L 5 RS 855/14

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 16 RS 437/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RS 855/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Geltendmachung zusätzlicher Arbeitsentgelte in Form von Jahresendprämien
Die Höhe der geltend gemachten Jahresendprämien konnte der Kläger zwar nicht glaubhaft machen. Das Gericht macht jedoch von seiner im Rahmen der Einzelfallwürdigung nach § 202 SGG in Verbindung mit § 287 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 ZPO gegebenen Möglichkeit der Schätzung Gebrauch.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 23. Oktober 2014 wird unter folgender Maßgabe zurückgewiesen: Das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 23. Oktober 2014 wird neu gefasst: Die Be-klagte wird unter Änderung des Feststellungsbescheides vom 26. Juli 2002 in der Fassung des Feststellungsbescheides vom 10. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2012 verurteilt, weitere Arbeits-entgelte im Rahmen der festgestellten Zusatzversorgungszeiten der zusätzli-chen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben festzustellen: Zuflussjahr Höhe 1978 571,79 1979 668,24 1980 672,80 1981 726,32 1982 655,63 1983 655,63 1984 748,94 1985 748,94 1986 741,69 1987 791,10 1988 838,57 1989 895,39 1990 866,69

II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Be-rufungsverfahren.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzver-sorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, für den Kläger den Zeitraum vom 1. November 1977 bis 30. Juni 1990, der als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) anerkannt ist, höhere Arbeitsentgelte in Form von Jahresendprämien festzustel-len.

Der 1948 geborene Kläger ist seit dem 9. November 1977 berechtigt, die Berufsbezeich-nung "Ingenieur" zu führen (vgl. Bl. 12 Verwaltungsakte [VA]). Ab dem 1. November 1977 war er als Fachingenieur Instandhaltung und ab dem 1. Mai 1987 bis zum 30. Juni 1990 als Fachingenieur Anlageninstandhaltung im Volkseigenen Betrieb Gaskombinat S P (nachfolgend: VEB) beschäftigt. Mit Feststellungsbescheid vom 26. Juli 2002 (Bl. 5 VA) stellte die Beklagte die Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz für den Zeitraum vom 1. November 1977 bis 30. Juni 1990 mit entsprechenden Arbeitsentgelten fest. Mit Überprüfungsantrag vom 12. September 2007 (Bl. 85 VA) begehrte der Kläger die Feststellung höherer Entgelte unter Einbeziehung von Prämien. Mit Bescheid vom 12. März 2003 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2008 lehnte die Beklagte die Feststellung höherer Entgelte mit der Begründung ab, der VEB sei am 30. Juni 1990 lediglich eine sog. "leere Hülle" gewesen und der Feststel-lungsbescheid vom 26. Juli 2002 deshalb rechtswidrig. Im anschließenden Gerichtsverfah-ren vor dem Sozialgericht Dresden (S 42 RS 1333/11) schlossen die Beteiligten einen Ver-gleich, in dem sich die Beklagte unter Anerkennung, dass § 1 Abs. 1 AAÜG anwendbar sei, zur Prüfung verpflichtete, in welchem Umfang höhere Verdienste unter Berücksichti-gung von Jahresendprämien und Bergmannstreuegeld festzustellen seien. Mit Feststel-lungsbescheid vom 10. Oktober 2011 stellte sie höhere Arbeitsentgelte unter Einbeziehung von zusätzlichen Belohnungen im Bergbau, die von der Rhenus Logistics GmbH mit Schreiben vom 15. Juni 2011 mitgeteilt wurden (Bl. 111 VA), fest. Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch wandte sich der Kläger gegen die Nichteinbeziehung von (weite-ren) Sonderzahlungen. Er legte eine notariell beglaubigte Erklärung vom 26. Januar 2009 der Zeugen Dr. R (ehemaliger Generaldirektor), Dr. T (ehemaliger Ökonomischer Di-rektor), K (ehemaliger stellv. Hauptbuchhalter) und S (ehemaliger Direktor für Ar-beitsversorgung und Sozialökonomie) vor, in denen sie u.a. die jährliche Zahlung von Jah-resendprämien in Höhe eines durchschnittlichen Monatsbruttogehalts bestätigen (B. 137 ff. VA). Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. Februar 2012 zurück. Die Gewährung und Höhe von zusätzlichen Belohnungen im Bergbau seien von Bedingungen abhängig gewesen, die ohne Nachweis nicht mehr zweifelsfrei nachvollzieh-bar seien und daher nicht berechnet werden könne. Die im Zeitraum 1. Januar 1977 bis 30. Juni 1990 durch Auskunft der Rhenus Office Systems GmbH "nachgewiesenen" Zahlun-gen der zusätzlichen Belohnungen seien berücksichtigt worden. Die Zahlung von Jahres-endprämien sei hingegen nicht nachgewiesen.

