeit - Kapsel-, Sehnen- und Muskelreizung beider Hüftgelenke mit Adduktorenverkürzung, Periarthritis der Hüftgelenke ohne Arthrose-Entwicklung, - Knick-Senk-Spreizfuß links, Senk-Spreizfuß rechts - depressive Erkrankung mit medikamentöser Behandlung - Verdacht auf Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch chronisches Schmerzsyndrom, Verdacht auf Schmerzmittelabhängigkeit. Aufgefallen sei eine Konzentrationsstörung, weshalb eine nervenärztliche Abklärung empfohlen werde. Bei konsequenter Fortführung der Schmerztherapie und begleitender psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung sei angesichts des jungen Alters mit einer Verbesserung zu rechnen. Aktuell könne die Klägerin selbst leichte Tätigkeiten keine drei Stunden täglich verrichten. Mit Bescheid vom 11.06.2012 bewilligte die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.07.2012 bis 31.10.2013.

Am 25.04.2013 beantragte die Klägerin die Weitergewährung der Rente. Die Beklagte ließ die Klägerin durch den Orthopäden Dr. W. begutachten. Im Gutachten vom 03.08.2013 mit ergänzender Stellungnahme vom 23.08.2013 stellte er folgende Diagnosen: - Schulter-Arm-Syndrom rechts, - lumbales Reizsyndrom auf dem Boden von radiologisch nachgewiesenen degenerativen Veränderungen und Bandscheibenvorfällen im Bereich der HWS und BWS, zZ ohne neurologische Ausfälle, - Knick-Senk-Spreizfuß beidseits mit leichtem Reizzustand der Sprunggelenke ohne akute Entzündungszeichen. Leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen ohne Zwangshaltungen des Oberkörpers, Überkopfarbeit, Exposition gegenüber Nässe, Kälte, Zugluft und ohne Vibrationen könne die Klägerin acht Stunden täglich verrichten.

Auf Empfehlung von Dr. W. holte die Beklagte zusätzlich ein nervenärztliches Gutachten ein. Dr. Br. stellte in seinem Gutachten vom 23.09.2013 folgende Diagnosen: - somatoforme Schmerzstörung, - latentes bzw ganz blandes Karpaltunnelsyndrom rechts, - vielschichtige Persönlichkeitsakzentuierungen, DD leichte kombinierte Persönlichkeitsstörung. Leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten zu ebener Erde ohne Tätigkeit an gefährdenden Maschinen, ohne Nacht- und Wechselschicht, Zeitdruck oder überdurchschnittlich fordernde soziale Interaktionen könne die Klägerin noch vollschichtig verrichten.

Mit Bescheid vom 22.10.2013 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens sechs Stunden täglich tätig sein und auch die Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau komme nicht in Betracht, da bereits das Erfordernis der 3/5-Belegung mit knappschaftlichen Pflichtbeiträgen nicht gegeben sei. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.12.2013 zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die am 30.12.2013 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene Klage. Die Klägerin hat darauf hingewiesen, dass sie zwischenzeitlich am 17.12.2013 an der HWS und am 28.01.2014 an der LWS operiert worden sei.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte Dr. R. (Orthopädie; Bl 28/43 SG-Akte), Dr. K. (Schmerzbehandlung; Bl 44/47 SG-Akte), Dr. W.-N. (Hausärztin; Bl 48/69 SG-Akte) und Dr. F. (Neurochirurg; Bl 70/72 SG-Akte) schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Anschließend hat es ein Gutachten durch den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Physikalische und Rehabilitative Medizin, Rheumatologie – Schmerztherapie - Psychotherapie Prof. Dr. Sch., Universitätsklinik H., mit psychologischer Evaluation durch Dipl-Psych G. erstellen lassen. Im Gutachten vom 15.01.2015 stellt Prof. Dr. Sch. folgende Gesundheitsstörungen fest: - chronisch weitverbreitete Schmerzen ohne konsistente Einschränkungen der Funktionen der Haltungs- und Bewegungsorgane, ohne neurologische Ausfall- oder Reizzeichen nach Bandscheibenersatz an der HWS und Bandscheibenentfernung an der LWS, - vor dem Hintergrund unbewusster Versorgungswünsche zu klassifizieren als anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Leichte bis bisweilen mittelschwere Tätigkeiten könne die Klägerin mindestens sechs Stunden täglich verrichten in wechselnder Körperhaltung und ohne überdurchschnittliche Anforderungen an die geistige/nervliche Belastbarkeit.

