Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 4 VG 2/14
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 4 VG 2/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 11.12.2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die im Jahr 1969 geborene Klägerin beantragte im Oktober 2011 beim Amt für soziale Angelegenheiten Koblenz die Gewährung von Versorgung nach dem OEG und gab an, sie sei zu Hause in ihrem Kinderzimmer vom neunten bis zum elften Lebensjahr wiederholt von ihrem Vater, dem verstorbenen H -O R , sexuell missbraucht worden. Der Vater sei nachts im betrunkenen Zustand zu ihr in ihr Bett im Kinderzimmer gekommen, habe sie ausgezogen und einen Geschlechtsverkehr mit ihr erzwungen. Jahre zuvor habe er ihre Schwester vergewaltigt, die im Alter von 13 Jahren ein Kind von dem Vater bekommen habe. Der Vater sei rechtskräftig verurteilt worden. Sie habe seinerzeit keine Hilfe gesucht und bis zum 25. Lebensjahr alles verschwiegen und verdrängt. Erstmals im Jahr 1994 habe sie sich einer Suchtberaterin anvertraut. Sie leide unter psychischen Erkrankungen und einer Suchterkrankung als Folge der Gewalttat.
Die Schwester der Klägerin, G E , teilte auf Anfrage der Beklagten mit, die Klägerin habe ihr etwa vor fünfzehn Jahren zum ersten Mal von dem sexuellen Missbrauch berichtet. Zum damaligen Zeitpunkt sei die Klägerin bereits geschieden gewesen, habe Probleme gehabt und getrunken. Sie habe ihr erzählt, der Vater habe auch sie vergewaltigt. Sie, Frau E , sei selbst Opfer sexueller Gewalt durch den Vater geworden, woraus auch ihr ältester Sohn hervorgegangen sei. Der Vater sei damals im Jahr 1976 auch verurteilt worden und habe ca. zweieinhalb bis drei Jahre eine Freiheitsstrafe abgesessen. Nach der Haft sei er wieder zu Hause eingezogen, bis die Mutter die Scheidung eingereicht und ihn etwa 1982/1983 aus dem Haus geworfen habe. Die Eltern seien mittlerweile beide verstorben.
Der Beklagte zog die Schulzeugnisse sowie Entlassungsberichte über stationäre Heilbehandlungen der Klägerin im St. A -Krankenhaus W bei, holte Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte ein, hörte die Klägerin am 04.06.2012 persönlich an und forderte Zeugenaussagen der von der Klägerin benannten Zeugen an. Der Zeuge K teilte mit, er habe im Mai 2006 von der Klägerin erfahren, dass sie sexuell von ihrem Vater missbraucht worden sei. Genauere Einzelheiten kenne er nicht. Der Bruder der Klägerin, Herr G R , teilte mit, er wisse von dem Missbrauch nichts und könne nichts dazu sagen. Der Bruder der Klägerin, T R , teilte telefonisch mit, dass er nichts beobachtet habe und von einem sexuellen Missbrauch der Klägerin durch den Vater nichts wisse.
Mit Bescheid vom 04.11.2013 lehnte der Beklagte daraufhin den Antrag ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine Befragung der Mutter bzw. des Vaters der Klägerin sei nicht mehr möglich, da beide verstorben seien. Die Brüder der Klägerin hätten keine Angaben machen können. Auch die ehemaligen Lebensgefährten hätten keine Angaben machen können. Herr K habe nach seinen Angaben erst im Jahr 2006 von der Klägerin von dem sexuellen Missbrauch erfahren. Die Schwester der Klägerin habe mitgeteilt, sie habe etwa 1998 zum ersten Mal von der Klägerin von dem sexuellen Missbrauch gehört. Es sei damit nicht erwiesen, dass die Klägerin Opfer einer Gewalttat geworden sei. Die Aussagen der Klägerin in ihrem Schreiben und während der Anhörung vom 14.05.2012 enthielten keine konkreten Angaben dafür, dass auf sie ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff durch ihren Vater verübt worden sei. Der vagen, nicht detaillierten Schilderung lasse sich ein konkretes Tatgeschehen nicht entnehmen. Die Klägerin habe die Gewalttaten zudem bis zu ihrem 25. Lebensjahr und verdrängt und sich erst 14 Jahre nach den angegebenen Taten in der Suchtberatung Koblenz einer Suchtberaterin anvertraut. Nach ihren Angaben sei im Alter von 25 Jahren in einer psychotherapeutischen Behandlung entdeckt worden, dass sie missbraucht worden sei. Vor diesem Hintergrund stehe nicht zweifelsfrei fest, dass ihre Aussagen auf eigenen Erinnerungen beruhten. Zudem sei es angesichts der angegebenen Gewalttaten nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin im Alter von 11 Jahren nach der Scheidung der Eltern freiwillig zu ihrem Vater gezogen sei.
Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.01.2014 zurück.
In dem vor dem Sozialgericht Koblenz durchgeführten Klageverfahren hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Vernehmung von Frau G E sowie durch Einholung eines Gutachtens der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H.
Frau E hat ausgesagt, es sei zutreffend, dass sie von ihrem Vater sexuell missbraucht worden sei. Es sei damals zu einem Strafverfahren gekommen. Sie sei im Juni 1977 in ein Mutter-Kind-Heim gekommen und war danach nicht mehr zu Hause. Vom sexuellen Missbrauch der Schwester durch den Vater habe sie von der Klägerin ca. vor 20 Jahren erfahren.
Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat mitgeteilt, dass der Vater der Klägerin mit am 23.11.1976 rechtskräftig gewordenen Urteil zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren ohne Bewährung verurteilt worden sei. Der seinerzeit zur Bewährung ausgesetzte Strafrest sei mit Wirkung vom 26.03.1982 erlassen worden.
Frau Dr. H hat die Klägerin im Februar 2015 untersucht und in ihrem Gutachten im Wesentlichen ausgeführt, die biografische Anamnese spreche für eine erhebliche Milieuschädigung durch Vernachlässigung, Erleben häuslicher Gewalt und zerrüttete Familienstrukturen, die bereits vor dem berichteten sexuellen Missbrauch zu einer persönlichkeitsstrukturellen Fehlentwicklung im Sinne einer emotional instabilen abhängigen Persönlichkeitsstörung geführt hätten. Im weiteren Verlauf habe sich eine Alkoholabhängigkeit entwickelt. Von den geschilderten Missbrauchserlebnissen sei die Darstellung des ersten Missbrauchserlebnisses detailliert. Der Vater habe sie aus dem Schlaf gerissen, ihr den Schlafanzug ausgezogen und sie vaginal penetriert, worauf es zu einer Blutung gekommen sei. Die Angabe, es habe sich um einen fortgesetzten Missbrauch über zwei Jahre gehandelt, bleibe trotz mehrfacher Nachfrage vage, das heißt einzelne Bilder oder Situationen hätten nicht beschrieben werden können. Insgesamt sei die zeitliche Zuordnung auch zu anderen Sachverhalten schwierig, wahrscheinlich infolge von Zeitgitterstörungen durch den fortgesetzten Alkoholkonsum. Die Diagnosekriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung seien nicht erfüllt. Typische Merkmale wie wiederholtes Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen, sogenannte Flashbacks, würden spontan nicht berichtet. Auch auf Nachfrage hätten keine Trigger genannt werden können. Ein Vermeidungsverhalten lasse sich ebenfalls nicht eruieren. Ebenso liege ein vegetatives Hyperarousal bei der Klägerin nicht vor. Es handele sich um eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit im Vordergrund stehenden abhängigen und emotional instabilen Persönlichkeitszügen. Die frühkindliche Entwicklung sei geprägt durch emotionale Vernachlässigung, Fehlen haltgebender Strukturen und Unzuverlässigkeit der primären Beziehungspersonen in einer durch Alkoholismus und Gewalt geprägten Familienatmosphäre.
Die von der Klägerin geschilderte sexuelle Traumatisierung sei als Teilursache zu sehen. Die Persönlichkeitsstörung sei jedoch nicht ausschließlich auf die sexuelle Traumatisierung zurückzuführen. Eine genaue Abgrenzung der Folgen der sexuellen Traumatisierung sei schwierig, da psychiatrische Befunde erst aus dem Jahr 1995 datierten, wenig präzise seien und zu diesem Zeitpunkt weitere traumatische Erfahrungen in der Ehe vorgelegen hätten. Die Persönlichkeitsstörung und Alkoholabhängigkeit werde mit einem Grad der Behinderung von 50 bewertet. Es sei gerechtfertigt, die sexuelle Traumatisierung als Teilursache anzuerkennen und dafür eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 anzuerkennen.
