Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 6 U 309/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 547/14 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 10.04.2012 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für sämtliche Rechtszüge einschließlich des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalls.
Die 1949 geborene und in W wohnhafte Klägerin war als Altenpflegerin bei der K-Hilfe e. V. in E beschäftigt. Am Vormittag des 10.01.2010 unternahm sie in W während ihrer Rufbereitschaft einen Spaziergang mit ihrem Hund. Während der Rufbereitschaft durfte die Klägerin sich innerhalb des Bezirks E/X frei bewegen, sie musste aber auf ihrem Diensthandy telefonisch erreichbar sein. Als die Klägerin gegen 11 Uhr eine Straße, an deren Rändern sich Schnee häufte, überquerte, klingelte ihr Diensthandy und die Klägerin nahm den Anruf an. Während die Anruferin, eine Kollegin der Klägerin, ihren Namen nannte, übersah die Klägerin die schneebedeckte Bordsteinkante und stürzte. Dabei zog sie sich eine Knöchelfraktur zu.
Mit Bescheid vom 13.04.2010 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 10.01.2010 ab, weil die unfallbringende Tätigkeit keine versicherte Tätigkeit im Sinne des Unfallversicherungsrechts darstelle. Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie machte geltend, dass während der Rufbereitschaft jeder eingehende Anruf auf dem Diensthandy angenommen und beantwortet werden müsse. Es habe eindeutig eine Rufbereitschaft im dienstlichen Bereich bestanden. Außerdem sei bei jedem Schellen des Diensttelefons besondere Eile geboten. Demnach habe Unfallversicherungsschutz bestanden, weil die betrieblichen Interessen vorrangig gewesen seien und ihr Verhalten beherrscht hätten. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2011 wies die Beklagte den Rechtsbehelf der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus: Es liege im Wesen der Rufbereitschaft, dass ein dienstlicher Anruf stets während einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit erfolge. Weil sodann ab Anruf auch eine dienstliche Tätigkeit hinzukomme, entstehe so eine gemischte Tätigkeit. Die Klägerin habe zum Unfallzeitpunkt eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit in Form des Spazierengehens mit dem Hund und eine fremdwirtschaftliche Tätigkeit in Form des dienstlichen Telefonats ausgeübt. Bei einer solchen gemischten Tätigkeit sei entscheidendes Abgrenzungskriterium zur Bejahung des Versicherungsschutzes, ob die Tätigkeit auch dann vorgenommen wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre. Wäre die Klägerin mit ihrem Hund nicht dort spazieren gegangen, hätte der Anruf selbst nicht zu der unfallbringenden Tätigkeit geführt. Sie hätte nicht sprechend die Straße überquert und hätte auch nicht den Bordstein verfehlt. Es wäre nicht zu der Verletzung gekommen. Die geltend gemachte "gebotene Eile" könne auch nicht erkannt werden. Die unfallbringende Tätigkeit sei demnach unversichert.
Die Klägerin hat am 15.07.2011 Klage erhoben.
Sie hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2011 zu verpflichten, das Unfallereignis vom 10.01.2010 als versicherte Tätigkeit im Sinne des Unfallversicherungsrechts anzuerkennen und dementsprechend Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu bewilligen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist auf ihrem Standpunkt verblieben.
Mit Urteil vom 10.04.2012 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Leistungen aufgrund des Arbeitsunfalls vom 10.01.2010 zu zahlen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen die ihr am 26.04.2012 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 04.05.2012 Berufung eingelegt. Das Rechtsmittel hat der Senat mit Urteil vom 18.12.2012 zurückgewiesen (L 15 U 270/12). Auf die - vom Senat zugelassene - Revision der Beklagten hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des Senats vom 18.12.2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen (Urteil vom 26.06.2014 - B 2 U 4/13 R -). Auf die Gründe der Entscheidungen des Senats und des BSG wird Bezug genommen.
Das Berufungsgericht hat anschließend die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) gemäß § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Verfahren beigeladen.