Mit seiner am 8. März 2012 vor dem Sozialgericht Dresden erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren hinsichtlich der Feststellung höherer Entgelte in Form von Jahresendprämien weiterverfolgt. Er habe durch eine vorgelegte eidesstattliche Erklärung früherer Arbeitskollegen und Vorgesetzter nachgewiesen bzw. glaubhaft gemacht, dass jeder Be-schäftigte Jahresendprämien in Höhe von mindestens zehn Prozent des Jahresverdienstes erhalten habe. In der Berechnung der Rhenus Office System GmbH seien die mindestens zugeflossenen Beträge nachvollziehbar dargestellt. Mit Urteil vom 23. Oktober 2014 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Abänderung des Feststellungsbescheides vom 10. Ok-tober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2012 verurteilt, für die Jahre 1978 bis 1989 sowie für das erste Halbjahr 1990 weitere Arbeitsentgelte wegen zu berücksichtigender Jahresendprämien für die Planjahre 1977 bis 1989 in Höhe von 5/6 von 70 Prozent der im Feststellungsbescheid vom 26. Juli 2002 festgestellten und durch zwölf geteilten Jahresentgelte im Rahmen der festgestellten Zusatzversorgungszeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz festzustellen. Zwar habe der Kläger keinen Nachweis für die Zahlung der Prämien erbringen können. Jedoch habe er glaubhaft gemacht, in den geltend gemachten Jahren eine Jahresendprämie erhalten zu ha-ben. Ausgehend von der im Verwaltungsverfahren vorgelegten Erklärung der ehemaligen Funktionsträger des VEB sowie den sonstigen Unterlagen, aus denen hervorgehe, dass dem Kläger leistungsabhängige Zulagen zugestanden wurden, sei glaubhaft gemacht, dass das Arbeitskollektiv, dem er angehörte, die vorgegebenen Leistungskriterien in der festgelegten Mindesthöhe erfüllte habe. Die Höhe habe er nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere beziehe sich die Berechnung der Rhenus Office GmbH ausschließlich auf das im Feststellungsbescheid vom 10. Oktober 2011 bereits berücksichtigte Bergmannsgeld. Die Höhe der Jahresendprämien könne jedoch geschätzt werden.

Gegen das am 30. Oktober 2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 5. November 2014 Berufung eingelegt. Sie wendet sich gegen die Schätzung der Jahresendprämien. Sie genü-ge nicht den Anforderungen, die an eine willkürfreie Schätzung zu richten seien.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 23. Oktober 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Auf Aufforderung des Gerichts hat der Zeuge S Auszüge aus dem Betriebskollektivver-trag für die Jahre 1975 und 1987 sowie der Kläger u.a. Protokolle über Leistungsgespräche, eine Mitteilung über eine Prämiengewährung, Vorschläge zur Auszeichnung "Aktivist der sozialistischen Arbeit", Mitteilung über eine Auszeichnungsreise sowie Leistungseinschät-zungen übersandt (Bl. 178 ff. GA).

