L 11 KR 5118/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 783/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 5118/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 09.11.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten noch die Erstattung von Kosten für eine Polkörperdiagnostik (PKD) in Höhe von 4.822,39 EUR.

Die am 12.06.1986 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie schloss am 24.07.2014 mit der Einrichtung "KinderwunschTherapie im Zentrum" (KITZ) in R. einen Behandlungsvertrag (Bl 30 SG-Akte). Darin beauftragte sie die Mitarbeiter der Praxis mit der Durchführung aller notwendigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen. Sofern bis zum Ende des Quartals kein Überweisungsschein eines Frauenarztes vorliege, würden die in Anspruch genommenen Leistungen privat in Rechnung gestellt, so die Vertragspartner.

Am 02.09.2014 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Behandlung im KITZ (Bl 5 Verwaltungsakte). Ihrem Antrag fügte sie einen Behandlungsplan des KITZ vom 26.08.2014 für eine intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) bei, außerdem eine Stellungnahme des im KITZ tätigen Frauenarztes Prof. Dr. S ... Darin führte Prof. Dr. S. aus, die Klägerin sei Trägerin einer balancierten Translokation der Chromosomen 13 und 16. Um eine Befruchtung von Eizellen zu verhindern, die die Translokation enthalten, sei eine Selektion der Eizellen mit Hilfe der PKD erforderlich. Nur so sei gewährleistet, dass das Kind die Chromosomenfehlverteilung nicht trage; andernfalls bestehe die Gefahr eines Schwangerschaftsabbruchs aus medizinischer Indikation. Er bitte daher um Übernahme der vollen Kosten für eine PKD.

Die Beklagte veranlasste ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Im Gutachten vom 18.09.2014 (Bl 12) gelangte Dr. W.-O. zu der Einschätzung, dass Kosten für die PKD nicht übernommen werden könnten. Die Durchführung sei zwar unter Einhaltung des Embyonenschutzgesetzes erlaubt, aber nicht zu Lasten der GKV. Überdies seien bei der Klägerin im Vorfeld bereits 2x In-Vitro-Fertilisation-(IVF)-Maßnahmen erfolgt, weshalb die Voraussetzungen für einen Wechsel auf ICSI nicht vorlägen.

Gestützt auf das MDK-Gutachten lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22.09.2014 (Bl 14 Verwaltungsakte) die beantragte Kostenübernahme ab. Die PKD gehöre nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch an den Kosten der geplanten ICSI könne sie sich nicht beteiligten. Denn die Voraussetzungen der Richtlinien über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung seien nicht erfüllt: Die Klägerin habe bereits zweimal erfolglos eine IVF mit Embryotransfer versucht. In einem solchen Fall komme ein dritter Versuch - nun als ICSI - nicht in Betracht.

Am 03.10.2014 begann die Klägerin nach eigenen Angaben im KITZ mit der beantragten Behandlung (Bl 20 SG-Akte).

Am 06.10.2014 legte sie gegen den Bescheid Widerspruch ein. Zur Begründung verwies sie auf eine beigefügte Stellungnahme Prof. Dr. S. vom 26.09.2014. Darin führte Prof. Dr. S. ua aus, nach den vorliegenden Spermiogrammen sei eine ICSI erforderlich. Entgegen der Auffassung der Beklagten seien die Voraussetzungen der Richtlinien über künstliche Befruchtung erfüllt.

Die Beklagte holte daraufhin ein weiteres Gutachten des MDK vom 24.10.2014 (Bl 30 Verwaltungsakte) ein. Dr. E. führte aus, dass zwar die Kosten der PKD nicht, jedoch die Kosten der ICSI-Behandlung übernommen werden könnten.

Die Beklagte half hierauf mit Bescheid vom 05.11.2014 (Bl 32 Verwaltungsakte) dem Widerspruch teilweise ab: Kosten für einen weiteren ICSI-Versuch würden übernommen.

Die Rechnungen vom 30.10.2014 und 13.11.2014 über Kosten der PKD in Höhe von insgesamt 4.822,39 EUR (Bl 31 f SG-Akte) hat die Klägerin beglichen.

