L 32 AS 155/16 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 55 AS 2004/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 155/16 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. Januar 2016 aufgehoben. Der Antragstellerin wird für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung oder Beiträge aus dem Vermögen bewilligt und Rechtsanwalt beigeordnet. Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Prozesskostenhilfe für ein Verfahren, in welchem die Antragstellerin unter Anfechtung des Bescheides vom 18. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2015 für den Zeitraum November 2014 bis März 2015 vorläufig Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 934 EUR bzw ab Januar 2015 von monatlich 941 EUR geltend macht.

Die 47-jährige Antragstellerin besitzt die italienische Staatsangehörigkeit und hat im Sommer 2014 eine selbständige Tätigkeit als Übersetzerin angemeldet. Zudem war sie im September und Oktober 2014 befristet geringfügig (Monatsentgelt 150 und 300 EUR) und im März 2015 zwei Wochen sozialversicherungspflichtig (Entgelt für März 2015: 206,45 EUR brutto, April 2015. 213,33 EUR brutto) beschäftigt.

Mit der Klageerhebung am 23. Januar 2015 hat die Antragstellerin Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt. Sie verweist zur Begründung der Klage darauf, dass sie als Arbeitnehmerin und als Selbständige nicht vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II erfasst sei.

Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 14. Januar 2016 den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin angesichts der Kurzzeitigkeit der Arbeitsverhältnisse mit unwesentlichen und völlig untergeordneten Tätigkeiten ihr Aufenthaltsrechts ausschließlich aus der Arbeitssuche herleite. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II sei nach dem Urteil des EuGH vom 15. September 2015, C-67/14 (), nach europäischem Recht zulässig.

Die Antragstellerin verfolgt ihr Begehren mit der Beschwerde vom 20. Januar 2016 weiter. Sie stützt sich auf das weite Verständnis des Begriffs des Arbeitnehmers durch den EuGH. Weder komme es auf die Befristung an, noch sei angesichts der Einnahmen innerhalb von nur einer Woche in einer Höhe, die oberhalb der Regelleistung liege, von Unwesentlichkeit oder fehlender Bedeutung auszugehen. Die fehlenden Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit seien für die Beurteilung des Aufenthaltsrechts unerheblich. Es handele sich dabei nicht nur um eine untergeordnete Tätigkeit. Soweit der Klägerin Leistungen nach dem SGB II nicht zustehen sollten, müsste der Leistungsträger nach dem SGB XII nach der neueren Rechtsprechung des BSG Grundsicherungsleistungen zu bewilligen haben.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter nach § 155 Abs 3, 4 SGG erklärt.

Über die Beschwerde kann der Senat gemäß § 155 Abs 3, 4 SGG allein durch seinen Berichterstatter entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis damit erklärt haben und die Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine besonderen Schwierigkeiten aufwirft. Die rechtlichen, einschließlich der verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur Beurteilung des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe sind durch die Rechtsprechung des BVerfG geklärt. Der vorliegende Fall wirft, an diesen Maßstäben gemessen, keine neuen rechtlichen Fragen auf. Die Beurteilung etwa der Frage, ob eine Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, ist selbst keine Frage grundsätzlicher Bedeutung.

Die Beschwerde ist zulässig; sie ist insbesondere statthaft.

Ein Ausschluss der Beschwerde nach § 172 Abs. 3 Nr. 2b SGG liegt nicht vor. Die Vorschrift lautet: Die Beschwerde ist ausgeschlossen gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Die Berufung bedürfte bei voller Klageabweisung nicht der Zulassung, weil allein wegen des konkret geltend gemachten subjektiven Anspruchs der Antragstellerin der Beschwerdewert von 750 EUR überschritten wird.

Die auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Der bedürftigen Antragstellerin war Prozesskostenhilfe zu bewilligen, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und ist nicht mutwillig. Die Beiordnung anwaltlichen Beistandes ist auch im Sinne von §§ 73a Abs 1 SGG, 121 Abs 2 ZPO erforderlich. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 ZPO erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheintHinreichende Erfolgsaussicht ist dann anzunehmen, wenn das Gericht aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage (BVerfG, Beschluss vom 15.12.2008, 1 BvR 1404/04, RdNr 29) zu dem Ergebnis gelangt, dass der Erfolg der Rechtsverfolgung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat. Diese gewisse Wahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung, der vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage § 73a, RdNr. 7a). Bei nur teilweise anzunehmender Erfolgsaussicht ist in den gerichtskostenfreien Verfahren Prozesskostenhilfe unbeschränkt zu gewähren (vgl. Leitherer ebd. mwN); Ausnahmen kommen bei selbständigen Streitgegenständen, also insbesondere bei Klagenhäufung in Betracht. Einerseits dürfen die Anforderungen an eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht überspannt werden (BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 358 - JURIS-RdNr 27). Andererseits darf Prozesskostenhilfe auch verweigert werden, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfG ebd. JURIS-RdNr 26). Kommt eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde, bzw hält das Gericht eine Beweiserhebung für notwendig, so kann in der Regel Erfolgsaussicht nicht verneint werden (BVerfG, Beschluss vom 15.12.2008, 1 BvR 1404/04, RdNr 30, Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 73a RdNr 7a). Weil es ausreicht, dass Vertretbarkeit des Rechtsvorbringens anzunehmen ist, kommt es hinsichtlich der rechtlichen Bewertung nicht auf die Rechtsansicht des erkennenden Spruchkörpers, sondern auf eine allgemeine Betrachtung an. Ein Rechtsschutzbegehren hat daher auch dann hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 358f - JURIS-RdNr 28 mwN). Nach diesen Maßstäben ist eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klage der Antragstellerin zulässig und der angefochtene Verwaltungsakt über die Erstattungsforderung rechtswidrig ist, anzunehmen. Von hinreichender Erfolgsaussicht ist auszugehen. Nicht zu prüfen ist, ob die Rechtsauffassung des Sozialgerichts vertretbar ist, sondern ob es die der Antragstellerin ist. Das ist anzunehmen. Diese kann sich auf die inzwischen ständige Rechtsprechung des BSG zum Anspruch auf Grundsicherungsleistungen bei tatbestandlichem Vorliegen der Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II, wobei ggf der Sozialhilfeträger beizuladen und zu verurteilen wäre, berufen. Dieser Rechtsprechung ist Vertretbarkeit zuzugestehen. Zudem kommt zumindest für den Monat März 2015 wegen der begonnenen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ernsthaft die Zuerkennung einer Arbeitnehmereigenschaft in Betracht, wobei die Beschäftigungsaufnahme die Bedürftigkeit für den gesamten Monat März 2015 nicht beendet haben dürfte. Dies genügt für die Annahme von Erfolgsaussichten für das gesamte Verfahren nach den bereits dargestellten Maßstäben.

Die Antragstellerin ist zur Prozessführung nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage. Prozesskostenhilfe war ab dem Zeitpunkt der Vorlage der Unterlagen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, also ab Antragstellung zu gewähren. Anwaltlicher Beistand ist angesichts der besonderen rechtlichen Schwierigkeit des Rechtsstreites, hier insbesondere auch wegen der (teilweise höchstrichterrechtlich) ungeklärten Frage des Beginns der Arbeitnehmereigenschaft bei geringfügigen und kurzzeitigen Beschäftigungen, der Selbständigeneigenschaft im Sinne des Freizügigkeitsrechts und der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II (siehe Bernsdorff; NVwZ 2016, 633), geboten. Zudem muss eine im Raum stehende Abweichung von einer ständigen höchstrichterliche Rechtsprechung stets als besondere rechtliche Schwierigkeit angesehen werden.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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