L 13 R 2414/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 416/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 2414/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 13. Mai 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1953 geborene Klägerin hat von August 1968 bis August 1971 eine Berufsausbildung als Fleischereifachverkäuferin absolviert und war anschließend bis September 1982 in diesem Beruf, von Februar 1989 bis Oktober 1998 als Bäckereifachverkäuferin und nach einer selbständigen Tätigkeit in der Zeit von Dezember 1998 bis November 2007 erneut von März 2009 bis November 2010 als Fleischereifachverkäuferin versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 20. Dezember 2010 bis 7. Mai 2012 bezog sie Krankengeld und von 8. Mai 2012 bis 30. November 2013 Arbeitslosengeld. Seit 24. Februar 2014 ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 anerkannt.

Am 6. November 2010 erlitt die Klägerin einen häuslichen Sturz, bei dem sie sich insbesondere Verletzungen am rechten Arm zuzog.

Vom 8. Dezember 2011 bis 29. Dezember 2011 nahm die Klägerin an einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in der Rehabilitationsklinik L. in B. S. teil. Im Entlassungsbericht vom 5. Januar 2012 werden folgende Diagnosen genannt: Posttraumatische Schultersteife rechts nach Schulterluxation mit RM-Defekt und inkompletter Axillarisparese, arthroskopische Kapsulotomie und Synovektomie, subac. Bursektomie, Tendotomie der L.en Bizepssehne der rechten Schulter am 23. Februar 2011 sowie Adipositas. Die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit als Fleischereifachverkäuferin sowie leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könnten - bei einem angenommenen positiven Verlauf - im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen in allen Schichtdienstformen ausgeübt werden. Überkopfarbeiten sowie Arbeiten in der Armhöhe seien nicht möglich.

Am 29. Oktober 2012 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und gab an, sie halte sich seit einem Unfall am 6. November 2010 für erwerbsgemindert. Bei diesem Unfall habe sie sich die rechte Schulter ausgekugelt und es sei ein Nerv verletzt werden. Der rechte Arm sei nicht mehr kontrollierbar und bewegungsunfähig.

