S 16 AS 18/16 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 16 AS 18/16 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Sanktionsbescheid vom 16.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2016 wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheides vom 16.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2016 nach §§ 32, 31a, 31b Zweites Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Der 1984 geborene Antragsteller bezieht laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Antragsgegner. Zuletzt erfolgte eine Leistungsbewilligung nach dem SGB II mit Bescheid vom 27.10.2015 für den Zeitraum vom 01.12.2012 bis 31.05.2016. Der Regelbedarf belief sich hierbei im Jahr 2015 auf monatlich 399,00 Euro, ab 2016 auf monatlich 404,00 Euro.

Mit Einladungsschreiben vom 13.08.2015 lud der Antragsgegner den Antragsteller zu einem Termin am 25.09.2015 um 10:00 Uhr mit dem Mitarbeiter Herrn R. (Integrationsfachkraft, angestellt beim Antragsgegner) ein, um mit ihm ein sog. Profiling durchzuführen, das heißt über die berufliche Zukunft und die Vermittlungsmöglichkeiten zu beraten. Dem Schreiben waren beigefügt ein Rückmeldebogen und eine Rechtsfolgenbelehrung.

Am 20.08.2015 fand ein Hausbesuch durch den Sozialpädagogen Herrn L. beim Antragsteller statt. Hierbei teilte der Antragsteller mit, er habe am 25.09.2015 einen Termin bei Herrn R., den er wahrnehmen wolle (Bl. 17 d. Verwaltungsakte).

Am 07.09.2015 erging gegen den Antragsteller durch das Amtsgericht Frankfurt am Main ein Haftbefehl wegen des Verdachts einer Straftat nach § 259 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB). Dieser wurde sofort vollstreckt. Am 22.09.2015 wurde der Antragsteller vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft unter Aufrechterhaltung des Haftbefehls unter verschiedenen Auflagen (Wohnsitznahme, wöchentliche Meldung beim zuständigen Polizeirevier, erstmals am 24.09.2015) verschont.

Zu dem Termin beim Antragsgegner am 25.09.2015 ist der Antragsteller nicht erschienen.

Auf die Anhörungsschreiben vom 25.09.2015 und 12.10.2015, in welchem eine Minderung nach § 32 SGB II angekündigt wurde, hat der Antragsteller die Entlassungspapiere aus der Untersuchungshaft in der JVA Frankfurt I übersandt. Für die Versäumung des Termins gab er keine weiteren Gründe an.

Mit Sanktionsbescheid vom 16.11.2015 senkte der Antragsgegner die Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs (39,90 Euro) für den Zeitraum vom 01.12.2015 bis 29.02.2016 wegen Versäumung des Meldetermins am 25.09.2015 ab.

Dagegen legte der Antragsteller am 26.11.2015 Widerspruch ein und führte aus, eine Sanktionierung stelle sich als verfassungswidrig dar. Im Übrigen sei er nicht zutreffend über die Rechtsfolgen belehrt worden. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2016 zurückgewiesen. Dagegen hat der Antragsteller am 09.03.2016 Klage vor dem hiesigen Gericht erhoben (Az. S 16 AS 259/16).

Zwischenzeitlich hat der Antragsteller bei dem hiesigen Gericht am 05.01.2016 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.

Zur Begründung führt er aus, der Sanktionsbescheid sei rechtswidrig, dies ergebe sich bereits aus dem Urteil des BSG vom 18.02.2010 (B 14 AS 53/08 R), wonach strenge Anforderungen an den Inhalt der Rechtsfolgenbelehrung zu stellen seien. Aus dem Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 3/09, 4/09) ergebe sich, dass jedwede Sanktion verfassungswidrig sei, da das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums unerlässlich sei.

Der Antragsteller beantragt (sinngemäß),
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Sanktionsbescheid vom 16.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2016 anzuordnen,

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Die Meldeaufforderung sei mit einer hinreichend konkreten, verständlichen, richtigen und vollständigen Rechtsfolgenbelehrung im Sinne der Rechtsprechung des BSG versehen gewesen. Ein wichtiger Grund für das Versäumnis des Meldetermins sei nicht vorgetragen worden. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die vom Antragsgegner vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen. Deren Inhalt war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Der von dem Antragsteller gestellte Antrag bedurfte zunächst der Auslegung nach § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) analog. Der Antragsteller begehrt vorliegend vorläufigen Rechtsschutz gegen den Vollzug des Sanktionsbescheides. Dieses Rechtsschutzziel ist im vorliegenden Fall mit einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und nach Erhebung der Klage als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Sanktionsbescheid gem. § 86b Abs. Satz 1 Nr. 2 SGG zu verfolgen.

Der nach sachgerechter Auslegung gestellte Antrag ist zulässig.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Gem. § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt, keine aufschiebende Wirkung.

Der Antrag ist jedoch unbegründet, da der angegriffene Sanktionsbescheid offensichtlich rechtmäßig ist.

