Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 KR 1776/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 152/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 07.01.2016 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragsteller für die Zeit vom 01.06.2016 bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens, spätestens bis zum 31.11.2016 mit extrakorporalen Lipid-Apherese-Behandlungen zu versorgen. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten; die andere Hälfte trägt der Antragsteller selbst.
Gründe:
Die nach §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Soweit der Antragsteller darüber hinaus die Versorgung mit extrakorporalen Lipid-Apherese-Behandlungen für ein Jahr begehrt, ist derzeit ein Regelungsbedürfnis nicht zu erkennen. Die Antragsgegnerin hat zunächst über den Widerspruch des Antragstellers gegen ihren Bescheid vom 03.12.2015 zu entscheiden und ist dabei im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht zu weiteren Sachverhaltsermittlungen gehalten (s.u.). Für diese erachtet der Senat einen Zeitraum von sechs Monaten für ausreichend (s. dazu auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 10.02.2014 - L 9 KR 293/13 B ER - und 16.06.2015 - L 9 KR 99/15 B ER -). Nötigenfalls wird zeitig neuerlich um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht werden müssen.
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung nach Maßgabe der in Absatz 1 bzw. Absatz 2 genannten Voraussetzungen treffen. Danach ist zwischen Sicherungs- (§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG) und Regelungsanordnung (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG) zu unterscheiden. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtshelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Die in tatsächlicher (Glaubhaftmachung) wie in rechtlicher Hinsicht (grundsätzlich summarische Prüfung) herabgesetzten Anforderungen für die Annahme eines Anordnungsanspruchs korrespondieren mit dem Gericht der glaubhaft zu machenden wesentlichen Nachteile. Droht dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlichen und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.05.1005 - 1 BvR 569/05 -; Senat, Beschluss vom 12.08.2013 - L 11 KA 92/12 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.09.2006 - L 10 B 2/06 KA ER -), es sei dann, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfG, Beschluss vom 26.05.1995 - 1 BvR 1087/91 -). Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in der Abwägung einzustellen, da sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte zu stellen haben (vgl. BVerG, Beschlüsse vom 29.11.2007 - 1 BvR 2496/07 und 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, hierzu auch Senat, Beschlüsse vom 28.06.2013 - L 11 SF 74/13 ER (Morbus Rompe) und 19.11.2012 - L 11 KR 473/12 B ER - (Hyperthermie)). Dabei darf die einstweilige Anordnung grundsätzlich die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen. Andererseits müssen die Gericht unter Umständen wegen der Kürze der zur Verfügung stehende Zeit Rechtsfragen nicht vertiefend behandeln und Ihre Entscheidung maßgeblich auf der Grundlage einer Interessenabwägung treffen können (Senat, Beschlüsse vom 12.08.2013 - L 11 KA 92/12 B ER - und 12.10.2009 - L 11 B 17/09 KA ER -, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 15.11.2006 - L 10 B 14/06 KA ER - und 14.12.2006 - L 10 B 21/06 KA ER -). Ferner darf oder muss das Gericht ggf. auch im Sinne einer Folgenbetrachtung bedenken, zu welchen Konsequenzen für die Beteiligten die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei späterem Misserfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren einerseits gegenüber der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes bei nachfolgendem Obsiegen in der Hauptsache andererseits führen würde (vgl. Senat, Beschlüsse vom 14.01.2015 - L 11 KA 44/14 B ER -, 12.08.2013 - L 11 KA 92/12 B ER - und 21.01.2012 - L 11 KA 77/11 B ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.04.2007 - L 5 KR 518/07 ER-B -).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Beschwerde im tenorierten Umfang begründet; denn die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind insoweit erfüllt. Die Folgenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus; Erfolgsaussichten einer Hauptsache sind dem Antragsteller nach derzeitiger Sachlage nicht abzusprechen.
Der Antragsteller hat nach § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) Anspruch auf die begehrte ärztliche Behandlung als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode nur im Rahmen der Empfehlung des gemeinsamen Bundesausschusses nach § 135 Abs. 1 SGB V i.V.m. der Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Method-RL), in deren Anlage I die Voraussetzungen zur Durchführung und Abrechnung von Apheresen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung geregelt sind.
Nach § 3 Abs. 2 Anlage I zur Method-RL können LDL-Apheresen bei isolierter Lp(a)-Erhöhung nur durchgeführt werden bei Patienten mit isolierter Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit oder zerebrovaskuläre Erkrankungen).
