S 13 KR 67/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 67/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zustimmung zu einer Auslandsbehandlung und sodann die Übernahme der Kosten einer geplanten stationären Krankenhausbehandlung in Genua (Italien) durch Prof. Dr. D. zwecks Anlage multipler lymphvenöser Anastomosen (Shunt) zur Behandlung eines Gesichtslymphödems und eines Lymphödems am linken Bein zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Der 0000 geborene Kläger leidet unter vorübergehenden, aber wiederkehrenden Schwellungen im Gesicht und im linken Bein. Dr. G., Oberarzt der Klinik für Plastische und Wiederherstellungschirurgie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) diagnostizierte 2011 ein beidseitiges Gesichtslymphödem und führte am 20.04.2011 eine Lymphgefäßtransplantation vom linken Oberschenkel auf den Halsbereich beidseits durch.

Am 11.02.2014 beantragte der Kläger die Übernahme der Kosten für eine mikrochirurgische Operation mit Anlage mehrerer lymphvenöser Anastomosen(Shunts) im Hals-/Gesichtsbereich und im linken Bein durch Prof. Dr. D. in dessen Privatklinik in Genua (Italien). Er legte hierzu eine befürwortende Bescheinigung von Prof. Dr. D. vom 13.12.2013 und einen Kostenvoranschlag vor, nach dem sich die Kosten der Behandlung auf circa 72.450,00 EUR belaufen.

Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 17.02.2014 ab mit der Begründung, die beantragte Operation sei ein Standardeingriff und werde in vielen Kliniken in Deutschland, z.B. in den Universitätskliniken Aachen und Köln ausgeführt. Die Privatklinik in Genua sei kein Vertragspartner der GKV. Besondere Umstände, warum die Operation in Deutschland nicht möglich sei, seien nicht vorgetragen.

Dagegen erhob der Kläger am 17.03.2014 Widerspruch. Die bereits durchgeführte Behandlung durch Dr. G. habe zu einem zusätzlichen Ödem im Oberschenkel und zu keiner Verbesserung der Gesichtsregion geführt. Dr. G. habe die Behandlung in Genua empfohlen. Der Kläger verwies hierzu auf eine Bescheinigung des Arztes vom 24.03.2014. Er meinte, es handele sich keineswegs um einen Standardeingriff; dieser Eingriff sei für ihn lebensnotwendig. Der Kläger legte darüber hinaus einen von Prof. Dr. D. als Mitautor verfassten Fachartikel über das Operationsverfahren und eine Fotodokumentation über sein Gesicht vor; auf den Fotos hat er vermerkt, welche ihn in geschwollenem und nicht geschwollenem Zustand zeigen.

In einem daraufhin von der Beklagten eingeholten Gutachten des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) sah Dr. U. die medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung als nicht erfüllt an. Er stellte fest, die vorgelegte Fotodokumentation lasse im Vergleich der als "geschwollen" mit denen als "keine Schwellung" beschrifteten Bilder keine zweifelsfreien Unterschiede erkennen. Bei der vom Kläger vorgelegten Veröffentlichung handele es sich nicht um eine Original-Studie, sondern lediglich um die Darstellung der Erfahrungen der zur Diskussion stehenden Klinik. Das Rationale für die beabsichtigte Operation erschließe sich nicht, ebenso wenig die pauschale Kostenaufstellung, die mit mehr als 72.000,00 EUR weit über das erwartete Maß für eine Gefäßoperation hinausgehe.

Nach Vorlage weiterer Unterlagen und kritischer Stellungnahme seitens des Klägers holte die Beklagte ein weiteres MDK-Gutachten ein. Frau Dr. N. äußerte unter dem 17.12.2014 den Verdacht auf eine hypochondrische Störung. Sie teilte mit, im Gesicht und am linken Bein sei kein krankheitswertiger Befund festgestellt worden; es gebe keine Hinweise auf das Vorliegen eines Ödems; weder seien Körperfunktionen beeinträchtigt noch liege eine Entstellung vor; zusammenfassend bestehe keine Indikation für die geplante Maßnahme.

