S 12 KA 474/15

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 474/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Bei dem Arzneimittel Aggrenox handelt es sich um eine Wirkstoffkombination aus Acetylsalicylsäure und Dipyridamol. Das Arzneimittel unterfällt damit den Regelungen zum Ausschluss fixer Wirkstoffkombinationen.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 1.003,42 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um einen Arzneikostenregress für die Quartale II bis IV/14 wegen der Verordnung des Arzneimittels Aggrenox in mehreren Behandlungsfällen in Höhe von insgesamt 1.003,42 EUR netto.

Der Kläger ist als Facharzt für Innere Medizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.

Die Beigeladene stellte für die streitbefangenen Quartale am 01.06.2015 wegen der Verordnung der strittigen Arzneimittel in drei Behandlungsfällen mit insgesamt 15 Verordnungen bei der Beklagten einen Antrag auf Festsetzung eines Regresses, weil für das Arzneimittel Aggrenox als einer Verordnung von Dipyridamol in Kombination mit Acetylsalicylsäure gem. Anlage III Nr. 53 der Arzneimittel-Richtlinie ein Verordnungsausschluss bestehe.

Die Beklagte übersandte dem Kläger den Prüfantrag. Der Kläger teilte unter Datum vom 03.08.2015 mit, Aggrenox gehöre nicht zu seinem therapeutischen Arsenal. Er sei in allen drei Fällen lediglich Sekundärverordner. Es habe sich in allen drei Fällen um zerebrale Gefäßleiden gehandelt, die mit ASS 100 bzw. Clopidogrel oder ASS 300 nicht stabil gewesen seien. Der Chefarzt der Kardiologie in A-Stadt bzw. ein neurologischer Kollege habe die Medikation angesetzt. Er erläuterte ferner die Einzelfälle und fügte die ärztlichen Schreiben bei.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 28.09.2015, zugestellt am 29.09.2015, für die streitbefangenen Quartale den strittigen Regress in Höhe von 1.003,42 EUR (netto) fest, und zwar 341,52 EUR für das Quartal II/14, 326,32 EUR für das Quartal III/14 und 335,58 EUR für das Quartal IV/14. Zur Begründung führte sie aus, nach der Lauer Taxe handele es sich bei dem Medikament Aggrenox um eine Wirkstoffkombination aus Acetylsalicylsäure und Dipyridamol. Nach Anlage III Nr. 53 der Arzneimittel-Richtlinie unterliege Dipyridamol in Kombination mit Acetylsalicylsäure (ASS) einem Verordnungsausschluss. Eine Ausnahmeregelung habe der GBA nicht festgelegt. Eine medizinische Ausnahmesituation nach § 31 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 16 Abs. 5 Arzneimittel-Richtlinie setzte eine hier fehlende Begründung in unmittelbar zeitlichen Zusammenhang voraus.

Hiergegen hat der Kläger am 07.10.2015 die Klage unter Wiederholung seines Vorbringens im Verwaltungsverfahren erhoben. Ergänzend trägt er vor, er verordne jetzt Aggrenox auf Privatrezept. Einem Antrag des Versicherten auf Kostenerstattung entspreche die Krankenkasse nach Einholung einer Stellungnahme des MDK. Zum Beleg fügte er ein Schreiben der Techniker Krankenkasse vom 05.10.2015 bei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 28.09.2015 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.

Sie ist weiterhin der Auffassung, die Verordnung von Aggrenox sei nach der Arzneimittel-Richtlinie ausgeschlossen, für einen Ausnahmefall fehle es an einem Nachweis. Eine Dokumentation sei im Prüfverfahren nicht vorgelegt worden. Verantwortlich für die Verordnung sei jeder Vertragsarzt selbst.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie schließt sich den Ausführungen der Beklagten an. Ergänzend hat sie erklärt, sie erstatte keine Privatverordnungen über ausgeschlossene Arzneimittel. Auch bei den drei betroffenen Versicherten habe sie keine Kostenzusagen oder -erstattungen durchgeführt. Sie verweist ferner auf die Begründung des GBA zu seinem Beschluss.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 28.10.2015 die Beiladung ausgesprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG entscheiden. Die Sache hat keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art, und der Sachverhalt ist geklärt. Die Kammer hat die Beteiligten hierzu mit Verfügung vom 28.02.2016, dem Kläger am 04.03.2016 mit Postzustellungsurkunde zugestellt, angehört.

