L 11 KA 22/16 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 16 KA 2/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 22/16 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 14.04.2016 geändert. Die Beschwerdeführerin wird zum Verfahren beigeladen.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin ist ein Unternehmen, das den Betrieb eines Dialyse-Zentrums zum Gegenstand hat. Die Antragsteller zu 1) und 2) im zugrundeliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren sind zur vertragsärztlichen Versorgung am Vertragsarztsitz X-Straße 00, D zugelassen. Die Antragstellerin zu 3) ist eine nephrologische Gemeinschaftspraxis und Dialysezentrum GbR, die von den Antragstellern zu 1) und 2) betrieben wird.

Die Beschwerdeführerin erwirkte vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamm gegen die Antragsteller unter dem Aktenzeichen L 17 U 64/13 am 04.02.2016 ein Urteil, mit dem der Antragsteller zu 1) u.a. verpflichtet wurde, den mit ihr abgeschlossenen Kooperationsvertrag zum Betrieb einer ausgelagerten Praxisstätte in Form eines Dialysezentrums in der C-straße 00, D, zu erfüllen und fortzuführen. Gegen dieses Urteil haben die Antragsteller Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) erhoben. Ebenfalls am 04.02.2016 erwirkte die Beschwerdeführerin unter dem Aktenzeichen L 17 U 84/14 in einem einstweiligen Verfügungsverfahren die Verurteilung des Antragsstellers zu 1) zur Abgabe einer Erklärung gegenüber dem Antragsgegner, dass er die Verlegung seines Vertragsarztsitzes vom Standort X-Straße 00 in D an den Standort C-straße 00 in D beantrage. Das Urteil im einstweiligen Verfügungsverfahren wurde auch dem Antragsgegner zugestellt. Dem Tenor entsprechend genehmigte er in seiner Sitzung vom 15.03.2016 dem Antragsteller zu 1) die Verlegung seines Vertragsarztsitzes mit Wirkung vom 16.03.2016. Zudem wurde die den Antragstellern zu 1) und 2) erteilte Genehmigung zur gemeinsamen Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit in D, X-Straße 00, mit Ablauf des 15.03.2016 widerrufen. Außerdem wurde die Beendigung der Sonderbedarfszulassung des Antragstellers zu 2) zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung für den Vertragsarztsitz in D, X-Straße 00, mit Ablauf des 15.03.2016 festgestellt. In dem diesem Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren wenden sie die Antragsteller gegen diese Beschlüsse.

Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Antrag der Beschwerdeführerin, für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beigeladen zu werden. Die Beiladung sei schon deswegen gerechtfertigt, weil nicht auszuschließen sei, dass durch die Antragsteller teilweise sinnentstellend und im reinen Antragsinteresse vorgetragen werde, wobei die vertragsärztlichen Gremien mangels genauer Kenntnisse der Umstände und Verhältnisse möglicherweise nicht in der Lage seien, zum Sachverhalt vollständig und richtig vorzutragen bzw. zu erwidern.

Die Antragsteller haben zu der beantragten Beiladung vorgetragen, dass die Voraussetzungen der einzig denkbar in Betracht kommenden notwendigen Beiladung nach § 75 Abs. 2 1. Alt. Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht vorlägen. Es sei nicht ersichtlich, dass eine Entscheidung des Gerichts unmittelbar in die Rechtssphäre der Beschwerdeführerin eingreifen könne. Außerdem könne kein Interesse auf Beiladung bestehen, wenn der zu Grunde liegende Beschluss wie hier offenkundig rechtswidrig sei. Zudem liege der Rechtsstreit I-17 U 84/14 beim BGH. Maßgeblich sei insoweit die Frage der Wirksamkeit des Kooperationsvertrages. Nur bei einer entsprechenden Feststellung des BGH könne es zu einer Verlegung des Vertragsarztsitzes kommen. Hierbei handele es sich jedoch um eine mittelbare Frage, so dass die Beschwerdeführerin nicht beizuladen sei.

