S 135 AS 3655/13

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
135
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 135 AS 3655/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 1595/16
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Erwerbsfähige Ausländer, die dem Leistungsausschluss für Arbeitslosengeld II nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II unterfallen, haben keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII (entgegen BSG, Urteile vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 59/13 R; B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R, vom 16. Dezember 2015, B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R, vom 20. Januar 2016 B 14 As 15/15 R, B 14 AS 35/15 R).
Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Kläger für den Zeitraum 1. Oktober 2012 bis 31. August 2013.

Die am 25. Januar 1977 geborene Klägerin zu 1) und der am 22. Mai 1975 geborene Kläger zu 2) sind bulgarische Staatsangehörige und die gemeinsam sorgerechtsberechtigten Eltern der am 19. August 1998 geborenen Klägerin zu 3).
Die Kläger halten sich seit Januar 2011 in Deutschland auf. Die Klägerin zu 1) meldete am 15. November 2011 ein Gewerbe für die Reinigung nach Hausfrauenart an, der Kläger zu 2) mel-dete am 6. September 2010 ein Gewerbe als Bauhelfer/Umzüge an.

Die Kläger beantragten am 8. Oktober 2012 beim Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Der Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 15. Oktober 2012 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 11. Januar 2013 ab. Dies begründete er im Wesentlichen damit, dass die Kläger von Leistungen nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen seien, da ihnen nur ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche zustehe. Es seien weder Einnahmen noch Ausgaben der selbstständigen Tätigkeiten nachgewiesen. Auch die geringen Betriebsausgaben und die fehlenden Ausgaben für Arbeitsmittel ließen darauf schließen,
dass die Tätigkeiten nicht eigenständig durchgeführt würden.

Ein im September 2013 gestellter Neufeststellungsantrag der Kläger wurde durch Bescheid vom 4. November 2013 abgelehnt.

Mit Schreiben vom 9. Februar 2013, eingegangen bei Gericht am 11. Februar 2013 haben die Kläger Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgen.

Die Kläger tragen vor, dass sie selbstständig tätig gewesen seien. Der Beklagte hätte im Wege der Amtsermittlung herausfinden müssen, ob die Kläger arbeiteten. Die Unterlagen hätten sie bereits mit dem Antrag eingereicht. Der Kläger zu 1) habe seinen Namen von zuvor M.R. in M. R. geändert. Diesbezüglich reicht der Kläger eine Bescheinigung der bulgarischen Botschaft ein. Wegen der weiteren durch die Kläger eingereichten Unterlagen wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

Die Kläger beantragen,

der Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 15. Oktober 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2013 verurteilt, den Klägern für den Zeitraum 1. Oktober 2012 bis 31. August 2013 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung des tatsächlichen Einkommens der Bedarfsgemeinschaft zu gewähren,

hilfsweise den Beigeladenen zu verurteilen, den Klägern für den Zeitraum vom 1. Ok-tober 2012 bis 31. August 2013 Leistungen nach dem SGB XII unter Berücksichtigung des tatsächlichen Einkommens der Bedarfsgemeinschaft zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, dass die selbstständige Tätigkeit der Kläger zu 1) und 2) nicht nachgewiesen sei und die Kläger daher von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen seien. Der Name auf den Rechnungen M. R. stimme nicht mit dem Namen des Klägers zu 2) M. R. überein. Außer-dem seien die Rechnungen für die Adresse Bo.straße ausgestellt, obwohl die Kläger in der Bü.straße wohnten. Die Rechnungen für die Klägerin zu 1) seien nicht für das angemeldete Gewerbe Reinigung, sondern zum Teil auch für Flyerverteiler ausgestellt. Es seien weder Verträge noch der Erhalt der Einnahmen nachgewiesen.

In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger die Einkommenssteuerbescheide des Klägers zu 2) für 2012 und 2013 eingereicht. Wegen des Inhaltes wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der die Klägerin betreffenden Leistungsakten des Beklagten verwiesen, die der Kammer vorgelegen haben und Gegenstand der geheimen Beratung sowie mündlichen Verhandlung geworden sind

Entscheidungsgründe:

Die Beiladung des Sozialhilfeträgers erfolgte nach § 75 Abs. 1 SGG, weil dessen berechtigte Interessen durch die Klageabweisung berührt werden (vgl. Fock in Breitkreuz/Fichte, SGG Kommentar, 2. Auflage, § 75 Rn. 18). Eine notwendige Beiladung nach § 75 Abs. 2 SGG hatte nicht zu erfolgen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts können gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossene Unionsbürger zwar einen Anspruch nach SGB XII haben (vgl. BSG, Urteile vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 59/13 R; B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R, vom 16. Dezember 2015, B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R, vom 20. Januar 2016 B 14 As 15/15 R, B 14 AS 35/15 R). Die Kammer folgt dieser Rechtsprechung jedoch aus den noch zu nennenden Gründen nicht.

Die Klage hat keinen Erfolg.

Streitgegenstand ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte durch Bescheid vom 15. Oktober 2012 in der Gestalt des Wi-derspruchsbescheides vom 11. Januar 2013 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum beginnt mit dem Monat der Antragstellung Oktober 2012 (§ 37 Abs. 2 S. 2 SGB II in der streitgegenständ-lichen Fassung) und endet, da die Kläger ihr Begehren bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt haben mit der erneuten Antragstellung im August 2013 (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 44/15 R m.w.N.).

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 1. Alt, Abs. 5 SGG zulässig, aber unbegründet.

Die Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten.

I.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II gegen den Beklagten. Die am 25. Januar 1977 geborene Klägerin zu 1) und der am 22. Mai 1975 geborene Kläger zu 2) erfüllen die Altersgrenze des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II und sind erwerbsfähig nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II. Die minderjährige Klägerin zu 3) ist der Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB II zuzurechnen. Die Kläger haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland entsprechend § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB II.

1.

Es kann dahinstehen, ob die Kläger hilfebedürftig nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 SGB II sind, da die Kammer einen Leistungsausschluss von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII für gegeben sieht. Die Kammer ist jedoch der Überzeugung, dass trotz Aufforderung keine vollständigen Kontoauszüge und Auflistungen der Einnahmen im streitgegenständlichen Zeit-raum vorgelegt wurden und daher die Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen ist.