Die Klage ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Der Durchführung eines Vorverfahrens vor dem Beschwerdeausschuss bedurfte es nicht. Die Prüfungsstelle war abschließend zuständig.

Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsaktes grundsätzlich in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Dies gilt auch für das Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V. § 106 Abs. 5 Satz 3 SGB V bestimmt, dass die dort aufgeführten Personen und Institutionen gegen die Entscheidungen der Prüfungsstelle die Beschwerdeausschüsse anrufen können; gemäß § 106 Abs. 5 Satz 6 SGB V gilt das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss als Vorverfahren (§ 78 Abs. 1 SGG). Gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGG bedarf es eines Vorverfahrens (nur) dann nicht, wenn ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt. Ein derartiger Ausnahmefall ist in § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V (in der ab dem 01.01.2008 geltenden Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG)) geregelt. Danach findet - abweichend von § 106 Abs. 5 Satz 3 SGB V - in Fällen der Festsetzung einer Ausgleichspflicht für den Mehraufwand bei Leistungen, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 SGB V ausgeschlossen sind, ein Vorverfahren nicht statt. Diese Ausnahmeregelung ist, wie ihre Auslegung ergibt, auf Fälle beschränkt, in denen sich die Unzulässigkeit der Verordnung unmittelbar und eindeutig aus dem Gesetz selbst oder aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ergibt. Zudem muss sich der Ausschluss aus spezifischen Regelungen des Krankenversicherungsrechts ergeben. Eine (einschränkende) Auslegung der Norm in diesem Sinne legt bereits ihr Wortlaut nahe. Danach gilt der Ausschluss des Vorverfahrens nur für "Leistungen, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 SGB V ausgeschlossen sind" (vgl. BSG, Urt. v. 11.05.2011 - B 6 KA 13/10 R - BSGE 108, 175 = = SozR 4-2500 § 106 Nr. 32 = Breith 2012, 529 = USK 2011-35 = MedR 2012, 691, juris Rdnr. 18 ff.).

Der Ausschluss der Verordnungsfähigkeit folgt aus den Vorschriften des SGB V und aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (s. im Einzelnen nachfolgend).

Die Klage ist aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 28.09.2015 ist rechtmäßig. Er war daher nicht aufzuheben. Die Beklagte hat zu Recht den strittigen Arzneikostenregress festgesetzt.

Im System der gesetzlichen Krankenversicherung nimmt der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt - Vertragsarzt - die Stellung eines Leistungserbringers ein. Er versorgt die Mitglieder der Krankenkassen mit ärztlichen Behandlungsleistungen, unterfällt damit auch und gerade dem Gebot, sämtliche Leistungen im Rahmen des Wirtschaftlichen zu erbringen. Leistungen, die für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, darf er nach dem hier anzuwendenden Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, gesetzliche Krankenversicherung nicht erbringen.

Die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung sind nach geltender Rechtslage berechtigt, Arzneikostenregresse wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise festzusetzen. Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Verordnungsregressen ist § 106 Abs. 2 Satz 4, Abs. 3 Satz 3 SGB V. Danach können die Landesverbände der Krankenkasse und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. In den Verträgen ist auch festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Einzelfallprüfungen durchgeführt werden können. Von dieser Kompetenz haben die Partner der Gesamtverträge in Hessen Gebrauch gemacht. Nach der hier maßgeblichen Prüfvereinbarung (im Folgenden: PV) vom 12.06.2008, mit Wirkung ab 01.01.2008 in Kraft getreten, prüft die Prüfungsstelle auf Antrag, ob der Arzt im Einzelfall mit seinen Arzneiverordnungen oder Verordnungen über Heilmittel gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat (§ 13 Abs. 1 PV). Anträge müssen innerhalb von 12 Monaten nach Ablauf des Verordnungsquartals vorliegen (§ 13 Abs. 2 S. 1 PV).

