Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 31 AS 2286/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1154/16 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 31.05.2016 geändert. Dem Antragsteller wird für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht Dortmund Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt K, E, beigeordnet. Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung der einstweiligen Anordnung sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich noch gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Am 17.05.2016 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Dortmund beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Zahlung von Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs nach dem SGB II ab Antragstellung zu verpflichten und ihm Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Eilverfahrens zu bewilligen. Der Antragsteller hat die ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie einen SGB II-Bewilligungsbescheid für seine Ehefrau beigefügt. Mit Verfügung vom 17.05.2016 hat der Kammervorsitzende des Sozialgerichts dem Antragsteller aufgegeben, bis zum 24.05.2016 "Anordnungsanspruch und -grund glaubhaft zu machen" sowie "Kontoauszüge aller Konten im Original und lückenlos ab 01.02.2016 einzureichen". Mit Fax vom 31.05.2016 (Eingang 10.49 Uhr) sind Kontoauszüge und eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers beim Sozialgericht eingegangen. Der Antragsteller hat versichert, abgesehen von einem geringfügigen Einkommen seiner Ehefrau nicht über Einkommen oder Vermögen zu verfügen.
Mit Beschluss ebenfalls vom 31.05.2016 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Kammer könne keinen Anordnungsgrund erkennen. Der Antragsteller habe trotz Aufforderung des Gerichts unter Fristsetzung weder die angeforderten Kontoauszüge vorgelegt noch weitere Angaben gemacht. Daraus könne die Kammer nur den Schluss ziehen, dass der Antragsteller über bislang nicht angegebenes Einkommen oder Vermögen verfüge, das es ihm erlaube, seinen Lebensunterhalt zumindest vorübergehend selbst sicherzustellen.
Gegen diese am 06.06.2016 zugestellte Entscheidung hat der Antragsteller am 15.06.2016 Beschwerde erhoben und Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt. Am 24.06.2016 hat er mitgeteilt, der Antragsgegner habe mit Bescheid vom 02.06.2016 Leistungen bewilligt. Der Antragsteller hat das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt und nur hinsichtlich der Prozesskostenhilfe aufrechterhalten.
II.
Die gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe gerichtete Beschwerde ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K.
Nach §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter Prozesskostenhilfe, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Maßgebend für die Beurteilung der Erfolgsaussichten sind grundsätzlich die Verhältnisse und der Kenntnisstand im Zeitpunkt der Beschlussfassung (Beschluss des Senats vom 29.01.2016 - L 7 AS 393/15 B; Peters/Sauter/Wolff, SGG, Stand April 2015, § 176 Rn. 4). Ein früherer Zeitpunkt ist maßgeblich, wenn sich die Entscheidung über den Antrag verzögert hat und eine Änderung zum Nachteil der Antragsteller eingetreten ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.04.2010 - 1 BvR 362/10; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 73a Rn. 7b). Da eine Verzögerung der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe hier nicht vorliegt, ist der Zeitpunkt der Beschlussfassung durch das Sozialgericht maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten.
Die Rechtsverfolgung hatte zum Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts hinreichend Aussicht auf Erfolg, wie die Bewilligung der beantragten Leistungen durch den Antragsgegner mit Bescheid vom 02.06.2016 dokumentiert.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes verneint, weil der Antragsteller weder die geforderten Kontoauszüge vorgelegt noch weitere Angaben gemacht habe. Abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Sozialgerichts die angeforderten Unterlagen vorlagen, verletzt der alleinige Rückschluss von einer (vermeintlichen) Verletzung prozessualer Mitwirkungsobliegenheiten auf fehlende Glaubhaftmachung der Hilfebedürftigkeit in der Regel die Grenzen freier Beweiswürdigung (§ 128 SGG) sowie die Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 SGG).
Eine Tatsache ist als glaubhaft gemacht anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, das heißt der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (ständige Rechtsprechung des Senats, Beschluss vom 09.11.2015 - L 7 AS 1234/15 B ER). Es genügt für die Glaubhaftmachung einer Tatsache, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht.
