L 8 SB 904/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SB 354/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 904/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27. Januar 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) sowie die Feststellung gesundheitlicher Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches (Merkzeichen) "G" streitig.

Die 1956 geborene Klägerin stammt aus dem Kosovo. Sie ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.

Bei der Klägerin stellte das Landratsamt T. (LRA) zuletzt mit Bescheid vom 20.07.2012 wegen einer Lungenerkrankung (GdB 20), Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen (GdB 20), Schwerhörigkeit (GdB 10), depressive Verstimmung (GdB 10) und einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (GdB 10) den GdB mit 30 sowie das Vorliegen einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz fest.

Am 06.02.2014 beantragte die Klägerin beim LRA die Erhöhung des GdB sowie die Feststellung des Merkzeichens "G" ab Antragstellung. Das LRA nahm medizinische Unterlagen zu den Akten (insbesondere Berichte des Universitätsklinikums T. vom 29.04.2013 und 24.01.2014, Diagnosen: Arterielle Hypertonie Grad II, Zustand nach Lungenarterienembolie 2002, paroxysmales Vorhofflimmern, Mitralklappeninsuffizienz I°-II°, Zustand nach chronischer Blutungsanämie, Zustand nach Korpuspolypenentfernung, Harnwegsinfektion, Lumboischialgie links mit sensorischen Defiziten, Zustand nach Achillodynie I beidseits bei Kalkeinlagerungen). In der hierzu eingeholten gutachtlichen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes vom 06.05.2014 schlug Dr. P. wegen einer Lungenerkrankung (GdB 20), Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen und Herzklappenfehler (GdB 20), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule chronisches Schmerzsyndrom (GdB 20), depressive Verstimmung (GdB 10) und Schwerhörigkeit (GdB 10) den GdB mit 40 vor. Mit Bescheid vom 15.05.2014 stellte das LRA daraufhin bei der Klägerin den GdB mit 40 seit dem 06.02.2014 neu fest. Die geltend gemachten Merkzeichen könnten nicht festgestellt werden, da die Schwerbehinderteneigenschaft nicht vorliege.

Gegen den Bescheid vom 15.05.2015 legte die Klägerin am 13.06.2014 Widerspruch ein. Das LRA holte den Auszug aus den medizinischen Daten von Dres. F./S. und Kollegen sowie den Bericht von Dr. M. vom 29.07.2014 ein und nahm den Befundbericht des Dr. A. vom 21.07.2011 sowie Röntgenbilder vom 22.05.2014 (Fuß und Ferse rechts) zu den Akten. In der hierzu eingeholten gutachtlichen Stellungnahme vom 20.11.2014 blieb Dr. P. bei ihren bisherigen Bewertungsvorschlägen. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2015 wurde daraufhin der Widerspruch der Klägerin vom Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt- zurückgewiesen. Eine weitere Erhöhung des GdB sei nicht zu begründen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 11.02.2015 bei der Rechtsantragsstelle des Sozialgerichts Reutlingen (SG) zur Niederschrift Klage, mit dem Antrag, ihr einen höheren GdB (zuletzt in der öffentlichen Sitzung am 27.01.2016 GdB 60 ab dem 06.02.2014) zu bewilligen. Sie berief sich zur Begründung auf ein Schreiben des Neurozentrums R.vom 07.11.2014 (Beurteilung: Verdacht auf eine dementielle Erkrankung, DD. Pseudodemenz bei deutlich depressivem Aspekt), das sie in Kopie vorlegte. Außerdem legte die Klägerin die Berichte des Universitätsklinikums T. vom 22.01.2015 (Diagnosen: Schwere depressive Episode, chronische Lumbago, Lungenarterienembolie 2002, Mitralklappeninsuffizienz, arterieller Hypertonus, Vorhofflimmern und Adipositas) sowie der berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 17.02.2015 (Diagnosen: Distale Fibula links Typ Weber A und Prellungen Knie) vor.

