Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 18 KR 668/13
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wenn die Krankenkasse frühere Beitragsfestsetzungsbescheide für freiwillige Mitglieder nicht ausdrücklich und unter konkreter Nennung der Bescheiddaten zurücknimmt, kann eine höhere Beitragsfestsetzung nicht erfolgen
1. Der Bescheid der Beklagten vom 20.9.2012 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 10.1.2013 und 28.2.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.6.2013 wird aufgehoben, soweit der Zeitraum vom 1.1.2008 bis 30.6.2012 betroffen ist. 2. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin sind vom Beklagten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Krankenversicherungsbeiträge der Klägerin vom 1.1.2008 bis 30.6.2012 und über die daraus entstandenen Rückstände der Klägerin in Höhe von über 7.000 EUR, die von der Klägerin unter Vorbehalt bezahlt worden sind.
Die 19xx geborene Klägerin ist seit dem 1.12.2006 freiwilliges Mitglied der Beklagten und in der Pflegeversicherung pflichtversichert. Sie erhielt eine Rente und war zusätzlich in der Firma ihres Ehemannes geringfügig beschäftigt.
Mit Bescheid vom 29.1.2007 stufte die Beklagte die Klägerin ab dem 1.12.2006 in die Beitragsklasse 718 ein und setzte den monatlichen Beitrag für Dezember 2006 auf insgesamt 130,36 EUR (114,43 EUR Krankenversicherung 15,93 EUR Pflegeversicherung) und den monatlichen Beitrag ab Januar 2007 auf insgesamt 132,81 EUR (116,88 EUR Krankenversicherung und 15,93 EUR Pflegeversicherung) fest. Dabei handelt es sich jeweils um die Beitragsberechnung auf der Grundlage der Mindesteinnahmegrenze.
In der Folgezeit gab die Klägerin am 14.8.2007, am 9.7.2008, am 21.7.2009 und am 28.7.2010 jeweils Erklärungen zu ihrer Einnahmesituation ab, wobei sie auf dem von der Beklagten hierfür vorgesehenen Formular jeweils ihrer Einnahmen aus einer geringfügigen Beschäftigung angab, jedoch die Frage: "Informationen zu Ehegatten und Kindern", ob ihr Ehegatte nicht gesetzlich krankenversichert sei, jeweils unbeantwortet ließ. Sie machte auch keine Angaben zu den Einkünften ihres Partners. Die Beklagte zog daraufhin die Klägerin mit weiteren Bescheiden, die nicht in der Verwaltungsakte der Beklagten enthalten sind, sondern erst von der Klägerin im Klageverfahren vorgelegt wurden, vom 27.12.2007, 17.7.2008, 18.12.2008, 21.12.2009, 24.8.2010, 28.1.2001und 15.12.2011 jeweils zu Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen heran. Im Jahr 2011 mahnte die Beklagte von der Klägerin erneut die Abgabe einer Erklärung zu ihrer Einnahmesituation an. Am 25.10.2011 füllte die Klägerin diese aus und gab hiermit erstmals an, dass ihr Partner nicht bei einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sei. Die monatlichen Einkünfte brutto ihres Ehegatten bezifferte die Klägerin mit 4.056,94 EUR. Im Dezember 2011 machte die Beklagte die Klägerin darauf aufmerksam, dass sie erstmalig angegeben habe, dass ihr Ehemann nicht in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sei und dass das Einkommen ihres Ehegatten zur Berechnung Ihrer Beiträge mit herangezogen werde. Sie wurde aufgefordert, Einkommensnachweise ihres Ehegatten seit dem Beginn der freiwilligen Versicherung am 1.12.2006 vorzulegen, was sie in der Folgezeit durch die Vorlage von Einkommensteuerbescheiden auch tat. In einem Begleitschreiben wies sie darauf hin, dass sie nicht verstehen könne, was das Einkommen ihres Mannes mit ihren Beiträgen zur Krankenkasse zu tun habe.
Mit Schreiben vom 10.2.2012 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Änderung und rückwirkenden Neuberechnung der Beiträge ab dem 1.12.2006 an.
Nachdem wegen fehlender Mitwirkung der Klägerin zunächst am 30.4.2012 ein Beitragsbescheid erlassen wurde, mit dem die Beiträge ab dem 1.6.2012 auf insgesamt 658,77 EUR festgesetzt wurden und gegen den die Klägerin Widerspruch eingelegt hatte, erließ die Beklagte am 20.9.2012 den hier strittigen geänderten Beitragsbescheid für die Zeit ab dem 1.12.2006. Dabei wurden die Beiträge auf der Grundlage der Einnahmen der Klägerin und ihres Ehemannes neu und im Ergebnis jeweils anhand der gesetzlichen Mindestbemessungsgrundlage errechnet.