Prüfgegenstand ist die Arznei- bzw. verordnungsbezogene Überprüfung der Verordnungsweise nach den gesetzlichen Bestimmungen bzw. nach dem Arzneimittel-Richtlinien oder Heil-Richtlinien, insbesondere hinsichtlich
- Preiswürdigkeit der verordneten Arzneimittel/Heilmittel unter Berücksichtigung des therapeutischen Nutzens
- Mehrfachverordnungen für pharmakologisch oder therapeutisch gleichsinnig wirkende Arzneimittel
- Verordnung von Arzneimitteln und Arzneimittelgruppen mit umstrittener Wirksamkeit
- Mehrfachverordnung bei med. therap. gleichsinnig wirkenden Heilmitteln und deren Zielsetzung
- Verordnungsmengen, Verordnungsabständen, Verordnungsumfang
- Durchführung bzw. Veranlassung der weiterführenden Diagnostik
- Beachtung der Vorschriften innerhalb/außerhalb des Regelfalls
- Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots hinsichtlich der Verordnung von Hausbesuchen
- Wirtschaftlichkeit der Verordnungen im Einzelfall (§ 13 Abs. 4 PV)

Soweit die Prüfungsstelle im Einzelfall eine Unwirtschaftlichkeit festgestellt hat, setzt sie den vom Arzt erstatteten Regressbetrag fest. Es scheint eine gezielte schriftliche oder persönliche Beratung ausreichend, ist diese nur zulässig, wenn innerhalb von 24 Monaten vor dem Quartal für das der Prüfantrag gestellt wurde, keine derartige Maßnahme verfügt wurde (§ 13 Abs. 5 PV). Ein Verfahren ist ausgeschlossen, wenn der vermutete Regressbetrag je Arzt im Quartal nicht mehr als 50,00 Euro beträgt (§ 13 Abs. 6 S. 1 PV).

Die erfolgte Zuweisung der Sanktionierung unzulässiger bzw. rechtswidriger Verordnungen an die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung steht im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben in § 106 SGB V, mit den Bestimmungen der §§ 48 ff. BMV-Ä in der ab 1. Januar 1995 geltenden Fassung (n. F.) sowie mit der langjährigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. hierzu eingehend BSG, Urt. v. 14.03.2001 - B 6 KA 19/00 R - SozR 3-2500 § 106 SGB V Nr. 52 = USK 2001-148, juris Rdnr. 11 ff., s. a. LSG Bayern, Urt. v. 02.03.2005 - L 12 KA 107/03 - www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Unter Beachtung der PV ist der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden.

Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Eine mündliche Verhandlung des Beklagten war nicht notwendig. Das Verfahren vor den Prüfgremien ist grundsätzlich schriftlich (§ 18 Abs. 1 Satz 1 PV). Der Antrag auf Prüfung ist rechtzeitig innerhalb von 12 Monaten nach Ablauf des Verordnungsquartals gestellt worden.

Der angefochtene Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Beklagte hat in nicht zu beanstandender Weise den strittigen Arzneikostenregress festgesetzt. Das strittige Arzneimittel durfte im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnet werden.

Der Ausschluss der Verordnungsfähigkeit folgt aus den Vorschriften des SGB V und aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses.

Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u. a. die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 SGB V). Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ausgeschlossen sind, und auf Versorgung mit Verbandmitteln, Harn- und Blutteststreifen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Der Vertragsarzt kann Arzneimittel, die auf Grund der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen (§ 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V). Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten; er kann dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind. Er soll insbesondere u. a. Richtlinien beschließen über die Verordnung von Arzneimitteln (§ 92 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 und 3 und Satz 2 Nr. 6 SGB V).