Zwar ist das Gericht aufgrund der Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG grundsätzlich darin frei, ob es diese Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B; Sächsisches LSG, Urteil vom 07.06.2016 - L 5 RS 496/15 mwN). Die Grenzen der freien Beweiswürdigung sind jedoch überschritten, wenn das Gericht gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt. Gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt das Gericht, wenn es einen bestehenden Erfahrungssatz nicht berücksichtigt oder einen tatsächlich nicht existierenden Erfahrungssatz anwendet (BSG, Urteil vom 16.12.2004 - B 9 VS 1/04 R). Ein Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung liegt zudem auch dann vor, wenn das Gericht das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend und umfassend berücksichtigt (ständige Rechtsprechung des BSG, vergl. Urteile vom 18.11.2015 - B 9 V 1/14 R und vom 11.08.2015 - B 9 SB 1/14 R mwN).
Vorliegend hat das Sozialgericht sowohl einen tatsächlich nicht existenten Erfahrungssatz angewendet als auch das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend und umfassend berücksichtigt.
Es entspricht nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die (vermeintliche) Nichtvorlage angeforderter Unterlagen oder Erklärungen vorhandenes Einkommen oder Vermögen indiziert. Denn die Nichtvorlage kann mannigfaltige Ursachen haben, die mit vorhandenen Einkommen oder Vermögen in keinem Zusammenhang stehen. Von Fehlern bei der Postübermittlung sowohl vom Gericht zum Beteiligten als auch vom Beteiligten zum Gericht über interne Übermittlungsprobleme innerhalb des Gerichts (die hier möglichweise vorlagen, da die Unterlagen am 31.05.2016 vormittags zur üblichen Geschäftszeit beim Sozialgericht eingegangen sind, ohne dass der Kammervorsitzende sie zur Kenntnis genommen hat), bis hin zu Fehlern in der Aktenverwaltung durch die Geschäftsstelle sind bereits viele Gründe denkbar, die den Übermittlungsprozess bei der Anforderung und Übersendung der Unterlagen gestört haben könnten. Aber auch für den Fall, dass tatsächlich Unterlagen nicht rechtzeitig vorgelegt wurden, lässt dies einen Rückschluss auf fehlende Hilfebedürftigkeit nicht zu. Die Beteiligten können beispielsweise unbeholfen, der deutschen Schriftsprache (sei es als Ausländer, sei es als Analphabet) nicht hinreichend mächtig, erkrankt oder ortsabwesend sein. Selbst wenn der Beteiligte oder ein Bevollmächtigter die Nichtvorlage von Unterlagen oder Erklärungen verschuldet hat, bedeutet dies nicht zwingend, dass Hilfebedürftigkeit fehlt. Zwar ist das Verschulden eines Prozessbevollmächtigten dem jeweiligen Beteiligten zuzurechnen (§ 73 Abs. 6 Satz 6 SGG, 85 Abs. 2 ZPO), dies betrifft jedoch nur das Verschulden bei der Vornahme von Prozesshandlungen und nicht die Frage des Vorliegens bzw. der Glaubhaftmachung materiell-rechtlicher Anspruchsvoraussetzungen, die der Amtsermittlung (§ 103 SGG) unterliegen. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Abweisung oder Ablehnung eines gesetzlich zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) vorgesehenen Verfahrensantrags - hier des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung - nicht zur Erziehung von Prozessbeteiligten dienen darf, sondern sich ausschließlich an den materiell-rechtlichen Vorgaben zu orientieren hat.