Am 17.10.2012 mahnte die Beklagte den noch offenen rückständigen Gesamtbetrag in Höhe von 7.715,93 EUR an. Gegen den Bescheid vom 20.9.2012 legte die Klägerin Widerspruch ein. Mit Änderungsbescheid vom 10.1.2013 korrigierte die Beklagte den Bescheid vom 20.9.2012 dahingehend, dass nur Beiträge seit dem 1.12.2007 nachgefordert werden würden. Die Forderungen für Dezember 2006 bis November 2007 seien verjährt. Für den Zeitraum vom Dezember 2006 bis November 2007 seien daher keine Beiträge nachzuzahlen. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 28. 2. 2013 verzichtete die Beklagte zudem auf die Nachforderung für Dezember 2007, weil diese in dem Bescheid vom 20.9.2012 nicht mit aufgeführt gewesen sei. Soweit es sich dabei um eine rechtswidrige Begünstigung gehandelt habe, könne diese nicht rückwirkend aufgehoben werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.6.2013 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass nach § 240 Abs. 1 SGB V in der bis zum 31.12.2008 gültigen Fassung die Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder durch die Satzungen der Krankenkasse geregelt werde. Erst ab dem 1.1.2009 sei die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Für die Zeit vor dem 1.1.2009 sehe § 12 Abs. 2 der Satzung der Beklagten als beitragspflichtige Einnahme mindestens die so genannte Bemessungsgrundlage nach § 240 Abs. 4 S. 1 SGB V zur Berechnung der Beiträge vor. Nach § 12 Abs. 7 seien bei Mitgliedern, deren Ehegatte nicht der gesetzlichen Krankenversicherung angehöre, für die Beitragsbemessung die Einnahmen beider Ehegatten zu Grunde zu legen. Bis zum 31.12.2008 sei für die Einstufung die Hälfte der beitragspflichtigen Einnahmen beider Ehegatten zu Grunde zu legen. Unterhaltsberechtigte Kinder minderten diese Einnahme. Daraus ergebe sich für das Jahr 2007 ein Betrag von monatlich 1.781,25 EUR und für das Jahr 2008 ein Betrag von monatlich 1.800 EUR. Ab dem 1.1.2009 berechne sich nach den Verfahrensgrundsätzen für die Beitragsberechnung von freiwilligen Mitgliedern der Beitrag nach § 2 Abs. 4. Daraus ergebe sich für das Jahr 2009 monatlich ein Betrag von 1.837,50 EUR, 2010 monatlich 1.875 EUR, 2011 monatlich 1.856,25 EUR und 2012 monatlich 1.912,50 EUR. Das Bundessozialgericht habe bereits bestätigt, dass eine derartige Satzungsregelung, die die Einkünfte des Ehegatten einbeziehe, dem vom Gesetzgeber für die Beitragsbemessung der freiwilligen Mitglieder vorgegebenen Rahmen entspreche. Beitragsbescheide in der Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung seien Verwaltungsakte mit Dauerwirkung. Im Fall der Klägerin könne ein rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut habe und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig sei. Auf Vertrauen könne sich der Begünstigte nach Abs. 2 S. 3 Nr. 2 der genannten Vorschrift jedoch nicht berufen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruhe, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Die Rücknahme des Verwaltungsaktes könne gemäß § 45 Abs. 3 S. 3 SGB X in diesen Fällen bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe erfolgen und zwar entsprechend Abs. 4 S. 1 des Paragraphen mit Wirkung für die Vergangenheit. Die Klägerin könne aufgrund der unterlassenen Angaben zum privaten Krankenversicherungsschutz ihres Ehegatten keinen Vertrauensschutz geltend machen. Der Einwand, dass die Klägerin nicht gewusst habe, dass die Einkünfte ihres Ehegatten einen Einfluss auf die Beitragseinstufung hätten, könne vorliegend zu keiner anderen Entscheidung führen. Denn die Klägerin sei mit sämtlichen Einkommensanfragen darauf hingewiesen worden, dass die Einnahmen des Ehegatten bei der Beitragsberechnung zu berücksichtigen seien, wenn dieser nicht gesetzlich krankenversichert sei. Hinsichtlich der Höhe der Rückstände zuzüglich der Säumniszuschläge und Mahnkosten werde auf den Kontoauszug vom 10.1.2013 verwiesen.
Die Klägerin hat fristgerecht am 15.7.2013 Klage erhoben.