Die Beklagte hält die Zuständigkeit der Beigeladenen für gegeben und meint, dass ein Arbeitsunfall nicht anzunehmen sei, weil es an der Unfallkausalität fehle. Der Sturz sei nicht infolge des Telefonats sondern infolge des Spaziergangs erfolgt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 10.04.2012 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass die Klage auf die Feststellung des Ereignisses vom 10.01.2010 als Arbeitsunfall beschränkt wird.
Sie meint, dass ein Arbeitsunfall vorgelegen habe. Der Unfall sei durch das Telefonat bedingt gewesen, weil sie ihre Aufmerksamkeit voll und ganz auf selbiges gerichtet gehabt habe. Sie sei durch den Anruf abgelenkt gewesen, weil sie davon habe ausgehen müssen, dass sich ein Notfall ereignet habe. Das Telefonat sei eine conditio sine qua non, weil sie ohne das Telefonat ihre Aufmerksamkeit in Gänze den Rahmenbedingungen gewidmet hätte mit der Folge, dass der Unfall nicht eingetreten wäre. Das Telefonat sei auch wesentliche Ursache für den Unfall.
Die Beigeladene beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 10.04.2012 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Sie erkennt ihre Zuständigkeit für die Beschäftigung der Klägerin als Altenpflegekraft in der Sozialstation E der K-Hilfe e. V. an, hält aber ebenso wie die Beklagte die Klage für unbegründet, weil es für einen Arbeitsunfall an der notwendigen Unfallkausalität mangele. Die Beigeladene ist unter ausführlicher Auseinandersetzung mit den Wetterbedingungen am Unfalltag und den konkreten Rahmenbedingungen am Unfallort der Meinung, es sei nicht ersichtlich, dass die versicherte Tätigkeit des Telefonierens Wirkursache für den Unfall gewesen sei. Denn auch ohne das Telefonat würde bei lebensnaher Betrachtung nach den aufgezeigten Rahmenbedingungen und den von der Klägerin selbst abgegebenen Hergangsschilderungen das Unfallereignis eingetreten sein. Keinesfalls könne dem Telefonieren aber die Bedeutung einer wesentlichen Bedingung zukommen. Der Sturz sei vielmehr durch das vom Telefonieren unabhängige Spazierengehen mit dem Hund rechtlich wesentlich bedingt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht entschieden, dass die Klägerin am 10.01.2010 einen von der Beklagten anzuerkennenden Arbeitsunfall erlitten hat. Unbeschadet dessen, dass für die Anerkennung des von der Klägerin geltend gemachten Unfalls nicht die Beklagte sondern die Beigeladene die zuständige Unfallversicherungsträgerin ist, liegt schon ein Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SBG VII) nicht vor.
Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis (dem Unfallereignis) geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität; vgl. u.a. BSG, Urteil vom 09.05.2006 B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196, 198 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 m. w. N.; BSG, Urteil vom 18.11.2008 - B 2 U 27/07 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 30 m. w. N.).
Die Klägerin hat durch den Sturz einen Unfall und dadurch einen Gesundheitsschaden erlitten. Sie war auch zum Unfallzeitpunkt als Beschäftigte kraft Gesetzes versichert. Ihre auf die Beschäftigung bezogene Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses - das Telefonieren - gehörte zur versicherten Tätigkeit und stand daher mit dieser in einem sachlichen Zusammenhang. Dem steht die weitere Verrichtung des Spazierengehens während des Telefonats und damit das Vorliegen einer gemischten Tätigkeit nicht entgegen (s. hierzu im Einzelnen die Ausführungen im Urteil des BSG vom 26.06.2014 - B 2 U 4/13 R -, Rz. 13 bis 23).
Die sturzbedingte Einwirkung auf den Körper der Klägerin und der dadurch verursachte Gesundheitsschaden sind aber nicht "infolge" der Verrichtung der versicherten Tätigkeit eingetreten und ihr damit nicht zuzurechnen.