Mit Schreiben vom 11.12.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass dem Widerspruch hinsichtlich der PKD-Kosten nicht abgeholfen werden könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin hinsichtlich der PKD-Kosten als unbegründet zurück. Zur Begründung bekräftigte sie ihre Auffassung, wonach es sich bei der PKD um keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung handele. Als vertragsärztliche Alternativen wären ein Bluttest, eine Ultraschalluntersuchung und eine Fruchtwasseranalyse in Betracht gekommen.

Hiergegen hat die Klägerin am 05.03.2015 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Die durchgeführte PKD sei notwendig gewesen. Sie – die Klägerin - sei Trägerin einer balancierten Translokation der Chromosomen 13 und 16. Chromosomenfehlverteilungen trügen maßgeblich zum Verlust von Embryonen vor und nach der Implantation bei. Angesichts dessen habe der Arzt bei ihr Eizellen mit möglichen Chromosomenfehlsteilungen mit Hilfe der PKD vom Befruchtungsvorgang ausschließen müssen. Die PKD diene also der Verhinderung eines Schwangerschaftsabbruchs aus medizinischer Indikation. Es könne ihr und ihrem Ehemann nicht zugemutet werden, die Ergebnisse vorgeburtlicher Diagnostik in den späteren Schwangerschaftsabbrüchen abzuwarten. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Nikolaus-Beschluss vom 06.12.2005) stütze ihre Auffassung. Für die PKD habe sie insgesamt 4.822,39 EUR bezahlt. Diese Kosten müsse die Beklagte erstatten. Außerdem habe die Beklagte trotz ihres Bewilligungsbescheids vom 05.11.2014 nicht die gesamten Kosten für die ICSI beglichen. Offen seien diesbezüglich Rechnungen über insgesamt 566,64 EUR.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide Bezug genommen. Ergänzend hat sie ausgeführt, im Hinblick auf die PKD sei eine grundrechtsorientierte Erweiterung des Leistungskatalogs nach Maßgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 nicht geboten. Denn zum einen gehe es nicht um eine akut lebensbedrohliche Erkrankung; zum anderen hätten Behandlungsalternativen zur Verfügung gestanden. Im Übrigen seien in den bezifferten Kosten für die PKD in Höhe von 4.822,39 EUR auch Aufwendungen für die Kryo-Konservierung von Keimzellen und für die Vitrifikation enthalten. Hierbei handele es sich ebenfalls um keine Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung; denn es seien keine Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung gemäß § 27a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Im Hinblick auf die weiteren von der Klägerin geltend gemachten Kosten in Höhe von 566,64 EUR gelte Folgendes: Die Aufwendungen für das Arzneimittel Brevactid (36,27 EUR) werde sie der Klägerin erstatten. Eine Erstattung der sonstigen Aufwendungen sei hingegen nicht möglich.