Die Beklagte veranlasste eine sozialmedizinische Begutachtung durch die Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. L ... Diese untersuchte die Klägerin am 18. Dezember 2012 und nannte in ihrem Gutachten vom 10. Januar 2013 als Diagnose einen Z.n. Schulterluxation mit Rotatorenmanschettenruptur rechts mit Nervenschädigung. Die Klägerin sei in ihrer bisherigen Tätigkeit als Fleischereifachverkäuferin unter drei Stunden einsetzbar. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei sie aus orthopädischer Sicht ebenfalls unter drei Stunden täglich einsetzbar für eine leichte körperliche Arbeit im Wechsel sitzend, stehend und gehend, ohne schweres Heben und Tragen und Überkopfarbeiten bzw. Zwangshaltungen. Mit Bescheid vom 24. Januar 2013 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil die Klägerin die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfülle. Sie sei ab dem 6. November 2010 auf Dauer voll erwerbsgemindert, könne aber eine Rente wegen Erwerbsminderung nur erhalten, wenn u.a. ihr Versicherungskonto innerhalb der letzten 5 Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens 36 Monate Pflichtbeiträge enthalte. Das Versicherungskonto der Klägerin müsse demnach im Zeitraum vom 6. November 2005 bis 5. November 2010 die Mindestzahl von 36 Monaten Pflichtbeiträge enthalten. In diesem Zeitraum habe sie jedoch nur 21 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen und erfülle daher die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht. Die Erwerbsminderung sei auch nicht durch einen Arbeitsunfall oder innerhalb von 6 Jahren nach einer Ausbildung eingetreten (§ 43 Abs. 5 i.V.m. § 53 SGB VI) und die Klägerin habe auch nicht bereits vor dem 1. Januar 1984 die allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren zurückgelegt und die Zeit seit dem 1. Januar 1984 bis zum Eintritt der Erwerbsminderung sei nicht ohne Unterbrechung mit Pflichtbeiträgen, freiwilligen Beiträgen oder anderen sogenannten Anwartschaftserhaltungszeiten belegt (§ 241 SGB VI). In ihrem dagegen gerichteten Widerspruch brachte die Klägerin vor, das Datum 6. November 2010 - wie von Dr. L. angegeben - könne nicht als Leistungsfall zugrunde gelegt werden. Im Entlassungsbericht der Reha-Klinik L. vom Januar 2012 sei von einem mehr als sechs Stunden täglichen Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Arbeiten ausgegangen worden. Daher könne als Leistungsfall lediglich ein Datum nach dem 5. Januar 2012 in Frage kommen, wobei die Spitze des Leidens um den Tag der Antragstellung am 29. Oktober 2012 herum gewesen sein dürfte. Als Leistungsfall sei daher der Tag der Antragstellung am 29. Oktober 2012 festzustellen. Sie legte den Bericht der Klinik für Schulterchirurgie B. N. a.d. Saale vom 7. März 2013 vor. Auch darin gehe man davon aus, dass im Bereich Oktober 2012 eine Veränderung eingetreten sein müsse. Diese Veränderung habe zur rentenrelevanten Einschränkung der Leistungsfähigkeit geführt. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin sei seit dem 6. November 2010 auf Dauer voll erwerbsgemindert und zu diesem Zeitpunkt erfülle sie die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht. Aus dem Befundbericht der Klinik für Schulterchirurgie vom 7. März 2013 gingen keine neuen medizinischen Erkenntnisse hervor, die einen Leistungsfall Oktober 2012 - wie von der Klägerin geltend gemacht - rechtfertigen könnten. Dagegen hat die Klägerin am 3. Februar 2014 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und auf die Widerspruchsbegründung verwiesen. Der Leistungsfall sei zum Zeitpunkt des Rentenantrags oder kurz zuvor eingetreten. Es sei durchaus relevant, dass sie den Rentenantrag am 29. Oktober 2012 und nicht früher gestellt habe. Zwar habe sie im Rentenantrag angegeben, sie halte sich seit 6. November 2010 für erwerbsgemindert; diese Angabe sollte man jedoch nicht überbewerten, da sie schließlich erst im Oktober 2012 den Rentenantrag auch tatsächlich gestellt habe. Auch im Reha-Entlassungsbericht vom 5. Januar 2012 sei sowohl für die Tätigkeit einer Fleischereifachverkäuferin als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von einem über 6-stündigen Leistungsvermögen ausgegangen worden. Es sei lediglich angegeben worden, dass Überkopfarbeiten sowie Arbeiten in der Armhöhe nicht möglich seien. Beim Aufnahmebefund der oberen Extremitäten werde mitgeteilt, der Schürzengriff rechts sei reduziert, aber möglich gewesen. Dasselbe werde beim Abschlussbefund beschrieben. Vergleiche