2.

Die Kläger sind aufgrund § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen. Danach sind vom Leistungsbezug ausgeschlossen 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehme-rinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizü-gigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufent-halts und 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen.

a)

Es kann dahinstehen, ob sich die Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufhielten.

Zwar erfasst der ausdrückliche Wortlaut des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II nur Personen, die sich erst drei Monate oder bereits mehr als drei Monate allein zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufhalten. Jedoch sind vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II auch die Personen umfasst, die keine materielle Freizügigkeitsbe-rechtigung im Sinne des FreizüG/EU oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht haben. Insoweit ist § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II planwidrig lückenhaft und im Wege des "Erst-Recht-Schluss" auszulegen. Diese Form des Analogieschlusses ist immer dann zulässig, wenn das Gesetz angesichts der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers planwidrig lückenhaft ist. Wenn der Normzweck einer Vorschrift bei einem nicht geregelten Lebenssachverhalt stärker gegeben ist, als bei dem geregelten Normbestand, ist der "Erst-Recht-Schluss" zulässig (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R Rn. 20 m.w.N.).

§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II erfasst Unionsbürger oder Ausländer, die über keine Freizügigkeitsberechtigung und auch kein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen nach seinem Wortlaut nicht. Aus der Entstehungsgeschichte, dem systematischen Zusammenhang und dem Sinn und Zweck der Vorschrift ergibt sich jedoch, dass diese Gruppe gerade erfasst sein sollte (ausführlich dazu BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R Rn. 20 ff m.w.N.).

Zweck der Einführung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II war die Umsetzung der Ausschlussmöglichkeit des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG. Für Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, sollte eine weitere leistungsrechtliche Hürde geschaffen werden, sofern sie wegen des vorbehaltlosen Aufenthalts in den ersten drei Monaten oder allein zum Zweck der Arbeitsuche freizügigkeitsberechtigt sind. Leistungsberechtigt sollten sie nur sein, wenn sie über eine von § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht erfasste Freizügigkeitsberechtigung oder ein sonstiges Aufenthaltsrecht verfügen. Hieraus folgt umgekehrt, dass nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Unionsbürger nach dem gesetzgeberischen Plan von vornherein nicht leistungsberechtigt sein sollten (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R Rn. 21 m.w.N.).

b)

Die Kläger konnten sich im streitgegenständlichen Zeitraum nicht auf eine andere materielle Freizügigkeitsberechtigung als die der Arbeitssuche berufen.

Die Kläger zu 1) und 2) waren nicht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizüG/EU frei-zügigkeitsberechtigt. Insoweit fehlte es schon an der im streitgegenständlichen Zeitraum für bulgarische Staatsbürger noch notwendigen Arbeitsgenehmigung nach § 284 SGB III.

Die Kammer ist weiter der Überzeugung, dass die Kläger zu 1) und 2) nicht als Selbstständige i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt waren.

Die Kläger zu 1) und 2) können sich nur auf ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Frei-zügG/EU berufen, wenn sie vom Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 EUV erfasst werden. Eine von Art. 49 EUV geschützte selbstständige Tätigkeit liegt vor, wenn eine wirtschaftliche Tätigkeit weisungsfrei und in eigener Verantwortung auf unbestimmte Zeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat tatsächlich ausgeübt wird (EuGH, Urteil vom 25. Juli 1991, C-221/89, "Factortame", Rn 20) und dadurch eine wirtschaftliche Integration im Wohnortmitgliedstaat vorliegt (Brinkmann in: Huber, AufenthG, 1. Aufl 2010, § 2 Frei-zügG/EU Rn 29).

Dabei ist von einer wirtschaftlichen Tätigkeit dann auszugehen, wenn mit ihr zumindest auch ein Erwerbszweck verfolgt wird. Sie muss entgeltlich erbracht werden und eine Teilnahme am Wirtschaftsleben darstellen. Unerheblich ist jedoch, ob die Tätigkeit einen bestimmten Gewinn abwirft, insbesondere zur Deckung des Lebensunterhaltes ausreicht (OVG Bremen, Beschluss vom 21. Juni 2010, Az: 1 B 137/10). Dabei bleiben in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 EUV jedoch solche Tätigkeiten außer Betracht, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als "völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen" (EuGH, st. RSpr seit Urteil vom 23. März 1982, Az: RS 53/81, Levin – Slg. 1982, 1035 Rn. 17). Die begrenzte Höhe der Vergütung ist insoweit nicht entscheidend (EuGH Urteil vom 04. Februar 2010, Az: Rs. C-14/09 – Genc – NVwZ 2010, 367, Rn 20). Auch die Tatsache, dass die Bezahlung der Tätigkeit unter dem Existenzminimum liegt, bedeutet nicht, dass eine nicht anzuerkennende Tätigkeit vorliegt. Das auch dann nicht, wenn der Betroffene die Vergütung durch andere Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts wie eine aus öffentlichen Mitteln des Wohnortsmitgliedstaats gezahlte finanzielle Unterstützung zu ergänzen sucht (EuGH, st. Rspr seit Urteil vom 3. Juni 1986, Az: Rs. 139/85, Kempf – Slg. 1986, 1741, Rn 14; zuletzt Urteil vom 4. Juni 2009, Az: C-22/08, Vatsouras u. a.; Urteil vom 4. Februar 2010, Az: C-14/09). Zwar kann der Umstand, dass nur sehr wenige Arbeitsstunden geleistet werden, "ein Anhaltspunkt" dafür sein, dass die ausgeübten Tätigkeiten nur untergeordnet und unwesentlich sind (EuGH, Urteil vom 26. Februar 1992, Az: C-357/89, Raulin – Slg. 1992, I-1027, Rn 14). Es lässt sich jedoch unabhängig von der begrenzten Höhe des aus einer Berufstätigkeit bezogenen Entgelts und des begrenzten Umfangs der insoweit aufgewendeten Arbeitszeit nicht ausschließen, dass diese Tätigkeit aufgrund einer Gesamtbewertung des betreffenden Arbeitsverhältnisses als tatsächlich und echt angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 4. Februar 2010, Az: C-14/09, Genc).