Dem Gericht lagen die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte beider Rechtszüge vor, worauf zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte, ohne mündlich zu verhandeln, entscheiden, weil die Beteiligten hier-mit einverstanden sind, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Sozialgericht Dresden hat die Beklagte mit Urteil vom 23. Oktober 20014 zu Recht verurteilt, unter Änderung des Feststellungsbe-scheides vom 10. Oktober 2011 höherer Arbeitsentgelte unter Berücksichtigung gezahlter Jahresendprämien festzustellen. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2012 ist (insoweit) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, ist der Feststellungsbescheid der Beklag-ten vom 10. Oktober 2011 dahingehend abzuändern, dass für die Jahre 1978 bis 1990 auf-grund zu berücksichtigender Jahresendprämien höhere Arbeitsentgelte im tenorierten Um-fang) festzustellen sind.

Gemäß § 8 Abs. 1 AAÜG hat die Beklagte als der unter anderem für das Zusatzversor-gungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volksei-genen und ihnen gleichgestellten Betrieben zuständige Versorgungsträger in einem dem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) ähnlichen und außerhalb des Rentenverfahrens durchzuführenden (vgl. Bundes-sozialgericht [BSG], Urteil vom 18. Juli 1996 - 4 RA 7/95 - SozR 3-8570 § 8 Nr. 2) Ver-fahren durch jeweils einzelne Verwaltungsakte bestimmte Feststellungen zu treffen. Vor-liegend hat die Beklagte mit Feststellungsbescheid vom 26. Juli 2002 in der Gestalt des Feststellungsbescheides vom 10. Oktober 2011 die Zeit vom 1. November 1977 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG (vgl. § 5 AAÜG) sowie die während dieser Zeiten erzielten Arbeitsentgelte unter Berücksichtigung zusätzlicher Belohnungen im Bergbau festgestellt (§ 8 Abs. 1 Satz 2 AAÜG). Weitere Entgelte in Form von Jahresendprämien hat die Beklagte zu Unrecht nicht berücksichtigt.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG ist den Pflichtbeitragszeiten nach diesem Gesetz (vgl. § 5 AAÜG) für jedes Kalenderjahr als Verdienst (§ 256a Abs. 2 SGB VI) das erzielte Arbeits-entgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde zu legen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist dabei dem Entgeltbegriff im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG der bundesdeutsche Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne von § 14 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) zugrunde zu legen (BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 4/06 R –, SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 – juris Rn. 25 m.w.N.)

