L 7 AS 124/11

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 29 AS 100/07
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 124/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Auslegung von "erstmalig nach dem Ende des Bezuges von Arbeitslosengeld zustehenden Arbeitslosengeld II" im Sinne des § 24 Abs. 2 Nr. 2 SGB II a.F., insbesondere zum Zeitpunkt, zu welchem das der Bedarfsgemeinschaft zustehende Arbeitslosengeld II als Vergleichsgröße zu betrachten ist
I. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 26. August 2010 aufgehoben. Die Bescheide des Beklagten vom 25. Oktober 2006 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 14. Dezember 2006 in der Fassung des Änderungsbe-scheides vom 20. Dezember 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 11. August 2010 werden geändert und der Beklagte wird verpflichtet, den Klägern für den Zeit-raum vom 1. November 2006 bis 30. April 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II und dem Kläger zu 2 einen monatlichen Zu-schlag in Höhe von 182,00 EUR abzüglich des ihm bereits geleisteten Zuschlags zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2 im Berufungs-verfahren zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger und Berufungskläger (im Folgenden: Kläger) begehren die Gewährung höherer Leistungen durch die Bewilligung eines weiteren Zuschlags nach § 24 Zweites Buch Sozi-algesetzbuch in der bis 31.12.2010 geltenden Fassung (SGB II a.F.) in Höhe von 182,00 EUR monatlich im Zeitraum vom 01.11.2006 bis 30.04.2007.

Die 1964 geborene Klägerin zu 1, ihr ebenfalls 1964 geborener Ehemann, der Kläger zu 2, und der am 04.08.1993 geborene gemeinsame Sohn, der Kläger zu 3, beziehen seit De-zember 2005 laufend Leistungen nach dem SGB II vom Beklagten und Berufungsbeklag-ten (seit 01.01.2011: Jobcenter; im Folgenden: Beklagter). Die Klägerin zu 1 bezog bis 20.11.2005 Arbeitslosengeld I nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), der Kläger zu 2 bis 30.05.2006. Bei der Leistungsberechnung gewährte der Beklagte der Klä-gerin zu 1 monatlich einen Zuschlag nach § 24 SGB II a.F. in der jeweils geltenden Fas-sung in Höhe von 198,00 EUR und für den Kläger zu 2 in Höhe von 29,00 EUR bis 31.01.2007.

Die Kläger bewohnten seit November 2005 eine 76 qm große Wohnung (1. OG und DG) mit drei Zimmern, möblierter Küche und Bad, für die sie insgesamt 504,16 EUR monatlich zu zahlen hatten. Für Abfall fielen Jahresgebühren von 98,00 EUR und für Müllmarken 9,00 EUR monatlich an. Ferner wurden Briketts zum Heizen gekauft. Ab 01.06.2006 war der Kläger zu 2 als Zahntechniker und Betriebsleiter im Dentallabor N K in O beschäftigt und erhielt laut Einkommensnachweis jeweils am 30. des laufenden Monats Gehalt, und zwar von Juni bis September 2006 in Höhe von 1.400,00 EUR brutto und ab 01.10.2006 in Höhe von 1.100,00 EUR brutto bzw. 866,25 EUR netto. Laut Kontoauszug wurde ihm am 19.06.2006 eine Überweisung von N K mit Verwendungszweck Lohn für Juni 2006 in Höhe von 1.105,50 EUR auf seinem Konto gutgeschrieben.