Die Kammer ist der Überzeugung, dass die Kläger zu 1) und 2) unter Beachtung dieser Vo-raussetzungen im streitgegenständlichen Zeitraum nicht selbstständig tätig waren. Zwar haben sowohl die Klägerin zu 1) als auch der Kläger zu 2) ein Gewerbe angemeldet. Die Ge-werbeanmeldung allein kann jedoch nicht zum Nachweis dienen, dass der selbstständigen Tätigkeit in dem geforderten Umfang tatsächlich nachgegangen wird.

Die von den Klägern eingereichten Rechnungen über die Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit sind sämtlich von diesen selbst erstellt und über Barzahlungen ausgestellt. Quittungen oder Bestätigungen der Auftraggeber über die Auszahlung liegen nicht vor. Auch lässt sich aus den Kontoauszügen nicht ersehen, dass die Rechnungsbeträge auf die Konten der Kläger eingezahlt worden wären. Ebenso wenig liegen Rechnungen vor, die durch Überweisung auf die Konten beglichen worden wären. Die Rechnungen sind auch zum Teil unschlüssig. So stellte die Klägerin zu 1) am 20. Dezember 2012 eine Rechnung unter der Adresse Bor. Straße aus, in der sie nicht wohnte. Am 20. Februar 2012 stellte sie eine Rechnung ohne Rechnungsempfänger aus. Die von der Klägerin zu 1) eingereichten Rechnungen für Oktober 2012 bis Januar 2013 weisen alle dieselbe Summe von 400,- Euro aus, obwohl sie für verschiedene Auftraggeber erstellt wurden. Für die Monate Februar 2013 bis August 2013 reichte die Klägerin zu 1) keine Rechnungen ein. Die Klägerin zu 1) hat keine Einkommenssteuererklärung eingereicht, obwohl sie als selbstständig Tätige zur Abgabe einer Einkommenssteuererklärung verpflichtet ist.

Der Kläger zu 2) hat sein Gewerbe bereits am 6. September 2010 angemeldet, obwohl er spä-ter vorträgt seit 17. Januar 2011 in Deutschland zu sein. Die von ihm eingereichten Rechnungen entsprechen nicht den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Einkommenssteuererklärungen. Die für das Jahr 2012 eingereichten Rechnungen haben eine Summe von 7293,84 Euro und übersteigen den in der Einkommenssteuererklärung angegebenen Betrag vom 6863,- Euro. Für das Jahr 2013 hat der Kläger zu 2) nur Rechnungen für insgesamt 2301,- Euro eingereicht, in der Einkommenssteuererklärung aber Einkünfte in Höhe von 4399,- Euro angegeben.

Aus den von den Klägern eingereichten Kontoauszügen ergibt sich nicht, dass die Kläger regelmäßig Einnahmen auf ihren Konten einzahlten. Auf dem Konto des Klägers zu 2) fanden nach August 2013 keine Kontobewegungen mehr statt. Davor wurden zum Teil Bareinzahlungen vorgenommen, die aber oft direkt mit Auszahlungen korrelierten. Die Kontoauszüge der Klägerin zu 1) liegen erst ab Februar 2013 vor und weisen lediglich Bewegungen aufgrund der Kindergeldzahlungen aus.

Verträge oder Aufträge reichten die Kläger nicht ein.

c)

Da die Kläger weder Arbeitnehmer noch Selbständige i.S.d. § 2 Abs. 2 FreizügG/EU waren, hatte sie auch kein nachfolgendes Rechts aus § 2 Abs. 2 FreizügG/EU.

Die Kläger waren auch nicht als nichterwerbstätige Unionsbürgerin iS des § 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Danach haben nicht erwerbstätige Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und ihre Lebenspartner, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Aus der Tatsache, dass die Kläger geltend machen, hilfebedürftig i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 SGB II zu sein, ergibt sich, dass sie nicht über ausreichende Existenzmittel im Sinne dieser Vorschrift verfügten (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R Rn. 31).

Auch ein Daueraufenthaltsrecht i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 7 FreizügG/EU haben die Kläger nicht. Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 FreizügG/EU iVm § 4a Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU setzt voraus, dass sich Unionsbürger seit fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben. Die Kläger hielten sich nach eigenen Angaben jedoch erst seit 17. Januar 2011 in Deutschland dauerhaft auf.

Anhaltspunkte für ein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich oder vorgebracht.

3.

Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II in dieser Auslegung ist eu-roparechtskonform. Der EuGH hat in den Urteilen zur Rechtssache Dano (Urteil vom 11. November 2014, C 333/13 und Alimanovic (Urteil vom 15. September 2015, C 67/14) entschieden, dass ein Mitgliedsstaat Staatsangehörige anderer Mitgliedsstaaten vom Zugang zu Sozialhilfeleistungen ausschließen kann, wenn ihnen gar kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht oder wenn ihr Aufenthaltsrecht sich nur aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.

4.

Der Leistungsausschluss wird im Falle der Kläger auch nicht durch Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA, BGBl II 1956, 564) verdrängt, da die Kläger als bulgarische Staatsbürger nicht Staatsangehörige eines Vertragsstaates sind.

II.

Die Kläger haben zur Überzeugung der Kammer auch keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII.