Im folgenden Schriftwechsel mit dem Beklagten legte der Kläger u.a. eine weitere Bescheinigung von Dr. G. von der UMG vor. Dieser berichtete am 20.01.2015, beim Kläger zeige sich ein Gesichtslymphödem, welches seinen Gesichtsausdruck bzw. seine Mimik beeinflusse und somit sein Gesicht und dessen Funktion als nonverbales Kommunikationselement beeinträchtige. Das Gesicht sende unter dem Einfluss des Gesichtslymphödems Fehlinformationen an die Außenwelt und seine Mitmenschen ab, auf die der Kläger keinen Einfluss habe. Dadurch entstünden zwangsläufig Missverständnisse in der Kommunikation. Für den Kläger sei ein normales soziales Leben als menschliches Lebewesen, welches auf Beziehungen zu anderen Menschen angewiesen sei, nicht möglich. Die daraus folgenden starken psychischen Probleme wie Frustration, verringerte Lebensenergie und Lebenslust, Zurückgezogenheit, Einsamkeit und chronischer Stress resultierten aus der physischen Beeinträchtigung des Gesichts und dessen Funktion als Kommunikationselement. Aufgrund des entstellenden Gesichtslymphödems und der Funktionsbeeinträchtigung der Gesichtsmimik und des Gesichts als Kommunikationselement seien die gravierenden Einwirkungen auf sein Sozialleben nachvollziehbar. Es handele sich um einen ausgeprägten Befund, welcher durch einen mikrochirurgischen Eingriff behandelt werden könne. Die Operation bei Prof. D. in Italien stelle für den Kläger einzig und allein die letzte Chance dar, wieder ein normales soziales Leben führen zu können.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 16.02.2015 unter Hinweis auf die MDK-Gutachten und die Gesetzeslage als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Kläger am 13.03.2015 Klage erhoben. Er trägt vor, bereits mehrfach sei ein Gesichtslymphödem und inzwischen auch eine dadurch hervorgerufene funktionelle Beeinträchtigung festgestellt worden. Auch sei zu Diagnostikzwecken in Genua eine Lymphszintigraphie durchgeführt worden. Der Kläger hat Befundunterlagen über das Szintigramm mit Bildern vom 05.04.2015 zu den Akten gereicht. Der Kläger behauptet, der streitige Eingriff werde in Deutschland in dieser Form nirgendwo durchgeführt. Er greift die Formulierungen aus der Bescheinigung der UMG (Dr. G.) vom 20.01.2015 auf und macht sich diese zu eigen. Er hat weitere Fotos, die sein Gesicht und seine Beine in – nach seinen Angaben – geschwollenem und nicht geschwollenem Zustand zeigen, vorgelegt.

Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts ein medizinisches Sachverständigengutachten von dem Arzt für Allgemeine, Hand-,Unfall- und Plastische Chirurgie am Klinikum der Universität München, Prof. Dr. I., eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf dessen Gutachten vom 07.12.2015 und den Bericht über eine von ihm veranlasste Lymphabflusszintigraphie des Gesichts und des linken Beines vom 23.11.2015 verwiesen.

Nach Vorlage des Gutachtens von Dr. I. hat der Kläger eine Stellungnahme von Prof. Dr. D. vom 19.04.2015 nebst Artikel aus Fachzeitungen vorgelegt. Der Kläger meint, das Gutachten des Prof. Dr. I. lasse wichtige Informationen und Details vermissen; maßgebliche Regeln, die den entsprechenden international geltenden Richtlinien der Behandlung von primären Lymphödemen entsprechen, seien seitens des gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht eingehalten worden. Der Kläger weist daraufhin, dass Prof. Dr. D. selbst nach ausführlicher Recherche weder in Düsseldorf noch sonst irgendwo in der Bundesrepublik Deutschland eine medizinische Institution gefunden habe, die diese Art von Behandlung durchführe.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.02.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.02.2015 zu verurteilen, einer stationären Krankenhausbehandlung in Genua (Italien) durch Prof. Dr. D. zwecks Anlage multipler lymphvenöser Anastomosen (Shunts) zur Behandlung eines Gesichtslymphödems und eines Lymphödems im linken Bein zuzustimmen und die dadurch entstehenden Kosten zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung und sieht sich darin durch das Gutachten von Prof. Dr. I. bestätigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf Zustimmung zu der begehrten Auslandsbehandlung in Genua durch Prof. Dr. D. sowie Übernahme der dadurch entstehenden Kosten.