Das SG hörte die von der Klägerin benannte behandelnde Fachärztin für Neurologie Dr. W. schriftlich als sachverständige Zeugin an. Dr. W. teilte in ihrer Aussage vom 09.06.2015 - unter Vorlage von Befundberichten - den Behandlungsverlauf, die Diagnosen und Untersuchungsbefunde mit. Auf neurologischem Fachgebiet bestünden keine Funktionsbeeinträchtigungen, die zu einem GdB führten. Eine Beurteilung wegen kognitiver Störungen, weswegen sich die Klägerin in ihrer Sprechstunde vorgestellt habe, müsse auf psychiatrischem Fachgebiet erfolgen.

Weiter holte das SG (von Amts wegen) das nervenärztliche Gutachten von Dr. M. vom 27.07.2015 ein. Dr. M. gelangte in ihrem Gutachten zusammenfassend zu der Beurteilung, an funktionellen Defiziten bestünden bei der Klägerin psychische Auffälligkeiten mit Indolenz, Antriebsstörungen erheblichen Ausmaßes, Rückzugsverhalten, Interessenverlust, Schwunglosigkeit, Energielosigkeit und wenig zielgerichtetes Handeln und Denken. Neurologisch bestünden Gedächtnisstörungen erheblichen Ausmaßes im Sinne einer demenziellen Entwicklung bei niedrigem Bildungsstand, deutlicher Minderung der Alltagskompetenz, der Verlust der Arbeitsstelle aufgrund von Vergesslichkeit sowie eine sprachliche Verarmung. Für eine organische Persönlichkeitsveränderung mit Hirnleistungsschwäche im Sinne einer demenziellen Entwicklung bewertete Dr. M. den GdB mit 50 und unter Einbeziehung fachfremder Bewertungen den Gesamt-GdB mit 60 seit einigen Jahren.

Der Beklagte trat unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. vom 03.12.2015, der wegen eines Blutungsleiden (Teil-GdB 10), Bluthochdruck, Herzklappenfehler und Herzrhythmusstörungen (Teil-GdB 20), einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB 20) und einer depressiven Verstimmung (Teil-GdB 10) den Gesamt-GdB mit 30 bewertete, dem Gutachten von Dr. M. entgegen.

Mit Urteil vom 27.01.2016 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen seien lediglich mit einem GdB von 30 zu bewerten. Der von der Klägerin angestrebte GdB von 60 sei nicht gerechtfertigt.

Gegen das der Klägerin am 09.02.2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin beim Landessozialgericht Baden-Württemberg am 08.03.2016 zur Niederschrift Berufung eingelegt. Sie hat zur Begründung vorgetragen, zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung am 27.01.2016 hätten nicht alle ärztlichen Unterlagen vorgelegen. Vor allem sei ihre psychische Erkrankung nicht berücksichtigt. Sie habe erst am 01.04.2016 einen Termin bei der Psychologin Dr. S.-N. in T. erhalten. Sie werde sich dort wegen ihrer Stimmungsschwankungen und ihrer Vergesslichkeit in Behandlung begeben. Diese Behandlung bleibe abzuwarten und sei bei der Feststellung des GdB zu berücksichtigen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27.01.2016 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 15.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2015 zu verurteilen, den Grad der Behinderung zu erhöhen sowie das Merkzeichen "G" festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hat zur Begründung vorgetragen, die Feststellung des Merkzeichens "G" sei bislang weder im Klageverfahren noch in der mündlichen Verhandlung am 27.01.2016 geltend gemacht worden, insoweit sei die Berufung unzulässig. Hinsichtlich der psychischen Erkrankung der Klägerin liege allenfalls eine leichte psychische Störung vor. Wenn sich die Klägerin erst jetzt in psychiatrische Behandlung begebe und das Ergebnis der Behandlung abgewartet werden solle, erscheine es zielführender, dass die Klägerin nach Abschluss der Behandlung einen neuen Antrag beim Landratsamt stelle. Dann könne auch über das beantragte Merkzeichen entschieden werden.

Mit richterlicher Verfügung und (Hinweisschreiben) vom 07.04.2016 sind die Klägerin und der Beklagte darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt sei, über die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zu entscheiden und ist ihnen Gelegenheit gegeben worden, bis 30.04.2016 zur Sache und zum beabsichtigten Verfahren Stellung zu nehmen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

II.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann der Senat - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten sind mit richterlicher Verfügung vom 07.04.2016 auf die in Betracht kommende Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG sowie deren Voraussetzungen hingewiesen worden und haben Gelegenheit erhalten, zur Sache und zum beabsichtigen Verfahren Stellung zu nehmen.