Die Kammer folgt insoweit aus den unten aufgeführten Gründen den Entscheidungen des Bundessozialgerichts nicht (BSG, Urteile vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 59/13 R; B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R, vom 16. Dezember 2015, B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R, vom 20. Januar 2016 B 14 As 15/15 R, B 14 AS 35/15 R). Die Kammer sieht sich nicht an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gebunden, eine solche Bindung ergibt sich nicht aus der Bindung an Recht und Gesetz aus Art. 20 Abs. 3 GG (a.A. Wenner, Gerichte dürfen den Rechtsschutz nicht verweigern, SozSich 3/2016, S. 44, der davon ausgeht, dass Gerichte das Gesetz "grundsätzlich in der Auslegung anwenden [müssen], die der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes vorgenommen hat." Dann aber auch einschränkend: "Sozial- und Landessozialgerichte können zwar auch eine abweichende Auffassung vertreten [ ]"). Eine Bindung im konkreten Verfahren nach § 170 Abs. 5 SGG besteht vorliegend nicht. Darüber hinaus binden obergerichtliche Entscheidungen anders als generell verbindliche Normen die unteren Instanzen bei ihrer Entscheidungsfindung nicht. "Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist nicht Gesetzesrecht und erzeugt keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Der Geltungsgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus beruht allein auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und Kompetenz des Gerichts. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Recht-sprechung kann allenfalls bei gefestigter, langjähriger Rechtsprechung entstehen." (BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2010, 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05, Rn. 79 m.w.N.). Die in Art. 97 Abs. 1 GG verankerte Unabhängigkeit der Richter kann dementsprechend eine uneinheitliche Rechtsprechung zur Folge haben.

1.

Einen Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach § 23 SGB XII haben die Kläger nicht. Denn sie sind als unstreitig Erwerbsfähige beziehungsweise deren Angehörige nach § 21 S. 1 SGB XII vom Bezug von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen.

Die Kammer folgt insoweit nicht den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG, Urteile vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 59/13 R; B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R, vom 16. De-zember 2015, B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R, vom 20. Januar 2016 B 14 As 15/15 R, B 14 AS 35/15 R). Die Kammer ist der Überzeugung, dass sie aufgrund der Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG gehindert ist, den Leistungsausschluss aus § 21 S. 1 SGB XII so auszulegen, dass ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger Leistungen nach dem SGB XII beziehen kann (ebenso SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, Az: S 35 AS 5396/15 ER, LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Februar 2016, L 3 AS 668/15 B ER, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER; Beschluss vom 22. Februar 2016, S 95 SO 3345/15 ER, SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Januar 2016, L 29 AS 20/16 B ER, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. Februar 2016, L 9 AS 1335/15 B ER, Beschluss vom 7. März 2016, L 15 AS 185/15 B ER, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER; a.A. SG Berlin, Beschluss vom 4. Januar 2016, S 128 AS 25271/15 ER). § 21 S. 1 SGB XII lautet: "Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt." Die Kammer ist der Überzeugung, dass der Wortlaut dieser Vorschrift so zu verstehen ist, dass Personen, die aus einem anderen Grund als der fehlenden Erwerbsfähigkeit i.S.d. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 8 SGB II vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen sind, auch keinen Anspruch nach dem SGB XII haben (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, Az: S 35 AS 5396/15 ER, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER; Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Januar 2016, L 29 AS 20/16 B E, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER). Denn die Nennung der Voraussetzung der Erwerbsfähigkeit wäre überflüssig, wenn diese nicht zum Leistungsausschluss nach dem SGB XII führen sollte. Dann hätte ein Verweis auf die Anspruchsberechtigung nach dem SGB II genügt (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, Az: S 35 AS 5396/15 ER, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER; Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER).

Die Voraussetzung der Anspruchsberechtigung nach dem SGB II "dem Grunde nach" steht daneben nicht gesondert, sondern in Ergänzung und bezieht sich auf die Anspruchsvoraus-setzungen des § 7 Abs. 1. S. 1 SGB II, der die positiven Tatbestandsvoraussetzungen, so auch in Nr. 2 die Erwerbsfähigkeit benennt. Davon nicht erfasst sind die in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II genannten negativen Tatbestandsvoraussetzungen beziehungsweise Ausschlussgründe. Entsprechend lässt das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 7 SGB II, wie vorliegend der des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II den Ausschluss nach § 21 S. 1 SGB XII unberührt (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, Az: S 35 AS 5396/15 ER, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER; Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER).

Dass die Erwerbsfähigkeit das entscheidende Kriterium zur Abgrenzung der Leistungssysteme nach dem SGB II und SGB XII ist, ergibt sich auch aus den Vorschriften der §§ 21 S. 3 SGB XII und 44 a SGB II. Diese regeln das Verfahren bei unterschiedlichen Auffassungen über die Zuständigkeit zwischen den Trägern der Leistungen nach SGB II und SGB XII in Bezug auf die Feststellung der Erwerbsfähigkeit detailliert. Daraus dass dieses Verfahren allein für den Streit über das Vorliegen der Erwerbsfähigkeit geregelt ist, ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber diese als entscheidendes Abgrenzungskriterium zwischen den Leistungssystemen ansieht (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, Az: S 35 AS 5396/15 ER, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER).

Auch die Gesetzesbegründung zu § 21 SGB XII (BT Drs. 15/1514, S. 57) spricht zur Über-zeugung der Kammer dafür, dass Erwerbsfähigen der Weg zu Leistungen nach dem SGB XII nicht eröffnet sein soll. Hier heißt es: "Die Regelung setzt nicht voraus, dass jemand tatsächlich Leistungen des anderen Sozialleistungsträgers erhält oder voll erhält, sondern knüpft an die Eigenschaft als Erwerbsfähige oder deren im Zweiten Buch näher bezeichneten Angehörigen an" (vgl. hierzu SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 28.01.2016, L 29 AS 20/16 B ER, 21/16 B ER PKH, bislang unveröffentlicht). Entsprechend heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II: "Auch wenn bei Ausländern die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, das heißt sie zwischen 15 und unter 65 Jahre alt, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, können dennoch die Leistungen nach diesem Buch durch den neugefassten Satz 2 ausgeschlossen sein. Darüber hinaus kommen dann für diese Personengruppe auch Leistungen des SGB XII wegen § 21 Satz 1 SGB XII nicht in Betracht, da sie dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II ist" (vgl. hierzu SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13).