man diesen Befund mit dem Befund der orthopädischen Gutachterin Dr. L. im Untersuchungszeitpunkt 18. Dezember 2012, so zeige sich, dass sich im Laufe der Zeit eine Verschlechterung ergeben haben müsse. Denn laut Angaben der Dr. L. seien der Schürzengriff und auch der Nackengriff rechts überhaupt nicht mehr möglich gewesen. Bei einem Vergleich der Bewegungsdaten nach der Neutral-Null-Methode zeige sich, dass zum Zeitpunkt der Reha-Maßnahme bei der Abschlussuntersuchung die Abduktion/Adduktion der rechten Schulter aktiv bei 30-0-15 und passiv bei 50-0-20 gelegen habe. Dr. L. habe die Abduktion/Adduktion aktiv mit 15-0-10 und passiv mit 30-0-30 angegeben. Die Klägerin hat ferner den Bericht der orthopädischen Klinik Markgröningen vom 19. Dezember 2013 über eine Operation der linken Schulter, den Bericht des Universitätsklinikums W. vom 30. April 2013 sowie weitere fachärztliche Berichte für die Zeit ab November 2010 vorgelegt und vorgebracht, man habe ihr erst im Mai 2013 gesagt, es werde sich hinsichtlich ihrer rechten Schulter nichts mehr bessern. Bis dahin habe sie stets die Hoffnung gehabt, dass noch eine Besserung eintrete. Die Beklagte hat daran festgehalten, dass der Leistungsfall am 6. November 2010 eingetreten sei. Seit diesem Zeitpunkt liege eine Arbeitsunfähigkeit vor, die die Klägerin daran gehindert habe, ihre bisherige Tätigkeit als Fleischereifachverkäuferin oder eine andere Tätigkeit wieder aufzunehmen. Der Rehabilitationsentlassungsbericht vom Dezember 2011 (gemeint wohl: Januar 2012) sei bei einer nur geringen Besserung der Schulterbeweglichkeit von einem positiven Verlauf bis Ende Februar 2012 ausgegangen. Dieser Verlauf sei nicht eingetreten. Im Übrigen sei der von der Klägerin im Rentenantrag geltend gemachte Leistungsfall schon ein wichtiges Indiz, da sie sich rückblickend bei der Rentenantragstellung seit diesem Datum für erwerbsunfähig gehalten habe. Das SG hat von Amts wegen den Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie Dr. D. zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt. Dieser hat in seinem nach Aktenlage erstellten unfallchirurgischen Gutachten vom 5. Januar 2015 als Gesundheitsstörungen eine gravierende aktive Beweglichkeitseinschränkung im rechten Schultergelenk und deutlichen Kraftverlust der Schulterkappenmuskulatur nach Schulterverrenkung rechts am 6. November 2010 mit ursprünglicher inkompletter Rotatorenmanschettenzerreißung und inkomplettem Funktionsverlust des N. axillaris und Sensibilitätsstörungen im Bereich des außen liegenden und beugeseitigen körpernahen Oberarms, entsprechend des Innervationsgebiets des N. axillaris, angegeben. Die Klägerin sei in ihrem zuletzt ausgeübten Beruf als Fleischereifachverkäuferin weniger als drei Stunden täglich in der Lage, zu arbeiten. Dieses zeitlich geminderte Leistungsvermögen resultiere aus der sehr stark eingeschränkten Beweglichkeit im rechten Schultergelenk. Die bei der Klägerin vorliegenden Bewegungseinschränkungen im rechten Schultergelenk verhinderten einen adäquaten Einsatz des rechten Armes bei den täglichen Verrichtungen (Heben und Bewegen von Lasten mit dem rechten Arm, Arbeiten mit dem rechten Arm über Nabelhöhe). Sie könne manuell leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur dann verrichten, wenn sie den rechten Unterarm im Sitzen auf einen entsprechend niedrigen Tisch auflegen könnte und dann ausschließlich Arbeiten, die die Motorik der Hände und des Ellenbogens rechts erforderten, ausführte. Eine solche manuelle Beschäftigung erscheine jedoch unrealistisch, so dass auch leichte manuelle Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weniger als drei Stunden täglich verrichten werden könnten. Leichte Arbeiten, die einen Einsatz des rechten Armes nicht erforderten, also z.B. ausschließlich aufsichtsführende Tätigkeiten, könnten vollschichtig verrichtet werden. Diese eingeschränkte Leistungsfähigkeit bestehe seit dem Unfallereignis am 6. November 2010. Bis auf den letzten Untersuchungsbefund im Mai 2014 habe sich keine wesentliche Änderung in der Schulterfunktionseinschränkung rechts ergeben. Dr. D. hat der sozialmedizinischen Epikrise (Reha-Entlassungsbericht) widersprochen, wonach 6 Stunden und mehr leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen in allen Schichtformen ausgeübt werden könnten. Die massiv eingeschränkte Beweglichkeit des rechten Schultergelenks und die fehlende Kraft der Schulterkappenmuskulatur ließen leichte bis mittelschwere Arbeiten nicht zu.