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat auf der Rechtsgrundlage des §§ 31 Abs. 1 Satz 1 und 4, 92 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 und 3 und Satz 2 Nr. 6 SGB V die Richtlinie über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie/AM-RL) erlassen. Die nach den Absätzen 1 und 2 des § 16 AM-RL in ihrer Verordnung eingeschränkten und von der Verordnung ausgeschlossenen Arzneimittel sind in einer Übersicht als Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie zusammengestellt (§ 16 Abs. 3 AM-RL). Die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt kann die nach den Absätzen 1 und 2 in ihrer Verordnung eingeschränkten und von der Verordnung ausgeschlossenen Arzneimittel ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen (§ 16 Abs. 5 AM-RL). Soweit die Verordnung von Arzneimitteln oder bei Arzneimittelgruppen die Verordnung für einzelne Arzneimittel aufgrund der jeweils genannten Ausnahmetatbestände zulässig ist, ist die Therapieentscheidung nach den Vorgaben der Übersicht nach § 16 Abs. 3 zu dokumentieren (§ 10 Abs. 1 Satz 2 AM-RL). Die Dokumentation erfolgt im Sinne von § 10 (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte. Im Regelfall genügt die Angabe der Indikation und gegebenenfalls die Benennung der Ausschlusskriterien für die Anwendung wirtschaftlicher Therapiealternativen, soweit sich aus den Bestimmungen der Richtlinie nichts anderes ergibt (§ 10 Abs. 2 AM-RL). Nach Nr. 53 Anlage III AM-RL besteht für "Dipyridamol in Kombination mit Acetylsalicylsäure" ein Verordnungsausschluss.

Grund für den Ausschluss fixer Wirkstoffkombinationen ist nach der Rechtsprechung des Bundesozialgerichts, dass Arzneimittel mit fixer Wirkstoffkombination sich u. U. gegenseitig behindern bzw. in ihrer Wirkung neutralisieren können, sodass kein voller Nutzeffekt aller Wirkstoffe zu verzeichnen ist. Die "fixe" Kombination kann auch in den Ausnahmefällen, in denen die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Wirkungen doch einen gewissen Sinn macht, problematisch sein; denn deren Zusammenspiel kann dann nicht je nach dem konkreten Krankheitsstadium und der individuellen Befindlichkeit variiert werden, weil die Mengen der verschiedenen Wirkstoffe im Verhältnis zueinander in unveränderlicher Weise feststehen. Auf dieser Basis hat der Gemeinsame Bundesausschuss zur Schlussfolgerung kommen dürfen, dass statt fixer Wirkstoffkombinationen im Regelfall das Behandlungsziel medizinisch zweckmäßiger und/oder kostengünstiger durch die Verordnung von Monopräparaten erreicht werden kann (vgl. - inhaltsgleich - die allgemeinen Vorgaben des § 16 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 5 AM-RL, die gemäß § 16 Abs. 3 AM-RL durch die Anlage III AM-RL konkretisiert wird). Zwar ist nicht auszuschließen, dass in Einzelfällen die Verabreichung einander entgegengesetzter Wirkstoffe medizinisch indiziert sein kann; solchen Fällen ist dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass generell bestimmt ist, dass der Vertragsarzt in medizinisch begründeten Einzelfällen derartige Arzneimittel ausnahmsweise mit Begründung verordnen darf (§ 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V, § 16 Abs. 5 AM-RL, ebenso Präambel Abs. 3 der Anlage III AM-RL). Für den Regelfall aber durfte der Gemeinsame Bundesausschuss davon ausgehen, dass Verordnungen fixer Kombinationen medizinisch problematisch sind, und dies deshalb als unwirtschaftlich bzw. unzweckmäßig bewerten und ihre Verordnungsfähigkeit beschränken (vgl. BSG, Urt. v. 14.12.2011 - B 6 KA 29/10 R - BSGE 110, 20 = SozR 4-2500 § 92 Nr. 13 = USK 2011-126 = SGb 2012, 600 = MedR 2012, 758, juris Rdnr. 39 f. für Arzneimittel mit fixen Kombinationen von hustenhemmenden Antitussiva einerseits und andererseits auswurffördernden und schleimlösenden Expektorantien).