Die Kammer ist weiter der Überzeugung, dass dieser Wille im Gesetzeswortlaut wiederzufinden und daher bei der Auslegung zu beachten ist (a.A. SG Berlin, Beschluss vom 4. Januar 2016, S 128 AS 25271/15 ER Rn. 28). Insoweit wird auf die Ausführungen zuvor verwiesen. Die Kammer kann nicht erkennen, dass allein die Tatsache, dass auch eine andere Regelung möglich gewesen wäre (so SG Berlin, Beschluss vom 4. Januar 2016, S 128 AS 25271/15 ER Rn. 28 dahingehend, dass allein die Erwerbsfähigkeit als Ausschlusstatbestand genannt hätte werden können) dazu führen kann, dass der im Wortlaut zumindest auch zu erkennende Wille des Gesetzgebers keine Rolle spielen sollte.

Auch das Bundesozialgericht erkennt die grundsätzliche Abgrenzung nach der Erwerbsfähigkeit an, wenn es ausführt: "Im Grundsatz gilt für die Systemzuweisung aufgrund der Erwerbs-zentriertheit des SGB II, dass derjenige, der von dem auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgerichteten Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen werden soll, dem System des SGB XII zugewiesen wird" (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 44/15 R). Die ent-scheidende Funktion des Leistungsausschlusses des § 21 S. 1 SGB XII ist, dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehende Personen nicht dem auf Aktivierung und Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ausgerichteten System des SGB II zuzuordnen, sondern in das hiervon un-abhängige Grundsicherungssystem des SGB XII zu integrieren (s. dazu SG Dortmund, Be-schluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER; zur Abgrenzung des Leistungssysteme nach der Erwerbsfähigkeit Eicher in JurisPK, § 21 SGB XII, Rn. 15; Voelzke in: Haucke/Noftz, SGB, 01/14, § 21 SGB XII Rn. 31).

Soweit das Bundessozialgericht im Weiteren argumentiert, die "Systemabgrenzung" erfordere eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Leistungsausschlüsse und der Erwerbsfähigkeit allein komme daher keine entscheidende Bedeutung bei der Abgrenzung zwischen den Leistungssystemen von SGB II und SGB XII zu, kann die Kammer dem gerade im Hinblick auf die sodann zur Begründung angeführten Urteile (BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, B 4 AS 105/11 R, BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014, B 14 AS 66/13 R, BSG, Urteil vom 19. August 2015, B 14 AS 1/15 R) zu § 7 Abs. 4 SGB II nicht folgen.

Diese genannten Urteile des Bundessozialgerichts betreffen Altersrentenbezieher und stationär Untergebrachte beziehungsweise Inhaftierte, die dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4 SGB II unterfallen. Dieser Leistungsausschluss bezieht sich auf die Erwerbsfähigkeit, indem für diese Fälle die fehlende Erwerbsfähigkeit fingiert beziehungsweise gesetzlich vermutet wird (vgl. Thie, LPK-SGB II, 5. Auflage, Rn. 85ff m.w.N.). Dass in diesen Fällen trotz eventuell bestehender tatsächlicher Erwerbsfähigkeit der Leistungsausschluss nach § 21 S. 1 SGB XII nicht gilt, liegt nicht daran, dass dieser zusätzlich zur Erwerbsfähigkeit die Leistungsberechtigung nach dem SGB II dem Grunde nach voraussetzt. Vielmehr folgt aus dem Ausschluss bei Erwerbsfähigkeit, dass die dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II unterfallenden Personen, nicht nach § 21 S. 1 SGB XII von Leistungen ausgeschlossen sind. Denn sie sind aufgrund der gesetzlichen Vermutung nicht als Erwerbsfähige i.S.d. § 21 S. 1 SGB XII anzusehen (s. dazu ausführlich SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016, S 95 SO 3345/15 ER SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER).

Die Kammer ist der Überzeugung, dass diese Auslegung des § 21 S. 1 SGB XII nicht für Leis-tungsausschlüsse nach § 7 SGB II gelten kann, die nicht an die Erwerbsfähigkeit anknüpfen (so auch SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016, S 95 SO 3345/15 ER SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER). Dies gilt für den hier maßgeblichen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ebenso wie für andere Leistungsausschlüsse, wie zum Beispiel den der unerlaubten Ortsabwesenheit nach § 7 Abs. 4a SGB II. Würde auch für diese Fälle angenommen, dass § 21 S. 1 SGB XII nicht gilt, hätten unerlaubt ortsabwesende Hilfebedürftige einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII (ohne die sich aus dem SGB II folgenden Pflichten), obwohl sie die in § 7 Abs. 4a SGB II vorgesehene Zustimmung nicht eingeholt haben.

Die Kammer sieht sich aufgrund der Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG und des Grundsatzes der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 GG gehindert, der Auslegung des § 21 S. 1 SGB XII durch das Bundessozialgericht in den genannten Entscheidungen zu folgen (vgl. zur unzulässigen Rechtsfortbildung, Lenze in NJW 8/2016, 555/557).

Denn nach dem oben Gesagten, ist die Kammer der Überzeugung, dass § 21 S. 1 SGB XII nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Gesetzessystematik dahingehend auszulegen ist, dass tatsächlich erwerbsfähige Personen, die dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II unterfallen, keinen Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach SGB XII haben. Eine andere Auslegung widerspricht dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, der sich zur Überzeugung der Kammer auch deutlich im Wortlaut widerspiegelt. Daher stellt nach Überzeugung der Kammer die diesem Willen entgegenstehende Auslegung einen unzulässigen Eingriff in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers und damit einen Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 GG und den Vorrang des Gesetzes aus Art. 20 Abs. 3 GG dar (s. dazu SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, Az: S 149 AS 7191/13, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, Az S 95 SO 146/16 ER).

Insoweit folgt die Kammer der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Gren-zen der verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen. Danach folgt aus dem in Art. 20 Abs. 2 GG festgeschriebenen Grundsatz der Gewaltenteilung, dass den Gerichten nicht die Befugnisse zustehen, die von der Verfassung dem Gesetzgeber übertragen worden sind. Die Gerichte sind demnach daran gehindert, "sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz zu begeben und sich damit der aus Art. 20 Abs. 3 GG ergebenen Bindung an Recht und Gesetz zu entziehen. Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass der Richter seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt (BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2011, Az: 1 BvR 918,10 Rn. 52 m.w.N., so auch BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 55/15 R, Rn. 20; SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, Az: S 149 AS 7191/13, zur Rechtsanwendung durch Richter auch Flint, Selbstverständnis Sozialrichter, NZS 3/2016, S. 82).