Mit Urteil vom 11.12.2015 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verurteilt, ab 12.10.2011 bei der Klägerin eine kombinierte Persönlichkeitsstörung und Alkoholabhängigkeit im Sinne einer Teilursache als Schädigungsfolge nach dem OEG mit einem GdS unter 25 anzuer-kennen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Nachweis eines Angriffs auf die Klägerin sei nicht erbracht. Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren oder Strafverfahren sei nicht durchgeführt worden. Zeugen, die aus eigener Erkenntnis den sexuellen Missbrauch der Klägerin bestätigen könnten, seien nicht vorhanden. Auch sonstige Beweismittel, wie etwa Urkunden, seien nicht vorhanden. Es stehe lediglich die Aussage der Klägerin über den sexuellen Missbrauch zur Verfügung, so dass der zweifelsfreie Nachweis eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs nicht erbracht worden sei. Allerdings könne eine Glaubhaftmachung ausreichen, um Schädigungsfolgen feststellen zu können.
Die Angaben der Klägerin seien glaubhaft im Sinne des § 15 S. 1 KOV-VFG. Wie die Schwester der Klägerin bestätigt habe, sei sie von ihrem Vater sexuell miss-braucht worden, der für diese Tat auch zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Aus diesem Sachverhalt ergebe sich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen sexuellen Missbrauch der Klägerin, weil Sexualstraftäter Triebtäter seien und ohne Therapie eine hohe Wiederholungsgefahr bestehe. Darüber hinaus würden die Angaben der Klägerin auch in das Zeitschema passen. Nach ihren Angaben habe der sexuelle Missbrauch nach der Entlassung des Vaters aus der Haft begonnen. Zu dieser Zeit sei sie das einzige Mädchen in der Familie und damit ein geeignetes Opfer für den Vater gewesen. Das Gericht gehe nicht davon aus, dass die Angaben der Klägerin über den sexuellen Missbrauch durch die Therapie induziert worden seien. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Klägerin den sexuellen Missbrauch auch mit den Einzelheiten verdrängt habe, was bei seelischen Verletzungen im Rahmen der Heilung typischerweise vorkomme, vor allem wenn keine geeignete Psychotherapie stattfinde. Aus dem Gutachten der Sachverständigen Dr. H gehe hervor, dass die Klägerin bereits vor dem sexuellen Missbrauch erheblichen Gewalterfahrungen und Vernachlässigungen ausgesetzt gewesen sei, so dass sie bereits massive strukturelle Persönlichkeitsdefizite gehabt habe. Diese seien nicht nur durch den sexuellen Missbrauch verstärkt worden, sondern im späteren Leben auch durch die negativen Erfahrungen mit Lebenspartnern und schicksalshaften Ereignissen. Die von der Sachverständigen festgestellte und jetzt vorliegende kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen und abhängigen Persönlichkeitszügen und Alkoholabhängigkeit sei somit nicht allein auf den sexuellen Missbrauch ursächlich zurückzuführen, der eine Teilursache darstelle. Diese trete in ihrer Bedeutung deutlich hinter den schädigungsunabhängigen Belastungen zurück, so dass der schädigungsbedingte Anteil an der gesamten psychischen Störung mit einem GdS von 20 anzunehmen sei. Eine posttraumatische Belastungsstörung liege hingegen nicht vor. Die desolate Fami-liensituation und vor allem die Schläge durch die Mutter hätten im Wesentlichen die psychische Belastung der Klägerin verursacht.
Am 01.02.2016 hat der Beklagte gegen das ihm am 14.01.2016 zugestellte Urteil Berufung eingelegt.
Der Beklagte trägt unter Vorlage einer sozialmedizinischen Stellungnahme der Frau Dr. W -Sch vor,
unstreitig sei ein Vollbeweis, dass die Klägerin Opfer des geltend gemachten sexuellen Missbrauchs geworden sei, nicht erbracht. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts könnten die Angaben der Klägerin auch nicht als glaubhaft zu Grunde gelegt werden. Nach deren Angaben sei im Alter von etwa 25 Jahren in psychotherapeutischer Behandlung entdeckt worden, dass sie als Kind missbraucht worden sei, was die Therapeutin ihr eröffnet habe. Schon dies ermögliche es nicht zweifelsfrei, eigene Erinnerungen der Klägerin anzunehmen. Ohne sichere eigene Erinnerungen sei es aber von vornherein nicht möglich zu prüfen, ob diese Angaben relativ wahrscheinlich seien. Wenn das Sozialgericht aus der Annahme des Missbrauchs der Schwester der Klägerin auch die Annahme eines Missbrauchs der Klägerin selbst folgere, könne dies, wenn nicht schon das Vorliegen von eigenen Erinnerungen verneint werden müsse, gerade durch das Miterleben der Inhaftierung und den Besuch in der JVA einen autosuggestiven Prozess in Gang gesetzt haben.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 11.12.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt.