1. Arbeitsentgelt in diesem Sinne sind nach der Rechtsprechung des BSG auch die in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) an Arbeitnehmer rechtmäßig gezahlte Jahres-endprämien, weil es sich um eine Gegenleistung des Betriebs für die von dem Werktätigen im jeweiligen Planjahr erbrachte Arbeitsleistung handelte, wobei es nicht darauf ankommt, dass dieser Verdienst nach DDR-Recht nicht steuer- und sozialversicherungspflichtig ge-wesen ist (BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 – juris Rn. 21 ff.). Denn der Gesetzestext des § 6 Abs. 1 S. 1 AAÜG besagt, dass den Pflichtbeitragszeiten im Sinne des § 5 AAÜG als Verdienst (§ 256a SGB VI) unter ande-rem das "erzielte Arbeitsentgelt" zugrunde zu legen ist. Aus dem Wort "erzielt" folgt nach den Ausführungen des BSG im Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 S. 1 AAÜG, dass es sich um Entgelt oder Einkommen handeln musste, das dem Berechtigten während der Zugehö-rigkeitszeiten zum Versorgungssystem "aufgrund" seiner Beschäftigung "zugeflossen", ihm also tatsächlich gezahlt worden ist. In der DDR konnten die Werktätigen unter bestimmten Voraussetzungen Prämien als Bestandteil ihres Arbeitseinkommens bzw. -entgelts erhalten, die im Regelfall mit dem Betriebsergebnis verknüpft waren und eine leistungsstimulierende Wirkung ausüben sollten. Lohn und Prämien waren "Formen der Verteilung nach Arbeitsleistung" (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2007, a.a.O. Rn. 30 unter Verweis auf: Arbeitsrecht - Lehrbuch, herausgegeben von einem Autorenkollektiv, Staatsverlag der DDR, Berlin 1983, S. 193). Die Prämien wurden aus einem zu bildenden Betriebsprämienfonds finanziert, wobei die Voraussetzungen ihrer Gewährung in einem Betriebskollektivvertrag vereinbart werden mussten. Über ihre Gewährung und Höhe ent-schied der Betriebsleiter mit Zustimmung der zuständigen betrieblichen Gewerkschaftslei-tung nach Beratung im Arbeitskollektiv. Diese allgemeinen Vorgaben galten für alle Prä-mienformen (§ 116 des Arbeitsgesetzbuches der DDR [AGB-DDR]) und damit auch für die Jahresendprämie (§ 118 Abs. 1 und 2 AGB-DDR). Sie diente als Anreiz zur Erfüllung und Übererfüllung der Planaufgaben, war bezogen auf das Planjahr und hatte den Charak-ter einer Erfüllungsprämie. Nach § 117 Abs. 1 AGB-DDR bestand ein "Anspruch" auf Jah-resendprämie, wenn - die Zahlung einer Jahresendprämie für das Arbeitskollektiv, dem der Werktätige angehörte, im Betriebskollektivvertrag vereinbart war, - der Werktätige und sein Arbeitskollektiv die vorgesehenen Leistungskriterien in der festgelegten Mindesthöhe erfüllt hatte und - der Werktätige während des gesamten Planjahres Angehöriger des Betriebs war (BSG, Urteil vom 23. August 2007, a.a.O. Rn. 31).

Die Feststellung von Beträgen, die als Jahresendprämie gezahlt wurden, hing davon ab, dass der Empfänger die Voraussetzungen der §§ 117, 118 AGB-DDR erfüllt hatte. Hierfür und für den Zufluss trägt er die objektive Beweislast. Mithin wird deutlich, dass die Zah-lung von Jahresendprämien von mehreren Voraussetzungen abhing. Der Kläger hat, um eine Feststellung zusätzlicher Entgelte beanspruchen zu können, nachzuweisen oder glaub-haft zu machen, dass alle diese Voraussetzungen in jedem einzelnen Jahr erfüllt gewesen sind und zusätzlich, dass ihm ein bestimmter, berücksichtigungsfähiger Betrag auch zuge-flossen, also tatsächlich gezahlt worden ist.

Nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG entscheidet das Gericht hierbei nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Dabei ist neben dem Vollbe-weis, d.h. der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, auch die Möglichkeit der Glaubhaftmachung des Vorliegens weiterer Arbeitsentgelte aus Jahresendprämien gegeben. Dies kann aus der Vorschrift des § 6 Abs. 6 AAÜG abgeleitet werden, wonach, wenn ein Teil des Verdienstes nachgewiesen und der andere Teil glaubhaft gemacht wird, der glaubhaft gemachte Teil des Verdienstes zu fünf Sechsteln berücksichtigt wird (st. Rspr. des 5. Senats des LSG Chemnitz, vgl. u.a. Urteile vom 21. Juli 2015 – L 5 RS 668/14 –, vom 12. Mai 2015 – L 5 RS 424/14 – und vom 28. April 2015 – L 5 RS 450/14 – sowie LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Oktober 2014 – L 33 R 151/13 – juris Rn. 38).