Mit Urteil vom 09.11.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie habe keinen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Kosten, weder aufgrund des Bewilligungsbescheids vom 05.11.2014 noch aufgrund Gesetzes. Mit dem Bescheid vom 5.11.2014 habe die Beklagte die Kosten für einen Zyklus der ICSI übernommen. Der genaue Umfang der Bewilligung ergebe sich aus dem genehmigten Behandlungsplan vom 26.08.2014, der dem Bescheid beigefügt gewesen sei. In diesem Behandlungsplan würden nur Leistungen für eine ICSI aufgelistet, nicht hingegen für eine PKD. Außerdem seien Gegenstand des Behandlungsplans und damit auch der Bewilligung ausschließlich Leistungen des KITZ. Der Plan und die Bewilligung gälten nicht für andere medizinische Leistungen. Vor diesem Hintergrund seien nicht nur die Aufwendungen für die PKD (4.822,39 EUR) von der Bewilligung ausgenommen, sondern auch die weiteren von der Klägerin geltend gemachten Kosten (566,64 EUR). Ein Anspruch aus § 13 Abs 3 S 1 SGB V setze zwingend voraus, dass der Versicherte einen Anspruch auf die selbstbeschaffte Leistung gehabt habe. Dies sei nicht der Fall. Die PKD gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Bei ihr handele es sich weder um Krankenbehandlung nach § 27 SGB V noch um eine Maßnahme zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach § 27a SGB V. Der Vortrag der Klägerin, eine PKD sei gegenüber einer sonst drohenden späteren Abtreibung vorzugswürdig, führe zu keinem Anspruch auf diese Leistung. Denn der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, jede nicht verbotene Form der medizinisch unterstützten Erzeugung menschlichen Lebens in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einzubeziehen. Eine unaufschiebbare Leistung habe nicht vorgelegen. Die weiteren Leistungen, die zu Kosten in Höhe von insgesamt 566,64 EUR geführt hätten, habe die Klägerin nicht vorher bei der Beklagten geltend gemacht. Zeitlich wäre ihr dies ohne weiteres möglich gewesen.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 13.11.2015 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil des SG hat die Klägerin am 02.12.2015 Berufung beim SG eingelegt, welche dem Landessozialgericht Baden-Württemberg am 10.12.2015 vorgelegt worden ist. Die Klägerin hat die Berufung begrenzt auf die Kostenübernahme der PKD in Höhe von 4.822,39 EUR. Zur Begründung hat die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Sie habe die PKD beantragt, da ihr trotz bereits stattgehabter zweimaliger ICSI gleichwohl als Trägerin einer balancierten Translokation der Chromosomen 13 und 16 jeweils keine Befruchtung von Eizellen gelungen sei, die diese Translokation nicht enthalten hätten. Deshalb sei sie auf die Selektion dieser Eizellen mit Hilfe der PKD angewiesen. Im Wege einer Ermessensreduzierung auf Null könne ihr nicht zugemutet werden, ohne die PKD das Risiko weiterer Fehlgeburten auf sich zu nehmen. Bereits ihre Mutter habe insgesamt sieben Fehlgeburten erlitten. Aufgrund des unerfüllten Kinderwunsches sei auch ihr Ehemann in psychotherapeutischer Behandlung. Es bestehe eine dauerhafte Belastung der Paarbeziehung. Aufgrund dieser Umstände habe sie Anspruch auf Erstattung der Kosten für die PKD. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) stehe nicht entgegen. Das Bundessozialgericht habe zwar ausgeführt, dass die gesetzliche Krankenversicherung nicht jedem Kinderwunsch durch Übernahme der PKD in den Leistungskatalog nachkommen könne. Jedoch sei im vorliegenden Fall die PKD in Anbetracht der genetisch gesicherten Vorschädigung der Klägerin und in Anbetracht der sieben Fehlgeburten der Mutter sowie der psychotherapeutischen Behandlung des Ehemannes die erforderliche Leistung, auf die ein Anspruch bestehe

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 09.11.2015 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 22.09.2014 und 05.11.2014, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.02.2015, zu verurteilen, ihr Kosten für die durchgeführte PKD in Höhe von 4.822,39 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt auf die Ausführungen des SG und auf das Urteil des BSG vom 12.09.2015 (B 1 KR 15/14 R) Bezug. Sie weist darauf hin, dass die weiteren auf den vorgelegten Rechnungen bezüglich der PKD aufgeführten Leistungen (Assisted Hatching, Kryokonservierung, Vitrifikation) nicht zum Umfang der GKV gehörten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, zulässig aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf die Erstattung der Kosten für die durchgeführte PKD in Höhe von 4.822,39 EUR.

Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten ist § 13 Abs 3 S 1 2. Alt SGB V. Hat die Krankenkasse danach eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der KK in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Dieser Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, Rn 11 mwN; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, Rn 13). Daran fehlt es. Die Klägerin erfüllt weder die Anspruchsvoraussetzungen einer Krankenbehandlung noch medizinischer Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft im Wege der künstlichen Befruchtung. Die Nichteinbeziehung der PKD in den GKV-Leistungskatalog verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.

Als Rechtsgrundlage eines Anspruchs gegen die Beklagte auf Versorgung mit einer PKD im Rahmen der Krankenbehandlung als Naturalleistung kommt § 27 Abs 1 S 1 und S 2 Nr 1 SGB V sowie S 4 in Betracht. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verlorengegangen war. "Krankheit" im Rechtssinne erfordert einen regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 24 Rn 9; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, Rn 10; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, Rn 4 alle mwN).

