L 11 R 779/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 25 R 236/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 779/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21.01.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1954 geborene Klägerin ist kroatische Staatsangehörige und zog im Februar 1971 in die Bundesrepublik Deutschland zu. Sie erlernte keinen Beruf und war seit 1971 als Arbeiterin, zuletzt seit 1990 als Leiterplattenbestückerin beschäftigt. Sie bezog ab 23.05.2011 Krankengeld und ist seit August 2012 arbeitslos. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt.

Die Klägerin absolvierte vom 22.06.2011 bis 13.07.2011 eine stationäre Maßnahme der medizinischen Rehabilitation in Bad K., ua wegen chronischem Lumbalsyndrom, Cervikobrachialgien rechts und chronischem Schmerzsyndrom. Die Reha-Ärzte hielten sie für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und in der letzten Tätigkeit vollschichtig leistungsfähig.

Am 05.07.2012 beantragte die Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten. Mit Bescheid vom 21.08.2012 lehnte diese den Antrag ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2012 wies sie den Widerspruch der Klägerin zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 10.01.2013 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte, Herr H. und Dr. M., schriftlich als sachverständige Zeugen befragt sowie die Orthopädin Dr. B.-S. gemäß § 106 SGG und den Orthopäden Prof. Dr. W. auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG mit der Erstellung von Gutachten beauftragt.

Der Orthopäde Dr. M. hat mitgeteilt, dass der Schwerpunkt der Leiden auf psychiatrisch/neurologischem Fachgebiet liege. Die letzte Tätigkeit könne nicht mehr ausgeübt werden. Eine Tätigkeit in einem Callcenter oder an einer Pforte könne noch bis zu vier Stunden bejaht werden. Im Übrigen sei eine gutachterliche Untersuchung notwendig. Der Nervenfacharzt H. hat die Auffassung vertreten, dass wegen der psychischen Symptomatik sechs bis acht Stunden eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich sei. Die orthopädischen Störungen stünden sicherlich im Vordergrund. Die Klägerin sei bei ihm erstmals im Februar 2013 in Behandlung gewesen.

Dr. B.-S. hat die Klägerin am 09.08.2013 persönlich untersucht und folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: &61485; Rezidivierende Lumbago und zeitweise Lumboischialgie ohne wesentliche Funktionseinschränkung bei radiologisch Pseudospondylolisthesis L4/5 &61485; rezidivierende Dorsalgie im Bereich der Brustwirbelsäule bei geringer Seitabweichung der Wirbelsäule ohne Funktionseinschränkungen &61485; rezidivierende Nackenschmerzen bei freier Beweglichkeit und radiologisch geringen degenerativen Veränderungen im Segment C5/C6 &61485; AC-Gelenksarthrose rechts mit Schmerzen beim Anheben des Armes &61485; Schmerzen im Bereich des linken Schultergelenks, bei radiologisch und klinisch unauffälligem Befund, kernspintomographisch ventraler Riss der Supraspinatussehne &61485; beginnende Daumensattelgelenksarthrose links ohne momentane Funktionseinschränkung

Die Sachverständige ist der Ansicht gewesen, dass aufgrund der Einschränkungen der Lendenwirbelsäule und der Schultergelenke nur noch leichte körperliche Tätigkeiten zumutbar seien. Wirbelsäulenverdrehte Haltungen, häufiges Bücken und andauernde Überkopfarbeiten dürften nicht mehr durchgeführt werden. Feinmotorische Tätigkeiten mit der linken Hand seien nicht mehr zumutbar. Im Übrigen sei die Klägerin bei Beachtung dieser Einschränkungen weiterhin in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel zwischen Gehen und Stehen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Die Einschätzung von Dr. M. sei aufgrund der vorliegenden Befunde nicht nachvollziehbar. Die Wegefähigkeit sei gegeben.

Prof. Dr. W. hat die Klägerin am 10.04.2014 untersucht und auf eine geplante Operation mittels Spondylodese L4/5 mit Dekompression und einer dadurch zu erwartenden Besserung hingewiesen. Er hat unter anderem eine konsekutiv relevante Spinalkanalstenose L4/5 und Claudicatio spinalis diagnostiziert. Aktuell bestehe nur ein unter dreistündiges Leistungsvermögen mit der Notwendigkeit eines ständigen Stellungswechsels. Der Sachverständige ist der Ansicht gewesen, dass die Leistungseinschränkung seit drei Jahren bestehe.