Mit Beschluss vom 14.04.2016 hat das Sozialgericht (SG) den Antrag abgelehnt. Die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung nach § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG seien nicht gegeben. Es liege kein Fall einer nur einheitlich möglichen Entscheidung vor. Durch die Entscheidung des Gerichts würden die Rechte der Beschwerdeführerin nicht unmittelbar gestaltet. Streitgegenstand in dem hiesigen Verfahren sei lediglich die Frage, ob die Beschlüsse des Antragsgegners vom 16.03.2016 aufschiebende Wirkung hätten bzw. haben müssten. Das anhängige Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz beschränke sich auf das Verhältnis zwischen den Antragstellern und dem Antragsgegner. Die zu treffende Entscheidung greife nicht unmittelbar und zwangsläufig in die Rechtssphäre der Beschwerdeführerin als Kooperationspartnerin des Antragstellers zu 1) ein. Auch die grundsätzlich im Ermessen des Gerichts stehende einfache Beiladung nach § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG sei vorliegend nicht geboten. In materielle Rechtskraft erwüchse nur die Entscheidung des Gerichts, ob die Beschlüsse des Antragsgegners vom 16.03.2016 aufschiebende Wirkung hätten bzw. ob diese ggf. (wieder)herzustellen sei. Hinsichtlich der für die Beschwerdeführerin bedeutende Rechtsfrage, ob der Kooperationsvertrag zwischen ihr und dem Antragsteller zu 1) Bestand habe, trete keine rechtliche Bindungswirkung ein. Das Gericht treffe vorliegend in keiner Weise eine Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen des Kooperationsvertrages bzw. die Pflicht zur Erfüllung des Kooperationsvertrages. Selbst bei einer Verneinung der aufschiebenden Wirkung der Beschlüsse würde dies im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass der Antragsteller zu 1) zwingend seine gegebenenfalls bestehenden Vertragsverpflichtungen aus dem Kooperationsvertrag erfülle. Diese Fragestellung sei rein zivilrechtlicher Natur, über derartige Ansprüche werde im hiesigen Sozialgerichtsverfahren nicht entschieden. Deswegen könne auch ein wirtschaftliches Interesse verneint werden. Gegen eine Beiladung spreche zudem, dass weder der Antragsteller zu 2) noch die Antragstellerin zu 3) Kooperationspartner der Beschwerdeführerin seien. Entsprechend könne bereits aus diesem Grunde ihre Interessen durch die Entscheidungen bezüglich der Antragstellerin zu 2) und der Antragstellerin zu 3) nicht betroffen sein. Außerdem bestünden über das zivilrechtliche Verfahren genug Einflussmöglichkeiten auf die streitigen Rechtsfragen. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller zu 1) seinen prozessualen Wahrheitspflichten nicht nachkomme. Zudem obliege es der Amtsermittlung des Gerichts den Sachverhalt mit den entscheidungserheblichen Tatsachen zu ermitteln.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschwerdeführerin. Nach ihrem Vortrag liegt ein Fall der notwendigen Beiladung vor. Sie sei durch die zu treffende Entscheidung unmittelbar in ihrer Rechtssphäre betroffen. Schließlich sei es ihr nicht möglich, die zivilgerichtlich bereits festgestellten Ansprüche im Hinblick auf den Verlegungsantrag des Antragstellers zu 1) sowie dessen Verpflichtung zur Erfüllung des Kooperationsvertrages zu vollziehen, wenn die aufschiebende Wirkung in dem hiesigen Verfahren wiederhergestellt bzw. festgestellt würde. Die notwendige Beiladung im Sinne des § 75 Abs. 2 SGG solle sicherstellen, dass eine Entscheidung gegenüber Dritten nur einheitlich ergehen könne und sei auszusprechen, wenn durch die Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingegriffen werde. Die hierbei notwendige Identität des Streitgegenstandes im Verhältnis der Hauptbeteiligten zu ihr sei insofern gegeben, als sie unstrittig ein Urteil erwirkt habe, welches Grundlage für die Beschlüsse des Antragsgegners gewesen sei. Jedenfalls ergebe sich ein Anspruch auf Beiladung aus § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG. Zwar liege die Beiladung in diesem Fall grundsätzlich im Ermessen des Gerichts, jedoch erstarke der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu einem gebundenen Anspruch auf Beiladung, wenn das Gericht die Voraussetzungen für die Ermessensausübung verkannt oder einen Ermessensfehlgebrauch vorgenommen habe. Das SG habe bereits verkannt, welche ihrer Interessen durch die zu treffende Entscheidung berührt seien. Es handele sich nämlich nicht um die Frage, ob der Kooperationsvertrag Bestand habe. Vielmehr gehe es um den Vollzug der Entscheidungen des OLG, welche durch die Wiederherstellung bzw. Feststellung der aufschiebenden Wirkung in diesem Verfahren blockiert würden. Diese Frage sei für sie auch von wirtschaftlichem Interesse. Das wirtschaftliche Interesse werde durch ihre bereits festgestellten zivilgerichtlichen Ansprüche begründet. Da bereits eine zweitinstanzliche Entscheidung vorliege, könne auf dem zivilrechtlichen Weg auch keinen Einfluss mehr auf die streitigen Rechtsfragen zwischen ihr und dem Antragsteller zu 1) genommen werden.

II.

Die gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 SGG zulässige Beschwerde ist begründet.

Das Gericht kann nach § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG von Amts wegen oder auf Antrag andere, deren berechtigte Interessen durch die Entscheidung berührt werden, beiladen. Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann oder ergibt sich im Verfahren, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein anderer Versicherungsträger in Betracht kommt, so sind diese beizuladen (§ 75 Abs. 2 SGG).