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
ein aussagepsychologisches Gutachten einzuholen zur Frage des unverschuldeten Unterlassens der Antragstellung sowie zur Glaubhaftigkeit der Gewalttat.
Die Klägerin trägt vor,
entgegen dem Vortrag der Beklagten habe sie nicht erklärt, sie habe erst ab dem 25. Lebensjahr auf Grund einer Aufdeckarbeit entdeckt, sie sei missbraucht worden. Sie habe vielmehr erklärt, dass sie den erlebten Missbrauch bis zu diesem Alter verschwiegen habe. Sie habe einfach nicht darüber gesprochen und die Gedanken daran bei Seite geschoben.
Im Übrigen wird zur Ergänzung Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen und die Klägerin betreffende Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Gerichtsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten ist auch begründet. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Gewährung von Versorgung wegen des von ihr angegebenen sexuellen Missbrauchs durch den Vater in der Zeit von 1978 bis 1980 zu.
Nach § 1 Abs. 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffes gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Als tätlicher Angriff im Sinne dieser Vorschrift ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen (BSG, Urteile vom 14.02.2001, B 9 VG 4/00 R; BSG Urteil vom 28.01.2001, L 10 VG 31/08 m.w.N.). Es ist nicht notwendig, dass der Täter nennenswerte Kraft aufwenden muss, um einen Widerstand seines Opfers zu überwinden. Es ist nicht einmal die körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz des Täters erforderlich (BSG, a.a.O.). Vielmehr genügt es, wenn in strafbarer Weise die körperliche Integrität eines anderen rechtswidrig verletzt wird. Das BSG hat mehrfach entschieden, dass die durch neuere Forschungsergebnisse bestätigte Gefahr schwerer psychischer Schädigungen auch bei gewaltfreiem Missbrauch von Kindern einen staatlichen Opferschutz auch im Hinblick auf diese Folgen verlange, die gerade die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft treffen (BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Nach der Rechtsprechung des BSG sind alle sexuellen Handlungen, die in § 176 Strafgesetzbuch (StGB) - sexueller Missbrauch von Kindern - mit Strafe bedroht sind, ohne Rücksicht auf ihre jeweilige Begehungsform als tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs 1 OEG anzusehen. Für die Bewertung einer sexuellen Handlung als sexueller Missbrauch spielt es dabei keine Rolle, wie das Opfer selbst die Tat empfunden oder wahrgenommen hat; auch die innere Einstellung des Täters gegenüber dem Opfer ist für diese Bewertung ohne Bedeutung. Immer dann, wenn es sich um eine Straftat handelt, ist eine besondere Feststellung der Feindseligkeit als innere Tatsache nicht erforderlich. In derartigen Fällen ist eine Feindseligkeit zu unterstellen (vgl. BSG, SozR 3-3800 § 1 OEG Nr. 7).
Als Schädigungsfolgen sind dabei nur solche nachgewiesenen Gesundheitsstörungen anzuerkennen, die wenigstens mit Wahrscheinlichkeit durch das schädigende Ereignis verursacht worden sind. Wahrscheinlichkeit in dem genannten Sinn liegt vor, wenn nach geltender medizinischer Lehrmeinung mehr für als ge-gen einen Ursachenzusammenhang spricht. Ursache einer Gesundheitsstörung sind in dem hier erheblichen Sinn diejenigen Bedingungen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Haben zu dem Eintritt einer Gesundheitsstörung mehrere Bedingungen beigetragen, so sind nur diejenigen Ursache im Rechtssinn, die von ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Schadens wenigstens den anderen Bedingungen gleichwertig sind. Kommt dagegen einem der Umstände gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist er allein Ursache im Rechtssinn (Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung, vgl. Rohr/Strässer/Dahm, Kommentar zum BVG, Anm. 10 zu § 1). Bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs ist die Wahrscheinlichkeit nach der herrschenden wissenschaftlichen medizinischen Lehrmeinung zu ermitteln. Als Grundlage für die Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte dienten der Praxis die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG, SozR 4-3800, § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) erlassen. Nach ihrem § 1 regelt diese unter anderem die Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung ihres Schweregrades im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG. Nach § 2 VersMedV sind die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" festgelegt. Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des GdB bzw. GdS bisher richtete, sind in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Anders als die Anhaltspunkte 1983 bis 2008 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern, so dass insoweit entweder auf die letzte Fassung der Anhaltspunkte (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten, genutzt werden müssen (BSG, Urteil vom 7. 4. 2011 - B 9 VJ 1/10 R - juris; Urteil des Senats vom 12.12.2012, Az.: L 4 VG 5/10).