Am 30.04.2014 ist die Klägerin operiert worden und hat anschließend vom 21.05.2014 bis 11.06.2014 in Bad U. eine stationäre Maßnahme der medizinischen Rehabilitation auf orthopädischem Fachgebiet absolviert. Die Beklagte hat den Entlassungsbericht übersandt, wonach die Klägerin die letzte Tätigkeit und leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig verrichten könne.

Mit Urteil vom 21.01.2015 hat das SG die Klage abgewiesen und sich zur Begründung insbesondere auf das Gutachten von Dr. B.-S. sowie den Entlassungsbericht von Juni 2014 gestützt.

Gegen das den Klägerbevollmächtigten am 09.02.2015 zugestellte Urteil haben diese am 02.03.2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben.

Der Senat hat den Neurologen und Psychiater Dr. V. mit der Erstellung eines Gutachtens gemäß § 106 SGG beauftragt. Dieser hat die Klägerin am 29.10.2015 persönlich untersucht und folgende Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet seit Juli 2012 beschrieben: &61485; Rezidivierende depressive Störung, derzeit leicht bis mittelgradig ausgeprägte &61485; chronische Schmerzstörung mit körperlichen und psychischen Faktoren

Fachfremd hat er folgende Diagnosen mitgeteilt: &61485; Degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule mit Pseudospondylolisthesis LWK 4/5, 2011 operativer Eingriff &61485; 2014 Versteifung der Lendenwirbel 4 und 5 &61485; degenerative Veränderung des rechten Schultergelenks

Dr. V. hat darauf hingewiesen, dass die Klägerin nach eigenen Angaben im September 2014 nach Kroatien gezogen und die Anreise zum Begutachtungstermin mit dem Auto erfolgt sei. Der Ehemann sei die acht- bis neunstündige Fahrt mit regelmäßigen Pausen gefahren.

Der Sachverständige hat ausgeführt, dass die Klägerin über starke dauerhafte Schmerzen klage, die im Verhalten während der Befragung nicht Ausdruck gefunden hätten. Eine Schmerzgeplagtheit sei nicht erkennbar gewesen. Im Gegensatz dazu habe sich bei der körperlichen Untersuchung eine ausgeprägte Schmerzgeplagtheit selbst bei geringen Berührungen gefunden. In der Untersuchungssituation sei die emotionale Schwingungsfähigkeit eingeengt, aber nicht aufgehoben gewesen. Die Psychomotorik erscheine unauffällig. Hinweise für ausgeprägtere kognitive oder mnestische Defizite hätten sich nicht ergeben. Der Langsitz sei ohne offensichtliche Schmerzen möglich gewesen. Das Gangbild habe sich verlangsamt aber ansonsten nicht auffällig gezeigt. Seit sechs Monaten werde kein Antidepressivum mehr eingenommen.

Der Gutachter ist der Ansicht gewesen, dass die intensiv wahrgenommenen Schmerzen durch körperliche Befunde nicht erklärt werden könnten, sondern zusätzlich durch eine somatoforme Störung bedingt seien. Depression und somatoforme Störung seien derzeit unbehandelt. Die Klägerin sei in der Lage, leichte Arbeiten mit wechselnder Körperhaltung in geschlossenen Räumen vollschichtig zu verrichten. Tätigkeiten mit besondere Anforderung an die Stresstoleranz, an die Konzentrationsfähigkeit und das soziale Anpassungsvermögen sowie Tätigkeiten mit besonderer Verantwortung für Menschen oder Maschinen, Nachtschichten oder Akkordarbeit seien nicht mehr zumutbar. Die Wegefähigkeit sei gegeben. Bei entsprechender Behandlung könnten die Gesundheitsstörungen im neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet unter ärztlicher Mithilfe in absehbarer Zeit innerhalb von sechs Monaten zumindest teilweise gebessert werden. Notwendig seien eine antidepressive Medikation, Psychotherapie und eine physikalische Therapie.