Auf Einwendungen der Klägerin hinsichtlich Art und Weise sowie Ergebnis der Begutachtung hat Prof. Dr. Sch. mit Schreiben vom 11.03.2015 ergänzend Stellung genommen. Zuletzt hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass nach mehrwöchiger Lumboischialgie im April 2015 bei L3/4 ein Sequester bei medianer Bandscheibenprotrusion mit Einengung der Neuroforamina rechts und Reizung der Nervenwurzel rechts festgestellt worden sei.

Mit Urteil vom 20.05.2015 hat das SG die Klage gestützt auf die Gutachten von Prof. Dr. Sch., Dr. Br. und Dr. Weis abgewiesen. Im Wesentlichen sei von einer somatoformen Schmerzstörung auf dem Boden nachgewiesener degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule auszugehen. Aus den nachgereichten Berichten der Klägerin ergebe sich im Bereich L3/4 ein Akutzustand, der noch nicht als Dauerzustand qualifiziert werden könne, zumal sich aus den ärztlichen Berichten ergebe, dass die diagnostische Abklärung unvollständig sei und das weitere therapeutische Vorgehen noch nicht feststehe. Aus den Gutachten leiteten sich qualitative Einschränkungen ab, leidensgerechte Tätigkeiten könnten noch mindestens sechs Stunden täglich verrichtet werden. Die Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau scheitere bereits an der fehlenden 3/5-Belegung mit knappschaftlichen Pflichtbeitragszeiten.

Gegen das ihr am 24.09.2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 29.09.2015 eingelegte Berufung der Klägerin. Die Begutachtung durch Prof. Dr. Sch. sei vorsätzlich falsch. Ihr Gesundheitszustand habe sich seit 2011 wesentlich verschlechtert. Seit April 2015 sei sie mit manueller Therapie und infiltrativer Therapie in der orthopädischen Ambulanz Klinikum Mannheim behandelt sowie von Dr. Ni. untersucht worden. Im Schreiben des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Ni. vom 03.11.2015 wird ausgeführt, dass er die Klägerin am 09.06.2015 und 24.09.2015 untersucht habe. Sie habe weiterhin Schmerzen im Rücken mit Ausstrahlung in die unteren Extremitäten geklagt. Der körperlich-neurologische Befund sei abgesehen von Parästhesien im Dermatom L4 links komplett unauffällig gewesen. Ergänzend hat die Klägerin Arztbriefe des Orthopäden Dr. von St. vom 07.12.2015 und 04.02.2016 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg und den Bescheid der Beklagten vom 22.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.12.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung über den 31.10.2013 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in erster Instanz sei ein vollschichtiges Restleistungsvermögen festgestellt worden. Diese durch Sachverständigengutachten gewonnene Erkenntnis könne weder durch die vorgelegten ärztlichen Berichte, noch die Einlassungen der Klägerin selbst in Frage gestellt werden.

Der Senat hat ergänzend Dr. K. schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Mit Schreiben vom 23.11.2015 hat dieser ausgeführt, er habe die Klägerin im Jahr 2015 viermal behandelt, zuletzt am 16.04.2015. Die Klägerin habe über starke, wiederkehrende Schmerzen im Bereich der HWS und LWS geklagt. Insgesamt bestehe eine stark reduzierte Wirbelsäulenfunktion. Trotz operativer Maßnahmen sei keine wesentliche Besserung der Symptomatik erfolgt.

Mit Schreiben vom 19.01.2016 sind die Beteiligten auf eine beabsichtigte Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen worden. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 04.02.2016 auf ihren seit 2012 nicht verbesserten gesundheitlichen Zustand hingewiesen und eine Beendigung des Rechtsstreits auf der Basis einer Teilerwerbsminderungsrente angeregt. Die Beklagte hat dies mit Schreiben vom 16.02.2016 abgelehnt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß § 153 Abs 4 SGG zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden; es sind keine Gründe genannt worden, die den Senat zur Anberaumung einer mündlichen Verhandlung hätten veranlassen müssen.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage mit zutreffender Begründung abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 22.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.12.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Weitergewährung einer Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung über den 31.10.2013 hinaus.

Befristete Renten wegen Erwerbsminderung können verlängert werden; dabei verbleibt es nach § 102 Abs 2 Satz 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) bei dem ursprünglichen Rentenbeginn. Mit dieser durch Art 1 Nr 32 Buchst a) Doppelbuchst aa) RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554) mit Wirkung ab 01.05.2007 (Art 27 Abs 7 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) eingefügten Regelung wird bestimmt, dass lediglich eine Verlängerung der anfänglichen Befristung erfolgt, es beim ursprünglichen Rentenbeginn verbleibt und eine Folgerente ohne Neuberechnung im Umfang der bisherigen Rente weiterzuzahlen ist (BT-Drs 16/3794 S 37).

Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann und er damit nach dem Wortlaut des § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI ohne Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage an sich nur teilweise erwerbsgemindert ist (sog abstrakte Betrachtungsweise), ihm aber der Teilzeitarbeitsmarkt tatsächlich verschlossen ist (sog konkrete Betrachtungsweise). Wurde für die Prüfung, ob der Arbeitsmarkt verschlossen ist, zunächst noch gefordert, dass Vermittlungsbemühungen der Arbeitsverwaltung oder des Rentenversicherungsträgers innerhalb eines Jahres ab Stellung des Rentenantrags erfolglos blieben (vgl BSG 10.05.1977, 11 RA 8/76, juris), ist nunmehr zur Feststellung der Erwerbsminderung eines drei bis unter sechsstündig einsatzfähigen Versicherten bei rückwirkender Prüfung der Arbeitsmarktlage der Nachweis solcher konkreter Vermittlungsbemühungen nicht mehr erforderlich (vgl zum früheren Recht BSG 08.09.2005, B 13 RJ 10/04 R, BSGE 95, 112). Die nach dem früheren, dh bis 31.12.2000 geltenden Recht maßgebliche konkrete Betrachtungsweise hat der Gesetzgeber beibehalten, wie sich auch aus einem Umkehrschluss aus § 43 Abs 2 SGB VI ergibt (BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5; zum Ganzen siehe auch ausführlich LSG Baden-Württemberg 10.10.2014, L 4 R 5172/13, juris).

Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme in beiden Instanzen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin zumindest seit dem 01.11.2013 in der Lage ist, noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts zu arbeiten. Zusätzliche betriebsunübliche Pausen oder Unterbrechungen sind nicht notwendig. Nicht zumutbar sind dauerhaftes Stehen oder eine rein gehende Tätigkeit, ebenso müssen Tätigkeiten im Freien, bei Nässe, Kälte unterbleiben. Das Heben und Tragen von schweren Lasten, Arbeiten in Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Überkopfarbeiten, Nacht- oder Wechselschicht, Tätigkeiten an gefährdenden Maschinen oder Tätigkeiten mit besonderer Anforderung an die soziale Interaktionsfähigkeit sind gleichfalls nicht mehr möglich. Die Arbeiten sollten in wechselnder Körperposition, nur überwiegend im Sitzen, gelegentlichen Stehen und Gehen verrichtbar sein. Eine Beeinträchtigung der Geh- und Wegefähigkeit liegt nicht vor. Die Klägerin kann viermal täglich 500 m in weniger als 20 Minuten zurücklegen. Öffentliche Verkehrsmittel können benutzt werden.

Diese Überzeugung schöpft der Senat aus den Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Sch. vom 15.01.2015 sowie den im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des Dr. Weis vom 03.08.2013 und des Dr. Br. vom 23.09.2013, die im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden. Danach liegen folgende Gesundheitsstörungen vor: - anhaltende somatoforme Schmerzstörung, - lumbales Reizsyndrom auf dem Boden von radiologisch nachgewiesenen degenerativen Veränderungen und Bandscheibenvorfällen, zZ ohne neurologische Ausfälle, - Knick-Senk-Spreizfuß beidseits mit leichtem Reizzustand der Sprunggelenke ohne akute Entzündungszeichen und ohne Relevanz für das berufliche Leistungsvermögen, - vielschichtige Persönlichkeitsakzentuierungen, DD leichte kombinierte Persönlichkeitsstörung.

Die Leistungsbeurteilung, die Prof. Dr. Sch. in Übereinstimmung mit den Gutachten von Dr. Weis und Dr. Br. vorgenommen hat, ist daher für den Senat schlüssig und plausibel. Die Klägerin kann leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts nach der übereinstimmenden Auffassung der genannten Sachverständigen vollschichtig, dh mehr als sechs Stunden täglich unter Beachtung der oben genannten qualitativen Einschränkungen verrichten.