Mit Bescheid vom 25.10.2006 gewährte der Beklagte den Klägern Leistungen für den Zeitraum vom 01.11.2006 bis 30.11.2006 in Höhe von 705,25 EUR, davon 379,35 EUR für Kosten der Unterkunft und Heizung. Der Klägerin zu 1 wurde ein Zuschlag in Höhe von 165,00 EUR und dem Kläger zu 2 ein Zuschlag von 29,00 EUR bewilligt. Für die Zeit vom 01.12.2006 bis 30.04.2007 wurden 639,25 EUR monatlich gewährt, wobei der Kläge-rin zu 1 nur noch ein Zuschlag in Höhe von 99,00 EUR bewilligt wurde. Den Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2006 zurück. Der Be-klagte setzte Einkommen aus der Erwerbstätigkeit des Klägers zu 2 mit einem anzurech-nenden Betrag in Höhe von 596,25 EUR und das für den Kläger zu 3 gezahlte Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR an. Der Klägerin zu 1 sei ein Zuschlag zu gewähren, der sich nach Ablauf des ersten Jahres um 50 vom Hundert vermindere. Sie habe letztmalig am 20.11.2005 Arbeitslosengeld I bezogen; bis Oktober 2006 sei ihr ein Zuschlag von 198,00 EUR gewährt worden. Für November 2006 sei der Zuschlag anteilig zu gewähren (198: 30 Tage x 20 Tage + 99: 30 Tage x 10 Tage); im Dezember betrage der Zuschlag 99,00 EUR. Der Kläger zu 2 habe keinen Anspruch auf einen Zuschlag, weil der Anspruch auf Arbeitslosengeld II der Bedarfsgemeinschaft der Kläger (ohne Anrechnung des Arbeitslosengeldes I vom Kläger zu 2) erstmalig nach Ende des Bezuges von Arbeitslosengeld I des Klägers zu 2 der Höhe nach über dem Arbeitslosengeld I-Betrag gelegen habe. Somit ergebe sich für November ein Leistungsanspruch in Höhe von 705,25 EUR und für den Zeitraum 01.11.2006 bis 30.04.2007 in Höhe von 639,25 EUR monatlich. Der Bescheid vom 25.10.2006 begünstige die Kläger zu Unrecht.

Mit Änderungsbescheid vom 20.12.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2007 wurde die Bewilligung eines Zuschlags an den Kläger zu 2 ab 01.02.2007 auf-gehoben.

Am 10.01.2007 haben die Kläger beim Sozialgericht Chemnitz Klage erhoben. Sie begehr-ten zunächst einen höheren Regelleistungssatz für den Kläger zu 3, ungekürzte Kosten der Unterkunft und Heizung, eine korrekte Berechnung der Warmwasserpauschale und bezo-gen sich hinsichtlich des Zuschlags auf Urteile des Bundessozialgerichts vom 31.10.2007 ((BSG), B 14 AS 30/07 R und B 14/11b AS 5/07 R). Der Beklagte habe zu Unrecht eine fiktive Haushaltslage am 31.05.2006 zugrunde gelegt, statt die am 01.06.2006 tatsächlich bestehende Haushaltslage zu berücksichtigen. Der Beklagte hat erwidert, der 31.05.2006 sei maßgeblich, da der Kläger zu 2 bis 30.05.2006 Arbeitslosengeld I bezogen habe. Werde zu Beginn des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II im gleichen Monat bezogenes Arbeitslo-sengeld I auf den Bedarf angerechnet, bleibe bei der Berechnung des Zuschlags das anzu-rechnende Arbeitslosengeld I außer Betracht. Der Bedarf von damals 1.306,43 EUR sei nur um das Kindergeld (154,00 EUR) zu mindern gewesen. Dies ergebe einen Betrag in Höhe von 1.152,43 EUR. Da der Bedarf der gesamten Bedarfsgemeinschaft höher als das zuletzt bezogene Arbeitslosengeld I (1.117,20 EUR) sei, stehe dem Kläger zu 2 kein Zu-schlag zu.

Mit Änderungsbescheid vom 11.08.2010 hat der Beklagte den Klägern für November 2006 Leistungen in Höhe von 773,65 EUR wie bisher gewährt, zusätzlich unter Berücksichti-gung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung abzüglich der Warmwasserpau-schale in Höhe von 506,40 EUR, für die Zeit vom 01.12.2006 bis 31.01.2007 in Höhe von 707,65 EUR und vom 01.02.2007 bis 30.04.2007 ohne einen Zuschlag für den Kläger zu 2.