Die Polkörperdiagnostik gehört nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (BSG 12.09.2015, B 1 KR 15/14 R, NZS 2015, 944).

Das BSG, dem sich der Senat anschließt, hat ausgeführt, dass durch eine PKD-IVF-Behandlung keine Funktionsbeeinträchtigung erkannt, geheilt, gelindert oder ihre Verschlimmerung verhütet werden soll und es insoweit offen bleiben kann, ob ein Gendefekt, der keine pathophysiologischen Wirkungen beim Träger des Erbguts entfaltet und auch voraussichtlich nicht entfalten wird, aber vererblich ist und uU gravierende Folgen für die Nachkommen haben kann, gleichwohl als gegenwärtig bestehende Krankheit (Konduktoreigenschaft) im Sinne eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes anzusehen ist (vgl BSG 12.09.2015, B 1 KR 15/14 R, NZS 2015, 944 unter Hinweis auf BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 7 Rn 24 - Vitiligo). Die PKD-IVF-Behandlung bezweckt, befruchtete Eizellen im Vorkernstadium zu untersuchen und sie ggf absterben zu lassen, wenn nach ärztlicher Erkenntnis der daraus entstehende Embryo Träger des Gendefekts wird (vgl BSG 12.09.2015, B 1 KR 15/14 R aaO). Die PKD dient der Vermeidung zukünftigen Leidens eines eigenständigen Lebewesens, nicht aber der Behandlung eines vorhandenen Leidens. § 8 Abs 1 Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz - ESchG) vom 13.12.1990 (BGBl I 2746) bestimmt, dass als Embryo im Sinne des ESchG bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an gilt, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag. Die PKD hingegen dient der Ermittlung genetischer Defekte von befruchteten Eizellen der Mutter im Vorkernstadium, also im vorembryonalen Stadium, und erfolgt damit in einem Zeitpunkt vor dem Abschluss der Entstehung neuen Lebens (BSG 12.09.2015, B 1 KR 15/14 R aaO). Die PKD gehört auch nicht zu den Leistungen zur Herstellung der Zeugungsfähigkeit und auch nicht zu den Leistungen der Früherkennungsuntersuchung (§§ 25 und 26 SGB V); eine analoge Anwendung des § 24a Abs 2 SGB V (Anspruch auf Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln oder Notfallkontrazeptiva) scheidet gleichfalls aus (BSG 12.09.2015, B 1 KR 15/14 R aaO).

Ein Anspruch besteht auch nicht nach den Maßstäben der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bzw nach § 2 Abs 1a SGB V, wie das BSG, dem sich der Senat anschließt, ausgeführt hat (BSG 12.09.2015, B 1 KR 15/14 R aaO unter Hinweis auf BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 und BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 Rn 14 mwN zur Rspr; s ferner BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 9 Rn 12 ff). Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass es zum einen nicht um eine akut lebensbedrohliche Erkrankung geht und zum anderen Behandlungsalternativen zur Verfügung gestanden haben. Im Übrigen sind in den bezifferten Kosten für die PKD in Höhe von 4.822,39 EUR auch Aufwendungen für die Kryo-Konservierung von Keimzellen und für die Vitrifikation enthalten. Hierbei handelt es sich ebenfalls um keine Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf PKD als Gegenstand der künstlichen Befruchtung, die in § 27a SGB V als GKV-Leistung abschließend geregelt ist. § 27a SGB V setzt als Grund für einen Anspruch auf Leistungen der künstlichen Befruchtung nur die Unfruchtbarkeit des Ehepaares voraus. Die vorgesehenen Maßnahmen müssen zur Herbeiführung der gewünschten Schwangerschaft erforderlich und nach ärztlicher Einschätzung Erfolg versprechend sein. Welche Umstände die Infertilität verursachen und ob ihr eine Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne zugrunde liegt, ist unerheblich. Nicht die Krankheit, sondern die Unfähigkeit des Paares, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen, und die daraus resultierende Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung bildet den Versicherungsfall (stRspr, vgl BSGE 88, 62, 64 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 24; BVerfGE 117, 316, 325 f = SozR 4-2500 § 27a Nr 3 Rn 34; BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 5 Rn 13; BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 7 Rn 14; Hauck SGb 2009, 321, 322 mwN). Die PKD ist zur Herbeiführung einer gewünschten Schwangerschaft weder erforderlich noch Erfolg versprechend (vgl BSG 12.09.2015, B 1 KR 15/14 R aaO). Sie ist vom Anspruch aus § 27a SGB V nicht umfasst. Ihr Zweck liegt - wie dargelegt - darin, befruchtete Eizellen im Vorkernstadium zu untersuchen und sie ggf absterben zu lassen, wenn sie nach ärztlicher Erkenntnis einen Gendefekt aufweisen, nicht aber in der Herbeiführung einer Schwangerschaft. Umgekehrt sind Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nicht auf die PKD angewiesen.