Ob die bei der Klägerin auf psychischem Gebiet bestehenden Gesundheitsstörungen gemessen an diese Kriterien als Schädigungsfolgen der angegebenen Gewalttaten anzusehen sind, ist zweifelhaft. Denn auch nach dem Gutachten der Frau Dr. H überwiegen andere Ursachen als die angeben und von der Sachverständigen als glaubhaft angesehene Gewalttat. Dies lässt der Senat allerdings dahin stehen, da er schon eine Gewalttat zu Lasten der Klägerin nicht als nachgewiesen ansieht.
Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für eine soziale Entschädigung nach dem OEG, zu denen das Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs und der Gewalttat zählen, müssen nachgewiesen, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sein, dass kein vernünftiger Mensch hieran noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R m.w.N., in SozR 3-3900 § 15 Nr. 3; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 128 Rn 3b). Fehlt es daran, geht dies zu Lasten der Klägerin (objektive Beweis- oder Feststellungslast). Die im Verfahren nach dem OEG häufig auftretenden Beweisschwierigkeiten rechtfertigen keine generelle Beweiserleichterung oder gar eine Beweislastumkehr. Vielmehr gelten auch hier die allgemein anerkannten Beweisgrundsätze. Zu diesen zählen freilich auch die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins sowie die für Kriegsopfer geschaffene besondere Beweiserleichterung nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung - KOVVfG-, die auch für Gewaltopfer gilt (BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R; Urteil des Senats vom 18.05.2011, Az.: L 4 VG 14/09 m.w.N.)
In Übereinstimmung mit den Feststellungen des Sozialgerichts und des Beklagten ist ein Nachweis der geschilderten Gewalttaten zu Lasten der Klägerin nicht geführt worden und kann auch nicht geführt werden, nachdem der Vater der Klägerin verstorben ist und weitere unmittelbare Zeugen nicht mehr zur Verfügung stehen. Dies hat das Sozialgericht im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt. Der Senat nimmt hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Entgegen der Annahme des Sozialgerichts vermag der Senat sich nicht auf die Überzeugung davon zu verschaffen, dass ein Sexualtäter, der die Schwester missbraucht hat, bei Gelegenheit auch die andere Schwester missbrauchen würde. Eine solche Vermutung ersetzt keinen Nachweis, zumal nicht erkennbar ist, worauf sich diese stützen könnte.
Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts greift im vorliegenden Fall die Beweiserleichterungsvorschrift des § 15 S. 1 KOV-VFG nicht ein. Die Verstärkung der Beweisnot geht nach ständiger Rechtsprechung jedenfalls dann zu Lasten des Antragstellers, wenn kein Grund bestand, den Antrag in einer Zeit zu stellen, als noch bessere Beweismöglichkeiten bestanden. Darauf weist auch § 15 VfG-KOV hin, wonach die Angaben des Antragstellers der Entscheidung dann nicht zugrunde zu legen sind, wenn Unterlagen durch sein Verschulden verloren gegangen sind. Diese Regelung bringt den Rechtsgedanken zum Ausdruck, dass Beweiserleichterungen nur solange und soweit gewährt werden, wie sich der Antragsteller in einer kriegsbedingten Beweisnot befindet, für die sich die Allgemeinheit für verantwortlich hielt. Die heute vorliegende Beweisnot der Klägerin ist aber im Wesentlichen nicht durch die Gewalttat bedingt, sondern beruht auf dem Zeitablauf und dem damit verbundenen Wegfall der Beweismittel. Es muss der Klägerin angelastet werden, wenn die Zweifel an dem Hergang der Schädigung mangels überzeugender Beweismittel nicht zu beseitigen sind (vgl. BSG, SozR 3-3100 § 5 Nr. 2, SozR 3-3900 § 15 Nr. 1; Urteil des Senats vom 27. Januar 2016 – L 4 VS 6/14 –, Rn. 48, juris; Urteil des Senats vom 19. August 2015 – L 4 VG 5/13 –, juris).