Bei dem strittigen Arzneimittel Aggrenox handelt es sich um eine Wirkstoffkombination aus Acetylsalicylsäure und Dipyridamol. Das Arzneimittel unterfällt damit den Regelungen zum Ausschluss fixer Wirkstoffkombinationen. Der GBA hat mit von der Kammer nicht zu beanstandendem Beschluss vom 16.05.2013 (BAnz AT 25.02.2014 B2) die Wirkstoffkombination aus Acetylsalicylsäure und Dipyridamol in die Ausschlussregelung aufgenommen. In den Tragenden Gründen führt der GBA zur Begründung aus, der Unterausschuss Arzneimittel habe die IQWiG-Empfehlung zur Nutzenbewertung von Dipyridamol plus ASS zur Sekundärprävention nach Schlaganfall oder TIA überprüft und die Plausibilität festgestellt. Der Unterausschuss Arzneimittel sei nach Würdigung des Abschlussberichts des IQWiG, der Beratungen der Arbeitsgruppe Nutzenbewertung und der Auswertung der schriftlichen Stellungnahmen sowie der mündlichen Anhörung zu dem Ergebnis gekommen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Verordnungsausschluss von Dipyridamol plus ASS gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1, letzter Halbsatz SGB V erfüllt seien. Die Bewertung des IQWiG im Abschlussbericht A09-01 habe für Dipyridamol plus ASS keinen Beleg dafür ergeben, dass die Kombinationsbehandlung mit Dipyridamol plus ASS einen Zusatznutzen gegenüber einer Monotherapie mit einem Thrombozytenaggregationshemmer (ASS oder Clopidogrel) habe. Dem fehlenden Zusatznutzen stehe ein Beleg für einen größeren Schaden unter der Kombinationsbehandlung gegenüber. Dieser größere Schaden ergebe sich insb. aufgrund häufiger auftretender schwerwiegender Blutungen in der Langzeittherapie. In der Langzeittherapie gebe es darüber hinaus einen Beleg für häufigere Studienabbrüche wegen unerwünschter Ereignisse unter der Kombinationsbehandlung sowie für einen größeren Schaden bei der Gesamtrate unerwünschter Ereignisse gegenüber ASS. Dies rechtfertige die Schlussfolgerung, dass Dipyridamol plus ASS gegenüber der Monotherapie mit einem Thrombozytenaggregationshemmer (ASS oder Clopidogrel) als therapierelevant unterlegen und damit als unzweckmäßig einzustufen sei (vgl. Tragende Gründe des GBA, https://www.g-ba.de).

Die Voraussetzungen für einen Ausnahmetatbestand liegen nicht vor.

Soweit nach § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V, dessen Inhalt § 16 Abs. 5 AM-RL wiederholt, der Vertragsarzt Arzneimittel, die auf Grund der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen kann, liegt eine Arzneimittelverordnung "mit Begründung" nicht vor. Weil der Gesetzgeber die Durchbrechung des vom GBA vorgenommenen Verordnungsausschlusses nur unter sehr engen Voraussetzungen zulassen will ("ausnahmsweise", "in medizinisch begründeten Einzelfällen", "mit Begründung"), ist davon auszugehen, dass die Begründung i. S. v. § 34 Abs. 1 Satz 4 SGB V in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Verordnung abgegeben und nach außen kundgetan werden muss, z. B. indem sie auf dem Verordnungsvordruck selbst enthalten ist oder diesem beigefügt oder zeitnah der betroffenen Krankenkasse übermittelt wird. Würde es hingegen genügen, dass bei einer auf § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V gestützten vertragsärztlichen Verordnung die gesetzlich vorgeschriebene Begründung z.B. erstmals in einem viel später durchgeführten Regressverfahren gegeben wird, unterschiede sich der Fall nicht von anderen Einzelverordnungsregressen, in denen typischerweise die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels erstmals im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung (§ 106 SGB V) geklärt wird. Das Tatbestandsmerkmal "mit Begründung" liefe dann leer (so bereits LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.02.2012 - L 9 KR 292/10 - juris Rdnr. 41). Das Begründungserfordernis verlangt auch, dass die Therapieentscheidung zu dokumentieren ist (§ 10 Abs. 1 Satz 2 AM-RL). Zu dokumentieren ist, welche Krankheit gegeben ist und welche zusätzlichen Komplikationen und Risiken bestehen, die Anlass sind, nicht andere verfügbare Arzneimittel zu verordnen (vgl. Clemens in jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 106, Rdnr. 90). An einer solchen Begründung fehlt es in den beanstandeten Fällen. Eine zeitnah angelegte Dokumentation wurde im Prüfverfahren nicht vorgelegt.