Bereits aus dem am 17.05.2016 vorliegenden Akteninhalt folgt zudem die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller hilfebedürftig war, so dass das Sozialgericht auch das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht hinreichend gewürdigt hat. Der Antragsteller hat vorgetragen und durch Vorlage des Bewilligungsbescheides nachgewiesen, dass der Antragsgegner nach Durchführung eines Verwaltungsverfahrens der Ehefrau des Antragstellers, mit der der Antragsteller in Bedarfsgemeinschaft lebt (was ebenfalls vorgetragen worden ist), Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bewilligt, ohne Einkommen des Antragstellers anzurechnen. Diesen zweifellos für die Hilfebedürftigkeit sprechenden Umstand hat das Sozialgericht unter Verstoß gegen § 128 SGG ignoriert.
Das Sozialgericht hat zudem die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 103 SGG) verletzt, indem es einen vermeintlichen Erfahrungssatz angewendet hat und deshalb notwendige Aufklärungsmaßnahmen unterlassen hat. Ziel der Amtsermittlung, die nach dem Maßstab der Glaubhaftmachung auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gilt, ist es, dem Gericht zu einer Überzeugung zu verhelfen, auf die eine Entscheidung gestützt werden kann. Das Gericht muss diejenigen Ermittlungen durchführen, zu denen es sich nach der Sach- und Rechtslage gedrängt fühlen muss (ständige Rechtsprechung des BSG, vergl. nur Beschluss vom 20.09.2007 - B 5a/5 R 262/07 B). Es muss von allen Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch machen, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen (BSG, Urteil vom 15.08.2012 - B 6 KA 3/12 B). Es liegt (hier insbesondere angesichts der Leistungsbewilligung an die Ehefrau) auf der Hand, dass sich in der Verwaltungsakte relevante Unterlagen befinden können, weshalb sich das Sozialgericht in aller Regel zur Beiziehung und Auswertung der Verwaltungsakte iSd § 103 SGG gedrängt sehen muss, bevor es wegen Nichtvorlage von Unterlagen zu Lasten des Antragstellers entscheidet.
Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung der einstweiligen Anordnung steht dem Antragsteller nicht zu. Der Beschwerde fehlte von Beginn an das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Leistungsbewilligung bei Einlegung der Beschwerde bereits erfolgt war.
Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sieht das Gesetz nicht vor (so zutreffend Breitkreuz, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 73a Rn. 15).
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung der einstweiligen Anordnung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich noch gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Am 17.05.2016 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Dortmund beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Zahlung von Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs nach dem SGB II ab Antragstellung zu verpflichten und ihm Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Eilverfahrens zu bewilligen. Der Antragsteller hat die ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie einen SGB II-Bewilligungsbescheid für seine Ehefrau beigefügt. Mit Verfügung vom 17.05.2016 hat der Kammervorsitzende des Sozialgerichts dem Antragsteller aufgegeben, bis zum 24.05.2016 "Anordnungsanspruch und -grund glaubhaft zu machen" sowie "Kontoauszüge aller Konten im Original und lückenlos ab 01.02.2016 einzureichen". Mit Fax vom 31.05.2016 (Eingang 10.49 Uhr) sind Kontoauszüge und eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers beim Sozialgericht eingegangen. Der Antragsteller hat versichert, abgesehen von einem geringfügigen Einkommen seiner Ehefrau nicht über Einkommen oder Vermögen zu verfügen.
Mit Beschluss ebenfalls vom 31.05.2016 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Kammer könne keinen Anordnungsgrund erkennen. Der Antragsteller habe trotz Aufforderung des Gerichts unter Fristsetzung weder die angeforderten Kontoauszüge vorgelegt noch weitere Angaben gemacht. Daraus könne die Kammer nur den Schluss ziehen, dass der Antragsteller über bislang nicht angegebenes Einkommen oder Vermögen verfüge, das es ihm erlaube, seinen Lebensunterhalt zumindest vorübergehend selbst sicherzustellen.
Gegen diese am 06.06.2016 zugestellte Entscheidung hat der Antragsteller am 15.06.2016 Beschwerde erhoben und Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt. Am 24.06.2016 hat er mitgeteilt, der Antragsgegner habe mit Bescheid vom 02.06.2016 Leistungen bewilligt. Der Antragsteller hat das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt und nur hinsichtlich der Prozesskostenhilfe aufrechterhalten.