Wie die Klägerin selbst im Antragsverfahren sowie im Berufungsverfahren erklärt hat, hatte sie den sexuellen Missbrauch nicht verdrängt, sondern nur etwa bis 1994 nicht darüber gesprochen. Sie war daher weder 1994, noch im Jahr 1987, als sie volljährig wurde, noch zu einem früheren Zeitpunkt seit 1994 daran gehindert (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG), eine Strafanzeige und/oder einen Antrag auf Gewährung von Versorgung nach dem OEG zu stellen, also zu Zeitpunkten, als eine Sachaufklärung noch eher möglich gewesen wäre, da zu diesen Zeitpunkten jedenfalls der angegebene Täter und die Mutter als Zeugen zur Verfügung standen. Irgendwelche Gründe, die eine solche frühere Antragstellung bzw. einen Strafantrag verhindert hätten, sind nicht erkennbar und werden von der Klägerin auch nicht vorgetragen. Im Gegenteil haben die Klägerin selbst bzw. ihre Schwester darauf hingewiesen, dass die Mutter eine Strafanzeige gegen den Vater der Klägerin gestellt hatte, nachdem diese den sexuellen Missbrauch durch den Vater offenbart hatte. Dass dies im Fall der Klägerin hätte anders sein können, ist nicht ersichtlich, jedenfalls aber nicht aufklärbar, nachdem die Mutter der Klägerin verstorben ist.
Ein Gutachten darüber einzuholen, dass die Klägerin unverschuldet daran gehindert gewesen war, den Antrag nach dem OEG früher zu stellen, wie von der Klägerin beantragt, kommt nicht in Betracht. Die Klägerin hat sich nach ihren Angaben bereits 1994 einer Suchtberaterin und später anderen Personen anvertraut, hätte also schon spätestens damals einen Antrag stellen können, und nicht erst 17 Jahre später.
Auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. H vom 10.04.2015 kann der Senat sich ebenfalls nicht stützen, denn diesem Gutachten liegt schon in den Beweisfragen des Sozialgerichts die rechtlich fehlerhafte Annahme zu Grunde, dass der sexuelle Missbrauch der Klägerin glaubhaft sei. Selbst wenn er glaubhaft wäre, könnte hierauf der Senat nicht die Überzeugung stützen, dass der sexuelle Missbrauch zweifelsfrei nachgewiesen sei, da, wie oben ausgeführt, die Beweiserleichterungsvorschrift des § 15 S. 1 KOV hier nicht Anwendung findet. Deshalb ist auch kein weiteres Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen, wie von der Klägerin beantragt.
Zudem sind auch aus dem Gutachten der Sachverständigen keine detaillierten oder gar konkreten Schilderungen über die Gewalttat zu entnehmen. Die Angabe "beim ersten Mal kam der besoffen in mein Zimmer und ist über mich hergefallen; ich habe geblutet und bin ins Bad gegangen, um mich zu waschen. Ich wusste gar nicht, was passiert war." ist, wie die Sachverständige auch ausgeführt hat, äußerst vage. Selbst wenn der Senat diese Angaben als wahr unterstellt, ergeben sich doch begründete Zweifel dahingehend, dass, worauf der Beklagte zutreffend hingewiesen hat, ein autosuggestiver Prozess vorgelegen haben könnte. Hinzu kommt, dass die vom Sozialgericht gehörte Sachverständige die Kriterien, die an Glaubhaftigkeitsbegutachtung zu stellen sind (dazu: BSG, Urteil vom 17. April 2013, Az.: B 9 V 3/12 R –, juris; Urteil des Senats vom 19. August 2015 – L 4 VG 5/13 –, juris), nicht beachtet hat.
Der Berufung ist daher stattzugeben.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, da Revisionszulassungsgründe (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG) nicht vorliegen.
2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die im Jahr 1969 geborene Klägerin beantragte im Oktober 2011 beim Amt für soziale Angelegenheiten Koblenz die Gewährung von Versorgung nach dem OEG und gab an, sie sei zu Hause in ihrem Kinderzimmer vom neunten bis zum elften Lebensjahr wiederholt von ihrem Vater, dem verstorbenen H -O R , sexuell missbraucht worden. Der Vater sei nachts im betrunkenen Zustand zu ihr in ihr Bett im Kinderzimmer gekommen, habe sie ausgezogen und einen Geschlechtsverkehr mit ihr erzwungen. Jahre zuvor habe er ihre Schwester vergewaltigt, die im Alter von 13 Jahren ein Kind von dem Vater bekommen habe. Der Vater sei rechtskräftig verurteilt worden. Sie habe seinerzeit keine Hilfe gesucht und bis zum 25. Lebensjahr alles verschwiegen und verdrängt. Erstmals im Jahr 1994 habe sie sich einer Suchtberaterin anvertraut. Sie leide unter psychischen Erkrankungen und einer Suchterkrankung als Folge der Gewalttat.