Der Kläger hat den Zufluss von Jahresendprämien in den Jahren 1978 bis 1990 (für die Be-schäftigungsjahre 1977 bis 1989) zwar nicht nachgewiesen, jedoch glaubhaft gemacht. Die Höhe der Jahresendprämien hat er weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Hierbei hat das Sozialgericht jedoch zutreffend von der Möglichkeit der Schätzung Gebrauch ge-macht.

a) Ihr Zufluss konnte nicht nachgewiesen, jedoch glaubhaft gemacht werden.

Der Kläger verfügt nicht über die Quittungen, auf denen die (Bar-)Auszahlung der jeweili-gen Prämie bestätigt wird. Eine solche geht auch nicht aus dem Schreiben der Rhenus Office Systems GmbH vom 15. Juni 2011 hervor. Darin sind lediglich die – fiktiv – ermit-telten "zusätzlichen Belohnungen" im Bergbau aufgeführt, nicht jedoch die vom Kläger darüber hinaus geltend gemachten Jahresendprämien.

Jedoch konnte der Kläger den Zufluss der Prämien glaubhaft machen. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist eine Tatsache dann als glaubhaft gemacht anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbare Beweismittel er-strecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, das heißt der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Urteil vom 22. September 1977 – 10 RV 15/77 – BSGE 45, 9 ff – juris Rn. 32, Urteil vom 17. Dezember 1988 – 12 RK 42/80 – BSG SozR 5070 § 3 Nr. 1 – juris Rn. 26 und Beschluss vom 10. August 1989 - 4 BA 94/89 – juris Rn. 7). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache spre-chen. Vielmehr genügt es, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglich-keiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwür-digung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben – Vollbeweis und hinreichende Wahrscheinlichkeit – reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist aufgrund der Freiheit der richterli-chen Beweiswürdigung nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, SozR 3-1500 § 160a Nr. 33, SozR 3-1500 § 170 Nr. 9 – juris Rn. 5).

Ausgehend von diesen Maßstäben hat der Kläger glaubhaft gemacht, dass die oben ge-nannten Voraussetzungen für den Bezug der Jahresendprämien vorlagen und er sie jeweils erhalten hat.

(a) Ausweislich der Eintragungen in seinem Sozialversicherungsausweis (vgl. Anlage zur VA) war er während der gesamten Jahre 1977 bis 1989 im VEB Gaskombinat S P be-schäftigt, was nach § 117 Abs. 1 Voraussetzung 3 AGB-DDR für den Anspruch auf Zah-lung einer Jahresendprämie vorausgesetzt war.

(b) Glaubhaft gemacht ist auch, dass die Zahlung von Jahresendprämien für das Arbeits-kollektiv, dem der Kläger angehörte, im Betriebskollektivvertrag vereinbart war sowie der Kläger und sein Arbeitskollektiv die vorgegebenen Leistungskriterien in der festgelegten Mindesthöhe erfüllt haben, § 117 Abs. 1 Voraussetzungen 1 und 2 AGB-DDR.

Zum einen sprechen hierfür die in der DDR geltenden gesetzlichen Regelungen im AGB-DDR, das in den §§ 28 ff. einen eigenen Abschnitt für den Betriebskollektivvertrag ent-hielt. Nach § 28 Abs. 1 AGB-DDR war er zwischen dem Betriebsleiter und der Betriebs-gewerkschaftsleitung abzuschließen, was mithin zwingend vorgesehen war. Nach Absatz 1 Satz 3 dieser Vorschrift sind darin u.a. die arbeitsrechtlichen Regelungen zu treffen, die "entsprechend den Rechtsvorschriften" in ihm zu vereinbaren sind, wozu nach § 118 Abs. 1 AGB-DDR auch die Voraussetzungen für die Gewährung und die Höhe der Jahresend-prämien gehörten. Dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Jahresendprämien in den jeweiligen Betriebskollektivverträgen zwingend zu vereinbaren bzw. festzulegen wa-ren, ergibt sich zudem aus den diese Festlegungen konkretisierenden Verordnungen. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämi-enfonds und des Kultur- und Sozialfonds für volkseigene Betriebe im Jahr 1972 - Prämien-fond-VO 1972 – (GBl. DDR II S. 49), die durch die Zweite Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds und des Kultur- und Sozialfonds für volksei-gene Betriebe vom 21. Mai 1973 (GBl. DDR I S. 293) geändert wurde, und § 8 Abs. 3 Satz 1 und 2 der Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds für volkseigene Betriebe – Prämienfond-VO 1982 – (BGl. DDR I S. 595) ist die Verwendung des Prämienfonds in den Betriebskollektivverträgen zu vereinbaren. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Spiegelstrich 2 Prämienfond-VO 1972 bzw. § 8 Abs. 3 Satz 3 Spiegelstrich 4 Prämienfond-VO 1982 ist dabei u.a. zu vereinbaren, unter welchen Voraussetzungen Jahresendprämien als Form der materiellen Interessiertheit der Werktätigen an guten Wirtschaftsergebnissen des Betriebes im gesamten Planjahr angewendet werden.