Sie trägt vor dass es ihr um die Aufhebung der Beitragsnachforderung für den Zeitraum ab 1/2008 - 6/2012 und die Rückerstattung der bereits unter Vorbehalt geleisteten Zahlungen auf die strittigen Bescheide gehe. Die Voraussetzungen für eine wirksame Rücknahme gemäß § 45 SGB X lägen hier nicht vor. Der Klägerin könne kein grob fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden. Grobe Fahrlässigkeit sei dann gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt habe. Maßgeblich hierfür sei nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch die persönliche Einsichtsfähigkeit des Begünstigten und daher ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab. Der Klägerin sei nicht klar gewesen, dass das Einkommen ihres Ehemannes Auswirkung auf Ihre Beiträge zu ihrer gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung gehabt habe. Auch aus den Fragebögen der Beklagten, die die Beklagte bis zum Jahre 2010 verwendet habe, sei dies nicht erkennbar gewesen. Die Klägerin habe hier das 1. Kästchen hinter den "Informationen zu Ehegatten und Kindern" nicht angekreuzt. Hinter diesem Kästchen ist ausgeführt: "Mein Ehegatte ist nicht gesetzlich krankenversichert (zum Beispiel nicht AOK ...)" Die Klägerin habe dieses Kästchen nicht angekreuzt, da sie der Auffassung gewesen sei, dass die Einnahmen ihres Ehemannes keine Rolle spielen würden und sie dementsprechend auch keine Angaben machen müsse. Das Formular sei nicht hinreichend verständlich für einen juristischen Laien wie die Klägerin. Aus der Überschrift gehe nicht unmissverständlich hervor, dass es sich insoweit um zwingende Angaben handele. Das sei offensichtlich auch der Beklagten bewusst geworden, denn im Jahre 2011 sei die Formulierung in den Vordrucken abgeändert worden.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.9.2012 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 10.1.2013 und 28.2.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.6.2013 aufzuheben, soweit der Zeitraum vom 1.1.2008 bis 30.6.2012 betroffen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte tritt der Klage entgegen und verteidigt die ergangenen Bescheide. Die Ankreuzmöglichkeit, wenn der Ehegatte nicht gesetzlich krankenversichert ist, sei eindeutig und auch für einen juristischen Laien verständlich. Die ursprünglichen Beitragsbescheide lägen bei der Beklagten nicht mehr vor. Das Gericht solle sie bei der Klägerin abfordern. Dem Bescheid vom 20.9.2012 könne aber eine Gegenüberstellung zwischen der ursprünglichen Beitragsschuld und der den aktuellen Beiträgen entnommen werden.
Hierauf hat die Klägerin repliziert, dass sie durch das Verhalten der Beklagten keinerlei Veranlassung gesehen habe, an ihrer Auffassung, wonach die Einnahmen des Ehemannes unmaßgeblich sein, zu zweifeln. Nachdem von der Beklagten keinerlei Nachfrage erfolgt sei, sondern die Angaben der Klägerin jeweils unbeanstandet hingenommen und entsprechend verarbeitet worden seien, habe die Klägerin selbstverständlich davon ausgehen können dass ihre Angaben vollständig und korrekt sein seien. Auch das Informationsblatt über beitragspflichtige Einnahmen von Rentnern, das sie von der Technikerkrankenkasse mit Aufnahme ihrer Versicherung dort erhalten habe, weise nicht darauf hin dass es auf den Ehegatten ankommen.
In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten nach entsprechendem Hinweis des Gerichts auf die Problematik zudem kontroverse Rechtsauffassungen zu der Frage, ob ein Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X die konkreten Bescheide, die zurückgenommen werden sollten, mit Datum benennen müsse, oder ob es ausreichend sei, den Zeitraum zu bezeichnen, ausgetauscht. Der Beklagtenvertreter wies darauf hin, dass es bei zurückliegenden Zeiträumen wie im vorliegenden Fall, nicht möglich sei, die ursprünglichen Beitragsbescheide zu rekonstruieren. Auch die Daten des Erlasses seien nicht mehr bekannt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet, denn die strittigen Bescheide sind, soweit sie mit der Klage angegriffen wurden, rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie waren daher aufzuheben.
Der sich aus dem Tenor ergebende Regelungsgegenstand des Bescheids vom 20.9.2012 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 10.1.2013 und 28.2.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.6.2013 ist die neue – deutlich höhere Festsetzung – von Beiträgen zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung für den Zeitraum vom 1.1.2008 bis 30.6.2012.
Diese Neuregelung der Beitragshöhe, die den früheren, bestandskräftigen Festsetzungen durch die Beklagte widerspricht, greift in die Rechtsstellung der Klägerin ein und bedarf deswegen als belastende Regelung einer Eingriffsermächtigung. Nach Auffassung der Kammer besteht eine Befugnis der Beklagten zur Neufestsetzung aber nur dann, wenn die früheren bestandskräftigen Bescheide wirksam zurückgenommen worden wären. Dies ist nach Auffassung der Kammer hier aber nicht geschehen.
Der Ausgangsbescheid setzt schlicht Beiträge für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum neu fest. Die Beklagte nimmt sodann erstmals in der Begründung des Widerspruchsbescheid Bezug auf die gesetzliche Regelung des § 45 SGB X, wiederholt dessen Wortlaut und macht sodann Ausführungen dazu, warum das Vertrauen der Klägerin auf den Fortbestand der früheren Beitragsfestsetzung nicht schutzwürdig sei. Auch lassen sich dem Widerspruchsbescheid Ermessenerwägungen entnehmen. Außerdem stellt die Beklagte fest, dass die Beitragsbescheide ("u.a. Bescheid vom 29. November 2007") rechtswidrig begünstigende Verwaltungsakte seien, auf die die Grundsätze des § 45 SGB X anzuwenden seien.
Eine ausdrückliche Regelung, dass und vor allem welche konkreten Beitragsbescheide die Beklagte nunmehr zurücknehmen möchte, fehlt jedoch sowohl in der Ausgangsentscheidung vom 20.9.2012, als auch in den Änderungsbescheiden und im Widerspruchsbescheid.