Die Schwester der Klägerin, G E , teilte auf Anfrage der Beklagten mit, die Klägerin habe ihr etwa vor fünfzehn Jahren zum ersten Mal von dem sexuellen Missbrauch berichtet. Zum damaligen Zeitpunkt sei die Klägerin bereits geschieden gewesen, habe Probleme gehabt und getrunken. Sie habe ihr erzählt, der Vater habe auch sie vergewaltigt. Sie, Frau E , sei selbst Opfer sexueller Gewalt durch den Vater geworden, woraus auch ihr ältester Sohn hervorgegangen sei. Der Vater sei damals im Jahr 1976 auch verurteilt worden und habe ca. zweieinhalb bis drei Jahre eine Freiheitsstrafe abgesessen. Nach der Haft sei er wieder zu Hause eingezogen, bis die Mutter die Scheidung eingereicht und ihn etwa 1982/1983 aus dem Haus geworfen habe. Die Eltern seien mittlerweile beide verstorben.
Der Beklagte zog die Schulzeugnisse sowie Entlassungsberichte über stationäre Heilbehandlungen der Klägerin im St. A -Krankenhaus W bei, holte Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte ein, hörte die Klägerin am 04.06.2012 persönlich an und forderte Zeugenaussagen der von der Klägerin benannten Zeugen an. Der Zeuge K teilte mit, er habe im Mai 2006 von der Klägerin erfahren, dass sie sexuell von ihrem Vater missbraucht worden sei. Genauere Einzelheiten kenne er nicht. Der Bruder der Klägerin, Herr G R , teilte mit, er wisse von dem Missbrauch nichts und könne nichts dazu sagen. Der Bruder der Klägerin, T R , teilte telefonisch mit, dass er nichts beobachtet habe und von einem sexuellen Missbrauch der Klägerin durch den Vater nichts wisse.
Mit Bescheid vom 04.11.2013 lehnte der Beklagte daraufhin den Antrag ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine Befragung der Mutter bzw. des Vaters der Klägerin sei nicht mehr möglich, da beide verstorben seien. Die Brüder der Klägerin hätten keine Angaben machen können. Auch die ehemaligen Lebensgefährten hätten keine Angaben machen können. Herr K habe nach seinen Angaben erst im Jahr 2006 von der Klägerin von dem sexuellen Missbrauch erfahren. Die Schwester der Klägerin habe mitgeteilt, sie habe etwa 1998 zum ersten Mal von der Klägerin von dem sexuellen Missbrauch gehört. Es sei damit nicht erwiesen, dass die Klägerin Opfer einer Gewalttat geworden sei. Die Aussagen der Klägerin in ihrem Schreiben und während der Anhörung vom 14.05.2012 enthielten keine konkreten Angaben dafür, dass auf sie ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff durch ihren Vater verübt worden sei. Der vagen, nicht detaillierten Schilderung lasse sich ein konkretes Tatgeschehen nicht entnehmen. Die Klägerin habe die Gewalttaten zudem bis zu ihrem 25. Lebensjahr und verdrängt und sich erst 14 Jahre nach den angegebenen Taten in der Suchtberatung Koblenz einer Suchtberaterin anvertraut. Nach ihren Angaben sei im Alter von 25 Jahren in einer psychotherapeutischen Behandlung entdeckt worden, dass sie missbraucht worden sei. Vor diesem Hintergrund stehe nicht zweifelsfrei fest, dass ihre Aussagen auf eigenen Erinnerungen beruhten. Zudem sei es angesichts der angegebenen Gewalttaten nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin im Alter von 11 Jahren nach der Scheidung der Eltern freiwillig zu ihrem Vater gezogen sei.
Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.01.2014 zurück.
In dem vor dem Sozialgericht Koblenz durchgeführten Klageverfahren hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Vernehmung von Frau G E sowie durch Einholung eines Gutachtens der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H.
Frau E hat ausgesagt, es sei zutreffend, dass sie von ihrem Vater sexuell missbraucht worden sei. Es sei damals zu einem Strafverfahren gekommen. Sie sei im Juni 1977 in ein Mutter-Kind-Heim gekommen und war danach nicht mehr zu Hause. Vom sexuellen Missbrauch der Schwester durch den Vater habe sie von der Klägerin ca. vor 20 Jahren erfahren.
Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat mitgeteilt, dass der Vater der Klägerin mit am 23.11.1976 rechtskräftig gewordenen Urteil zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren ohne Bewährung verurteilt worden sei. Der seinerzeit zur Bewährung ausgesetzte Strafrest sei mit Wirkung vom 26.03.1982 erlassen worden.