Bei der objektiven Verursachung kommt es darauf an, dass die versicherte Verrichtung für das Unfallereignis und dadurch für den Gesundheitserstschaden oder den Tod eine Wirkursache war (BSG, Urteil vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rz. 31 ff.; hierzu auch Ricke, WzS 2013, 241). Wirkursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. Insoweit ist Ausgangspunkt die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der schon jeder beliebige Umstand als notwendige Bedingung eines Erfolges gilt, der nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache in diesem Sinne war, ist eine rein tatsächliche Frage. Sie muss aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen beantwortet werden (grundlegend BSG, Urteil vom 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 44, Rz. 55 ff.; BSG, Urteil vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rz. 31 ff.).
Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss sich auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller weiteren auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr darstellen. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der "Wesentlichkeit" der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll (BSG, Urteil vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rz. 37).
Das Telefonieren war schon keine Wirkursache für den Sturz der Klägerin. Als Wirkursache des Sturzes ist vielmehr nur das Spazierengehen mit dem Hund anzusehen. Die Bedingungen, die die Klägerin bei ihrem Spaziergang am 10.01.2010 vorgefunden hat, waren dergestalt, dass bei lebensnaher Betrachtung eine erhöhte Sturzgefahr bestand. Am Unfalltag war es nach den Angaben in der Unfallanzeige schneeglatt, an den Straßenrändern häufte sich der Schnee, wie die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht erklärt hat. Da der Schnee über den Bordstein ragte, war dieser schlecht zu erkennen. Die Klägerin selbst hat auch zeitnah zum Unfall die Straßenverhältnisse als Grund ihres Sturzes angegeben. Ausweislich ihrer handschriftlichen Erklärungen im Fragebogen der Barmer GEK hat die Klägerin "bedingt durch den hohen Schnee den Bordstein verfehlt". Irgendwelche Hinweise darauf, dass die Klägerin dem Telefongespräch eine Bedeutung für den Sturz beimisst, sie insbesondere dadurch abgelenkt gewesen ist, finden sich darin ebenso wenig wie in dem Bericht der Notfall-Ambulanz des St. W-Hospitals E. Darin ist als Angabe der Klägerin vermerkt, sie sei mit dem Hund spazieren gegangen und habe dabei die Bordsteinkante übersehen und sei mit dem rechten Fuß umgeknickt. Angesichts dessen ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin - wie sie später angegeben hat - durch das Telefonat abgelenkt gewesen ist und deshalb die schneebedeckte Bordsteinkante übersehen hat. Denn den zeitnah dokumentierten Angaben der Klägerin kommt gegenüber ihren späteren Angaben ein höherer Beweiswert zu. Allein die Tatsache, dass der Anruf auf dem nach den Angaben der Klägerin für Notfälle genutzten Bereitschaftshandy eingegangen ist, lässt nicht den Schluss zu, dass die Klägerin zumindest auch infolge einer Ablenkung durch das Telefonat den schneebedeckten Bordstein übersehen hat. Insofern ist zu bedenken, dass der Sturz sich nicht bei Annahme des Gespräches sondern erst nach Beginn des Telefonats, als die Klägerin ihren Blick auf den Weg richten konnte, ereignet hat. Dass das Telefonat auf andere Weise die Fortbewegung der Klägerin beeinflusst und am Eintritt des Sturzes objektiv mitgewirkt hat, lässt sich ebenfalls nicht feststellen. Das Überqueren des schneebedeckten Bordsteins war nicht wegen des Telefongespräches notwendig, denn die Klägerin musste deswegen keine Richtungsänderung vornehmen. Sie hat vielmehr den schon vor Eingang des Anrufes eingeschlagenen Weg beibehalten. Auch von einer Beschleunigung der Fortbewegung infolge des Anrufes ist nicht auszugehen. Die zeitnah erfolgten Angaben der Klägerin ergeben keinerlei Hinweise auf eine beschleunigte Fortbewegung nach Eingang des Anrufes, dessen Grund die Klägerin im Zeitpunkt des Sturzes noch gar nicht in Erfahrung gebracht hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalls.