Das Gericht entscheidet bei einem Antrag nach § 86b Abs. 1 SGG aufgrund einer Interessenabwägung. Dabei ist im Rahmen einer summarischen Prüfung zu entscheiden, ob das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt oder ob dem entgegenstehenden Interesse des Antragstellers, von Vollzugsmaßnahmen verschont zu bleiben, der Vorrang einzuräumen ist. Regelmäßig werden die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt oder angeordnet werden soll, als erstes Kriterium herangezogen. Lässt sich schon bei summarischer Prüfung eindeutig feststellen, dass der Widerspruch oder wie hier die Anfechtungsklage Erfolg haben wird, so kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts bestehen. Umgekehrt kann der Antragsteller kein schutzwürdiges privates Interesse haben, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 12e). Zusätzlich sind bei der Abwägung die Vorgaben des Gesetzgebers über das Regel-Ausnahme-Verhältnis zu berücksichtigen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 86b Rn. 12b, 12c).

Die Abwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers fällt im vorliegenden Fall zugunsten des öffentlichen Vollzugsinteresses aus, denn die Anfechtungsklage (S 16 AS 259/16) hat mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, da sich der Sanktionsbescheid vom 16.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2016 nach umfassender Prüfung als offensichtlich rechtmäßig darstellt.

Die Voraussetzungen für den Erlass eines Sanktionsbescheides liegen vor und eine vorherige Anhörung nach § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) hat stattgefunden.

Nach § 32 Satz 1 SGB II mindert sich das Arbeitslosengeld II um 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs, wenn der Leistungsberechtigte trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden, nicht nachkommen. Nach § 32 Satz 2 SGB II gilt dies nicht, wenn der Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für sein Verhalten darlegt und nachweist.

Das Einladungsschreiben vom 13.08.2015 enthält eine schriftliche Rechtsfolgenbelehrung. Diese stellt sich als konkret, verständlich, richtig und vollständig dar. Es findet sich der Hinweis auf die gesetzlich verankerte Verpflichtung zum Erscheinen des Antragstellers, welche bei Nichtbefolgung ohne wichtigen Grund zu einer dreimonatigen Absenkung des Arbeitslosengeldes II um 10 Prozent des Regelbedarfs führt, beginnend mit dem nächsten Monat nach Bekanntgabe eines Sanktionsbescheides. Damit ist dem Antragsteller mitgeteilt worden, weshalb, ab wann und wie lange und in welcher Höhe (Grund, Beginn, Dauer, Höhe) eine Sanktionierung erfolgt. Die Konkretheit der Formulierung scheitert nicht daran, dass zugleich die Paragrafen mitgenannt werden, aus denen sich diese Rechtfolgen ergeben. Der objektive Erklärungswert dieser Rechtsfolgenbelehrung ist unmissverständlich und hat seine Warnfunktion erfüllt.

Ein wichtiger Grund wurde weder vorgetragen noch nachgewiesen. Insbesondere hatte der Antragsteller bereits im August 2015 Kenntnis von dem Termin und war auch imstande, diesen am 25.09.2015 wahrzunehmen, da er am 22.09.2015 aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist.

Die Höhe des Minderungsbetrages sowie der Minderungszeitraum sind vom Antragsgegner zutreffend festgestellt worden. Gem. § 32 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 31b Abs. 1 SGB II mindert sich das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 10 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs. Die Minderung beginnt mit dem Beginn des Kalendermonats, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsakts folgt, der das Meldeversäumnis und den Umfang der Minderung der Leistung feststellt. Der Minderungszeitraum beträgt gem. § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II drei Monate. Der Sanktionsbescheid vom 16.11.2015 wurde dem Antragsteller im November 2015 bekanntgegeben und damit wirksam, so dass der Minderungszeitraum die Monate Dezember 2015, Januar und Februar 2016 umfasst.

Die Kammer kann sich den Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit jedweder Sanktion nicht anschließen. So hat bereits das BSG am 29.04.2015 (B 14 AS 19/14 R) entschieden, dass selbst gegen eine 30-Prozent-Sanktion keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Die Verhängung einer 10-Prozent-Sanktion bei unentschuldigtem Versäumnis eines Meldetermins begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, zumal es der Betroffene selbst in der Hand hat, einer Sanktionierung durch Erscheinen zu dem Meldetermin vorzubeugen. Die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ohne jedwede Verpflichtung der Leistungsbezieher zum Erscheinen zu Meldeterminen/Bewerbungen schreiben u.v.m. käme einem bedingungslosen Grundeinkommen gleich, welches der Gesetzgeber so nicht vorgesehen hat und auch in der Verfassung keine Grundlage findet.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes beträgt 119,70 Euro (3 x 39,90 Euro) und erreicht damit nicht den erforderlichen Beschwerdewert von mehr als 750,00 Euro.

Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist daher ausgeschlossen (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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