Diese Voraussetzungen sind bisher nicht hinreichend glaubhaft gemacht; ihr Vorliegen kann indes auch nicht mit der dazu erforderlichen Sicherheit verneint werden.
Ob überhaupt ein Fall der isolierten Lp(a)-Erhöhung i.S.d. vorgenannten Regelung vorliegt, ist im Hinblick auf die Ausführungen der Sachverständigen-Kommission Apherese der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe vom 11.11.2015, es handele sich um einen überwiegenden Lp(a)-Fall, zu hinterfragen, kann aber zumindest im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren dahinstehen, weil auch die Frage nach einer progredienten kardiovaskulären Erkrankung nach der derzeitigen Sachlage nicht sicher zu beantworten ist. Insbesondere überzeugen die kurz und eher apodiktisch gefassten Ausführungen der Sachverständigen-Kommission zumindest in der vorliegenden Form nicht; ihnen kann nämlich eine Bewertung der vom Herzen ausgehenden bzw. der das Herz betreffenden Erkrankungen nicht entnommen werden. Vielmehr stützt sich die Kommission in ihrer Beurteilung im Wesentlichen nur auf eine Bewertung der hinsichtlich des peripheren und des zerebralen arteriellen Gefäßsystems erhobenen sonographischen Befunde. Dementsprechend findet auch der von Dr. W angesprochene Aspekt, der am 30.05.2015 schon in einem Alter von 40 Jahren erlittene Mykardinfarkt sei zu berücksichtigen, in der Beurteilung der Sachverständigen-Kommission jedenfalls keinen Ausdruck.
Die damit grundsätzlich erforderlichen Ermittlungen sind im Eilverfahren nicht geboten und obliegen der Antragsgegnerin (s.o.). Der Senat hat nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob im konkreten Eilverfahren der Eilbedürftigkeit oder der Amtsermittlung Vorrang einzuräumen ist. Da einem Hauptsacheverfahren nicht jegliche Erfolgsaussichten abgesprochen werden können, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dazu sind vor allem die Folgen zu berücksichtigen, die die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes für den Antragsteller hätte. Je schwerer die Belastungen hieraus wiegen und je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie im Falle des Obsiegens in der Hauptsache rückgängig gemacht werden können, umso weniger kann das Interesse an einer vorläufigen Regelung zurückgestellt werden. Angesichts der überragenden hohen Bedeutung, die dem Leben als Rechtsgut in der grundgesetzlichen Ordnung zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 -), sind in Verfahren wie dem vorliegenden an die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes hohe Anforderungen zu stellen (hierzu Senat, Beschlüsse vom 28.06.2013 - L 11 SF 74/13 ER -, 19.11.2012 - L 11 KR 473/12 B - und 08.06.2015 - L 11 KR 202/15 B ER -). Besteht die Gefahr, dass der Versicherte ohne die Gewährung der umstrittenen Leistung vor Beendigung des Verwaltungs- bzw. Hauptsacheverfahrens stirbt oder er schwere oder irreversible gesundheitliche Beeinträchtigung erleidet, ist ihm die begehrte Leistung regelmäßig zu gewähren, wenn das Gericht nicht aufgrund eindeutiger Erkenntnisse davon überzeugt ist, dass die begehrte Leistung unwirksam oder medizinisch nicht indiziert oder der Einsatz mit dem Risiko behaftet ist, die abzuwendende Gefahr durch die Nebenwirkungen der Behandlung auf andere Weise zu verwirklichen (so auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 24.01.2008 - L 5 B 1074/07 KR ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 10.02.2014 und 16.06.2015 beide a.a.O.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht dem Antragsteller bei einer Folgenabwägung der Anspruch auf sofortige Bewilligung der von ihm begehrten Lipid-Apherese-Behandlungen zu. Danach kann ihm nicht zugemutet werden, bis zu einer Entscheidung im Verwaltungs- bzw. ggf. Hauptsacheverfahren auf die Behandlungen zu verzichten. Ohne diese Behandlungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass es erneut zu einem schweren, möglicherweise sogar tödlichen kardiovaskulären Ereignis kommt. Dementsprechend erachtet der Facharzt für Innere Medizin Dr. W die Apherse-Behandlung für medizinisch absolut geboten, um Gefahr für Leib und Leben des Klägers des Antragstellers abzuwehren. Das gegenläufige finanzielle Risiko für die Antragsgegnerin erachtet der Senat derzeit als hinnehmbar (hierzu Senat, Beschlüsse vom 28.06.2013, 19.11.2012 und 08.06.2015, alle a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen.