Die 1949 geborene und in W wohnhafte Klägerin war als Altenpflegerin bei der K-Hilfe e. V. in E beschäftigt. Am Vormittag des 10.01.2010 unternahm sie in W während ihrer Rufbereitschaft einen Spaziergang mit ihrem Hund. Während der Rufbereitschaft durfte die Klägerin sich innerhalb des Bezirks E/X frei bewegen, sie musste aber auf ihrem Diensthandy telefonisch erreichbar sein. Als die Klägerin gegen 11 Uhr eine Straße, an deren Rändern sich Schnee häufte, überquerte, klingelte ihr Diensthandy und die Klägerin nahm den Anruf an. Während die Anruferin, eine Kollegin der Klägerin, ihren Namen nannte, übersah die Klägerin die schneebedeckte Bordsteinkante und stürzte. Dabei zog sie sich eine Knöchelfraktur zu.
Mit Bescheid vom 13.04.2010 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 10.01.2010 ab, weil die unfallbringende Tätigkeit keine versicherte Tätigkeit im Sinne des Unfallversicherungsrechts darstelle. Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie machte geltend, dass während der Rufbereitschaft jeder eingehende Anruf auf dem Diensthandy angenommen und beantwortet werden müsse. Es habe eindeutig eine Rufbereitschaft im dienstlichen Bereich bestanden. Außerdem sei bei jedem Schellen des Diensttelefons besondere Eile geboten. Demnach habe Unfallversicherungsschutz bestanden, weil die betrieblichen Interessen vorrangig gewesen seien und ihr Verhalten beherrscht hätten. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2011 wies die Beklagte den Rechtsbehelf der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus: Es liege im Wesen der Rufbereitschaft, dass ein dienstlicher Anruf stets während einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit erfolge. Weil sodann ab Anruf auch eine dienstliche Tätigkeit hinzukomme, entstehe so eine gemischte Tätigkeit. Die Klägerin habe zum Unfallzeitpunkt eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit in Form des Spazierengehens mit dem Hund und eine fremdwirtschaftliche Tätigkeit in Form des dienstlichen Telefonats ausgeübt. Bei einer solchen gemischten Tätigkeit sei entscheidendes Abgrenzungskriterium zur Bejahung des Versicherungsschutzes, ob die Tätigkeit auch dann vorgenommen wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre. Wäre die Klägerin mit ihrem Hund nicht dort spazieren gegangen, hätte der Anruf selbst nicht zu der unfallbringenden Tätigkeit geführt. Sie hätte nicht sprechend die Straße überquert und hätte auch nicht den Bordstein verfehlt. Es wäre nicht zu der Verletzung gekommen. Die geltend gemachte "gebotene Eile" könne auch nicht erkannt werden. Die unfallbringende Tätigkeit sei demnach unversichert.
Die Klägerin hat am 15.07.2011 Klage erhoben.
Sie hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2011 zu verpflichten, das Unfallereignis vom 10.01.2010 als versicherte Tätigkeit im Sinne des Unfallversicherungsrechts anzuerkennen und dementsprechend Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu bewilligen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist auf ihrem Standpunkt verblieben.
Mit Urteil vom 10.04.2012 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Leistungen aufgrund des Arbeitsunfalls vom 10.01.2010 zu zahlen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen die ihr am 26.04.2012 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 04.05.2012 Berufung eingelegt. Das Rechtsmittel hat der Senat mit Urteil vom 18.12.2012 zurückgewiesen (L 15 U 270/12). Auf die - vom Senat zugelassene - Revision der Beklagten hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des Senats vom 18.12.2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen (Urteil vom 26.06.2014 - B 2 U 4/13 R -). Auf die Gründe der Entscheidungen des Senats und des BSG wird Bezug genommen.
Das Berufungsgericht hat anschließend die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) gemäß § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Verfahren beigeladen.