In der mündlichen Verhandlung am 26.08.20010 haben die Kläger das Teilanerkenntnis des Beklagten bezüglich der Kosten der Unterkunft und Heizung angenommen und zuletzt beantragt, den Beklagten unter Änderung der entgegenstehende Bescheide zu verpflichten, für den Zeitraum November 2006 bis April 2007 dem Kläger zu 2 einen Zuschlag in Höhe von 182,00 EUR abzüglich des bereits geleisteten Zuschlags zu gewähren.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 26.08.2010 abgewiesen. Die auf die Ge-währung höherer Leistungen (ohne Kosten der Unterkunft und Heizung) gerichtete Klage sei unbegründet, weil der Beklagte den Bedarf und die den Klägern zustehenden Leistun-gen zutreffend berechnet habe. Die Bewilligung eines Zuschlags nach § 24 SGB II a.F. an die Klägerin zu 2 sei nicht zu beanstanden. Dem Kläger zu 2 stehe kein befristeter Zuschlag nach § 24 SGB II a.F. zu, weil die Voraussetzungen dafür bei ihm nicht vorlägen, da er nicht erstmalig nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I am 30.05.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezogen habe, sondern bereits vorab Leistungsbezieher nach dem SGB II gewesen sei. Er habe als Mitglied seiner Bedarfsge-meinschaft bereits seit Ende 2005 Leistungen nach dem SGB II bezogen. Eine nach dem Willen des Gesetzgebers abzufedernde Übertrittssituation sei damit beim Kläger zu 2 überhaupt nicht vorhanden. Er habe nicht erstmalig nach Ende des Bezuges von Arbeitslo-sengeld I Leistungen nach dem SGB II bezogen.

Am 16.02.2011 haben die Kläger gegen das ihrem vormaligen Prozessbevollmächtigten am 20.01.2011 zugestellten Urteil Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiterver-folgen. Sie tragen vor, es errechne sich auch für den Kläger zu 2 nach Auslaufen des Alg I-Bezuges ein befristeter Zuschlag. Dass er bereits Mitglied der Bedarfsgemeinschaft gewe-sen sei, spiele keine Rolle, denn sonst könne der Partner, der als zweiter den befristeten Zuschlag beanspruchen wolle, diesen niemals erhalten. Es sei lediglich vorgegeben, dass innerhalb von zwei Jahren nach dem Auslaufen des Alg I-Bezuges ein Anspruch auf Alg II bestehen müsse, um eine Voraussetzung für den befristeten Zuschlag zu erfüllen. Das Ur-teil stehe nicht im Einklang mit der Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen L 8 AS 215/06, wonach es für Zeiträume vor 2006 bei der ursprünglichen Rege-lung verbleibe. Die alte, bis 31.07.2006 geltende Fassung des § 24 SGB II beinhalte nicht das Wort "erstmalig". Es sei auf den Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Alg I-Bezug abzustellen.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 26.08.2011 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 25.10.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2006 in der Fassung des Änderungsbe-scheides vom 20.12.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 11.08.2010 zu ver-pflichten, für den Zeitraum November 2006 bis April 2007 dem Kläger zu 2 einen Zuschlag in Höhe von 182,00 EUR monatlich abzüglich des bereits ge-leisteten Zuschlags zu gewähren.

Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge im vorliegenden und im Berufungsverfahren L 7 AS 125/11 sowie die Leistungsakte des Beklagten (10 Heftungen) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte und zulässige, insbesondere innerhalb der Frist des §§ 172, 173 Sozialge-richtsgesetz (SGG) eingelegte Berufung ist begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts ist aufzuheben, soweit dem Kläger zu 2 kein (weiterer) Zu-schlag nach § 24 SGB II a.F. monatlich gewährt wurde. Insoweit ist der Bescheid des Be-klagten vom 25.10.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2006 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 20.12.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 11.08.2010 rechtswidrig und verletzt den Kläger zu 2 in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Die genannten Be-scheide sind entsprechend zu ändern. Der Beklagte ist zu verpflichten, dem Kläger zu 2 für den Zeitraum November 2006 bis April 2007 einen Zuschlag in Höhe von 182,00 EUR monatlich abzüglich des ihm bereits geleisteten Zuschlags zu gewähren.

Streitgegenstand ist vorliegend die Bewilligung von Mehrleistungen in Höhe von 182,00 EUR monatlich für die Zeit vom 01.11.2006 bis 30.04.2007 durch den Beklagten an die Kläger unter Anrechnung des dem Kläger zu 2 bereits für die Zeit vom 01.11.2006 bis 31.01.2007 gewährten Zuschlags in Höhe von monatlich 29,00 EUR. Die Kosten der Un-terkunft und Heizung sind nicht mehr streitig. Zulässigerweise haben die Kläger den Streitgegenstand daher schon vor dem Sozialgericht auf die Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich Zuschläge im Bewilligungszeitraum vom 01.11.2006 bis 30.04.2007 beschränkt. Eine weitere Beschränkung allein auf den Zuschlag nach § 24 SGB II a.F. ist nicht möglich (vgl. BSG, Urteile vom 19.03.2008 – B 11b AS 33/06 R, RdNr. 11, und vom 27.02.2008 – B 14 AS 23/07 R, RdNr. 18, jeweils zitiert nach Juris, m.w.N.).