1.) Im vorliegenden Zusammenhang ist die Beschwerdeführerin nicht notwendig im Sinne des § 75 Abs. 2 SGG beizuladen. Eine notwendige Beiladung setzt voraus, dass die zu erwartende Entscheidung in die Rechtsphäre des Dritten unmittelbar eingreift, d.h. gleichzeitig, unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Beizuladenden gestaltet, bestätigt, feststellt, verändert oder aufhebt (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 31.05.1978, - 2 RU 5/78 und vom 31.08.1983 - 2 RU 65/82 -). Die Beschwerdeführerin hat die Beiladung beantragt, weil sie den Vollzug der Entscheidung des OLG Hamm sicherstellen will. Dieser wirkt sich - wie noch darzustellen sein wird - zwar auf ihre Rechtssphäre aus. Die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren greift jedoch nicht unmittelbar in ihre Rechtssphäre ein. Sie ist an dem Rechtsverhältnis zwischen den Antragstellerin und dem Antragsgegner nicht derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Vielmehr betrifft die Frage der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nur die Antragsteller und den Antragsgegner. Die Beschwerdeführerin wird unmittelbar weder berechtigt noch verpflichtet.

2.) Allerdings sieht der Senat Anlass zu einer sogenannten einfachen Beiladung im Sinne des § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG. Durch das vorliegende einstweilige Rechtsschutzverfahren sind berechtigte Interessen der Beschwerdeführerin betroffen. Voraussetzung für eine einfache Beiladung nach § 75 Abs. 1 SGG ist, dass berechtigte Interessen eines Dritten durch die Entscheidung berührt werden, d.h. die Entscheidung muss berechtigte Interessen berühren (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, 2014, § 75 Rdn. 8). Zu den berechtigten Interessen gehören nicht nur rechtliche, sondern auch wirtschaftlich, tatsächliche, kulturelle, soziale oder ideelle Interessen (BSG, Urteil vom 24.10.2013 - B 13 R 35/12 R -). Ein solches wirtschaftliches Interesse liegt hier vor. Eines der Dialysezentren befindet sich entsprechend der im Kooperationsvertrag getroffenen Vereinbarungen in den Räumlichkeiten der Beschwerdeführerin in der C-straße 00 in D. Die Beschwerdeführerin soll die seitens der Kassenärztlichen Vereinigung an die Ärzte ausgezahlte Sachkostenpauschale erhalten. Dementsprechend hat die Beschwerdeführerin bereits in dem Verfahren 25 O 118/14 vor dem Landgericht Dortmund vorgetragen, dass die Nichteinhaltung der vertraglichen Verpflichtung durch die Antragsteller dazu führe, dass sie nicht die vertraglich zugesicherte Kostenerstattung erhalte und ernsthaft zu befürchten sei, dass sie in die Insolvenz gerate. Im zweitinstanzlichen Verfahren L 17 U 84/14 hat sie vorgetragen, dass ihr aus der Weigerungshaltung des Antragstellers zu 1) monatlich ein Schaden von etwa 188.000,00 EUR entstehe. Das OLG Hamm ist in seinem Urteil ebenfalls zu der Feststellung gelangt, dass fortlaufende finanziellen Nachteile der Beschwerdeführerin gegeben seien.

Die einfache Beiladung nach § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG steht jedoch im Ermessen des Gerichts, ein Rechtsanspruch besteht nicht (vgl. Leitherer, a.a.O., § 75 Rdn. 8b). Im Fall der Beschwerde gegen die abgelehnte Beiladung hat das Beschwerdegericht eine eigene Ermessenentscheidung zu treffen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.03.2009 - L 11 R 5494/08 B -, Frehse in Jansen, Sozialgerichtsgesetz, 4. Auflage, 2012, § 176 Rdn. 7; Leitherer, a.a.O., § 75 Rdn. 16 bzw. § 176 Rdn. 4; Straßfeld in Roos/Wahrendorf, Sozialgerichtsgesetz, 2014, § 75 Rdn. 204). Soweit zum Teil die Ansicht vertreten wird, erstinstanzliche Ermessensentscheidungen seien nur beschränkt auf Ermessensfehler überprüfbar (vgl. Zeihe, SGG, Stand 01.08.2015, § 176 Rdn. 4b), wird Abänderbarkeit und damit die Überprüfbarkeit bejaht, sofern sie sich darauf bezieht, ob die Voraussetzungen und die Grenzen des Ermessens richtig bestimmt und eingehalten sind (vgl. Zeihe, a.a.O.). Wie von der Beschwerdeführerin zutreffend ausgeführt hat das SG hier verkannt, dass sich ihre Betroffenheit nicht aus der Frage der Wirksamkeit des Kooperationsvertrages ergibt, sondern aus den finanziellen Nachteilen einer verzögerten Umsetzung des zivilgerichtlichen Urteils. Hieraus folgt, dass auch nach der vorgenannten abweichenden Auffassung der Beiladungsbeschluss abänderbar ist.

Eine Kostenentscheidung gemäß § 193 Abs. 1 Satz 2 SGG war nicht veranlasst, da dieser Beschluss das Verfahren - als solches - nicht beendet.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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