Mit Gerichtsbescheid vom 13. Mai 2015 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Leistungsfall sei bereits am 6. November 2010 eingetreten und daher seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfüllt. Dies ergebe sich aus den vorliegenden ärztlichen Befunden. Zwar sei der Reha-Bericht noch nicht von einer Erwerbsminderung ausgegangen. Gleichzeitig sei man aber auch von einer Arbeitsunfähigkeit ausgegangen. Die positive Einschätzung habe auf einer positiven Prognose beruht, die sich nicht erfüllt habe, wie sich aus den fortlaufenden Befunden und der gutachterlichen Untersuchung von Dr. L. ergeben habe. Die Klägerin sei seit dem Unfall durchgängig arbeitsunfähig. Die neueren Berichte bestätigten im Wesentlichen die vorherigen Untersuchungen, ohne dass sich eine maßgebliche Verschlechterung ergebe. Zusammenfassend sei die Klägerin seit dem Unfall nicht mehr erwerbsfähig. Zu dieser Einschätzung sei schließlich auch Dr. D. in seinem Gutachten geL.t.

Gegen den ihr am 18. Mai 2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 8. Juni 2015 eingelegte Berufung der Klägerin. Der Leistungsfall sei nicht bereits mit dem Unfallereignis, sondern frühestens mit der Begutachtung durch Dr. L., eher aber mit der Einschätzung des Prof. Dr. G. im Mai 2013 eingetreten. Bis zu der Untersuchung durch Prof. Dr. G. (vgl. Bericht vom 14. Mai 2013) hätten ärztliche Erwartungen bestanden, dass sich die Beschwerden noch relevant bessern würden.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 13. Mai 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Aufhebung des Bescheids vom 24. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Januar 2014 eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, ab dem 1. Oktober 2012 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die rentenrelevanten Folgen des Unfalls vom 6. November 2010 mit den bekannten erheblichen und letztlich nicht behebbaren Funktionsstörungen im Bereich der rechten Schulter mit Parese des nervus axillaris begründeten den bekannten Leistungsfall. Die Argumentation der Klägerseite sei nicht geeignet, die schlüssige gutachterliche Bewertung im Verwaltungs- und erstinstanzlichen Verfahren mit dem Leistungsfall vom 6. November 2010 zu entkräften. Das unfallchirurgische Sachverständigengutachten des Dr. D. habe die Folgen des Sturzes der Klägerin am 6. November 2010 auf das rechte Schultergelenk mit Schulterverrenkung und inkompletter Zerreißung der Rotatorenmanschette und inkomplettem Funktionsverlust des Nervus axillaris bestätigt. Trotz Operationen habe die Funktion des rechten Schultergelenks/Armes nicht grundlegend verbessert werden können. Ein adäquater Einsatz des rechten Armes sei nicht gegeben, daher sei die Klägerin als Fleischereifachverkäuferin nicht belastbar. Leichte Arbeiten ohne Einsatz des rechten Armes seien zwar aus Sicht des Sachverständigen mindestens 6 Stunden täglich durchführbar. Es bestehe aber seit dem Unfall eine schwere spezifische Leistungseinschränkung im Sinne einer funktionellen Einarmigkeit, so dass weiterhin vom Eintritt der vollen Erwerbsminderung bereits am 6. November 2010 auszugehen sei. Eine konkrete Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die die Klägerin mit ihrer schweren spezifischen Leistungsbehinderung noch ausüben könnte, sei nicht erkennbar.

Wegen des weiteren Vorbringens und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit.