Ob die Beurteilung des Dr. B. im Gutachten vom 12.04.2012 zutreffend war, bedarf keiner Entscheidung, da allein der Gesundheitszustand und die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin im Zeitraum ab 01.11.2013 zu beurteilen ist. Dr. B., der von einem unter dreistündigen Leistungsvermögen ausging, hatte vor dem Hintergrund eines chronischen Schmerzsyndroms der Wirbelsäule Konzentrationsstörungen bei der Klägerin bemerkt und eine nervenärztliche Begutachten angeregt. Dr. Br. konnte im Rahmen seiner Untersuchung im September 2013 allerdings keinerlei Hinweise auf Konzentrationsstörungen der Klägerin im Rahmen der mehrstündigen Untersuchung feststellen. Er hat ausdrücklich eine somatoforme Schmerzstörung mit erheblichen Diskrepanzen zwischen objektiv feststellbaren Funktionseinbußen bei völlig unauffälligem klinischen Befund und geklagten Beeinträchtigungen festgestellt. Die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung ergibt sich auch aus dem Gutachten von Prof. Dr. Sch ... Auch hier findet sich der deutliche Hinweis auf Diskrepanzen zwischen angegebenen Störungen und tatsächlichen Beeinträchtigungen. So ließ sich etwa die Angabe der Klägerin, sie könne aufgrund ihrer damaligen Berufstätigkeit den rechten Arm nicht mehr bewegen, nicht bestätigen. Im Rahmen der Untersuchung war die Beweglichkeit des rechten Armes nicht eingeschränkt, insoweit hat Prof. Dr. Sch. auch ein früher angenommenes Schulter-Arm-Syndrom eher als funktionelle Beeinträchtigung im Rahmen der somatoformen Schmerzstörung gesehen. Dass die Klägerin unter Hinweis auf ihre behandelnden Ärzte diese Diagnose für falsch hält, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die von den behandelnden Ärzten angegebenen Diagnosen insbesondere betreffend die durch bildgebende Verfahren belegten degenerativen Veränderungen an der Wirbelsäule werden auch von den gerichtlichen Gutachtern nicht angezweifelt, insbesondere betrifft dies auch das Vorliegen von Bandscheibenvorfällen oder –vorwölbungen. Allein daraus lässt sich jedoch ein zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen nicht herleiten, da ganz maßgeblich die Funktionsbeeinträchtigungen sind. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule führen jedoch nach den überzeugenden Ausführungen insbesondere der orthopädischen Gutachter lediglich zu qualitativen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit. Bestätigt wird dies auch durch die neurologische Untersuchung bei Dr. Ni., der im Schreiben vom 03.11.2015 ausdrücklich darauf hinweist, dass der neurologische Befund abgesehen von Parästhesien im Dermatom L4 links komplett unauffällig war ohne Paresen, Muskeltonusanomalien, Atrophien oder eine Gangstörung. Schmerzbedingte weitergehende Funktionsstörungen konnte auch Dr. Br. nicht feststellen. Im Gegenteil zeigte seine Verhaltensbeobachtung im Rahmen der Untersuchung, dass derartige Einschränkungen nicht bestanden; so konnte die Klägerin in entspannter Haltung ohne größere Unruhe oder Ausweichbewegungen zwei Stunden ohne Unterbrechung bei der Befragung auf dem Stuhl sitzen. Bestätigt werden diese Beobachtungen durch die Ausführungen im Gutachten von Prof. Dr. Sch. mit ergänzenden Darlegungen von Dipl-Psych G ...

Soweit die Klägerin geltend macht, ihr Gesundheitszustand habe sich seit 2012 nicht gebessert, mag dies durchaus zutreffen. In der Tat bestätigt der behandelnde Orthopäde Dr. R. im Februar 2014 gegenüber dem SG einen seit 2008 weitgehend unveränderten Zustand. Entsprechend wird auch etwa von Dr. K. oder Dr. von St. "keine Besserung" festgestellt. Angesichts des bestehenden vollschichtigen Leistungsvermögens, das bereits im August/September 2013 von Dr. W. und Dr. Br. bestätigt worden ist, kommt es nicht darauf an, ob seither eine Besserung eingetreten ist. Eine richtungsweisende Verschlechterung wird jedenfalls auch von den behandelnden Ärzten nicht dargelegt oder behauptet.

Schließlich ergibt sich auch aus den Aussagen der behandelnden Ärzte keine weitergehende Leistungseinschränkung. Dr. R. und Dr. F. haben über eine Besserung der Beschwerden nach der Operation an der HWS berichtet. Die Hausärztin Dr. W.-N. hat seit 2010 im Wesentlichen internistische Kontrolluntersuchungen durchgeführt und hinsichtlich der Schmerzbehandlung auf andere Ärzte verwiesen. Dr. K., der die Schmerzbehandlung durchgeführt hat, war bereits im Jahr 2009 der Auffassung, dass die Klägerin nur unter 2-stündig leistungsfähig sei, wie sich aus seiner Aussage gegenüber dem SG Mannheim vom 03.08.2009 ergibt (Bl 51/51 Senatsakte). Als behandelnder Arzt differenziert er jedoch nicht zwischen objektiven Befunden und subjektiven Beschwerdeangaben, sondern legt allein letztere zugrunde. Die von ihm zuletzt im Schreiben vom 23.11.2015 angegebene stark reduzierte Wirbelsäulenfunktion ist auch nicht durch Befunde untermauert, so dass die Angabe nicht nachvollziehbar ist; sie steht insbesondere auch im Widerspruch zur neurologisch unauffälligen Befundung durch Dr. Ni.