Die Kammer teilt insoweit nicht die Rechtsauffassung der Beklagten, dass durch die Neufestsetzung der Beitragshöhe in einem eingegrenzten Zeitraum sozusagen "konkludent" eine Rücknahme der früheren Beitragsbescheide enthalten sei (so aber ohne weitere Ausführungen wohl BSG, Urt. v. 19.8.2015, B 12 KR 8/14 R, juris, Rn. 12).
Zunächst ist § 133 BGB, dessen Regelungsinhalt auch im öffentlichen Recht Anwendung findet, zu berücksichtigen. Danach ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Gleichzeitig ist aber § 33 Abs. 1 SGB X zu beachten, wonach ein Verwaltungsakt hinreichend bestimmt sein muss. Letztere Vorschrift regelt besondere formelle Anforderungen an eine Regelung durch Verwaltungsakt, die aber erst dann zum Tragen kommen, wenn überhaupt eine Regelung festgestellt werden kann.
Nach diesen Maßgaben konnte die Kammer hier schon keine - auch nicht konkludente - Aufhebungsentscheidung der Beklagten feststellen. Es ist zwar richtig, dass die Beklagte die ursprünglichen Bescheide hätte aufheben müssen, um die Beiträge neu und höher festzusetzen, genau dies hat sie aber nicht getan und es lässt sich auch der Begründung der Bescheide nicht hinreichend deutlich entnehmen. Diese fehlende Verkörperung des behördlichen Willens, lässt sich nach Meinung der Kammer nicht im Wege der Auslegung ergänzen. So ist zum Beispiel nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in den Fällen, in denen die Behörde eine früher gewährte Geldleistung zurückfordert, zwar regelmäßig anzunehmen, dass mit der Festsetzung der zu erstattenden Leistung auch die Rücknahme des gewährenden Verwaltungsakts gewollt ist. Aber auch diese Annahme setzt zumindest voraus, dass in dem Rückforderungsbescheid auf den konkreten früheren Bewilligungsbescheid Bezug genommen wird, damit ausreichend erkennbar ist, dass dieser Bescheid aufgehoben werden sollte und aufgehoben worden ist (BVerwG, Urt. v. 13.12.1984, 3 C 79/82, juris). Genau daran fehlt es aber im vorliegenden Fall – wohl auch deswegen, weil die Beklagte selbst nicht mehr weiß, welche Bescheide konkret ergangen sind. Der einzige in den Gründen des Widerspruchsbescheids mit Datum bezeichnete Bescheid ist der "Bescheid vom 29. November 2007". Dem Gericht ist allerdings nicht bekannt, ob es diesen Bescheid überhaupt gibt, denn er ist in der Verwaltungsakte der Beklagten nicht vorhanden und auch die Klägerin hat einen Beitragsbescheid vom 29.11.2007 nicht vorgelegt. Dies verdeutlicht, dass auf die Konkretisierung der aufzuhebenden Bescheide nicht verzichtet werden kann.
Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts ist deshalb nur dann verfügt, wenn dieser auch benannt wird. Es ist hingegen nicht ausreichend, wenn wie vorliegend eine Neufestsetzung für bestimmte Zeiträume erfolgt, ohne dass frühere Bescheide auch nur erwähnt werden. Die Kammer hat sich hierbei maßgebend davon leiten lassen, dass § 45 SGB X eine Vorschrift ist, die die Rücknahme von Verwaltungsakten regelt, nicht dagegen die Rücknahme von "Zeiträumen". Außerdem ist es nicht Sache der Klägerin, mit dem der Entscheidung vom 20.9.2012 beigefügten "Zahlungsübersicht" und den bei ihr noch vorhandenen, bestandskräftigen Bescheiden einen Abgleich vorzunehmen, um damit überhaupt herauszufinden, welche Bescheide für welche Monate zurückgenommen worden sein sollen.
Die Vorschriften über die Bestimmtheit von Verwaltungsakten bestärken diese Rechtsauffassung der Kammer: Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (z.B. BSG, Urt. v. 10.9.2013, B 4 AS 89/12 R, juris), der die Kammer folgt, ist ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt im Sinne des § 33 SGB X, wenn der Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist. Der Betroffene muss bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers und unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls in die Lage versetzt werden, die in ihm getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten. Ausreichende Klarheit kann auch dann bestehen, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsaktes, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss.
Diese Auslegungsmöglichkeiten finden allerdings ihre Grenze dort, wo es dem Adressaten überlassen bleibt, Gegenstand, Inhalt, Zeitpunkt und Umfang der Aufhebung zu bestimmen, weil der in begünstigende Rechtspositionen eingreifende Leistungsträger verpflichtet ist, diese Entscheidung selbst zu treffen und dem Adressaten bekannt zu geben (BSG, Urt. v. 29.11.2012, B 14 AS 196/11 R, juris).
Auch das Bundessozialgericht führt in der zitierten Entscheidung vom 29.11.2012 (dort Rn. 19) ausdrücklich auf, dass dann, wenn Bescheide im Aufhebungsbescheid nicht genannt sind, eine Aufhebung dieser Bescheide eben auch nicht verfügt ist. Es ist für die Kammer nicht ersichtlich, warum Beitragsbescheide in der Krankenversicherung insoweit anders behandelt werden sollten, als sonstige begünstigende Bescheide im Sozialrecht.