Weitergehende Ausnahmeregelungen sind nicht ersichtlich. Eben so wenig kommt es auf die Vorgaben im Entlassungsbericht einer Klinik an, da jeder Arzt seine eigene Verordnung zu verantworten hat. Der Aussteller des Rezepts ist allein verantwortlich. An Empfehlungen der Fachärzte ist er nicht gebunden. Im Einzelfall besteht auch die Möglichkeit zur Rücksprache unter Hinweis auf den Verordnungsausschluss. Auf Vertrauensschutz kann der Kläger sich nicht berufen, da weder die Prüfungsstelle noch die Beigeladene in der Vergangenheit die strittige Verordnungsweise gutgeheißen haben. Das vom Kläger vorgelegte Schreiben der Techniker Krankenkasse erfolgte nach dem hier strittigen Zeitraum, insofern kann dahingestellt bleiben, ob hierauf überhaupt ein Vertrauenstatbestand gestützt werden könnte. Bei umstrittenen Verordnungen kann ein Vertrauenstatbestand nur von den Prüfgremien oder vom Kostenträger - der Krankenkasse - gesetzt werden. Vertrauensschutz setzt zudem voraus, dass die zuständigen Körperschaften oder Gremien explizit die für die von den betroffenen Ärzten praktizierte oder beabsichtigte Verordnungsweise gebilligt und die Ärzte in Kenntnis dieser Auskunft ihre Verordnungsweise fortgesetzt bzw. aufgenommen haben. Erforderlich ist eine auf eine verbindliche Festlegung zielende behördliche Äußerung der Entscheidungs- bzw. Kostenträger (vgl. BSG, Urt. v. 20.03.2013 - B 6 KA 27/12 R - BSGE 113, 123 = SozR 4-2500 § 106 Nr. 40, juris Rdnr. 18 m.w.N.). Für die Setzung eines Vertrauenstatbestandes ist nichts ersichtlich.

Im Übrigen kommt es wesentlich auf die Angaben bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens an.

Medizinische Besonderheiten sind grundsätzlich im Verwaltungsverfahren vorzutragen. Das Bundessozialgericht hat zuletzt im Beschluss v. 27.06.2012 - B 6 KA 78/11 B - juris Rdnr. 11 darauf hingewiesen, es habe sich bereits mehrfach mit dem Gebot befasst, Wesentliches bereits im Verfahren vor den Prüfgremien vortragen zu müssen (unter Hinweis auf BSG v. 15.11.1995 - 6 RKa 58/94 - SozR 3-1300 § 16 Nr. 1 = USK 95137 S. 738, insoweit in SozR 3-1300 § 16 Nr. 1 nicht abgedruckt; v. 08.05.1985 - 6 RKa 24/83 - USK 85190 S. 1015 f.; v. 11.12.1985 - 6 RKa 30/84 - BSGE 59, 211, 215 = SozR 2200 § 368n Nr. 40 S. 133; v. 20.09.1988 - 6 RKa 22/87 - SozR 2200 § 368n Nr. 57 S. 198; ebenso auch das erst nach Vorlage der Beschwerdebegründung schriftlich abgesetzte Urt. des BSG v. 21.03.2012 - B 6 KA 17/11 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 35, Rdnr. 40 ff.; vgl. auch BSG v. 27.06.2012 - B 6 KA 78/11 B - Rdnr. 8). Lediglich Einwände, die das Prüfverfahren selbst oder Aspekte betreffen, die auf der Basis der im Prüfverfahren vorliegenden Unterlagen so offenkundig sind, dass die Prüfgremien dem schon von Amts wegen nachgehen müssen, kann ein Vertragsarzt auch noch nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens geltend machen (vgl. BSG, Urt. v. 21.03.2012 - B 6 KA 17/11 - SozR 4-2500 § 106 Nr. 3 = USK 2012-32, juris Rdnr. 43).