Rechtsgrundlagen für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung sind §§ 43, 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch 1. Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und 2. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Nicht erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Nach Maßgabe dieser Vorschriften hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI. Sie leidet vor allem unter einer starken Bewegungseinschränkung und Kraftminderung der rechten Schulter, aus der sich nachvollziehbare gravierende Einschränkungen im Hinblick auf eine berufliche Tätigkeit ergeben. Der Sachverständige Dr. D. hat sich in seinem Gutachten vom 5. Januar 2015 ausführlich mit den aktenkundigen Untersuchungsbefunden bezüglich des rechten Schultergelenks beschäftigt und danach die Auswirkungen des Sturzes der Klägerin am 6. November 2010 im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beurteilt. Dr. D. ist dabei für den Senat nachvollziehbar zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin ihren rechten Arm wegen der sehr starken Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk bei den täglichen Verrichtungen (Heben und Bewegen von Lasten mit dem rechten Arm, Arbeiten mit dem rechten Arm über Nabelhöhe) nicht mehr adäquat einsetzen und manuell leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur dann verrichten kann, wenn sie den rechten Unterarm auf einem entsprechend niedrigen Tisch auflegen kann und dann nur Tätigkeiten, die die Motorik der Hände und des Ellenbogens erfordern, ausführt. Dr. D. hat die Klägerin jedoch für in der Lage gehalten, leichte körperliche Tätigkeiten, welche den Einsatz des rechten Armes nicht erforderten, also z.B. ausschließlich aufsichtsführende Tätigkeiten, vollschichtig auszuüben. Dieser Einschätzung schließt sich der Senat in vollem Umfang an. Durch die stark eingeschränkte Einsatzmöglichkeit des rechten Armes liegt – wie auch die Beklagte zu Recht angenommen hat – eine spezifische Leistungsbehinderung vor. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung meint die Fälle, in denen bereits eine einzige schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B 5 RJ 64/02 R- juris). Als Beispiel hierfür ist etwa die Einarmigkeit eines Versicherten zu nennen. In diesen Fällen besteht die Verpflichtung, ausnahmsweise eine konkrete Tätigkeit zu benennen, weil der Arbeitsmarkt möglicherweise für diese überdurchschnittlich leistungsgeminderten Versicherten keine Arbeitsstelle bereithält oder nicht davon ausgegangen werden kann, dass es für diese Versicherten eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt oder ernste Zweifel daran aufkommen, ob der Versicherte in einem Betrieb einsetzbar ist (BSG Urteil vom 10. Dezember 2003, B 5 RJ 64/02 R - juris). Die bei der Klägerin bestehende starke Gebrauchseinschränkung des rechten Armes führt zu einer faktischen "Einarmigkeit", da sie mit den von Dr. D. beschriebenen Einschränkungen nur noch in der Lage ist, Arbeiten ohne den Einsatz des rechten Armes auszuüben und damit zu einer spezifischen Leistungsbehinderung im o.g. Sinne.

Es kann dahinstehen, ob die Klägerin auf einen konkreten Beruf, der ausschließlich aufsichtsführende Tätigkeiten beinhaltet, wie z.B. den Beruf einer Museumsaufseherin [vgl. die Tätigkeitsbeschreibung im "BERUFENET" der Bundesagentur für Arbeit] verwiesen werden kann, weil sie in der Lage ist, diesen Beruf trotz der spezifischen Leistungseinschränkung sechs Stunden täglich auszuüben oder ob es aufgrund der schwerwiegenden Behinderung des rechten Armes keine geeignete Verweisungstätigkeit gibt, wie die Beklagte angenommen hat und die Klägerin daher voll erwerbsgemindert ist. Denn jedenfalls wäre die volle Erwerbsminderung bereits am 6. November 2010 und damit zu einem Zeitpunkt eingetreten, in dem die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen - drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung - nicht erfüllt waren, da im maßgeblichen Zeitraum vom 6. November 2005 bis 5. November 2010 lediglich 21 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt sind (vgl. Versicherungsverlauf vom 24. Februar 2014) und weder die Voraussetzungen der §§ 43 Abs. 5 i.V.m. 53 SGB VI (Eintritt der Erwerbsminderung durch einen Arbeitsunfall oder innerhalb von 6 Jahren nach einer Ausbildung) noch die Voraussetzungen des § 241 Abs. 2 SGB VI, wonach in bestimmten Fällen die Mindestzahl von Pflichtbeiträgen nicht erforderlich ist, vorliegen.