Da es sich jeweils um Individualansprüche der Kläger handelt, können die Kläger zu 1 und 3 schon keine eigene Rechtsverletzung wegen der ihrer Ansicht nach zu niedrigen bzw. fehlenden Bewilligung eines Zuschlags nach § 24 SGB II a.F. an den Kläger zu 2 geltend machen. Ihre Berufung bleibt daher schon deswegen ohne Erfolg, weil nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen ist, welche Mehrleistungen ihnen jeweils zustehen könnten.

Da die Kläger hilfedürftig i.S.d. § 9 Abs. 1 SGB II a.F. sind, weil sie ihren vom Beklagten und dem Sozialgericht zutreffend ermittelten Bedarf im streitigen Zeitraum nicht ausrei-chend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern können, kann der Kläger zu 2 einen befris-teten Zuschlag nach § 24 SGB II a.F. beanspruchen. Der Bezug von Arbeitslosengeld I endete beim Kläger zu 2 am 30.05.2006 und zwar während des Bezuges von Arbeitslosen-geld II, das die Bedarfsgemeinschaft der Kläger seit dem 01.12.2005 erhält. Die Frist des § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II a.F. läuft kalendermäßig ab, § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 26 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Sie beginnt entsprechend § 187 Abs. 1 Bürgerli-ches Gesetzbuch (BGB) am Tag nach dem letzten Tag des Arbeitslosengeld I-Bezuges und endet nach § 188 Abs. 1 BGB mit dem Ablauf des letzten Tages der Frist (vgl. BSG, Urteil vom 31.07.2007 – B 14/7b AS 42/06 R, RdNr. 25). Danach kommt für den Kläger zu 2 grundsätzlich ein Anspruch auf einen Zuschlag nach § 24 SGB II a.F. für die Zeit vom 31.05.2006 bis zum 30.05.2008 und damit auch für den streitigen Zeitraum in Betracht, wenn die übrigen Voraussetzungen für diese Leistung vorliegen.

Dem Kläger zu 2 steht der monatliche Zuschlag im streitigen Zeitraum in der beantragten Höhe zu, weil sich nach mehreren vom Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck der in-zwischen außer Kraft getretenen Vorschrift getragenen Auslegungsmöglichkeiten eine Dif-ferenz zwischen dem zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld I und dem der Bedarfsgemein-schaft zustehenden Arbeitslosengeld II ergibt.

Nach § 24 Abs. 1 SGB II a.F. in der im maßgeblichen Zeitraum seit 01.08.2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 (BGBl. I S. 1706) erhält der erwerbsfähige Hilfebedürftige, soweit er innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld I Arbeitslosengeld II bezieht, in diesem Zeitraum einen monatlichen Zuschlag. Nach Ablauf des ersten Jahres wird der Zuschlag um 50 vom Hundert vermindert. Der Zuschlag beträgt zwei Drittel des Unterschiedsbetrages zwischen dem von dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zuletzt be-zogenen Arbeitslosengeld I und dem nach dem Wohngeldgesetz erhaltenen Wohngeld (Nr. 1) und dem dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und den mit ihm in Bedarfsgemein-schaft lebenden Angehörigen erstmalig nach dem Ende des Bezuges von Arbeitslosengeld zustehenden Arbeitslosengeld II nach § 19 SGB II oder Sozialgeld nach § 28 SGB II; ver-lässt ein Partner die Bedarfsgemeinschaft, ist der Zuschlag neu festzusetzen (Nr. 2).