Die Beklagte hält die Zuständigkeit der Beigeladenen für gegeben und meint, dass ein Arbeitsunfall nicht anzunehmen sei, weil es an der Unfallkausalität fehle. Der Sturz sei nicht infolge des Telefonats sondern infolge des Spaziergangs erfolgt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 10.04.2012 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass die Klage auf die Feststellung des Ereignisses vom 10.01.2010 als Arbeitsunfall beschränkt wird.
Sie meint, dass ein Arbeitsunfall vorgelegen habe. Der Unfall sei durch das Telefonat bedingt gewesen, weil sie ihre Aufmerksamkeit voll und ganz auf selbiges gerichtet gehabt habe. Sie sei durch den Anruf abgelenkt gewesen, weil sie davon habe ausgehen müssen, dass sich ein Notfall ereignet habe. Das Telefonat sei eine conditio sine qua non, weil sie ohne das Telefonat ihre Aufmerksamkeit in Gänze den Rahmenbedingungen gewidmet hätte mit der Folge, dass der Unfall nicht eingetreten wäre. Das Telefonat sei auch wesentliche Ursache für den Unfall.
Die Beigeladene beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 10.04.2012 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Sie erkennt ihre Zuständigkeit für die Beschäftigung der Klägerin als Altenpflegekraft in der Sozialstation E der K-Hilfe e. V. an, hält aber ebenso wie die Beklagte die Klage für unbegründet, weil es für einen Arbeitsunfall an der notwendigen Unfallkausalität mangele. Die Beigeladene ist unter ausführlicher Auseinandersetzung mit den Wetterbedingungen am Unfalltag und den konkreten Rahmenbedingungen am Unfallort der Meinung, es sei nicht ersichtlich, dass die versicherte Tätigkeit des Telefonierens Wirkursache für den Unfall gewesen sei. Denn auch ohne das Telefonat würde bei lebensnaher Betrachtung nach den aufgezeigten Rahmenbedingungen und den von der Klägerin selbst abgegebenen Hergangsschilderungen das Unfallereignis eingetreten sein. Keinesfalls könne dem Telefonieren aber die Bedeutung einer wesentlichen Bedingung zukommen. Der Sturz sei vielmehr durch das vom Telefonieren unabhängige Spazierengehen mit dem Hund rechtlich wesentlich bedingt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht entschieden, dass die Klägerin am 10.01.2010 einen von der Beklagten anzuerkennenden Arbeitsunfall erlitten hat. Unbeschadet dessen, dass für die Anerkennung des von der Klägerin geltend gemachten Unfalls nicht die Beklagte sondern die Beigeladene die zuständige Unfallversicherungsträgerin ist, liegt schon ein Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SBG VII) nicht vor.
Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis (dem Unfallereignis) geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität; vgl. u.a. BSG, Urteil vom 09.05.2006 B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196, 198 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 m. w. N.; BSG, Urteil vom 18.11.2008 - B 2 U 27/07 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 30 m. w. N.).
Die Klägerin hat durch den Sturz einen Unfall und dadurch einen Gesundheitsschaden erlitten. Sie war auch zum Unfallzeitpunkt als Beschäftigte kraft Gesetzes versichert. Ihre auf die Beschäftigung bezogene Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses - das Telefonieren - gehörte zur versicherten Tätigkeit und stand daher mit dieser in einem sachlichen Zusammenhang. Dem steht die weitere Verrichtung des Spazierengehens während des Telefonats und damit das Vorliegen einer gemischten Tätigkeit nicht entgegen (s. hierzu im Einzelnen die Ausführungen im Urteil des BSG vom 26.06.2014 - B 2 U 4/13 R -, Rz. 13 bis 23).
Die sturzbedingte Einwirkung auf den Körper der Klägerin und der dadurch verursachte Gesundheitsschaden sind aber nicht "infolge" der Verrichtung der versicherten Tätigkeit eingetreten und ihr damit nicht zuzurechnen.