Die Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
Die nach §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Soweit der Antragsteller darüber hinaus die Versorgung mit extrakorporalen Lipid-Apherese-Behandlungen für ein Jahr begehrt, ist derzeit ein Regelungsbedürfnis nicht zu erkennen. Die Antragsgegnerin hat zunächst über den Widerspruch des Antragstellers gegen ihren Bescheid vom 03.12.2015 zu entscheiden und ist dabei im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht zu weiteren Sachverhaltsermittlungen gehalten (s.u.). Für diese erachtet der Senat einen Zeitraum von sechs Monaten für ausreichend (s. dazu auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 10.02.2014 - L 9 KR 293/13 B ER - und 16.06.2015 - L 9 KR 99/15 B ER -). Nötigenfalls wird zeitig neuerlich um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht werden müssen.
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung nach Maßgabe der in Absatz 1 bzw. Absatz 2 genannten Voraussetzungen treffen. Danach ist zwischen Sicherungs- (§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG) und Regelungsanordnung (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG) zu unterscheiden. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtshelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Die in tatsächlicher (Glaubhaftmachung) wie in rechtlicher Hinsicht (grundsätzlich summarische Prüfung) herabgesetzten Anforderungen für die Annahme eines Anordnungsanspruchs korrespondieren mit dem Gericht der glaubhaft zu machenden wesentlichen Nachteile. Droht dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlichen und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.05.1005 - 1 BvR 569/05 -; Senat, Beschluss vom 12.08.2013 - L 11 KA 92/12 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.09.2006 - L 10 B 2/06 KA ER -), es sei dann, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfG, Beschluss vom 26.05.1995 - 1 BvR 1087/91 -). Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in der Abwägung einzustellen, da sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte zu stellen haben (vgl. BVerG, Beschlüsse vom 29.11.2007 - 1 BvR 2496/07 und 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, hierzu auch Senat, Beschlüsse vom 28.06.2013 - L 11 SF 74/13 ER (Morbus Rompe) und 19.11.2012 - L 11 KR 473/12 B ER - (Hyperthermie)). Dabei darf die einstweilige Anordnung grundsätzlich die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen. Andererseits müssen die Gericht unter Umständen wegen der Kürze der zur Verfügung stehende Zeit Rechtsfragen nicht vertiefend behandeln und Ihre Entscheidung maßgeblich auf der Grundlage einer Interessenabwägung treffen können (Senat, Beschlüsse vom 12.08.2013 - L 11 KA 92/12 B ER - und 12.10.2009 - L 11 B 17/09 KA ER -, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 15.11.2006 - L 10 B 14/06 KA ER - und 14.12.2006 - L 10 B 21/06 KA ER -). Ferner darf oder muss das Gericht ggf. auch im Sinne einer Folgenbetrachtung bedenken, zu welchen Konsequenzen für die Beteiligten die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei späterem Misserfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren einerseits gegenüber der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes bei nachfolgendem Obsiegen in der Hauptsache andererseits führen würde (vgl. Senat, Beschlüsse vom 14.01.2015 - L 11 KA 44/14 B ER -, 12.08.2013 - L 11 KA 92/12 B ER - und 21.01.2012 - L 11 KA 77/11 B ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.04.2007 - L 5 KR 518/07 ER-B -).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Beschwerde im tenorierten Umfang begründet; denn die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind insoweit erfüllt. Die Folgenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus; Erfolgsaussichten einer Hauptsache sind dem Antragsteller nach derzeitiger Sachlage nicht abzusprechen.
Der Antragsteller hat nach § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) Anspruch auf die begehrte ärztliche Behandlung als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode nur im Rahmen der Empfehlung des gemeinsamen Bundesausschusses nach § 135 Abs. 1 SGB V i.V.m. der Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Method-RL), in deren Anlage I die Voraussetzungen zur Durchführung und Abrechnung von Apheresen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung geregelt sind.
Nach § 3 Abs. 2 Anlage I zur Method-RL können LDL-Apheresen bei isolierter Lp(a)-Erhöhung nur durchgeführt werden bei Patienten mit isolierter Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit oder zerebrovaskuläre Erkrankungen).
Diese Voraussetzungen sind bisher nicht hinreichend glaubhaft gemacht; ihr Vorliegen kann indes auch nicht mit der dazu erforderlichen Sicherheit verneint werden.