Die Rechtsfortbildung ist zwar auch Aufgabe der Gerichte und wird von diesen zum Teil durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe auch durch den Gesetzgeber gefordert. Dieser Rechtsfortbildung sind jedoch durch das Prinzip der Gewaltenteilung, das Demokratieprinzip und die Bindung des Gerichts an das Gesetz aus Art. 20 Abs. 2, Abs. 3, 97 Abs. 1 GG Grenzen gesetzt. Gesetzeskorrigierendes oder gesetzesersetzendes Richterrecht darf es danach nicht geben (s. zu dazu ausführlich und mit weiteren Nachweisen, Nolte, Die Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Mohr Siebeck 2015, S. 68ff.).

Das Bundesverfassungsgericht stellt im Weiteren klar, dass es auch Aufgabe der Gerichte ist, das Recht fortzuentwickeln angesichts des beschleunigten Wandels und der begrenzten Re-aktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers und offener Formulierungen in zahlreichen Normen. Diese Befugnis zur "schöpferischen Rechtsfindung und Rechtsfortbildung" ist jedoch mit Rücksicht auf Art. 20 Abs. 3 GG begrenzt. Eine Auslegung entgegen dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes ist daher unzulässig und stellt einen Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Gewaltenteilung und Gesetzesbindung dar. "Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Er muss die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung bringen. Er hat hierbei den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu folgen. Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke - stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein" (BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2011, Az: 1 BvR 918/10, Rn. 53).

2.

Ein Leistungsanspruch ergibt sich auch nicht aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA, BGBl II 1956, 564), da Bulgarien nicht Vertragsstaat ist.

3.

Da die Kläger zur Überzeugung der Kammer bereits aufgrund § 21 S. 1 SGB XII von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen ist, kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob ihnen Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII zustehen.

Gemäß § 23 Abs. 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Nach § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe.

Das Bundessozialgericht nimmt insoweit einen Anspruch für Staatsbürger der EFA Vertragsstaaten nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 59/13 R) beziehungsweise nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII unter Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null nach einem sechsmonatigen Aufenthalt (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R) an.

Die Kammer kann diese Ansprüche bereits aufgrund des Gesetzeswortlautes und der Geset-zessystematik des § 23 Abs. 1 SGB XII nicht erkennen. Denn § 23 S. 1 S. 3 SGB XII regelt nach seinem Wortlaut "im Übrigen" keine Ansprüche, die bereits in § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII genannt sind. Die hier im Streit stehenden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt sind in § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII genannt und können daher schon nach seinem Wortlaut nicht von § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII erfasst sein (so auch, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, Az S 95 SO 146/16 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, Coseriu, JurisPK, § 23 SGB XII Rn.10).

Weiterhin ist die Kammer der Überzeugung, dass die Kläger von Leistungen nach § 23 Abs. 1 S. 1 und S. 3 SGB XII aufgrund der Regelung des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII ausgeschlossen sind. Dieser Leistungsausschluss entspricht der Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und regelt: "Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe". Entsprechend wurde im Gesetzesentwurf darauf hingewiesen, dass die Einfügung des § 23 Abs. 3 S. 1 2. Alt SGB XII sicherstellen solle, dass Ausländer, die nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen aus Grundsicherung für Arbeitssuchende haben, auch aus dem SGB XII keine Ansprüche herleiten können. Damit sollte Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 b RL 2004/38/EG umgesetzt werden. Nach dieser ist ein Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen denen dieser Status erhalten bleibt und ihren Familienangehörigen einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren (s. dazu BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R, Rn. 49). Auch dieser Leistungsausschluss gilt erst recht für Ausländer, die ohne materielles Aufenthaltsrecht in Deutschland sind (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R Rn. 48).

Die Kammer ist der Überzeugung, dass nach Wortlaut, Systematik und dem genannten Gesetzeszweck der Vorschrift sämtliche Leistungen der Sozialhilfe gemeint sind und damit auch die Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII. Denn auch Ermessensleistungen sind grundsätzlich vom Begriff "Anspruch" umfasst. Die in § 23 Abs. 3 S. 2 SGB XII einzig geregelte Rückausnahme gilt lediglich für Hilfe bei Krankheit. Aufgrund dieses klaren Wortlautes sieht sich die Kammer an einer Auslegung wie sie das Bundessozialgericht vornimmt gehindert, da insoweit die oben beschriebenen Grenzen aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG zur Überzeugung der Kammer erreicht sind (so auch SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, Az S 95 SO 146/16 ER; Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER).

Etwas anderes kann zur Überzeugung der Kammer auch nicht aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängernorm des § 120 BSHG gelten. Nach dieser Rechtsprechung sollten Ausländer, die dem Leistungsausschluss wegen der Einreise zur Er-langung von Sozialhilfe unterfielen, nur vom gebundenen Anspruch auf Hilfe zum Lebensun-terhalt nach § 120 Abs. 1 S. 1 BSHG a.F., nicht aber von Ermessensleistungen nach § 120 Abs. 1 S. 2 BSHG a.F. ausgeschlossen sein (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1985, 5 C 32/85; Urteil vom 14. März 1985, 5 C 145/83). Insoweit nimmt das Bundessozialgericht an, dass der Gesetzgeber die Regelung des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts inhaltsgleich übernommen habe und daher für den dort geregelten Leistungsausschluss nichts anderes gelten könne. Da auch die systematische Stellung des § 23 Abs. 1 S. 1 und 3 SGB XII dem des § 120 BSHG entspreche, könne der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII nur die in § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII genannten Leistungen auf die ein gebundener Anspruch bestehe, nicht aber die in § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII genannten Ermessensleistungen erfassen (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R, Rn. 51f.)