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, ist gemäß §§ 143, 144 SGG teilweise zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neufeststellung des GdB von über 40 seit dem 06.02.2014 (1.). Ein Anspruch der Klägerin auf Verurteilung des Beklagten, der Klägerin das Merkzeichen "G" zu zuerkennen, besteht mangels Zulässigkeit der Berufung nicht (2.). Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden.

1. Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils die für die Neufeststellung des GdB maßgeblichen Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze vollständig und zutreffend dargestellt. Das SG hat weiter zutreffend begründet, dass funktionelle Beeinträchtigungen nach einer Lungenembolie nicht mehr unter dem Blickwinkel einer Erkrankung der Atmungsorgane, sondern unter dem Blickwinkel eines Blutungsleidens mit einem GdB von 10 zu bewerten sei. Die bestehenden Beeinträchtigungen aufgrund des Bluthochdrucks, der Herzrhythmusstörungen sowie des Herzklappenfehlers seien in der Gesamtschau mit einem Einzel-GdB von insgesamt 20 zutreffend bewertet. Die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sei mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Entgegen der Feststellung des Beklagten könne nicht vom Vorliegen einer Schwerhörigkeit ausgegangen werden. Der von der Klägerin angestrebte GdB von 60 sei nicht gerechtfertigt. Der Senat gelangt nach eigener Prüfung zum selben Ergebnis. Er nimmt zur Begründung seiner eigenen Entscheidung auf die diesbezüglichen Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils Bezug, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit verweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend hierzu bleibt auszuführen:

Dass bei der Klägerin seit dem letzten Feststellungsbescheid vom 20.07.2012 als wesentliche Änderung eine Verschlimmerung eines Lungenleidens eingetreten ist, lässt sich nach den zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen nicht feststellen. Eine bedeutsame Einschränkung der Lungenfunktion der Klägerin, ist nicht ersichtlich. Auch eine wesentliche Änderung des Bluthochdrucks, der Herzrhythmusstörungen sowie des Herzklappenfehlers seit dem letzten Feststellungsbescheid vom 20.07.2012 kann den zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen nicht entnommen und damit nicht festgestellt werden. So werden in den Befundberichten des Universitätsklinikums T. vom 29.03.2012, 29.04.2013 und 22.01.2015 unveränderte Diagnosen bezüglich des Herz-Kreislauf-Systems (Mitralklappeninsuffizienz, Hypertonus, Vorhofflimmern) beschrieben. Das Bestehen einer bedeutsamen Leistungsminderung auf kardialem Gebiet ist in den genannten Befundberichten nicht dokumentiert. Dass bei der Klägerin im Vergleich zum letzten Feststellungsbescheid an den unteren Extremitäten eine wesentliche Änderung (Verschlimmerung) eingetreten ist, kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Zwar hat sich die Klägerin nach dem Notaufnahme-Bericht der berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 17.02.2015 nach einem Sturz eine distale Fibulafraktur Typ Weber A und einem Supinationstrauma links zugezogen. Dass bei der Klägerin an den unteren Extremitäten deswegen eine dauerhafte GdB-relevante Behinderung besteht, kann jedoch nicht festgestellt werden. Vielmehr bestand nach dem Notaufnahme-Bericht vom 17.02.2015 kein Anhalt auf ein Kniebinnentrauma. Das Kniegelenk war frei beweglich, der Bandapparat stabil, die Meniskuszeichen negativ und der Streckapparat intakt. Dass sich die Klägerin wegen verbliebener Beeinträchtigungen noch in ärztlicher Behandlung befindet, ist nicht ersichtlich. Auch sonst lässt sich den zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen eine zu berücksichtigende Funktionsbeeinträchtigung der unteren Extremität nicht entnehmen. Eine Funktionsbeeinträchtigung der unteren Extremität hat die Klägerin bei der Untersuchung im Rahmen der Begutachtung durch Dr. M. nach dem im Gutachten vom 27.07.2015 beschriebenen Beschwerdeangaben auch nicht beklagt. Auch dem Vorbringen der Klägerin im Verlaufe des Rechtsstreites lassen sich keine substantiierten Anhaltspunkte entnehmen, die darauf hindeuten, dass bei der Klägerin hinsichtlich eines Lungenleidens, des Bluthochdrucks, der Herzrhythmusstörungen sowie des Herzklappenfehlers und/oder der unteren Extremitäten eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung eingetreten ist.

Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund der depressiven Erkrankung, worauf sich die Klägerin zur Begründung ihrer Berufung maßgeblich beruft, sind nach der Rechtsprechung des Senats allenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) Teil B 3.7 ist bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB mit 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB mit 30 bis 40 und bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 80 bis 100 zu bewerten. Dass sich die Klägerin bislang wegen ihrer psychischen Störung in (fach)ärztlicher Behandlung befunden hat, ist nicht ersichtlich. Vielmehr hat die Klägerin zur Begründung ihrer Berufung vorgetragen, sie werde sich (erst) ab 01.04.2016 in psychiatrische Behandlung begeben. Hinsichtlich des tatsächlichen Ausmaßes der bestehenden Behinderungen wegen der psychischen Störung der Klägerin kann damit noch nicht von einem Dauerzustand ausgegangen werden, der Grundlage der Bewertung des Einzel-GdB seien kann. Nach den VG Teil A 2f) setzt der GdB eine nicht nur vorübergehende und damit eine über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten sich erstreckende Gesundheitsstörung voraus. Dieser Zeitraum ist hinsichtlich der von der Klägerin nach ihrem Vorbringen erst ab 01.04.2016 begonnenen psychiatrischen Behandlung bei Dr. S.-N. noch nicht abgelaufen. Befundberichte hat die Klägerin nicht vorgelegt und waren auch von Amts wegen nicht beizuziehen. Der Verlauf der Behandlung ist damit zunächst abzuwarten. Entgegen der Ansicht der Klägerin fehlt es damit zurzeit an einer tragfähigen Grundlage zur rechtlichen Bewertung des GdB auf psychiatrischem Gebiet. Insoweit bleibt der Klägerin nach dem Abschluss der psychiatrischen Behandlung - je nach dem Erfolg der Behandlung - ein Antrag auf Neufeststellung des GdB beim Beklagten vorbehalten, worauf auch der Beklagte in der Berufungserwiderung (Schriftsatz vom 23.03.2016) zutreffend hinweist. Außerdem lässt sich nach dem in den zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen beschriebenen psychopathologischen Befund, wie ihn das SG im angefochtenen Urteil zutreffend dargestellt hat, bei der Klägerin eine stärker behindernde seelische Störung mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis und Gestaltungsfähigkeit nicht feststellen. Dies gilt auch für den von Dr. M. in ihrem Gutachten beschriebenen psychopathologischen Untersuchungsbefund. Darin beschreibt Dr. M. ein gepflegtes, adrettes Äußeres der Klägerin. Gedächtnisstörungen waren nicht feststellbar. Die Stimmung war ausgeglichen bis indolent. Eine schwere Depressivität konnte nicht festgestellt werden. Antriebsstörungen und Motivationsprobleme berichtete die Klägerin ohne affektive Beteiligung. Über Strecken hinweg wirkte die Klägerin zwar affektiv flach. Psychotisches Erleben wurde von der Klägerin verneint. Die Schwingungsfähigkeit war nur teilweise reduziert. Bei der stundenlangen Untersuchung und angegebenen Ganzkörperschmerzen erfolgten keine entlastende Bewegungen, kein Aufstehen, kein Herumgehen und es bestand keine Ungeduld. Dem entspricht im Wesentlichen auch der in dem Bericht des Neurozentrums Reutlingen vom 07.11.2014 beschriebene psychische Befund. Einen bedeutsamen sozialen Rückzug beschreibt Dr. M. in ihrem Gutachten nicht. Eine stärker behindernde seelische Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis und Gestaltungsfähigkeit ist nach diesen Befundbeschreibungen nicht festzustellen. Auch aufgrund der - bislang - fehlenden ärztlichen Behandlung kann nach der Rechtsprechung des Senats nicht davon ausgegangen werden, dass das diagnostizierte seelische Leiden der Klägerin über eine leichtere psychische Störung hinausgegangen ist und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB Bewertungsgrundsätze darstellte (dazu vgl. Senatsurteil vom 17.12.2010 L 8 SB 1549/10, juris RdNr. 31). Dass nicht von der Klägerin zu beeinflussende Faktoren, wie die Nichtgenehmigung der Behandlung seitens der Krankenkasse oder das Nichabgelaufensein einer bestehenden Wartezeit, eine psychiatrische oder psychologische Behandlung verhindert hätten, ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist es der Klägerin nach ihrem Vorbringen gelungen, eine Behandlung bei einer Psychologin aufzunehmen.