Bei der objektiven Verursachung kommt es darauf an, dass die versicherte Verrichtung für das Unfallereignis und dadurch für den Gesundheitserstschaden oder den Tod eine Wirkursache war (BSG, Urteil vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rz. 31 ff.; hierzu auch Ricke, WzS 2013, 241). Wirkursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. Insoweit ist Ausgangspunkt die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der schon jeder beliebige Umstand als notwendige Bedingung eines Erfolges gilt, der nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache in diesem Sinne war, ist eine rein tatsächliche Frage. Sie muss aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen beantwortet werden (grundlegend BSG, Urteil vom 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 44, Rz. 55 ff.; BSG, Urteil vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rz. 31 ff.).
Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss sich auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller weiteren auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr darstellen. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der "Wesentlichkeit" der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll (BSG, Urteil vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rz. 37).
Das Telefonieren war schon keine Wirkursache für den Sturz der Klägerin. Als Wirkursache des Sturzes ist vielmehr nur das Spazierengehen mit dem Hund anzusehen. Die Bedingungen, die die Klägerin bei ihrem Spaziergang am 10.01.2010 vorgefunden hat, waren dergestalt, dass bei lebensnaher Betrachtung eine erhöhte Sturzgefahr bestand. Am Unfalltag war es nach den Angaben in der Unfallanzeige schneeglatt, an den Straßenrändern häufte sich der Schnee, wie die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht erklärt hat. Da der Schnee über den Bordstein ragte, war dieser schlecht zu erkennen. Die Klägerin selbst hat auch zeitnah zum Unfall die Straßenverhältnisse als Grund ihres Sturzes angegeben. Ausweislich ihrer handschriftlichen Erklärungen im Fragebogen der Barmer GEK hat die Klägerin "bedingt durch den hohen Schnee den Bordstein verfehlt". Irgendwelche Hinweise darauf, dass die Klägerin dem Telefongespräch eine Bedeutung für den Sturz beimisst, sie insbesondere dadurch abgelenkt gewesen ist, finden sich darin ebenso wenig wie in dem Bericht der Notfall-Ambulanz des St. W-Hospitals E. Darin ist als Angabe der Klägerin vermerkt, sie sei mit dem Hund spazieren gegangen und habe dabei die Bordsteinkante übersehen und sei mit dem rechten Fuß umgeknickt. Angesichts dessen ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin - wie sie später angegeben hat - durch das Telefonat abgelenkt gewesen ist und deshalb die schneebedeckte Bordsteinkante übersehen hat. Denn den zeitnah dokumentierten Angaben der Klägerin kommt gegenüber ihren späteren Angaben ein höherer Beweiswert zu. Allein die Tatsache, dass der Anruf auf dem nach den Angaben der Klägerin für Notfälle genutzten Bereitschaftshandy eingegangen ist, lässt nicht den Schluss zu, dass die Klägerin zumindest auch infolge einer Ablenkung durch das Telefonat den schneebedeckten Bordstein übersehen hat. Insofern ist zu bedenken, dass der Sturz sich nicht bei Annahme des Gespräches sondern erst nach Beginn des Telefonats, als die Klägerin ihren Blick auf den Weg richten konnte, ereignet hat. Dass das Telefonat auf andere Weise die Fortbewegung der Klägerin beeinflusst und am Eintritt des Sturzes objektiv mitgewirkt hat, lässt sich ebenfalls nicht feststellen. Das Überqueren des schneebedeckten Bordsteins war nicht wegen des Telefongespräches notwendig, denn die Klägerin musste deswegen keine Richtungsänderung vornehmen. Sie hat vielmehr den schon vor Eingang des Anrufes eingeschlagenen Weg beibehalten. Auch von einer Beschleunigung der Fortbewegung infolge des Anrufes ist nicht auszugehen. Die zeitnah erfolgten Angaben der Klägerin ergeben keinerlei Hinweise auf eine beschleunigte Fortbewegung nach Eingang des Anrufes, dessen Grund die Klägerin im Zeitpunkt des Sturzes noch gar nicht in Erfahrung gebracht hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
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