Wie Dr. D. und auch Dr. L. nachvollziehbar dargelegt haben, bestehen die Gesundheitsstörungen, welche sowohl die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Fleischereifachverkäuferin als auch sonstige Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auf unter drei Stunden täglich einschränken, bereits seit dem privaten Unfall am 6. November 2010. Diese Einschätzung wird durch die seit dem Sturz im November 2010 erhobenen medizinischen Befunde bezüglich der rechten Schulter gestützt, aus denen abzuleiten ist, dass von Anfang an eine erhebliche und weitgehend therapieresistente Funktionseinschränkung der rechten Schulter vorlag, die auch durch die am 23. Februar 2011 durchgeführte Operation nicht wesentlich gebessert werden konnte (vgl. Bericht des Dr. D. vom 11. Januar 2011, Berichte der Gemeinschaftspraxis Dres. R./B./E./M./A./Sch.-W./H./S. über die Verlaufskontrollen vom 5. Mai 2011, 9. August 2011, 4. Oktober 2011, 29. November 2011, 10. Januar 2012, 28. Februar 2012, 27. März 2012, 24. Mai 2012). Etwas anderes lässt sich auch nicht aus dem Reha-Entlassungsbericht vom 5. Januar 2012 ableiten. Zwar wird darin ein vollschichtiges Leistungsvermögen der Klägerin sowohl auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als auch im zuletzt ausgeübten Beruf angegeben, wobei hier der weitere Verlauf positiv eingeschätzt wurde. Allerdings wurde im Reha-Entlassungsbericht auch angegeben, dass eine massive Bewegungseinschränkung in der rechten Schulter vorliegt und bei Entlassung die Beweglichkeit gegenüber der Aufnahmeuntersuchung nur gering gebessert und der Verlauf abzuwarten sei. Die positive Verlaufsbeurteilung, die bei der Einschätzung des Leistungsvermögen vorausgesetzt wurde, hat sich nicht bestätigt, wie sich deutlich aus den o.g. Berichten der Gemeinschaftspraxis Dres. R./B./E./M./A./Sch.-W./H./S. und den im weiteren Verlauf erhobenen Befunden, z.B. bei den Vorstellungen in der Klinik für Sportorthopädie und arthroskopische Chirurgie Markgröningen (Dr. J.) am 17. August 2012, am 11. Oktober 2012 und am 8. Mai 2014, bei den Vorstellungen in der Klinik für Schulterchirurgie am 12. September 2012 und am 27. Februar 2013 (Prof. Dr. G.), im Rahmen der Begutachtung durch Dr. L. im Dezember 2012 und bei der Vorstellung im Universitätsklinikum W. am 27. März 2013 (Prof. Dr. E./Dr. P.) ergibt. Auch die Symptomatik der erstmals im August 2011 von dem Neurologen Dr. K. festgestellten inkompletten Axillarisparese zeigte sich im Verlauf weitgehend unverändert, auch wenn zunächst aufgrund des EMG-Befunds mit einer Befundverbesserung gerechnet wurde (vgl. Berichte des Dr. K. vom 4. August 2011, 24. November 2011, 13. März 2012 und 10. Oktober 2012, Bericht des Prof. Dr. E./Dr. P. vom 30. April 2013). Soweit die Klägerin sich darauf gestützt hat, der Leistungsfall sei frühestens mit der Begutachtung durch Dr. L., eher aber mit der Einschätzung des Prof. Dr. G. im Mai 2013 eingetreten, da die behandelnden Ärzte und sie selbst davon ausgegangen seien, dass sich die Schädigung des Nervus axillaris noch zurückbilde und eine Besserung eintrete und sich diese Einschätzung erst aufgrund des Berichts des Universitätsklinikums W. (Prof. Dr. E./Dr. P. vom 30. April 2013) bzw. der Einschätzung des Prof. Dr. G. im Mai 2013 geändert habe, ergibt sich dadurch keine andere Beurteilung. Denn unabhängig von der Schädigung des Nervus axillaris und einer zunächst für möglich gehaltenen Verbesserung des Befunds lag seit dem Unfallereignis durchgehend eine schwere Funktionseinschränkung des rechten Armes vor, die seitdem im Wesentlichen unverändert vorliegt und die Klägerin auch seitdem an der Ausübung ihres Berufs als Fleischereifachverkäuferin bzw. der Ausübung einer sonstigen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hindert. Auch nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 23. März 1977 - 4 RJ 49/76 - juris) ist der Versicherungsfall der Erwerbsminderung bzw. Erwerbsunfähigkeit (vgl. zur damaligen Rechtslage § 1247 Abs. 2 RVO) rückschauend sofort bei Beginn der Leistungsunfähigkeit eingetreten, gleichgültig, ob Aussicht auf Behebung der Leistungsunfähigkeit bestanden hat oder noch besteht, wenn die Leistungsunfähigkeit tatsächlich länger als sechsundzwanzig Wochen (vgl. zur damaligen Rechtslage § 1276 RVO) gedauert hat. Diese Rechtsprechung kann auf den vorliegenden Fall übertragen werden, weil die zeitliche Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens - zumindest rückblickend - seit dem Unfall auf nicht absehbare Zeit, d.h. für mindestens sechs Monate (vgl. § 101 Abs. 1 SGB VI) vorgelegen hat.