Anders als die Kläger meinen, kommt es dabei nicht auf die Rechtslage nach dem SGB II zu dem Zeitpunkt an, als der Arbeitslosengeld I-Anspruch des Klägers zu 2 endete, hier: den 30.05.2006, sondern auf die Rechtslage, die für den Zeitraum gilt, für den Leistungen beantragt werden. Denn die Ansprüche der Kläger unterliegen jeweils einer gesonderten Prüfung der Voraussetzungen zu Beginn des jeweiligen Bewilligungsabschnittes. Diese Bewilligungsabschnitte beruhen nicht auf demselben Entstehungsgrund i.S. eines Stamm-rechts wie bei wiederkehrenden und laufenden Leistungen, denen die Wiederholung, die Gleichhaltigkeit und der Ursprung in demselben Rechtsverhältnis gemeinsam sind (vgl. BSG, Beschluss vom 22.07.2010 – B 4 AS 77/10 B, RdNr. 5). Vielmehr sind alle Voraus-setzungen der Ansprüche in jedem Bewilligungsabschnitt voneinander unabhängig neu zu prüfen. Der Anspruch entsteht jeweils neu. Er richtet sich nicht nach den Voraussetzungen, die zu Beginn des erstmaligen Leistungsbezugs gegeben waren. Die Gleichartigkeit der wiederkehrenden Leistungen allein ist kein sachlicher Grund, der eine einheitliche Ermitt-lung der Beschwer rechtfertigt (vgl. BSG, Urteil vom 18. 03.1982 – 7 RAr 50/80, SozR 4100 § 118 Nr. 10).

Zwar trifft es zu, dass in keiner der von 01.01.2005 bis 31.07.2006 geltenden Fassungen des § 24 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB II a.F. die Formulierung "erstmalig" auftaucht. Darauf kommt es indes nicht an. Denn sowohl nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 16/1410 S. 24) als auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts handelt es sich jedenfalls insoweit um eine Klarstellung und keine Neuregelung, soweit auf die Leistungs-höhe zum Zeitpunkt des erstmaligen Bezugs nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitslosen-geld I-Bezug abzustellen ist (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 – B 14 AS 30/07 R, RdNrn. 25 und 26). Sowohl aus der Wortwahl als auch der Zusammenschau beider Neuregelungen zum 01.08.2006 ist zu schließen, dass nur im Falle des Ausscheidens eines Partners aus der Bedarfsgemeinschaft der befristete Zuschlag, der auf Grundlage des erstmaligen Arbeitslo-sengeld II- bzw. Sozialgeldbezugs festgestellt worden ist, eine Änderung erfahren soll (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 – B 14/11b AS 5/07 R, RdNr. 28). Das bedeutet, dass ein Zuschlag nach § 24 SGB II a.F. anhand der Berechnungsfaktoren für den erstmaligen Be-zug von Arbeitslosengeld II nach dem Ende des Bezuges von Arbeitslosengeld I in einer Bedarfsgemeinschaft ermittelt wird und eine Änderung der Einkommensverhältnisse der Bedarfsgemeinschaft danach außer Betracht bleibt (vgl. auch Knick¬rehm in Eicher/¬Spell-brink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 24 RdNr. 7; Brünner in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 24 RdNr. 11).

Abzustellen ist auf die Höhe des Arbeitslosengeld II-An¬spruchs im Zeitpunkt des erstmali-gen Bezuges von SGB II-Leistungen nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitslosengeld I-Bezug (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 – B 14/11b AS 5/07 R, RdNr. 20). Anspruch auf einen befristeten Zuschlag hat der Kläger zu 2 demzufolge nur dann, wenn sich bei Ver-gleich der beiden Haushaltslagen, wie sie durch den Bezug von Arbeitslosengeld I und den Anspruch der Bedarfsgemeinschaft auf Arbeitslosengeld II i.S.d. § 19 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB II a.F. sowie Sozialgeld geprägt wurden, ein positiver Differenzbetrag ergibt. Gegenüber zu stellen ist also auf der einen Seite das zuletzt vom Kläger zu 2 bezogene Arbeitslosengeld I in Höhe von 1.117,20 EUR; Wohngeld haben die Kläger nicht erhalten.

Streitig ist der Wert des gegenüber zu stellenden Betrages, nämlich des Arbeitslosengel-des II der Bedarfsgemeinschaft. Fraglich könnte sein, zu welchem Zeitpunkt das der Be-darfsgemeinschaft zustehenden Arbeitslosengeld II als Vergleichsgröße zu betrachten ist. Der Wortlaut des § 24 Abs. 2 Nr. 2 SGB II lässt hier mehrere Auslegungsmöglichkeiten zu. Erstmalig nach dem Ende des Bezuges seines Arbeitslosengeldes I stand dem Kläger zu 2 am 31.05.2006 Arbeitslosengeld II zu (so Knickrehm in Eicher/Spellbrink, a.a.O., RdNr. 24; Brünner in LPK-SGB II, a.a.O., RdNr. 14). Erstmalig stand dem Kläger zu 2 aber auch schon beim erstmaligen Bezug von Leistungen der Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II im Dezember 2005 ein eigener Anspruch auf Arbeitslosengeld II zu, wenn es darauf ankommt, dass die Berechnungsfaktoren grundsätzlich verbindlich zum Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II festzustellen sind (vgl. BSG, Urteil vom 19.03.2008 – B 11b AS 23/06 R, RdNr. 22). Erstmalig ab Juni 2006 stand dem Kläger zu 2 (und seiner Bedarfsgemeinschaft) Arbeitslosengeld II ohne Anrechnung von Arbeits-losengeld I zu (vgl. Stark in Estelmann, SGB II, Loseblatt: Stand November 2007, RdNr. 28; BT-Drucks. 16/1410 S. 24). Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist zu dieser Frage nichts zu entnehmen, da es dort immer um Fälle ging, in denen der Arbeitslo-sengeld I-Bezug der beiden Partner einer Bedarfsgemeinschaft zwar zu unterschiedlichen Zeitpunkten, aber immer jeweils vor dem 01.01.2005 geendet hatte.