Im Ergebnis ist die Neufestsetzung der Beitragshöhe daher rechtswidrig und die Bescheide waren insoweit aufzuheben, ohne dass es darauf angekommen wäre, ob das Vertrauen der Klägerin überhaupt schutzwürdig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Krankenversicherungsbeiträge der Klägerin vom 1.1.2008 bis 30.6.2012 und über die daraus entstandenen Rückstände der Klägerin in Höhe von über 7.000 EUR, die von der Klägerin unter Vorbehalt bezahlt worden sind.
Die 19xx geborene Klägerin ist seit dem 1.12.2006 freiwilliges Mitglied der Beklagten und in der Pflegeversicherung pflichtversichert. Sie erhielt eine Rente und war zusätzlich in der Firma ihres Ehemannes geringfügig beschäftigt.
Mit Bescheid vom 29.1.2007 stufte die Beklagte die Klägerin ab dem 1.12.2006 in die Beitragsklasse 718 ein und setzte den monatlichen Beitrag für Dezember 2006 auf insgesamt 130,36 EUR (114,43 EUR Krankenversicherung 15,93 EUR Pflegeversicherung) und den monatlichen Beitrag ab Januar 2007 auf insgesamt 132,81 EUR (116,88 EUR Krankenversicherung und 15,93 EUR Pflegeversicherung) fest. Dabei handelt es sich jeweils um die Beitragsberechnung auf der Grundlage der Mindesteinnahmegrenze.
In der Folgezeit gab die Klägerin am 14.8.2007, am 9.7.2008, am 21.7.2009 und am 28.7.2010 jeweils Erklärungen zu ihrer Einnahmesituation ab, wobei sie auf dem von der Beklagten hierfür vorgesehenen Formular jeweils ihrer Einnahmen aus einer geringfügigen Beschäftigung angab, jedoch die Frage: "Informationen zu Ehegatten und Kindern", ob ihr Ehegatte nicht gesetzlich krankenversichert sei, jeweils unbeantwortet ließ. Sie machte auch keine Angaben zu den Einkünften ihres Partners. Die Beklagte zog daraufhin die Klägerin mit weiteren Bescheiden, die nicht in der Verwaltungsakte der Beklagten enthalten sind, sondern erst von der Klägerin im Klageverfahren vorgelegt wurden, vom 27.12.2007, 17.7.2008, 18.12.2008, 21.12.2009, 24.8.2010, 28.1.2001und 15.12.2011 jeweils zu Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen heran. Im Jahr 2011 mahnte die Beklagte von der Klägerin erneut die Abgabe einer Erklärung zu ihrer Einnahmesituation an. Am 25.10.2011 füllte die Klägerin diese aus und gab hiermit erstmals an, dass ihr Partner nicht bei einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sei. Die monatlichen Einkünfte brutto ihres Ehegatten bezifferte die Klägerin mit 4.056,94 EUR. Im Dezember 2011 machte die Beklagte die Klägerin darauf aufmerksam, dass sie erstmalig angegeben habe, dass ihr Ehemann nicht in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sei und dass das Einkommen ihres Ehegatten zur Berechnung Ihrer Beiträge mit herangezogen werde. Sie wurde aufgefordert, Einkommensnachweise ihres Ehegatten seit dem Beginn der freiwilligen Versicherung am 1.12.2006 vorzulegen, was sie in der Folgezeit durch die Vorlage von Einkommensteuerbescheiden auch tat. In einem Begleitschreiben wies sie darauf hin, dass sie nicht verstehen könne, was das Einkommen ihres Mannes mit ihren Beiträgen zur Krankenkasse zu tun habe.
Mit Schreiben vom 10.2.2012 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Änderung und rückwirkenden Neuberechnung der Beiträge ab dem 1.12.2006 an.
Nachdem wegen fehlender Mitwirkung der Klägerin zunächst am 30.4.2012 ein Beitragsbescheid erlassen wurde, mit dem die Beiträge ab dem 1.6.2012 auf insgesamt 658,77 EUR festgesetzt wurden und gegen den die Klägerin Widerspruch eingelegt hatte, erließ die Beklagte am 20.9.2012 den hier strittigen geänderten Beitragsbescheid für die Zeit ab dem 1.12.2006. Dabei wurden die Beiträge auf der Grundlage der Einnahmen der Klägerin und ihres Ehemannes neu und im Ergebnis jeweils anhand der gesetzlichen Mindestbemessungsgrundlage errechnet.