Ob überhaupt ein Fall der isolierten Lp(a)-Erhöhung i.S.d. vorgenannten Regelung vorliegt, ist im Hinblick auf die Ausführungen der Sachverständigen-Kommission Apherese der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe vom 11.11.2015, es handele sich um einen überwiegenden Lp(a)-Fall, zu hinterfragen, kann aber zumindest im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren dahinstehen, weil auch die Frage nach einer progredienten kardiovaskulären Erkrankung nach der derzeitigen Sachlage nicht sicher zu beantworten ist. Insbesondere überzeugen die kurz und eher apodiktisch gefassten Ausführungen der Sachverständigen-Kommission zumindest in der vorliegenden Form nicht; ihnen kann nämlich eine Bewertung der vom Herzen ausgehenden bzw. der das Herz betreffenden Erkrankungen nicht entnommen werden. Vielmehr stützt sich die Kommission in ihrer Beurteilung im Wesentlichen nur auf eine Bewertung der hinsichtlich des peripheren und des zerebralen arteriellen Gefäßsystems erhobenen sonographischen Befunde. Dementsprechend findet auch der von Dr. W angesprochene Aspekt, der am 30.05.2015 schon in einem Alter von 40 Jahren erlittene Mykardinfarkt sei zu berücksichtigen, in der Beurteilung der Sachverständigen-Kommission jedenfalls keinen Ausdruck.
Die damit grundsätzlich erforderlichen Ermittlungen sind im Eilverfahren nicht geboten und obliegen der Antragsgegnerin (s.o.). Der Senat hat nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob im konkreten Eilverfahren der Eilbedürftigkeit oder der Amtsermittlung Vorrang einzuräumen ist. Da einem Hauptsacheverfahren nicht jegliche Erfolgsaussichten abgesprochen werden können, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dazu sind vor allem die Folgen zu berücksichtigen, die die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes für den Antragsteller hätte. Je schwerer die Belastungen hieraus wiegen und je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie im Falle des Obsiegens in der Hauptsache rückgängig gemacht werden können, umso weniger kann das Interesse an einer vorläufigen Regelung zurückgestellt werden. Angesichts der überragenden hohen Bedeutung, die dem Leben als Rechtsgut in der grundgesetzlichen Ordnung zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 -), sind in Verfahren wie dem vorliegenden an die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes hohe Anforderungen zu stellen (hierzu Senat, Beschlüsse vom 28.06.2013 - L 11 SF 74/13 ER -, 19.11.2012 - L 11 KR 473/12 B - und 08.06.2015 - L 11 KR 202/15 B ER -). Besteht die Gefahr, dass der Versicherte ohne die Gewährung der umstrittenen Leistung vor Beendigung des Verwaltungs- bzw. Hauptsacheverfahrens stirbt oder er schwere oder irreversible gesundheitliche Beeinträchtigung erleidet, ist ihm die begehrte Leistung regelmäßig zu gewähren, wenn das Gericht nicht aufgrund eindeutiger Erkenntnisse davon überzeugt ist, dass die begehrte Leistung unwirksam oder medizinisch nicht indiziert oder der Einsatz mit dem Risiko behaftet ist, die abzuwendende Gefahr durch die Nebenwirkungen der Behandlung auf andere Weise zu verwirklichen (so auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 24.01.2008 - L 5 B 1074/07 KR ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 10.02.2014 und 16.06.2015 beide a.a.O.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht dem Antragsteller bei einer Folgenabwägung der Anspruch auf sofortige Bewilligung der von ihm begehrten Lipid-Apherese-Behandlungen zu. Danach kann ihm nicht zugemutet werden, bis zu einer Entscheidung im Verwaltungs- bzw. ggf. Hauptsacheverfahren auf die Behandlungen zu verzichten. Ohne diese Behandlungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass es erneut zu einem schweren, möglicherweise sogar tödlichen kardiovaskulären Ereignis kommt. Dementsprechend erachtet der Facharzt für Innere Medizin Dr. W die Apherse-Behandlung für medizinisch absolut geboten, um Gefahr für Leib und Leben des Klägers des Antragstellers abzuwehren. Das gegenläufige finanzielle Risiko für die Antragsgegnerin erachtet der Senat derzeit als hinnehmbar (hierzu Senat, Beschlüsse vom 28.06.2013, 19.11.2012 und 08.06.2015, alle a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen.
Die Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
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