Diese Herleitung kann die Kammer schon deshalb nicht überzeugen, weil die den Entschei-dungen des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liegende Gesetzesfassung des § 120 BSHG eben gerade nicht im Wesentlichen der Regelung des § 23 SGB XII entsprach. § 120 BSHG in der Fassung vom 20. Januar 1987 lautete:

"Personen, die nicht Deutsche im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes sind und die sich im Geltungsbereich dieses Gesetzes tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunter-halt, Krankenhilfe, Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen und Hilfe zur Pflege nach diesem Gesetz zu gewähren; wer sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben hat, um Sozialhilfe zu erlangen, hat keinen Anspruch. Im übrigen kann Sozialhilfe gewährt werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu gewähren ist oder gewährt werden soll, bleiben unberührt."

Der dem heutigen § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII entsprechende Leistungsausschluss stand also gerade zwischen den Leistungsansprüchen entsprechend dem heutigen § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII (direkt angeknüpft im zweiten Halbsatz) und den Ermessensleistungen entsprechend dem heutigen § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII. Bei dieser Gesetzessystematik wäre auch die Kammer der Überzeugung, dass die erst nach dem Leistungsausschluss in einem gesonderten Satz ge-nannten Ermessensleistungen auch für vom davor genannten Leistungsausschluss erfasste Personen bestehen sollen. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber später und im hier streitent-scheidenden § 23 SGB XII den Leistungsausschluss gerade nach sämtlichen für Ausländer nach Absatz 1 geltenden Leistungsansprüchen im Absatz 3 der Vorschrift nennt und in diesem eine einzige Rückausnahme regelt, führt nach Ansicht der Kammer im Vergleich zur Vor-gängerregelung des § 120 BSHG und der entsprechenden Rechtsprechung des Bundesver-waltungsgerichts gerade dazu, dass nach der aktuellen Gesetzessystematik ein Leistungs-ausschluss auch für die im Satz 3 des Absatz 1 genannten Ermessensleistungen vom Ge-setzgeber gewollt und auch geregelt ist (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER).

4.

Zur Überzeugung der Kammer steht der Auslegung der Vorschriften der §§ 21, 23 SGB XII durch das Bundessozialgericht auch Art. 3 Abs. 1 GG entgegen. Denn durch die Aufnahme von erwerbsfähigen Unionsbürgern in das Leistungssystem des SGB XII werden diese gegenüber deutschen Staatsbürgern und ausländischen Staatsangehörigen, die aufgrund abhängiger oder selbstständiger Beschäftigung oder anderer Aufenthaltsrechte in das Leistungssystem des SGB II fallen, besser behandelt, ohne dass die Kammer dafür einen Rechtfertigungsgrund sehen kann. Für diese erwerbsfähigen Unionsbürger gelten dann nämlich Mitwirkungs- und Selbsthilfepflichten und die daraus folgenden Einschränkungen des SGB II nicht, wie zum Beispiel die grundsätzliche Pflicht nach § 7 Abs. 4a SGB II, sich im zeit- und ortsnahen Bereich des Trägers aufzuhalten oder der Verweis auf die Wohnung der Eltern nach § 22 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 SGB II für Hilfebedürftige, die unter 25 Jahren alt sind (s. dazu ausführlich, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER m.w.N.)

5.

Die Kammer sieht keine Veranlassung, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Frage der Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII mit dem Grundgesetz vorzulegen. Denn die Kammer hält den Leistungsausschluss nicht für verfassungswidrig.

Anders als das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R) geht die Kammer nicht davon aus, dass aufgrund des geregelten Leistungsausschlusses ein Eingriff in Art. 1 Abs. 1. GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gegeben ist.

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung das aus Art. 20 Abs. 1 GG folgende Sozialstaatsprinzip durch die Verbindung zum Schutz der Würde des Menschen in Art. 1 Abs. 1 GG subjektivrechtlich ausgestaltet. Insoweit hat es entschieden:

"Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwen-digen materiellen Mittel fehlen, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus ei-genem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter zu erlangen sind, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen. Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein individueller Leistungsanspruch, da das Grundrecht die Würde jedes einzelnen Menschen schützt und sie in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann" (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, 1 BvL 10/10; 1 BvL 2/11, Rn 63).

Bereits in dieser grundsätzlichen Definition des sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebenden An-spruches auf die Sicherung des Existenzminimums hat jedoch das Bundesverfassungsgericht selbst die Hilfe Dritter als vorrangig angesehen. Zwar darf diese Hilfe Dritter nicht rein freiwillig, sondern muss durch einen Anspruch des Hilfebedürftigen gesichert sein (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, 1 BvL 10/10; 1 BvL 2/11, Rn 65). Dies ist jedoch bei durch andere Staaten der Europäischen Union für ihre Staatsbürger gewährleisteten Hilfen der Fall. Insoweit entspricht der in §§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII geregelte Nachrang des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER, LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Februar 2016, L 3 AS 668/15 B ER, Beschluss vom 5. November 2015, L 3 AS 479/15 B ER, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. Februar 2016, L 9 AS 1335/15 B ER m.w.N., LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER).

Dass ein solcher Verweis auf Sozialleistungssysteme anderer Länder nicht dem Grundsatz der Menschenwürde widerspricht, ergibt sich auch daraus, dass das Bundesverfassungsgericht selbst davon ausgeht, dass das Menschenrecht auf Sicherung des Existenzminimums, das aus Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet wird, nur für solche Personen gelten soll, "die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten" (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, 1 BvL 10/10; 1 BvL 2/11). Ein sich weltweit erstreckender Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums gegen-über dem deutschen Staat kann sich schon aufgrund der offensichtlichen Unmöglichkeit der Umsetzung nicht aus Art. 1 Abs. 1 GG ergeben. Ein solcher wird auch nach der Rechtspre-chung des Bundesverfassungsgerichts eindeutig nicht angenommen. Dementsprechend ist der tatsächliche beziehungsweise der gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB II und §§ 23 Abs. 1 S. 1 und 24 Abs. 1 S. 1 SGB XII in der Regel Voraussetzung für den Empfang existenzsichernder Leistungen, ohne dass dies ver-fassungsrechtlichen Bedenken begegnet.