Es besteht auch kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Gemäß § 240 Abs. 2 SGB VI sind Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbstätigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Für die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit kommt es nach dem vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Mehrstufenschema darauf an, welchen qualitativen Wert der zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte Beruf der Klägerin hat. Das BSG hat die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt, die ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet wurden. Diese Gruppen werden durch die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildung von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (BSGE 59, 201).

Die Klägerin, die den Beruf einer Fleischereifachverkäuferin erlernt und auch zuletzt versicherungspflichtig ausgeübt hat, kann in diesem Beruf nicht mehr erwerbstätig sein. Dies ergibt sich nachvollziehbar aus dem Gutachten des Dr. D. vom 5. Januar 2015 und dem Gutachten der Dr. L. vom 10. Januar 2013. Beide Sachverständige sind übereinstimmend zu der Auffassung gelangt, dass die starke Bewegungseinschränkung des rechten Armes die Ausübung des Berufs der Fleischereifachverkäuferin nicht mehr zulässt. Der Senat schließt sich dieser Einschätzung vollumfänglich an, da der Beruf der Fleischereifachverkäuferin, der vielfach Handarbeit beinhaltet, z.B. beim Aufschneiden von Fleisch- oder Wurstwaren und Einräumen der Fleischereierzeugnisse in die Ladentheken (vgl. "BERUFENET" der Bundesagentur für Arbeit), nicht ohne den Einsatz des rechten Armes ausgeübt werden kann. Die Gesundheitsstörungen, welche die berufliche Tätigkeit als Fleischereifachverkäuferin zeitlich auf unter drei Stunden täglich einschränken, bestehen auch im Wesentlichen unverändert seit dem Unfall am 6. November 2010. Hierzu kann in vollem Umfang auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

Die Klägerin war demnach bereits seit dem Sturz am 6. November 2010 (auch) berufsunfähig im Sinne des § 240 SGB VI und erfüllte zu diesem Zeitpunkt die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht. Da das SG demnach die Klage zu Recht abgewiesen hat, war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass die Klägerin mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 193 SGG Rdnr. 8 erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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