Nach § 13 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen aufgrund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung (Satz 1). Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs oder der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind (Satz 2). Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte (Satz 3). Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen (Satz 6). Sodann bestimmt § 13 Abs. 5 SGB V, dass abweichend von Absatz 4 in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden können (Satz 1). Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann (Satz 2). Zurecht hat die Beklagte ihre Zustimmung zu der begehrten stationären Maßnahme in Genua in der Privatklinik von Prof. Dr. D. versagt, da eine für den Kläger ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung – vorausgesetzt, sie wäre überhaupt medizinisch notwendig und indiziert, – von einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

Es bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob beim Kläger überhaupt eine mikrochirurgisch durch Anlagen von lymphvenösen Anastomosen zu behandelnde Erkrankung, nämlich ein behandlungsbedürftiges Gesichtslymphödem und ein Lymphödem im linken Bein bestehen. Weder die Gutachter des MDK noch der vom Gericht zum medizinischen Sachverständen bestellt Prof. Dr. I. haben dieses Krankheitsbild feststellen können. Die von Prof. Dr. I. veranlasste Lymphabflussszintigraphie des Gesichts und des linken Beines vom 23.11.2015 hat keinen Nachweis eines pathologischen Lymphtransportes ergeben. Die MDK-Ärztin Dr. N. hat in diesem Zusammenhang den Verdacht auf eine hypochondrische Störung geäußert. Auch die Kammer konnte auf den vom Kläger vorgelegten Farbfotografien keine signifikanten Unterschiede (geschwollen/nicht geschwollen) erkennen. Im Hinblick auf den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck vom Kläger und dem Aussehen von dessen Gesicht sind der Kammer die weitschweifigen Ausführungen von Dr. G. in dessen Bericht vom 20.01.2015 zur eingeschränkten nonverbalen Kommunikation und den dadurch bedingten Beeinträchtigungen im sozialem Leben sowie psychischer Art in keiner Weise nachvollziehbar. Weder in der Wirklichkeit noch auf den vorgelegten Fotos wirkt der Kläger auch nur im Ansatz entstellt.

Aber selbst wenn, wie es in verschiedenen Berichten, insbesondere denjenigen von Prof. Dr. D., zum Ausdruck kommt, beim Kläger ein krankhafter Befund im Sinne eines Lymphödems bestünde, hätte der Kläger keinen Anspruch auf Durchführung der begehrten Operation in der Privatklinik in Genua durch Prof. Dr. D ... Prof. Dr. I. hat als ausgewiesener Fachmann in seinem Gutachten überzeugend dargelegt, dass leitliniengemäß in latenten oder passageren Stadien eines Ödems keine invasive, operative Therapie angezeigt ist, sondern eine konservative komplexe Entstauungsbehandlung von mindestens sechs Monaten. Es ist – so Prof. Dr. I. – in der bisherigen medizinischen Literatur auch nicht beschrieben, inwieweit zusätzliche lmypho-venöse Anastomosen nach vorgegangener autologer Lymphgefässtransplatation im Gesicht eine weitere Verbesserung des Lymphabflusses ermöglichen. Wenn solche lympho-venöse Anastomosen aber indiziert sind, können sie auch in Deutschland angelegt werden. Hierzu hat Prof. Dr. I. auf die Ärzte des Sana-Krankenhaus Gerresheim, einem akademischen Lehrkrankenhaus der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf verwiesen. In der dortigen von Prof. Dr. B. geleiteten Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie werden lympho-venöse Anastomosen als Möglichkeit der operativen Therapie des Lymphödems durchgeführt. In dem Heft Lymphe und Gesundheit (1/2013) des Vereins zur Förderung der Lymphödemtherapie e.V. wird auf Seite 3 mitgeteilt, dass lympho-venöse Anastomosen auch in der "Universitätsmedizin Göttingen", im "Universitätsklinikum Freiburg", in der "Ethianum-Klinik in Heidelberg" sowie im "Helios-Klinikum Wuppertal" durchgeführt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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