Am 17.10.2012 mahnte die Beklagte den noch offenen rückständigen Gesamtbetrag in Höhe von 7.715,93 EUR an. Gegen den Bescheid vom 20.9.2012 legte die Klägerin Widerspruch ein. Mit Änderungsbescheid vom 10.1.2013 korrigierte die Beklagte den Bescheid vom 20.9.2012 dahingehend, dass nur Beiträge seit dem 1.12.2007 nachgefordert werden würden. Die Forderungen für Dezember 2006 bis November 2007 seien verjährt. Für den Zeitraum vom Dezember 2006 bis November 2007 seien daher keine Beiträge nachzuzahlen. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 28. 2. 2013 verzichtete die Beklagte zudem auf die Nachforderung für Dezember 2007, weil diese in dem Bescheid vom 20.9.2012 nicht mit aufgeführt gewesen sei. Soweit es sich dabei um eine rechtswidrige Begünstigung gehandelt habe, könne diese nicht rückwirkend aufgehoben werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.6.2013 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass nach § 240 Abs. 1 SGB V in der bis zum 31.12.2008 gültigen Fassung die Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder durch die Satzungen der Krankenkasse geregelt werde. Erst ab dem 1.1.2009 sei die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Für die Zeit vor dem 1.1.2009 sehe § 12 Abs. 2 der Satzung der Beklagten als beitragspflichtige Einnahme mindestens die so genannte Bemessungsgrundlage nach § 240 Abs. 4 S. 1 SGB V zur Berechnung der Beiträge vor. Nach § 12 Abs. 7 seien bei Mitgliedern, deren Ehegatte nicht der gesetzlichen Krankenversicherung angehöre, für die Beitragsbemessung die Einnahmen beider Ehegatten zu Grunde zu legen. Bis zum 31.12.2008 sei für die Einstufung die Hälfte der beitragspflichtigen Einnahmen beider Ehegatten zu Grunde zu legen. Unterhaltsberechtigte Kinder minderten diese Einnahme. Daraus ergebe sich für das Jahr 2007 ein Betrag von monatlich 1.781,25 EUR und für das Jahr 2008 ein Betrag von monatlich 1.800 EUR. Ab dem 1.1.2009 berechne sich nach den Verfahrensgrundsätzen für die Beitragsberechnung von freiwilligen Mitgliedern der Beitrag nach § 2 Abs. 4. Daraus ergebe sich für das Jahr 2009 monatlich ein Betrag von 1.837,50 EUR, 2010 monatlich 1.875 EUR, 2011 monatlich 1.856,25 EUR und 2012 monatlich 1.912,50 EUR. Das Bundessozialgericht habe bereits bestätigt, dass eine derartige Satzungsregelung, die die Einkünfte des Ehegatten einbeziehe, dem vom Gesetzgeber für die Beitragsbemessung der freiwilligen Mitglieder vorgegebenen Rahmen entspreche. Beitragsbescheide in der Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung seien Verwaltungsakte mit Dauerwirkung. Im Fall der Klägerin könne ein rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut habe und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig sei. Auf Vertrauen könne sich der Begünstigte nach Abs. 2 S. 3 Nr. 2 der genannten Vorschrift jedoch nicht berufen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruhe, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Die Rücknahme des Verwaltungsaktes könne gemäß § 45 Abs. 3 S. 3 SGB X in diesen Fällen bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe erfolgen und zwar entsprechend Abs. 4 S. 1 des Paragraphen mit Wirkung für die Vergangenheit. Die Klägerin könne aufgrund der unterlassenen Angaben zum privaten Krankenversicherungsschutz ihres Ehegatten keinen Vertrauensschutz geltend machen. Der Einwand, dass die Klägerin nicht gewusst habe, dass die Einkünfte ihres Ehegatten einen Einfluss auf die Beitragseinstufung hätten, könne vorliegend zu keiner anderen Entscheidung führen. Denn die Klägerin sei mit sämtlichen Einkommensanfragen darauf hingewiesen worden, dass die Einnahmen des Ehegatten bei der Beitragsberechnung zu berücksichtigen seien, wenn dieser nicht gesetzlich krankenversichert sei. Hinsichtlich der Höhe der Rückstände zuzüglich der Säumniszuschläge und Mahnkosten werde auf den Kontoauszug vom 10.1.2013 verwiesen.
Die Klägerin hat fristgerecht am 15.7.2013 Klage erhoben.
Sie trägt vor dass es ihr um die Aufhebung der Beitragsnachforderung für den Zeitraum ab 1/2008 - 6/2012 und die Rückerstattung der bereits unter Vorbehalt geleisteten Zahlungen auf die strittigen Bescheide gehe. Die Voraussetzungen für eine wirksame Rücknahme gemäß § 45 SGB X lägen hier nicht vor. Der Klägerin könne kein grob fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden. Grobe Fahrlässigkeit sei dann gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt habe. Maßgeblich hierfür sei nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch die persönliche Einsichtsfähigkeit des Begünstigten und daher ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab. Der Klägerin sei nicht klar gewesen, dass das Einkommen ihres Ehemannes Auswirkung auf Ihre Beiträge zu ihrer gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung gehabt habe. Auch aus den Fragebögen der Beklagten, die die Beklagte bis zum Jahre 2010 verwendet habe, sei dies nicht erkennbar gewesen. Die Klägerin habe hier das 1. Kästchen hinter den "Informationen zu Ehegatten und Kindern" nicht angekreuzt. Hinter diesem Kästchen ist ausgeführt: "Mein Ehegatte ist nicht gesetzlich krankenversichert (zum Beispiel nicht AOK ...)" Die Klägerin habe dieses Kästchen nicht angekreuzt, da sie der Auffassung gewesen sei, dass die Einnahmen ihres Ehemannes keine Rolle spielen würden und sie dementsprechend auch keine Angaben machen müsse. Das Formular sei nicht hinreichend verständlich für einen juristischen Laien wie die Klägerin. Aus der Überschrift gehe nicht unmissverständlich hervor, dass es sich insoweit um zwingende Angaben handele. Das sei offensichtlich auch der Beklagten bewusst geworden, denn im Jahre 2011 sei die Formulierung in den Vordrucken abgeändert worden.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.9.2012 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 10.1.2013 und 28.2.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.6.2013 aufzuheben, soweit der Zeitraum vom 1.1.2008 bis 30.6.2012 betroffen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte tritt der Klage entgegen und verteidigt die ergangenen Bescheide. Die Ankreuzmöglichkeit, wenn der Ehegatte nicht gesetzlich krankenversichert ist, sei eindeutig und auch für einen juristischen Laien verständlich. Die ursprünglichen Beitragsbescheide lägen bei der Beklagten nicht mehr vor. Das Gericht solle sie bei der Klägerin abfordern. Dem Bescheid vom 20.9.2012 könne aber eine Gegenüberstellung zwischen der ursprünglichen Beitragsschuld und der den aktuellen Beiträgen entnommen werden.