Wenn die Hilfebedürftigen sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, erkennt die Kammer, dass das Menschenrecht der Menschenwürde und der hieraus hergeleitete Anspruch auf die Sicherung des Existenzminimums sich auf Ausländer wie Deutsche gleichermaßen beziehen. Insoweit ist jedoch der Verweis auf Leistungssysteme anderer Staaten durchaus zulässig, da der Verweis auf Leistungen Dritter, auf die ein Anspruch besteht, vom Bundesverfassungsgericht wie erläutert vorgesehen ist.

Soweit das Bundessozialgericht darauf verweist, dass eine pauschale Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus durch das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, Rn. 99) ausdrücklich abgelehnt worden sei und deshalb eine Ermessensreduzierung auf Null bezüglich des nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII angenommenen Leistungsanspruchs gegeben sei (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R), kann die Kammer dem so nicht folgen. Auch geht die Kammer nicht davon aus, dass der Leistungsausschluss einen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellt, weil die Menschenwürde nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts "migrationspolitisch nicht zu relati-vieren sei" (Urteil vom 18. Juli 2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 Rn. 95; so aber wohl Wenner in SozSich 2/2016, S. 44). Denn diese Konkretisierungen des Bundesverfassungsgerichts zum Anspruch auf existenzsichernde Leistungen aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG erfolgten in der Entscheidung, in der es um die Frage ging, ob der Gesetzgeber bei der Ermitt-lung der Höhe von Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz im Vergleich zu Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII andere Bedarfe festsetzen kann, wenn es um die Sicherung des Existenzminimums geht. In dieser Entscheidung prüft das Bundesverfassungsgericht ebenso wie in der Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze nach SGB II (BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010, 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09) nicht die inhaltliche Konkretisierung des Rechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, sondern vor allem die verfahrensrechtliche Sicherung, indem es Maßstäbe an das innere Gesetzgebungsverfahren bezüglich der Bestimmung der Leistungshöhe aufstellt (Nolte, Rationale Rechtsfindung im Sozialrecht, in: Der Staat 2013, 245/247 f.).

Die Situation eines Asylbewerbers ist jedoch zur Überzeugung der Kammer in keiner Weise vergleichbar mit der eines Bürgers der Europäischen Union, der von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch macht und nach Deutschland einreist. Das einfachgesetzlich ausgestaltete Recht auf Asyl steht nach Art. 16 a GG politisch Verfolgten zu. Diese können regelmäßig nicht in das Herkunftsland zurückkehren, anders als der freizügigkeitsberechtigte Bürger der Europäischen Union. Die Rückkehr in das Heimatland stellt für Bürger der Europäischen Union daher ein zulässiges Mittel zur Selbsthilfe dar. Die Notwendigkeit der Rückkehr stellt keinen Eingriff in das Grundrecht auf Sicherung des Existenzminimums dar (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER, SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13, LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Februar 2016, L 3 AS 668/15 B ER, so auch BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 1988, 5 B 136/87). Sollte ein Bürger der Europäischen Union ebenfalls aus politischen Gründen an der Rückkehr in sein Heimatland gehindert sein, wären auch für diesen das Asylverfahrensrecht und die entsprechenden Leistungen eröffnet.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Notwendigkeit der Mitwirkung bei der Sicherung des Existenzminimums selbst anerkannt. Entsprechend hat es entschieden, dass der in §§ 7 Abs. 5 SGB II für Studenten geregelte Ausschluss von existenzsichernden Leistungen keine Ver-letzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums darstellt, weil der Betroffene durch Abbruch des Studiums den Weg zu diesem Existenzsicherungssystem eröffnen kann (BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2014, 1 BvR 886/11, vgl. dazu ausführlich SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER).

Diese Entscheidung zeigt auch, dass es für die Frage der Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG unerheblich ist, dass die vom gesetzlichen Leistungsausschluss erfassten Ausländer bis zur tatsächlichen Ausreise keinem System zur Sicherung des Existenzminimums unterstellt sind, auch wenn sie nicht zur Ausreise verpflichtet sind (a.A. Coseriu in: jurisPK, § 23 Rn. 63.3 und 63.6, in dem er den Verweis auf die Inanspruchnahme von Leistungen im Heimatland als "absurd und nicht mit dem GG in Einklang zu bringen" bezeichnet). Denn auch Studenten sind nach keiner Norm verpflichtet ihr Studium aufzugeben. Solange sie dies jedoch nicht tun, sind sie nach §§ 7 Abs. 5 SGB II und 22 Abs. 2 SGB XII von Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ausgeschlossen.

Auch in seiner aktuellen Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht zur Verfassungsmäßigkeit der Aufrechnung nach § 43 SGB II in Höhe von 30 Prozent des Regelbedarfs entschieden, dass bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Gewährleistungsrechts aus Art. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG die Eigenverantwortung des Hilfebedürftigen als Teil der Art. 1 Abs. 1 GG zugrunde liegenden Vorstellung vom Menschen Beachtung finden kann (Urteil vom 9. März 2016, B 14 AS 20/15 R).

Daneben dürften Hintergrund der Regelungen zum Leistungsausschluss aus §§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II; 21 S. 1 SGB XII weniger migrationspolitische Erwägungen sein, als vielmehr das von den Vertragsstaaten gemeinsam erarbeitete System des Freizügigkeitsrechts, dass sich in den detaillierten Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes in Umsetzung europäischer Rege-lungen wiederfindet (s. dazu ausführlich SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER).

Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ergibt jedoch zur Überzeugung der Kammer einen Anspruch auf Überbrückungsleistungen, wie der Kosten der Rückreise und des bis dahin in Deutschland erforderlichen Aufenthaltes (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. September 2015, L 20 As 2161/15 B ER; SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13). Leistungen für die Rückreise sind jedoch vorliegend nicht beantragt. Die Kammer kann weiter nicht ersehen, dass ein weiterer Aufenthalt in Deutschland vor der Rückreise nach Bulgarien erforderlich war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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