Eine fiktive Berechnung der Haushaltslage im Mai 2006, wie sie der Beklagte vorgenom-men hat, ohne die bedarfsenkende Berücksichtigung des dem Kläger zu 2 zugeflossenen Arbeitslosengeld I dürfte nicht in Betracht kommen. Zwar könnte die Gesetzesbegründung zu der am 01.08.2006 in Kraft getretenen Fassung des § 24 Abs. 2 SGB II a.F. dafür spre-chen, da für die Berechnung des Zuschlags das Arbeitslosengeld II/Sozialgeld zugrunde zu legen sei, das sich ohne Berücksichtigung des letztmalig bezogenen Arbeitslosengeld I ermittelt (BT-Drucks. 16/1410, S. 24: zu Nummer 23 Buchstabe a). Dies widerspräche aber zum einen der ursprünglichen Gesetzbegründung, wonach die Differenz zwischen dem zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld I auf der einen Seite und dem im Einzelfall zu zahlenden Arbeitslosengeld II – unter Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen einschließlich etwaiger Freibeträge aus Erwerbstätigkeit nach § 30 SGB II – und dem ggf. an Angehörige der Bedarfsgemeinschaft zu zahlenden Sozialgeld auf der anderen Seite zu bilden ist (BT-Drucks. 15/1516, S. 58; Zu § 24 Absatz 2). Zum anderen ist sowohl nach dem Wortlaut als auch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts das an alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu zahlende Arbeitslosengeld II gegenüberzustel-len (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 19.03.2008 – B 11b AS 33/06 R, RdNrn. 15 und 19, jeweils m.w.N.). An die Kläger zu zahlen waren aber nur Leistungen in Höhe des Betrages, der sich unter Anrechnung des Einkommens aus Arbeitslosengeld I des Klägers zu 2 errechne-te, und auch nur in dieser Höhe stand den Klägern ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II zu. Nach der auch von den Klägern zitierten Rechtsprechung soll außerdem bei der Berech-nung des befristeten Zuschlags eine Bedarfsminderung durch Einkommen aus einer Er-werbstätigkeit, die den Hilfebedarf mindert, honoriert werden (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 – B 14/11b AS 5/07 R, RdNr. 21; Brünner, a.a.O., RdNr. 13). Zwar stammt das Arbeitslosengeld I nicht unmittelbar "aus einer Erwerbstätigkeit", aber es kommt ihm die Funktion des Lohnersatzes für das ausgefallene Erwerbseinkommen zu und fließt als Versicherungsleistung aus der früheren Erwerbtätigkeit zu.

Zudem ist das vom Kläger zu 2 im Zeitraum vom 01.05.2006 bis 30.05.2006 bezogene Arbeitslosengeld I nicht nur in diesem Zeitraum, sondern gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (in der bis 31.12.2007 geltenden Fas-sung der Ersten Verordnung zur Änderung der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung vom 22.08.2005, BGBl. I S. 2499) für den gesamten Monat Mai (also auch am 31.05.2006) zu berücksichtigendes Einkommen. Die Auslegung des Beklagten, auf den 31.05.2006 abzustellen und fiktiv den monatlichen Anspruch für Mai 2006 hochzurechnen, ohne das bezogene Arbeitslosengeld I anspruchsmindernd zu berücksichtigen, würde dem Gesetzes-zweck, nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I Arbeitsanreize zu schaffen, um den An-spruch auf Arbeitslosengeld II zu senken, zuwider laufen. Auch dürfte es praktisch kaum möglich sein, einen Arbeitgeber zu finden, der Arbeitsverträge ab dem Tag nach dem Aus-laufen des Arbeitslosengeld I-Anspruchs, hier: ab 31.05.2006, schließt.