Die Leistungseingrenzung des § 27a SGB V allein auf medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wie das BSG, dem der Senat folgt, bereits entschieden hat (BSG 12.09.2015, B 1 KR 15/14 R aaO). Art 3 Abs 1 GG gebietet es nicht, dass die Gerichte die Behebung einer Fertilitätsstörung mit der Embryonen-Vorauswahl zur Vermeidung erbkranken Nachwuchses bei bestehender Fertilität gleichsetzen (vgl BVerfG 30.11.2001, 1 BvR 1764/01, juris Rn 2; BSG 18.11.2014, B 1 KR 19/13 R, BSGE 117, 212, SozR 4-1500 § 27 Nr 26 Rn 19). Gleiches gilt für die Vorauswahl befruchteter Eizellen im vorembryonalen Stadium (Vorkernstadium). Der Verweis der Klägerin darauf, dass eine PKD gegenüber einer grundsätzlich möglichen, zum GKV-Leistungskatalog gehörenden späteren Abtreibung (vgl § 24b SGB V) rechtsethisch vorzugswürdig sei, vermag daran nichts zu ändern und keinen Anspruch auf PKD-Leistungen zu begründen (BSG 12.09.2015, B 1 KR 15/14 R aaO). Im Übrigen ist fraglich, ob nicht aufgrund der methodischen Besonderheiten der PKD dennoch eine Pränataldiagnostik zur Sicherung der Diagnose durchgeführt wird, so dass das Argument der Vermeidung eines rechtsethisch unerwünschten Schwangerschaftsabbruchs nur eingeschränkt gilt. Diese Frage kann jedoch offenbleiben, da es hierauf nicht ankommt. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, jede nicht verbotene Form der "medizinisch unterstützten Erzeugung menschlichen Lebens" (so die Formulierung des Kompetenztitels in Art 74 Abs 1 Nr 26 GG) in den GKV-Leistungskatalog einzubeziehen. § 27a SGB V regelt keinen Kernbereich der Leistungen der GKV, sondern begründet einen eigenständigen Versicherungsfall, vor dem Maßnahmen der Krankenbehandlung Vorrang haben. Es liegt im Rahmen der grundsätzlichen Freiheit des Gesetzgebers, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der GKV näher zu bestimmen, auch - wie hier - in einem Grenzbereich zwischen Krankheit und solchen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen eines Menschen, deren Beseitigung oder Besserung durch Leistungen der GKV nicht von vornherein veranlasst ist (vgl BVerfGE 117, 316, 326 = SozR 4-2500 § 27a Nr 3 Rn 35).

Soweit die Klägerin beantragt hat, einen Streitwert für das Verfahren festzusetzen, wird darauf hingewiesen, dass das Verfahren für die Klägerin gerichtskostenfrei ist (§ 183 SGG), eine Streitwertfestsetzung mangels Anwendbarkeit des Gerichtskostengesetzes nicht erfolgt und sich die anwaltliche Vergütung nach § 193 SGG iVm §§ 3, 14 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz nach den einschlägigen Ziffern des VV, inbes 3102, 3204 richtet (vgl Münker in Hennig, SGG, § 193 Rn 80 ff). Eine Streitwertfestsetzung ist daher untunlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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