Hierauf hat die Klägerin repliziert, dass sie durch das Verhalten der Beklagten keinerlei Veranlassung gesehen habe, an ihrer Auffassung, wonach die Einnahmen des Ehemannes unmaßgeblich sein, zu zweifeln. Nachdem von der Beklagten keinerlei Nachfrage erfolgt sei, sondern die Angaben der Klägerin jeweils unbeanstandet hingenommen und entsprechend verarbeitet worden seien, habe die Klägerin selbstverständlich davon ausgehen können dass ihre Angaben vollständig und korrekt sein seien. Auch das Informationsblatt über beitragspflichtige Einnahmen von Rentnern, das sie von der Technikerkrankenkasse mit Aufnahme ihrer Versicherung dort erhalten habe, weise nicht darauf hin dass es auf den Ehegatten ankommen.
In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten nach entsprechendem Hinweis des Gerichts auf die Problematik zudem kontroverse Rechtsauffassungen zu der Frage, ob ein Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X die konkreten Bescheide, die zurückgenommen werden sollten, mit Datum benennen müsse, oder ob es ausreichend sei, den Zeitraum zu bezeichnen, ausgetauscht. Der Beklagtenvertreter wies darauf hin, dass es bei zurückliegenden Zeiträumen wie im vorliegenden Fall, nicht möglich sei, die ursprünglichen Beitragsbescheide zu rekonstruieren. Auch die Daten des Erlasses seien nicht mehr bekannt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet, denn die strittigen Bescheide sind, soweit sie mit der Klage angegriffen wurden, rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie waren daher aufzuheben.
Der sich aus dem Tenor ergebende Regelungsgegenstand des Bescheids vom 20.9.2012 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 10.1.2013 und 28.2.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.6.2013 ist die neue – deutlich höhere Festsetzung – von Beiträgen zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung für den Zeitraum vom 1.1.2008 bis 30.6.2012.
Diese Neuregelung der Beitragshöhe, die den früheren, bestandskräftigen Festsetzungen durch die Beklagte widerspricht, greift in die Rechtsstellung der Klägerin ein und bedarf deswegen als belastende Regelung einer Eingriffsermächtigung. Nach Auffassung der Kammer besteht eine Befugnis der Beklagten zur Neufestsetzung aber nur dann, wenn die früheren bestandskräftigen Bescheide wirksam zurückgenommen worden wären. Dies ist nach Auffassung der Kammer hier aber nicht geschehen.
Der Ausgangsbescheid setzt schlicht Beiträge für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum neu fest. Die Beklagte nimmt sodann erstmals in der Begründung des Widerspruchsbescheid Bezug auf die gesetzliche Regelung des § 45 SGB X, wiederholt dessen Wortlaut und macht sodann Ausführungen dazu, warum das Vertrauen der Klägerin auf den Fortbestand der früheren Beitragsfestsetzung nicht schutzwürdig sei. Auch lassen sich dem Widerspruchsbescheid Ermessenerwägungen entnehmen. Außerdem stellt die Beklagte fest, dass die Beitragsbescheide ("u.a. Bescheid vom 29. November 2007") rechtswidrig begünstigende Verwaltungsakte seien, auf die die Grundsätze des § 45 SGB X anzuwenden seien.
Eine ausdrückliche Regelung, dass und vor allem welche konkreten Beitragsbescheide die Beklagte nunmehr zurücknehmen möchte, fehlt jedoch sowohl in der Ausgangsentscheidung vom 20.9.2012, als auch in den Änderungsbescheiden und im Widerspruchsbescheid.
Die Kammer teilt insoweit nicht die Rechtsauffassung der Beklagten, dass durch die Neufestsetzung der Beitragshöhe in einem eingegrenzten Zeitraum sozusagen "konkludent" eine Rücknahme der früheren Beitragsbescheide enthalten sei (so aber ohne weitere Ausführungen wohl BSG, Urt. v. 19.8.2015, B 12 KR 8/14 R, juris, Rn. 12).