Eine verpflichtende vorherige Beratung vor Festsetzung eines Regresses war nicht erforderlich.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, von der abzuweichen die Kammer hier keine Veranlassung sieht, ist die Festsetzung eines Regresses nicht davon abhängig, dass die Prüfgremien die Klägerin zuvor über die Unwirtschaftlichkeit ihrer Verordnungsweise beraten haben (vgl. BSG, Urt. v. 15.08.2012 - B 6 KA 45/11 R - juris Rdnr. 12). Soweit in § 106 Abs. 5e Satz 2 SGB V in der ab dem 01.01.2012 geltenden Fassung des GKV-VStG vom 22.12.2011 (BGBl I 2983) bestimmt ist - nunmehr für alle Verfahren, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren (Gesetz v. 19.10.2012, BGBl. I 2192) -, die Festsetzung von Erstattungsbeträgen bei Überschreitung des Richtgrößenvolumens (§ 106 Abs. 5a Satz 3 SGB V) könne erst für Zeiträume nach einer individuellen Beratung erfolgen, findet diese Regelung hier bereits aus sachlichen Gründen keine Anwendung. Die Abs. 5a und 5c bis 5e des § 106 SGB V befassen sich allein mit der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Überschreitung von Richtgrößenvolumina i. S. des § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V und finden auf andere Prüfungen keine Anwendung.

Auf ein Verschulden des Klägers kommt es nicht an.

Das Recht der Wirtschaftlichkeitsprüfungen ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass es auf ein "Verschulden" des betroffenen Arztes bzw. auf eine besondere Vorwerfbarkeit für die festgestellte unwirtschaftliche Behandlungsweise - anders als z. B. im Falle eines echten Schadensregresses - nicht ankommt. So führt selbst die fehlerhafte ärztliche Verordnung von Mitteln, die nicht der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung unterfallen, im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen zu Ersatzansprüchen gegen den Vertragsarzt, und zwar auch dann, wenn er in "gutem Glauben" von ihrer Verordnungsfähigkeit ausging (vgl. BSG, Urt. v. 21.05.2003 - B 6 KA 32/02 R -SozR 4-2500 § 106 Nr. 1, juris Rdnr. 36; BSG, Urt. v. 14.03.2001 -B 6 KA 19/00 R – aaO., juris Rdnr. 15). Ist einem Vertragsarzt eine unwirtschaftliche Verordnungsweise anzulasten, so ist ein Regress gegen ihn berechtigt, wobei dieser in Höhe des der Krankenkasse entstandenen Schadens festzusetzen ist. Ein Verschuldenserfordernis besteht im Rahmen von Honorarkürzungen oder Verordnungsregressen gemäß § 106 SGB V nicht (vgl. BSG, Urt. v. 05.11.2008 - B 6 KA 63/07 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 21 = USK 2008-106 = GesR 2009, 539, juris Rdnr. 28 m. w. N.). Im Übrigen schließt eine Unkenntnis vom Verordnungsausschluss ein Verschulden nicht aus. Jeder Arzt ist für seine Verordnungen selbst verantwortlich ist. Von daher ist es unerheblich, ob er lediglich eine von anderen Ärzten vorgeschlagene oder verordnete Medikation fortführt.

Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Streitwertfestsetzung erfolgte durch Beschluss des Vorsitzenden.

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG). Der Streitwert folgte aus dem strittigen Regressbetrag.
Rechtskraft
Aus
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