In einer ergänzenden Stellungnahme hat Dr. V. ausgeführt, dass zwar das Ergebnis des Beck Depressionsinventars mit einer schweren depressiven Störung vereinbar wäre. Jedoch erfolge die Beurteilung der Schwere einer depressiven Störung nicht nur anhand einer einzelnen psychomotorische Testung, sondern durch die Erhebung des psychischen Befundes, durch die Beurteilung der alltäglichen Aktivitäten und durch mehrere psychomotorische Testungen. So habe der strukturierte Fragebogen simulierter Symptome deutliche Hinweise für eine Aggravation der Klägerin ergeben. Im Übrigen erscheine ihm fachfremd die Beurteilung der Rehabilitationsklinik Ho. sehr viel nachvollziehbarer als die gutachterliche Beurteilung durch Herrn Prof. Dr. W.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass sie wegen den vielfachen Gesundheitsstörungen auf orthopädischem als auch auf psychiatrischem Fachgebiet keine berufliche Tätigkeit mehr ausüben könne. Insbesondere sei das bei ihr vorliegende Fibromyalgiesyndrom nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21.01.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 17.12.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 01.07.2012 eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Gegenstand der Berufung ist der Bescheid der Beklagten vom 21.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2012, mit dem der Antrag der Klägerin von Juli 2012 auf Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt worden ist.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Sie hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teil-weiser Erwerbsminderung und auch nicht auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Versicherte haben gemäß §§ 43 Abs 1, Abs 2 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw teilweise Erwerbsminderung, wenn sie

1. voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Die Voraussetzungen des §§ 43 Abs 1, Abs 2 SGB VI liegen bei der Klägerin nicht vor.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche leichte Arbeiten mit wechselnder Körperhaltung in geschlossenen Räumen verrichten kann. Nicht zumutbar sind Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Stresstoleranz, an die Konzentrationsfähigkeit und das soziale Anpassungsvermögen sowie Tätigkeiten mit besonderer Verantwortung für Menschen oder Maschinen, Nachtschichten, Akkordarbeit, wirbelsäulenverdrehten Haltungen, häufigem Bücken und andauernden Überkopfarbeiten. Feinmotorische Tätigkeiten mit der linken Hand kann sie nicht mehr ausüben. Bei dieser Einschätzung stützt sich der Senat insbesondere auf die schlüssigen und überzeugenden Ausführungen der erfahrenen Gerichtsgutachter Dr. B.-S. und Dr. V.

Bei der Klägerin liegen folgende relevante Gesundheitsstörungen vor: &61485; Rezidivierende depressive Störung, derzeit leicht bis mittelgradig ausgeprägte &61485; chronische Schmerzstörung mit körperlichen und psychischen Faktoren &61485; Degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule mit Pseudospondylolisthesis LWK 4/5, 2011 operativer Eingriff &61485; 2014 Versteifung der Lendenwirbel 4 und 5 &61485; degenerative Veränderung des rechten Schultergelenks &61485; beginnende Daumensattelgelenksarthrose links

Weder aus den orthopädischen Gesundheitsstörungen noch aus den bei der Klägerin vorliegenden psychischen Einschränkungen lässt sich eine zeitliche Leistungseinschränkung ableiten. Die von Dr. B.-S. und Dr. V. vorgenommenen Leistungsbeurteilungen sind schlüssig und für den Senat überzeugend. Der von der orthopädischen Gutachterin erhobene orthopädische Befund zeigte allenfalls leichte Funktionseinschränkungen bei degenerativen Veränderungen in der Lendenwirbelsäule, der Schultergelenke und im Daumensattelgelenk links. Der neurologische Untersuchungsbefund bei Dr. V. war inkonsistent. So zeigten sich zwar ein Zeichen nach Lasègue bereits beidseitig bei 45°, gleichzeitig war aber der Langsitz möglich. Eindeutige Paresen waren nicht abgrenzbar. Eine Betonung der Beschwerden war bei der körperlichen Untersuchung nicht zu übersehen. Bei der testpsychologischen Zusatzuntersuchung zeigten sich deutliche Hinweise für eine Aggravation. Die von der Klägerin geäußerten starken Schmerzen mit Ausstrahlung in beide Beine lassen sich alleine durch die orthopädischen Gesundheitsstörungen nicht vollumfänglich erklären. Darauf hat Dr. V. hingewiesen.