Zunächst ist § 133 BGB, dessen Regelungsinhalt auch im öffentlichen Recht Anwendung findet, zu berücksichtigen. Danach ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Gleichzeitig ist aber § 33 Abs. 1 SGB X zu beachten, wonach ein Verwaltungsakt hinreichend bestimmt sein muss. Letztere Vorschrift regelt besondere formelle Anforderungen an eine Regelung durch Verwaltungsakt, die aber erst dann zum Tragen kommen, wenn überhaupt eine Regelung festgestellt werden kann.
Nach diesen Maßgaben konnte die Kammer hier schon keine - auch nicht konkludente - Aufhebungsentscheidung der Beklagten feststellen. Es ist zwar richtig, dass die Beklagte die ursprünglichen Bescheide hätte aufheben müssen, um die Beiträge neu und höher festzusetzen, genau dies hat sie aber nicht getan und es lässt sich auch der Begründung der Bescheide nicht hinreichend deutlich entnehmen. Diese fehlende Verkörperung des behördlichen Willens, lässt sich nach Meinung der Kammer nicht im Wege der Auslegung ergänzen. So ist zum Beispiel nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in den Fällen, in denen die Behörde eine früher gewährte Geldleistung zurückfordert, zwar regelmäßig anzunehmen, dass mit der Festsetzung der zu erstattenden Leistung auch die Rücknahme des gewährenden Verwaltungsakts gewollt ist. Aber auch diese Annahme setzt zumindest voraus, dass in dem Rückforderungsbescheid auf den konkreten früheren Bewilligungsbescheid Bezug genommen wird, damit ausreichend erkennbar ist, dass dieser Bescheid aufgehoben werden sollte und aufgehoben worden ist (BVerwG, Urt. v. 13.12.1984, 3 C 79/82, juris). Genau daran fehlt es aber im vorliegenden Fall – wohl auch deswegen, weil die Beklagte selbst nicht mehr weiß, welche Bescheide konkret ergangen sind. Der einzige in den Gründen des Widerspruchsbescheids mit Datum bezeichnete Bescheid ist der "Bescheid vom 29. November 2007". Dem Gericht ist allerdings nicht bekannt, ob es diesen Bescheid überhaupt gibt, denn er ist in der Verwaltungsakte der Beklagten nicht vorhanden und auch die Klägerin hat einen Beitragsbescheid vom 29.11.2007 nicht vorgelegt. Dies verdeutlicht, dass auf die Konkretisierung der aufzuhebenden Bescheide nicht verzichtet werden kann.
Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts ist deshalb nur dann verfügt, wenn dieser auch benannt wird. Es ist hingegen nicht ausreichend, wenn wie vorliegend eine Neufestsetzung für bestimmte Zeiträume erfolgt, ohne dass frühere Bescheide auch nur erwähnt werden. Die Kammer hat sich hierbei maßgebend davon leiten lassen, dass § 45 SGB X eine Vorschrift ist, die die Rücknahme von Verwaltungsakten regelt, nicht dagegen die Rücknahme von "Zeiträumen". Außerdem ist es nicht Sache der Klägerin, mit dem der Entscheidung vom 20.9.2012 beigefügten "Zahlungsübersicht" und den bei ihr noch vorhandenen, bestandskräftigen Bescheiden einen Abgleich vorzunehmen, um damit überhaupt herauszufinden, welche Bescheide für welche Monate zurückgenommen worden sein sollen.
Die Vorschriften über die Bestimmtheit von Verwaltungsakten bestärken diese Rechtsauffassung der Kammer: Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (z.B. BSG, Urt. v. 10.9.2013, B 4 AS 89/12 R, juris), der die Kammer folgt, ist ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt im Sinne des § 33 SGB X, wenn der Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist. Der Betroffene muss bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers und unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls in die Lage versetzt werden, die in ihm getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten. Ausreichende Klarheit kann auch dann bestehen, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsaktes, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss.
Diese Auslegungsmöglichkeiten finden allerdings ihre Grenze dort, wo es dem Adressaten überlassen bleibt, Gegenstand, Inhalt, Zeitpunkt und Umfang der Aufhebung zu bestimmen, weil der in begünstigende Rechtspositionen eingreifende Leistungsträger verpflichtet ist, diese Entscheidung selbst zu treffen und dem Adressaten bekannt zu geben (BSG, Urt. v. 29.11.2012, B 14 AS 196/11 R, juris).
Auch das Bundessozialgericht führt in der zitierten Entscheidung vom 29.11.2012 (dort Rn. 19) ausdrücklich auf, dass dann, wenn Bescheide im Aufhebungsbescheid nicht genannt sind, eine Aufhebung dieser Bescheide eben auch nicht verfügt ist. Es ist für die Kammer nicht ersichtlich, warum Beitragsbescheide in der Krankenversicherung insoweit anders behandelt werden sollten, als sonstige begünstigende Bescheide im Sozialrecht.
Im Ergebnis ist die Neufestsetzung der Beitragshöhe daher rechtswidrig und die Bescheide waren insoweit aufzuheben, ohne dass es darauf angekommen wäre, ob das Vertrauen der Klägerin überhaupt schutzwürdig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.
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