Die o.g. Gesetzesbegründung kann jedoch auch – für den Senat überzeugender – dahin verstanden werden, "dass für die Berechnung des Zuschlages das Arbeitslosengeld II/ Sozialgeld zugrunde zu legen ist, das sich ohne die Berücksichtigung des letztmalig bezo-genen Arbeitslosengeldes" für den ersten Monat nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I, vorliegend für den Juni 2006, ermittelt. Damit würde "vermieden, dass sich alleine wegen des in der Regel im Übergangsmonat noch zufließenden und zu berücksichtigenden Ar-beitslosengeldes ein erhöhter befristeter Zuschlag ergibt". Diese Interpretation würde auch dem Zweck entsprechen, Arbeitsanreize beim Übergang vom Arbeitslosengeld I zum Ar-beitslosengeld II zu schaffen, um die Hilfebedürftigkeit i.S.d. § 9 SGB II zu senken. Die Frage einer "fiktiven", nicht vom Gesetz gedeckten Berechnung des Arbeitslosengeld II-An¬spruchs ergäbe sich von vornherein nicht.

Davon ausgehend ergibt sich im vorliegenden Verfahren bei mehreren Varianten der Be-rechnung des Unterschiedsbetrages zwischen Arbeitslosengeld I des Klägers zu 2 in Höhe von 1.117,20 EUR und dem an die Bedarfsgemeinschaft zu zahlenden Arbeitslosengeld II ein Differenzbetrag, der dazu führt, dass dem Kläger zu 2 ein monatlicher Zuschlag in der beantragten Höhe im streitigen Zeitraum zusteht: Im Dezember 2005 hatte die Bedarfsge-meinschaft der Kläger einen (Zahl-)Anspruch in Höhe von 81,80 EUR und für Mai 2006 wurden ihnen Leistungen in Höhe von 83,30 EUR bewilligt (vgl. Änderungsbescheid vom 11.07.2006 und Widerspruchsbescheid vom 22.09.2006) und zwar jeweils ohne den der Klägerin zu 1 zustehenden Zuschlag, der nach dem Wortlaut des § 24 Abs. 2 Nr. 2 SGB II a.F. nicht in die Vergleichsbetrachtung einzustellen ist. Wegen des am 19.06.2006 zuge-flossenen Lohnes in Höhe von netto 1.105,50 EUR sind im Juni 2006 richtigerweise nicht 1.375,00 EUR, sondern – wie z.B. im Juli 2006 – nur 606,50 EUR zu zahlen (vgl. Ände-rungsbescheid vom 11.08.2010 für den Zeitraum 01.06.2006 bis 31.10.2006). Vor diesem Hintergrund kann der Senat die Frage, welcher konkrete Zeitpunkt bei der Auslegung der Formulierung "erstmalig nach dem Ende des Bezuges von Arbeitslosengeld zustehenden Arbeitslosengeld II" richtigerweise zu wählen ist, offen lassen. Denn in allen Fällen ergibt sich ein 2/3-Betrag, der über der Differenz zwischen dem der Klägerin zu 1 zustehenden Zuschlag von 198,00 EUR und dem für die Bedarfsgemeinschaft der Kläger damals gel-tenden Maximalbetrag von 380,00 EUR gemäß § 24 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3 SGB II a.F. liegt.

Nach alledem hat die Berufung im tenorierten Umfang Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG entsprechend.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliege. Auslau-fendes oder ausgelaufenes Recht kann in aller Regel keine grundsätzlichen Rechtsfragen mehr aufwerfen (vgl. BSG, Beschluss vom 21.06.2011, RdNr. 5 mit Verweis auf Beschluss vom 26.04.2007 - B 12 R 15/06 B). Da sich die Rechtslage durch das Entfallen des § 24 SGB II a.F. zum 01.01.2011 geändert hat und nicht ersichtlich ist, dass Streitfälle wie der vorliegende noch in nennenswertem Umfang zu entscheiden sein könnten, besteht kein Bedürfnis für eine revisionsgerichtliche Entscheidung.

Dr. Anders Reichert Wagner
Rechtskraft
Aus
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