Ein Rentenanspruch kann vorliegend auch nicht auf die Grundsätze einer schweren spezifischen Leistungsbeeinträchtigung oder einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gestützt werden. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine volle Erwerbsminderung ausnahmsweise selbst bei einer mindestens sechsstündigen Erwerbsfähigkeit vor, wenn der Arbeitsmarkt wegen besonderer spezifischer Leistungseinschränkungen als verschlossen anzusehen ist. Dem liegt zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbliebene Erwerbsfähigkeit nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110). Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist bei Versicherten mit zumindest sechs-stündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders ein-schneidende Behinderung gemindert ist. Eine Verweisungstätigkeit braucht erst dann benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in viel-fältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Hinsichtlich der vorhandenen qualitativen Beschränkungen hängt das Bestehen einer Benennungspflicht im Übrigen daher entscheidend von deren Anzahl, Art und Umfang ab, wobei zweckmäßigerweise in zwei Schritten - einerseits unter Beachtung der beim Restleistungsvermögen noch vorhandenen Tätigkeitsfelder, andererseits unter Prüfung der "Qualität" der Einschränkungen (Anzahl, Art und Umfang) - zu klären ist, ob hieraus eine deutliche Verengung des Arbeitsmarktes resultiert (vgl BSG 20.08.1997, 13 RJ 39/96, SozR 3-2600 § 43 Nr 17; 11.05.1999, B 13 RJ 71/97 R, SozR 3-2600 § 43 Nr 21; 09.09.1998, B 13 RJ 35/97 R). Eine spezifische Leistungseinschränkung liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG 27.04.1982, 1 RJ 132/80, SozR 2200 § 1246 Nr 90). Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es nicht, wenn Tätigkeiten wie das Verpacken leichter Gegenstände, einfache Prüfarbeiten oder die leichte Bedienung von Maschinen noch uneingeschränkt möglich sind. Dies ist der Fall. Einschränkungen, die dem entgegenstehen würden, sind den Gutachten von Prof. Dr. Sch., Dr. W. und Dr. Br. nicht zu entnehmen. Das Risiko, einen entsprechenden Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich zu erhalten, liegt bei diesem Leistungsvermögen nicht im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die Klägerin ist auch wegefähig im rentenrechtlichen Sinne. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (BSG 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr 2 mwN; 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R). Denn eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs ist in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich. Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des nach § 43 SGB VI versicherten Risikos (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr 2; 14.03.2002, B 13 RJ 25/01 R); das Defizit führt zur vollen Erwerbsminderung. Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - möglich sein muss, nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Meter mit zumutbarem Zeitaufwand zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z. B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berück-sichtigen (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 30.01.2002, B 5 RJ 36/01 R (juris) mwN). Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin eine Wegstrecke von mindestens 500 Metern nicht mehr in bis zu 20 Minuten bewältigen kann, liegen nach den plausiblen Darlegungen Prof. Dr. Sch.s nicht vor. So konnte die Klägerin bei der Untersuchung auf dem Klinikgelände im Rahmen der Untersuchung eine Gehstrecke von ca 500 Metern auch treppauf und treppab mit einem Tempo von 3 bis 4 km/h zurücklegen. Zwar war sie danach kurzatmig mit erhöhter Herzfrequenz von 150 Schlägen pro Minute, dies ist jedoch nach den Ausführungen des Gutachters dem absoluten Trainingsmangel geschuldet und funktionell deutlich zu verbessern.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Die vorliegenden Gutachten von Prof. Dr. Sch., Dr. W. und Dr. Br. haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und geben auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 Abs 1 SGB VI hat die Klägerin schon deshalb nicht, da sie nach dem Stichtag 02.01.1961 geboren ist. Es besteht auch kein Anspruch auf Rente für Bergleute nach § 45 SGB VI, da die Klägerin hierfür die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Abgesehen davon hat die Klägerin diese Rente auch schon im Klageverfahren nicht mehr geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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