Darüber hinaus sprechen hierfür die vom Zeugen S übersandten Auszüge aus den Be-triebskollektivverträgen für die Jahre 1975 und 1987. So sind im Betriebskollektivvertrag für das Jahr 1975 unter Ziff. 2.4 Regelungen zur Jahresendprämie enthalten, wobei deren Bildung unter Ziffer 2.4.1 bzw. ihre Verwendung unter Ziffer 2.4.2 konkretisiert ist. Da-nach ist bei der Festlegung der Jahresendprämie von einem einheitlichen Prozentsatz des Monats(durchschnitts)verdienstes auszugehen. Weiter hat der Werktätige Anspruch auf Jahresendprämie, wenn er während des gesamten Planjahres tätig war und die kollektiv und individuell festgelegten Leistungskriterien erfüllt hat. Im Betriebskollektivvertrag für das Jahr 1987 ist der Anspruch auf Jahresendprämie in Anlage 5 (Bl. 170 GA) geregelt, wobei zunächst im Wesentlichen die Regelungen in § 117 AGB-DDR wiedergegeben wer-den. Weiter war die Jahresendprämie für jeden Werktätigen nach Leistung zu differenzie-ren, wobei für die Differenzierung der Leiter des Kollektivs verantwortlich war. Diese Re-gelungen sprechen für eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass auch in den übrigen in Rede ste-henden Planjahren Jahresendprämien in den jeweiligen Betriebskollektivverträgen verein-bart waren. Aufgrund der eidesstattlichen Versicherung der Zeugen Dr. R , Dr. T , K und S ist zudem glaubhaft gemacht, dass der Kläger und das Arbeitskollektiv, dem er angehörte, die vorgegebenen Leistungskriterien in der festgelegten Mindesthöhe erfüllt ha-ben (§ 117 Abs. 1 Voraussetzung 2 AGB-DDR). So gaben sie übereinstimmend an, im VEB Gaskombinat S P sei in allen Kombinatsbetrieben in den Jahren 1969 bis 1989 jedem Beschäftigten zusätzlich eine Jahresendprämie gezahlt worden, wobei die Zahlungen in betrieblichen Listen erfasst worden seien. Hinzu kommen die vom Kläger vorgelegten Leistungseinschätzungen und Würdigungen seiner Arbeit – u.a. in Form einer Aus-zeichnung mit einer Freundschaftsreise –, die belegen, dass der Kläger zu den leistungs-starken Werktätigen im VEB zählte. So wird ihm u.a. in der Leistungseinschätzung vom 7. Februar 1986 Pünktlichkeit, Einsatzbereitschaft und Initiative bescheinigt. In der vorgeleg-ten Abschlussbeurteilung vom 8. Mai 1987 wird eine sehr gute Erfüllung seiner fachlichen Aufgaben bestätigt, weshalb er mehrfach ausgezeichnet worden sei.

b) Die konkrete Höhe der Jahresendprämien konnte der Kläger – da bereits der Nachweis ih-res Zuflusses nicht gelang – nicht nachweisen. Auch eine Glaubhaftmachung ist nicht ge-lungen.