II.
Die gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe gerichtete Beschwerde ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K.
Nach §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter Prozesskostenhilfe, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Maßgebend für die Beurteilung der Erfolgsaussichten sind grundsätzlich die Verhältnisse und der Kenntnisstand im Zeitpunkt der Beschlussfassung (Beschluss des Senats vom 29.01.2016 - L 7 AS 393/15 B; Peters/Sauter/Wolff, SGG, Stand April 2015, § 176 Rn. 4). Ein früherer Zeitpunkt ist maßgeblich, wenn sich die Entscheidung über den Antrag verzögert hat und eine Änderung zum Nachteil der Antragsteller eingetreten ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.04.2010 - 1 BvR 362/10; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 73a Rn. 7b). Da eine Verzögerung der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe hier nicht vorliegt, ist der Zeitpunkt der Beschlussfassung durch das Sozialgericht maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten.
Die Rechtsverfolgung hatte zum Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts hinreichend Aussicht auf Erfolg, wie die Bewilligung der beantragten Leistungen durch den Antragsgegner mit Bescheid vom 02.06.2016 dokumentiert.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes verneint, weil der Antragsteller weder die geforderten Kontoauszüge vorgelegt noch weitere Angaben gemacht habe. Abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Sozialgerichts die angeforderten Unterlagen vorlagen, verletzt der alleinige Rückschluss von einer (vermeintlichen) Verletzung prozessualer Mitwirkungsobliegenheiten auf fehlende Glaubhaftmachung der Hilfebedürftigkeit in der Regel die Grenzen freier Beweiswürdigung (§ 128 SGG) sowie die Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 SGG).
Eine Tatsache ist als glaubhaft gemacht anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, das heißt der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (ständige Rechtsprechung des Senats, Beschluss vom 09.11.2015 - L 7 AS 1234/15 B ER). Es genügt für die Glaubhaftmachung einer Tatsache, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht.
Zwar ist das Gericht aufgrund der Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG grundsätzlich darin frei, ob es diese Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B; Sächsisches LSG, Urteil vom 07.06.2016 - L 5 RS 496/15 mwN). Die Grenzen der freien Beweiswürdigung sind jedoch überschritten, wenn das Gericht gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt. Gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt das Gericht, wenn es einen bestehenden Erfahrungssatz nicht berücksichtigt oder einen tatsächlich nicht existierenden Erfahrungssatz anwendet (BSG, Urteil vom 16.12.2004 - B 9 VS 1/04 R). Ein Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung liegt zudem auch dann vor, wenn das Gericht das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend und umfassend berücksichtigt (ständige Rechtsprechung des BSG, vergl. Urteile vom 18.11.2015 - B 9 V 1/14 R und vom 11.08.2015 - B 9 SB 1/14 R mwN).
Vorliegend hat das Sozialgericht sowohl einen tatsächlich nicht existenten Erfahrungssatz angewendet als auch das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend und umfassend berücksichtigt.