Dass bei der Klägerin eine Demenzerkrankung vorliegt, kann nicht festgestellt werden, wie das SG im angefochtenen Urteil außerdem zutreffend begründet. Dem Gutachten von Dr. M. kann nicht gefolgt werden, wie das SG im angefochtenen Urteil weiter zutreffend begründet hat. Für eine von Dr. M. angenommene hirnorganische Persönlichkeitsveränderung mit einer Hirnleistungsschwäche im Sinne einer demenziellen Entwicklung fehlt es an hinreichenden Anknüpfungspunkten. Solche werden von Dr. M. zudem medizinisch nicht nachvollziehbar dargelegt und ihre Diagnose ist zudem im Hinblick auf eine in neurologischer Hinsicht zu Grunde gelegten Gedächtnisstörung erheblichen Ausmaßes im Sinne einer demenziellen Entwicklung nicht schlüssig, da die Sachverständige gerade keine Gedächtnisstörungen hatte erheben können, wie das SG ausführlich und zutreffend begründet hat. Diesen Ausführungen des SG schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung zur Begründung seiner eigenen Entscheidung ebenfalls an (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend hierzu bleibt auszuführen: In dem von der Klägerin zur Klagebegründung vorgelegten Bericht des Neurozentrums R. vom 07.11.2014 wird lediglich vom Verdacht einer demenziellen Erkrankung bei differentialdiagnostisch möglicher Pseudodemenz mit deutlichem depressiven Aspekt ausgegangen. Dem entspricht auch die schriftliche sachverständige Zeugenaussage des Neurozentrum Reutlingen vom 09.06.2015, in der (unter anderem) lediglich die Diagnose einer schweren depressiven Episode mit begleitenden Gedächtnisstörungen im Sinne einer Pseudodemenz mitgeteilt wird. Hiervon wird auch im Befundbericht des Universitätsklinikums T. vom 22.01.2015 ausgegangen (Diagnose unter anderem: Schwere depressive Episode mit am ehesten im Rahmen der Depression erklärte Konzentrationsstörungen). Eine Demenzerkrankung der Klägerin kann auch nach den genannten Befundberichten damit nicht festgestellt werden. Hiervon geht auch Dr. M. im Gutachten vom 27.07.2015 aus, die ebenfalls eine genaue diagnostische Zuordnung der demenziellen Entwicklung, Wesensänderung und begleitenden affektiven Beteiligung als noch ausstehend ansieht.

Sonstige Gesundheitsstörungen, die mit einem Einzel-GdB von wenigstens 10 zu berücksichtigen sind, sind bei der Klägerin nach den zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen nicht festzustellen und werden im Übrigen von der Klägerin auch nicht substantiiert geltend gemacht.

Danach kann bei der Klägerin ein Gesamt-GdB von über 40, wie sie geltend macht, nicht festgestellt werden. Die Bemessung des Gesamt GdB erfolgt nach § 69 Abs. 3 SGB IX. Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt GdB ist unter Beachtung der der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt.