Weder den Erklärungen der Zeugen noch denen des Klägers selbst konnte die Höhe der Jahresendprämien mit an Sicherheit grenzender bzw. überwiegender Wahrscheinlichkeit entnommen werden. Zwar gaben die Zeugen Dr. R , Dr. T , K und S an, sie seien in Höhe eines durchschnittlichen Monatsbruttogehaltes gezahlt worden. Aus den vorgeleg-ten Auszügen der Betriebskollektivverträge geht jedoch hervor, dass ihre Höhe jährlich differierte, weshalb ein Durchschnittsmonatsgehalt nicht pauschal zugrunde gelegt werden kann. Zwar war danach für alle Beschäftigten bei der Berechnung der Jahresendprämie von einem einheitlichen Prozentsatz des Monatsverdienstes auszugehen. Dies stellte jedoch nur den Anknüpfungspunkt dar, denn die Höhe der Prämien bestimmte sich ausdrücklich nach der Leistung der Arbeitskollektive und des einzelnen Werktätigen.

Das Sozialgericht hat jedoch von seiner im Rahmen der Einzelfallwürdigung nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 287 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 Zivilpro-zessordnung (ZPO) gegebenen Möglichkeit der Schätzung Gebrauch gemacht (vgl. hierzu beispielhaft die Senatsurteile vom 4. Februar 2014 – L 5 RS 462/13 – und vom 12. Mai 2015 – L RS 382/14). Gemäß § 287 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO entscheidet das Gericht, wenn streitig ist, ob ein Schaden entstanden ist und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse beläuft, unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Diese Vorschrift ist nach Absatz 2 bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Zum einen handelt es sich bei dem Streit über die Feststellung (weiterer) Arbeitsentgelte zumindest mittelbar um eine vermögensrechtliche Streitigkeit. Zwar ist der prozessuale Anspruch unmittelbar nicht auf Geld, sondern auf die Feststellung erzielter Arbeitsentgelte gerichtet. Eine vermögens-rechtliche Streitigkeit liegt jedoch auch dann vor, wenn der prozessuale Anspruch auf ei-nem vermögensrechtlichen Rechtsverhältnis beruht, das auf Gewinn oder Erhaltung von Geld oder geldwerten Gegenständen gerichtet ist (vgl. Reichold in Thomas/Putzo, Zivil-prozessordnung, 33. Auflage 2012, Einleitung IV Nr. 1). Dies ist der Fall, weil die von der Beklagten festzustellenden Entgelte Grundlage für die Höhe des Anspruchs auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und mithin einer Geldforderung sind, vgl. § 8 Abs. 1 AAÜG. Zum anderen wäre die vollständige Aufklärung der für die Berechnung der konkret zugeflossenen Jahresendprämien maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden, die zur Bedeutung des streitigen Teils der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

Als jährlicher Basiswert der Prämienhöhe ist mangels anderweitiger Anhaltspunkte der je-weils im Planungsjahr erzielte durchschnittliche Bruttomonatslohn zu Grunde zu legen, wie er sich aus dem Feststellungsbescheid der Beklagten vom 26. Juli 2002 ergibt. Der Feststellungsbescheid in der Fassung vom 10. Oktober 2011 hat das Sozialgericht hingegen zutreffend nicht zugrunde gelegt, weil darin bereits "zusätzliche Belohnungen" im Bergbau berücksichtigt wurden, die den durchschnittlichen Bruttomonatslohn erhöhen. Die An-knüpfung an den durchschnittlichen Bruttomonatslohn ist vor allem deshalb gerechtfertigt, weil auch die staatlichen Prämienverordnungen, die die in den Betriebskollektivverträgen festzulegenden Voraussetzungen für die Zahlung von Jahresendprämien konkretisierten, für die Höhe der Jahresendprämien an den durchschnittlichen Monatsverdienst anknüpften. So betrug die Jahresendprämie nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und 3 Prämienfond-VO 1972 mindestens ein Drittel und maximal das Zweifache des monatlichen Durchschnittsver-dienstes des Werktätigen. Diese Anknüpfung wird durch die benannten Regelungen in den vorgelegten Betriebskollektivverträgen bestätigt.