Es entspricht nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die (vermeintliche) Nichtvorlage angeforderter Unterlagen oder Erklärungen vorhandenes Einkommen oder Vermögen indiziert. Denn die Nichtvorlage kann mannigfaltige Ursachen haben, die mit vorhandenen Einkommen oder Vermögen in keinem Zusammenhang stehen. Von Fehlern bei der Postübermittlung sowohl vom Gericht zum Beteiligten als auch vom Beteiligten zum Gericht über interne Übermittlungsprobleme innerhalb des Gerichts (die hier möglichweise vorlagen, da die Unterlagen am 31.05.2016 vormittags zur üblichen Geschäftszeit beim Sozialgericht eingegangen sind, ohne dass der Kammervorsitzende sie zur Kenntnis genommen hat), bis hin zu Fehlern in der Aktenverwaltung durch die Geschäftsstelle sind bereits viele Gründe denkbar, die den Übermittlungsprozess bei der Anforderung und Übersendung der Unterlagen gestört haben könnten. Aber auch für den Fall, dass tatsächlich Unterlagen nicht rechtzeitig vorgelegt wurden, lässt dies einen Rückschluss auf fehlende Hilfebedürftigkeit nicht zu. Die Beteiligten können beispielsweise unbeholfen, der deutschen Schriftsprache (sei es als Ausländer, sei es als Analphabet) nicht hinreichend mächtig, erkrankt oder ortsabwesend sein. Selbst wenn der Beteiligte oder ein Bevollmächtigter die Nichtvorlage von Unterlagen oder Erklärungen verschuldet hat, bedeutet dies nicht zwingend, dass Hilfebedürftigkeit fehlt. Zwar ist das Verschulden eines Prozessbevollmächtigten dem jeweiligen Beteiligten zuzurechnen (§ 73 Abs. 6 Satz 6 SGG, 85 Abs. 2 ZPO), dies betrifft jedoch nur das Verschulden bei der Vornahme von Prozesshandlungen und nicht die Frage des Vorliegens bzw. der Glaubhaftmachung materiell-rechtlicher Anspruchsvoraussetzungen, die der Amtsermittlung (§ 103 SGG) unterliegen. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Abweisung oder Ablehnung eines gesetzlich zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) vorgesehenen Verfahrensantrags - hier des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung - nicht zur Erziehung von Prozessbeteiligten dienen darf, sondern sich ausschließlich an den materiell-rechtlichen Vorgaben zu orientieren hat.
Bereits aus dem am 17.05.2016 vorliegenden Akteninhalt folgt zudem die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller hilfebedürftig war, so dass das Sozialgericht auch das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht hinreichend gewürdigt hat. Der Antragsteller hat vorgetragen und durch Vorlage des Bewilligungsbescheides nachgewiesen, dass der Antragsgegner nach Durchführung eines Verwaltungsverfahrens der Ehefrau des Antragstellers, mit der der Antragsteller in Bedarfsgemeinschaft lebt (was ebenfalls vorgetragen worden ist), Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bewilligt, ohne Einkommen des Antragstellers anzurechnen. Diesen zweifellos für die Hilfebedürftigkeit sprechenden Umstand hat das Sozialgericht unter Verstoß gegen § 128 SGG ignoriert.
Das Sozialgericht hat zudem die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 103 SGG) verletzt, indem es einen vermeintlichen Erfahrungssatz angewendet hat und deshalb notwendige Aufklärungsmaßnahmen unterlassen hat. Ziel der Amtsermittlung, die nach dem Maßstab der Glaubhaftmachung auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gilt, ist es, dem Gericht zu einer Überzeugung zu verhelfen, auf die eine Entscheidung gestützt werden kann. Das Gericht muss diejenigen Ermittlungen durchführen, zu denen es sich nach der Sach- und Rechtslage gedrängt fühlen muss (ständige Rechtsprechung des BSG, vergl. nur Beschluss vom 20.09.2007 - B 5a/5 R 262/07 B). Es muss von allen Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch machen, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen (BSG, Urteil vom 15.08.2012 - B 6 KA 3/12 B). Es liegt (hier insbesondere angesichts der Leistungsbewilligung an die Ehefrau) auf der Hand, dass sich in der Verwaltungsakte relevante Unterlagen befinden können, weshalb sich das Sozialgericht in aller Regel zur Beiziehung und Auswertung der Verwaltungsakte iSd § 103 SGG gedrängt sehen muss, bevor es wegen Nichtvorlage von Unterlagen zu Lasten des Antragstellers entscheidet.
Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung der einstweiligen Anordnung steht dem Antragsteller nicht zu. Der Beschwerde fehlte von Beginn an das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Leistungsbewilligung bei Einlegung der Beschwerde bereits erfolgt war.
Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sieht das Gesetz nicht vor (so zutreffend Breitkreuz, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 73a Rn. 15).
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung der einstweiligen Anordnung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
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