Auch das Gutachten von Prof. Dr. W. ist nicht geeignet eine dauerhafte zeitliche Leistungseinschränkung zu belegen. Der von ihm erhobene orthopädische Befund in seinem Gutachten ist nicht besonders aussagekräftig. Er stützt sich im Wesentlichen auf die Angaben der Klägerin, die er unreflektiert übernimmt und sie zur Grundlage seiner Leistungseinschätzung macht. Dies genügt keinesfalls, um die von der Sachverständigen Dr. B.-S. ausführlich dargestellten klinischen Befunde auf orthopädischem Fachgebiet zu entkräften, zumal bei der Klägerin - wie die Untersuchung durch Dr. V. zeigte - Hinweise für eine Aggravation bestanden. Hinzukommt, dass der Entlassungsbericht der Fachklinik Ho. aufgrund der Reha-Maßnahme vom 21.05.2014 bis 11.06.2014 in seiner Leistungsbeurteilung mit dem nachfolgenden Gutachten von Dr. V. weitgehend übereinstimmt. Die Klägerin kann danach sowohl die letzte Tätigkeit als auch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig verrichten.

Aber auch aus den vorliegenden psychischen Einschränkungen lässt sich eine rentenrelevante Einschränkung des Leistungsvermögens nicht begründen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (zB Urteile vom 14.12.2010, L 11 R 3243/09, vom 20.07.2010, L 11 R 5140/09 und vom 24.09.2009, L 11 R 742/09) wird der Schweregrad psychischer Erkrankungen und somatoformer Schmerzstörungen aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit abgeleitet und daran gemessen. Es ist jedoch zu beachten, dass die Tagesstrukturierung mit jedem Gutachten dürftiger ausfallen kann. Außerdem ist zu berücksichtigen, ob und in welcher Form der Betroffene versucht, einem sich aus der Schmerzstörung ergebenden Leidensdruck durch angemessene therapeutische Bemühungen entgegenzuwirken. Bei der Klägerin liegt diesbezüglich keine schwerwiegende Einschränkung vor. Aus ihren eigenen Angaben bei der Untersuchung durch Dr. V. ergibt sich, dass sie in ihrer Tagesstruktur und bei den Verrichtungen des alltäglichen Lebens zwar tatsächlich, aber nicht schwergradig, eingeschränkt ist. Sie erledigt noch weniger schwere Haushaltstätigkeiten, pflegt soziale Kontakte, geht kurze Strecken spazieren und fährt kurze Strecken mit dem Auto. Es war ihr auch möglich, zur Untersuchung anzureisen, wobei sie acht bis neun Stunden mit regelmäßigen Pausen mit dem Auto unterwegs war. Eine Schmerzgeplagtheit war bei der psychischen Befunderhebung durch Dr. V. nicht erkennbar. Hinweise für ausgeprägtere kognitive oder mnestische Defizite ergaben sich nicht.

Hinzu kommt, dass Depression und somatoforme Störung wie auch die orthopädischen Beschwerden derzeit nahezu unbehandelt sind. Zum einen haben sich bei der Untersuchung durch Dr. V. Hinweise ergeben, dass die Klägerin angegebene Schmerzmittel (Ibuprofen und Morphinpflaster) tatsächlich nicht nimmt, da sie diese ohne nachvollziehbare Begründung hierfür drei Tage vor der Untersuchung nach eigenen Angaben abgesetzt habe. Zum anderen findet eine antidepressive Medikation schon seit längerem nicht mehr statt. Die Klägerin ist auch nicht mehr in physikalischer Therapie. Die spricht nicht für einen hohen Leidensdruck. Solange überdies zumutbare Behandlungsmöglichkeiten auf psychischem bzw psychiatrischem Gebiet gar nicht (mehr) versucht werden und noch ein entsprechend erfolgversprechendes Behandlungspotential besteht, kann eine dauerhafte quantitative Leistungsminderung grundsätzlich nicht auf eine aktuell Arbeitsunfähigkeit verursachende psychische Erkrankung gestützt werden (Bayerisches LSG 15.02.2012, L 19 R 774/06; hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG 29.05.2013, 1 BvR 1522/12, BVerfGK 20, 139; siehe auch Senatsurteil 22.04.2015, L 11 R 5112/14; LSG Berlin-Brandenburg 18.09.2008, L 3 R 1816/07, juris RdNr 36).