Von diesem Wert ist ein Abschlag von 30 von Hundert vorzunehmen, weil die Höhe der jeweils an den Werktätigen ausgezahlten Jahresendprämie von einer Vielzahl verschiedener Faktoren abhing, die im konkreten Einzelfall nicht mehr nachvollziehbar sind. So erhielt der Werktätige nach § 117 Abs. 3 AGB-DDR bei einer im Planjahr vorliegenden vo-rübergehenden Arbeitsunfähigkeit die Jahresendprämie (nur) entsprechend seiner in diesem Jahr erbrachten Gesamtleistung. Auch konnte die Jahresendprämie nach § 117 Abs. 4 AGB-DDR bei "schwerwiegender Verletzung der sozialistischen Arbeitsdisziplin oder der staatsbürgerlichen Pflichten" gemindert werden oder entfallen. Gemäß § 118 Abs. 2 Satz 1 AGB-DDR wurde die Jahresendprämie für den einzelnen Werktätigen vom Betriebsleiter nach Beratung im Arbeitskollektiv festgelegt und bedurfte der Zustimmung der zuständi-gen betrieblichen Gewerkschaftsleitung. Aufgrund dieser gesetzlich vorgesehenen indivi-duellen Festlegung ist nicht davon auszugehen, dass die Jahresendprämie stets 100 von Hundert oder mehr eines durchschnittlichen Bruttomonatsverdienstes entsprach. Von dem danach geschätzten Betrag ist ein weiterer Abschlag in Höhe eines Sechstel sachlich ge-rechtfertigt, weil der Kläger bereits den Zufluss der Jahresendprämie lediglich glaubhaft machen konnte. Dies folgt aus dem Rechtsgedanken des § 6 Abs. 6 AAÜG, wonach der glaubhaft gemachte Teil eines Verdienstes nur in dieser Höhe berücksichtigt wird. Dies muss erst recht gelten, wenn lediglich der Zufluss des Verdienstes glaubhaft gemacht wur-de.

Hieraus ergeben sich folgende zu berücksichtigende Jahresendprämien:

Anspruchsjahr Jahresarbeits-verdienst in Mark Monatsdurch-schnittsverdienst 70vH 5/6 Zuflussjahr 1977 1.960,43 980,22 686,15 571,79 1978 1978 13.746,72 1.145,56 801,89 668,24 1979 1979 13.840,52 1.153,37 807,36 672,80 1980 1980 14.941,37 1.245,11 871,58 726,32 1981 1981 13.487,17 1.123,93 786,75 655,63 1982 1982 13.487,22 1.123,94 786,75 655,63 1983 1983 15.406,80 1.283,90 898,73 748,94 1984 1984 15.406,80 1.283,90 898,73 748,94 1985 1985 15.257,69 1.271,47 890,03 741,69 1986 1986 16.274,07 1.356,17 949,32 791,10 1987 1987 17.250,49 1.437,54 1.006,28 838,57 1988 1988 18.419,44 1.534,95 1.074,47 895,39 1989 1989 17.829,00 1.485,75 1.040,03 866,69 1990

Der Tenor war (lediglich) insoweit abzuändern, dass die Höhe der Jahresendprämien aus-drücklich benannt wird und dass der Feststellungsbescheid vom 26. Juli 2002 in der Fas-sung des Bescheides vom 10. Oktober 2011 geändert wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Jacobi Dr. Lau Schurigt
Rechtskraft
Aus
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