Hiervon ausgehend ist selbst dann, wenn - entgegen der Ansicht des SG und des Versorgungsarztes Dr. R. (Stellungnahme vom 03.12.2015) - zu Gunsten der Klägerin davon ausgegangen wird, dass bei der Klägerin eine Lungenerkrankung, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, sowie eine psychische Erkrankung mit einem Einzel-GdB von jeweils 20 und eine Schwerhörigkeit mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten ist, der Gesamt-GdB höchstens mit 40 zu bilden. Ein Einzel-GdB von 10 erhöht den Gesamt-GdB nicht. Bei der Klägerin besteht keine schwerwiegende Behinderung, die mit einem Teil-GdB von 30 oder mehr zu bewerten ist. Nach den dargestellten Grundsätzen zu Bildung des Gesamt-GdB ist es bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 jedoch vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil des Senats vom 24.01.2014 - L 8 SB 211/13, Juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de und Urteile vom 25.03.2011 - L 8 SB 4762/08 - und 05.03.2010 - L 8 SB 5038/08 -, m.w.N., unveröffentlicht) ist es daher grundsätzlich nicht möglich, bei Vorliegen mehrerer Behinderungen mit einem Teil-GdB von 20, wie dies bei der Klägerin zutrifft, einen Gesamt-GdB von 50 zu bilden und damit die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen. Umstände, wie etwa das besonders ungünstige Zusammenwirken von Behinderungen, die eine Ausnahme zulassen, liegen bei der Klägerin nicht vor.

2. Ein Anspruch der Klägerin, die Beklagte zu verurteilen, das Merkzeichens "G" festzustellen, besteht nicht. Dieses Begehren der Klägerin war nicht Gegenstand des Klageverfahrens. Zwar hat der Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid vom 15.05.2014 das von der Klägerin im Antrag vom 06.02.2014 geltend gemachte Merkzeichen ("G") nicht festgestellt. Hiergegen hat sich die Klägerin im Widerspruchsschreiben vom 12.06.2014 nicht ausdrücklich gewandt, weshalb (wohl) im Widerspruchsbescheid vom 20.01.2015 eine ausdrückliche Entscheidung zum Merkzeichen "G" nicht ergangen ist. Einer Entscheidung dazu, ob die Klägerin ihren Widerspruch gegen den Bescheid vom 15.05.2014 nur gegen die Neufeststellung des GdB oder auch gegen die Nichtzuerkennung des Merkzeichens "G" gerichtet hat, bedarf es vorliegend durch den Senat nicht. Denn die Klägerin hat ihre Klage beim SG auf die Neufeststellung des GdB beschränkt, wie sich aus dem gestellten Klageantrag (in der Klageniederschrift vom 11.02.2015 sowie ausweislich der Niederschrift vom 27.01.2016 in der öffentlichen Sitzung des SG) und der Begründung zweifelsfrei ergibt. Dementsprechend musste das SG im angefochtenen Urteil über das Merkzeichen "G" keine Entscheidung treffen, was auch nicht erfolgt ist, weshalb die Klägerin durch das Urteil insoweit nicht beschwert ist. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren beantragt hat, das Merkzeichen "G" festzustellen (Niederschrift vom 08.03.2016), erweist sich die Berufung der Klägerin bereits aus diesen Gründen als unzulässig. Insoweit entscheidet der Senat auch durch Beschluss (§ 158 SGG). Hierauf ist die Klägerin ebenfalls mit richterlicher Verfügung vom 07.04.2016 hingewiesen worden. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob insoweit die Klageänderung im Berufungsverfahren zulässig wäre und ob der Beklagte gehalten ist, auf den Widerspruch der Klägerin vom 12.06.2014 hinsichtlich des Merkzeichens "G" noch - ergänzend - durch Widerspruchsbescheid zu entscheiden. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" gemäß § 145 Abs. 1 SGB IX mangels Schwerbehinderung der Klägerin (GdB mindestens 50) auch materiell-rechtlich nicht vor, weshalb die Berufung hinsichtlich des Merkzeichens "G" auch deshalb keinen Erfolg haben könnte.

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der Sachverhalt ist durch die vom SG durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen vollständig aufgeklärt und vermitteln dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Gesichtspunkte, durch die sich der Senat zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müsste, hat die Klägerin im Berufungsverfahren nicht aufgezeigt. Insbesondere hat die Klägerin im Berufungsverfahren keine weiteren medizinischen Befundunterlagen nachgereicht.

Die Berufung der Klägerin war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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