Soweit die Klägerin mit der Berufungsbegründung rügt, dass eine bei ihr vorliegende Fibromyalgie nicht ausreichend berücksichtigt worden sei, weist der Senat darauf hin, dass die Schmerzerkrankung unabhängig von ihrer Namensgebung hier als chronische Schmerzstörung in die Beurteilung einfließt.

Der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige kommt nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 18.06.2013, L 11 R 506/12; 17.01.2012, L 11 R 4953) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens in der Regel keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen. Im Übrigen steht die Leistungseinschätzung hier nicht im Widerspruch zu den Aussagen der behandelnden Ärzte. Denn der Nervenfacharzt H. hat gegenüber dem SG wegen der psychischen Symptomatik eine vollschichtige Tätigkeit für möglich gehalten. Der Orthopäde Dr. M. hat zwar eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch bis zu vier Stunden täglich bejaht, jedoch darauf hingewiesen, dass eine gutachterliche Untersuchung zur Beurteilung des Leistungsvermögens notwendig sei und der Schwerpunkt auf psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet liege.

Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person der Klägerin eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre bestehen nicht, ein Teil der qualitativen Beschränkungen wird bereits durch den Umstand, dass nur leichte Arbeiten zumutbar sind, mitberücksichtigt. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5). Es war im Übrigen im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag unter Berücksichtigung nicht arbeitsmarktunüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen zu der Frage, inwieweit welche konkrete Tätigkeit der Klägerin noch leidensgerecht und zumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich und mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs 3 letzter Halbsatz SGB VI).

Die Wegefähigkeit ist ebenfalls gegeben. Die Klägerin ist in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von 500 Metern innerhalb von jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen sowie öffentliche Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten zweimal am Tag zu benutzen. Dies geht ua aus dem Gutachten von Dr. V. hervor. Die dort erhobenen Befunde haben keine Einschränkung der Wegefähigkeit erbracht. Das Gangbild war verlangsamt, aber ansonsten unauffällig. Bestätigt wird dies durch die eigenen Angaben der Klägerin bei der Untersuchung, wonach sie nach 500m pausieren müsse, also 500m zurücklegen kann. Auch aus den Befunden des Reha-Entlassungsberichts von Juni 2014 lässt sich eine rentenrelevante Einschränkung der Gehfähigkeit nicht ableiten. So war auch bei der Untersuchung durch Dr. B.-S. das Gangbild überwiegend flüssig.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI. Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist (vgl § 240 SGB VI), dass sie vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Die Klägerin ist 1954 und damit vor dem Stichtag geboren, sie ist jedoch nicht berufsunfähig. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs 2 Satz 1 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI). Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind (§ 240 Abs 2 Satz 3 SGB VI). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs 2 Satz 4 SGB VI). Im Rahmen der Beurteilung, ob einem Versicherten eine Tätigkeit iSd § 240 Abs 2 Sätze 2 bis 4 SGB VI sozial zumutbar sind, kann ein Versicherter auf eine Tätigkeit derselben Stufe bzw auf Tätigkeiten jeweils nächstniedrigeren Stufe verwiesen werden (zum Stufenschema des BSG vgl BSG 22.10.1996, 13 RJ 35/96, SozR 3-2200 § 1246 Nr 55; BSG 18.02.1998, B 5 RJ 34/97 R, SozR 3-2200 § 1246 Nr 61, jeweils mwN).

Für die Entscheidung der Frage, ob ein Versicherter berufsunfähig ist, ist von seinem bisherigen Beruf auszugehen. Einschlägiger Beruf ist hier die Tätigkeit als Leiterplattenbestückerin. Bei dieser Tätigkeit handelt es sich bei der nicht gelernten Klägerin um eine ungelernte Tätigkeit. Es kann deshalb offenbleiben, ob die Klägerin diese Tätigkeit noch ausüben kann. Denn sie muss sich auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen. Solche Tätigkeiten sind - wie oben ausgeführt - vollschichtig zumutbar. Das Risiko, einen leidensgerechten Arbeitsplatz auch tatsächlich zu erhalten, liegt nicht bei der Rentenversicherung.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Die vorliegenden Gutachten von Dr. B.-S. und Dr. V. haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und geben auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen zur Leistungsfähigkeit des Versicherten gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zu weiterer Beweiserhebung besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne eine weitere Sachaufklärung zu betreiben. Bei einer derartigen Fallkonstellation ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG 08.12.2009, B 5 R 148/09 B, juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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