L 11 KR 408/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 19 KR 4629/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 408/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 17.12.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die rückwirkende Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) bei der Beklagten im Zeitraum vom 01.03.2006 bis 30.06.2011.

Der am 23.06.1941 geborene Kläger war bis 30.06.2006 in der Schweiz berufstätig, seit 01.07.2006 bezieht er eine Altersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist er seit 1970 freiwillig versichert. Die Mitgliedschaft bei der beklagten Krankenkasse endete zum 30.06.2011 wegen Wechsels der Krankenkasse. Mit Schreiben vom 06.03.2006 hatte der Kläger unter Hinweis auf seinen an diesem Tag abgesandten Rentenantrag die Befreiung von der KVdR beantragt. Zur Begründung hatte er ausgeführt, dass er hierzu die Wahlmöglichkeit habe, da er immer freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen sei. Gleichzeitig hatte er mitgeteilt, dass er dem Rentenversicherungsträger auch die Anlagen R810 (Meldung zur Krankenversicherung der Rentner) und R820 (Antrag auf Zuschuss zur Krankenversicherung) zugesandt habe. Mit Bescheid vom 27.03.2006 befreite die Beklagte den Kläger ab dem Tag der Rentenantragstellung von der Versicherungspflicht im Rahmen der KVdR. Mit weiterem Schreiben vom selben Tag übersandte sie dem Kläger das Informationsblatt "Der Rentenantrag".

Im Juli bzw Dezember 2012 beantragte der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, die Aufhebung des Bescheides vom 27.03.2006 gemäß § 44 SGB X. Er machte geltend, die Beklagte habe in der Vergangenheit zu Unrecht seine Altersrente aus der Schweiz bei der Bemessung der freiwilligen Krankenversicherungsbeiträge herangezogen. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 03.02.2014 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) unter Hinweis auf die Nichtwiderruflichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.09.2014 zurück.

Am 06.10.2014 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und zunächst beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihn beginnend ab März 2006 als Pflichtversicherten nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V aufzunehmen. Nach Klageerhebung hat der anwaltliche vertretene Kläger seinen Antrag dann ausdrücklich auf Aufnahme in die KVdR bis zur Beendigung des Versicherungsverhältnisses bei der Beklagten am 30.06.2011 begrenzt (Schriftsätze vom 15.06.2015 und 12.08.2015).

Mit Urteil vom 17.12.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Befreiungsbescheid vom 27.03.2006 nicht rechtswidrig sei und deshalb gemäß § 44 SGB X nicht aufgehoben werden könne. Eine Rechtswidrigkeit ergebe sich nicht daraus, dass der Befreiungsantrag vor Eingang des Rentenantrags beim Rentenversicherungsträger gestellt worden sei. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ein Befreiungsantrag nicht bereits vor dem Beginn der Versicherungspflicht (Tag der Rentenantragstellung), aber in unmittelbarem Zusammenhang mit der Rentenantragstellung, gestellt werden könne. Nachdem nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Beurteilung der Versicherungspflicht in der KVdR stets einheitlich nach dem Zeitpunkt der Rentenantragstellung erfolge, sei eine Pflichtversicherung auch nicht mit Beginn des Rentenbezugs ab 01.07.2006 eingetreten. Der einmal gestellte Befreiungsantrag wirke fort. Darüber hinaus beziehe sich der Befreiungsantrag des Klägers auch auf den Rentenbezug. Der Befreiungsantrag sei auch nicht deshalb unwirksam, weil er zu Gunsten einer freiwilligen Versicherung bei der Beklagten erfolgt sei. Dem Gesetz könne nicht entnommen werden, dass Rentner nur unter den Voraussetzungen des § 9 Abs 1 Nr 6 SGB V einen wirksamen Befreiungsantrag nach § 8 Abs 1 Nr 4 SGB V zu Gunsten einer freiwilligen Versicherung stellen können. Ergänzend hat das SG darauf hingewiesen, dass auch dann, wenn der im Rahmen des § 44 SGB X zu überprüfende Befreiungsbescheid rechtswidrig wäre, die Klage abzuweisen sei. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG sei nämlich die Rücknahme für die Vergangenheit bei einem Bescheid wie dem vorliegenden, mit dem auf Antrag des Versicherten eine Befreiung ausgesprochen worden sei, jedenfalls für die Zeit vor Geltendmachung der Rechtswidrigkeit der Befreiungsentscheidung stets ausgeschlossen. Dies folge aus dem Grundsatz, dass die Beurteilung von Versicherungsverhältnissen rückwirkend grundsätzlich nicht geändert werden solle, da Sachleistungen der Krankenversicherung ohnehin nachträglich nicht erbracht werden könnten und Beitragsnachforderungen für die Vergangenheit vermieden werden sollten. Schließlich könne der Kläger auch auf Grundlage des so genannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruches keine rückwirkende Aufnahme in die KVdR erreichen. Eine Pflichtverletzung der Beklagten aufgrund einer unzureichenden Beratung liege nicht vor. So sei schon nicht ersichtlich, dass sich der Kläger im Zusammenhang mit seinem Befreiungsantrag mit einem konkreten Beratungsersuchen an die Beklagte gewandt hätte. Für eine Situation, bei der die Beklagte eine Pflicht zur Spontanberatung gehabt habe, seien keine Anhaltspunkte ersichtlich.

Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 31.12.2015 zugestellte Urteil hat dieser am 25.01.2016 Berufung eingelegt. Der Kläger ist der Ansicht, dass der damalige Befreiungsantrag unwirksam sei. Zum einen beziehe er sich nur auf die Versicherungspflicht als Rentenantragsteller, so dass für die Zeit ab Beginn des Rentenbezugs kein Befreiungsantrag vorliege. Zum anderen sei der Antrag bereits vor dem Tag der Rentenantragstellung gestellt worden. Im Übrigen stehe einer Befreiung die Vorschrift des § 9 Abs 1 Nr 6 SGB V entgegen. Entgegen der Ansicht des SG sei eine Rücknahme für die Vergangenheit möglich. Das vom SG zitierte Urteil des BSG vom 08.12.1999 (B 12 KR 12/99 R) sei nicht einschlägig. Denn es gehe hier - anders als im vom BSG entschiedenen Fall - nicht um die Frage, ob Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe oder nicht, sondern lediglich darum, in welcher Weise dieser Versicherungsschutz im konkreten Fall vorzunehmen sei. Auch bestehe ein Anspruch auf Durchführung der Pflichtversicherung unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Der Kläger meint, das Informationsblatt "Der Rentenantrag" erwecke bei den Lesern den Eindruck, die freiwillig versicherten Rentner erhielten durch den Beitragszuschuss gegenüber pflichtversicherten Rentnern einen Vorteil, was jedoch nicht der Fall sei. Hinsichtlich der unterschiedlichen Heranziehung von Einkünften bei der Beitragsbemessung in der freiwilligen Krankenversicherung einerseits und der Pflichtversicherung andererseits enthalte das Merkblatt nicht nur keinerlei Hinweise, sondern auch keine Empfehlung dahingehend, sich hierüber beraten zu lassen. Detaillierte Informationen zur Beitragsberechnung seien dem Kläger erst mit Schreiben vom 18.07.2006 nach Beginn des Rentenbezugs zugesandt worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 17.12.2015 sowie den Bescheid vom 03.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.09.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 27.03.2006 zurückzunehmen und den Kläger im Zeitraum vom 01.03.2006 (hilfsweise ab Rentenbeginn 01.07.2006) bis 30.06.2011 als Pflichtversicherten nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V aufzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Berichterstatter hat die Beteiligten mit Schreiben vom 12.04.2016 darauf hingewiesen, dass der Senat nach § 153 Abs 4 SGG die Berufung auch ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zurückweisen kann, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind darauf aufmerksam gemacht worden, dass diese Verfahrensweise aufgrund des derzeitigen Sach- und Streitstandes beabsichtigt ist. Der Kläger hat nachfolgend seine Ausführungen vertieft.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß § 153 Abs 4 SGG zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 03.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.09.2014, mit dem der Antrag des Klägers auf Rücknahme des Befreiungsbescheides vom 27.03.2006 und damit auf Durchführung der KVdR ab Rentenantragstellung abgelehnt worden ist. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.

Es kann offen gelassen werden, ob der Befreiungsbescheid vom 27.03.2006 tatsächlich rechtmäßig oder rechtswidrig ist und ob ein rechtswidriger Befreiungsbescheid gemäß § 44 Abs 2 SGB X oder § 45 SGB X zurückgenommen werden kann (siehe dazu BSG 08.12.1999, B 12 KR 12/99 R, SozR 3-2200 § 173b Nr 1). Denn die Rücknahme nur für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum ist bei einem Befreiungsbescheid wie dem vorliegenden, mit dem auf Antrag eines Versicherten eine Befreiung ausgesprochen worden ist, stets ausgeschlossen. Nach der Rspr des BSG wirkt die Befreiung von der Versicherungspflicht in der GKV tatbestandsbezogen, dh die Befreiung bezieht sich nur auf den jeweiligen Versicherungspflichttatbestand (BSG 25.05.2011, B 12 KR 9/09 R, SozR 4-2500 § 8 Nr 3 mwN). Dies ist hier der Bezug der Rente. Bereits dieser Umstand steht einer nur teilweisen, auf einen in der Vergangenheit liegenden zeitlich begrenzten Zeitraum (hier: bis zum 30.06.2011) entgegen. Wäre die Befreiungsentscheidung tatsächlich rechtwidrig, müsste sie jedenfalls auch für die Zukunft aufgehoben werden. Der Versicherte hätte in diesem Fall kein Recht, die Aufhebung der Befreiung nach Belieben auf bestimmte Zeiträume zu beschränken. Bestätigt wird dies durch § 8 Abs 2 Satz 3 SGB V. Danach ist ein Widerruf der Befreiung ausgeschlossen. Damit ist (auch oder nur) das Gestaltungsrecht des Betroffenen ausgeschlossen, dem nicht die Möglichkeit eingeräumt sein soll, über seinen Krankenversicherungsschutz immer wieder neu nach den aktuellen Bedürfnissen zu entscheiden (Hampel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl 2016, § 8 SGB V Rn 130; Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, Stand der Einzellieferung April 2015, § 8 SGB V Rn 19). Selbst dann, wenn eine Befreiung auch für die Zukunft insgesamt aufgehoben werden muss, wäre fraglich, ob der Befreiungsbescheid für eine Zeit vor der Geltendmachung der Rechtswidrigkeit zurückgenommen werden dürfte (hierzu BSG 08.12.1999, B 12 KR 12/99 R, SozR 3-2200 § 173b Nr 1).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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