Frau Dr. H hat die Klägerin im Februar 2015 untersucht und in ihrem Gutachten im Wesentlichen ausgeführt, die biografische Anamnese spreche für eine erhebliche Milieuschädigung durch Vernachlässigung, Erleben häuslicher Gewalt und zerrüttete Familienstrukturen, die bereits vor dem berichteten sexuellen Missbrauch zu einer persönlichkeitsstrukturellen Fehlentwicklung im Sinne einer emotional instabilen abhängigen Persönlichkeitsstörung geführt hätten. Im weiteren Verlauf habe sich eine Alkoholabhängigkeit entwickelt. Von den geschilderten Missbrauchserlebnissen sei die Darstellung des ersten Missbrauchserlebnisses detailliert. Der Vater habe sie aus dem Schlaf gerissen, ihr den Schlafanzug ausgezogen und sie vaginal penetriert, worauf es zu einer Blutung gekommen sei. Die Angabe, es habe sich um einen fortgesetzten Missbrauch über zwei Jahre gehandelt, bleibe trotz mehrfacher Nachfrage vage, das heißt einzelne Bilder oder Situationen hätten nicht beschrieben werden können. Insgesamt sei die zeitliche Zuordnung auch zu anderen Sachverhalten schwierig, wahrscheinlich infolge von Zeitgitterstörungen durch den fortgesetzten Alkoholkonsum. Die Diagnosekriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung seien nicht erfüllt. Typische Merkmale wie wiederholtes Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen, sogenannte Flashbacks, würden spontan nicht berichtet. Auch auf Nachfrage hätten keine Trigger genannt werden können. Ein Vermeidungsverhalten lasse sich ebenfalls nicht eruieren. Ebenso liege ein vegetatives Hyperarousal bei der Klägerin nicht vor. Es handele sich um eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit im Vordergrund stehenden abhängigen und emotional instabilen Persönlichkeitszügen. Die frühkindliche Entwicklung sei geprägt durch emotionale Vernachlässigung, Fehlen haltgebender Strukturen und Unzuverlässigkeit der primären Beziehungspersonen in einer durch Alkoholismus und Gewalt geprägten Familienatmosphäre.
Die von der Klägerin geschilderte sexuelle Traumatisierung sei als Teilursache zu sehen. Die Persönlichkeitsstörung sei jedoch nicht ausschließlich auf die sexuelle Traumatisierung zurückzuführen. Eine genaue Abgrenzung der Folgen der sexuellen Traumatisierung sei schwierig, da psychiatrische Befunde erst aus dem Jahr 1995 datierten, wenig präzise seien und zu diesem Zeitpunkt weitere traumatische Erfahrungen in der Ehe vorgelegen hätten. Die Persönlichkeitsstörung und Alkoholabhängigkeit werde mit einem Grad der Behinderung von 50 bewertet. Es sei gerechtfertigt, die sexuelle Traumatisierung als Teilursache anzuerkennen und dafür eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 anzuerkennen.
Mit Urteil vom 11.12.2015 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verurteilt, ab 12.10.2011 bei der Klägerin eine kombinierte Persönlichkeitsstörung und Alkoholabhängigkeit im Sinne einer Teilursache als Schädigungsfolge nach dem OEG mit einem GdS unter 25 anzuer-kennen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Nachweis eines Angriffs auf die Klägerin sei nicht erbracht. Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren oder Strafverfahren sei nicht durchgeführt worden. Zeugen, die aus eigener Erkenntnis den sexuellen Missbrauch der Klägerin bestätigen könnten, seien nicht vorhanden. Auch sonstige Beweismittel, wie etwa Urkunden, seien nicht vorhanden. Es stehe lediglich die Aussage der Klägerin über den sexuellen Missbrauch zur Verfügung, so dass der zweifelsfreie Nachweis eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs nicht erbracht worden sei. Allerdings könne eine Glaubhaftmachung ausreichen, um Schädigungsfolgen feststellen zu können.
Die Angaben der Klägerin seien glaubhaft im Sinne des § 15 S. 1 KOV-VFG. Wie die Schwester der Klägerin bestätigt habe, sei sie von ihrem Vater sexuell miss-braucht worden, der für diese Tat auch zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Aus diesem Sachverhalt ergebe sich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen sexuellen Missbrauch der Klägerin, weil Sexualstraftäter Triebtäter seien und ohne Therapie eine hohe Wiederholungsgefahr bestehe. Darüber hinaus würden die Angaben der Klägerin auch in das Zeitschema passen. Nach ihren Angaben habe der sexuelle Missbrauch nach der Entlassung des Vaters aus der Haft begonnen. Zu dieser Zeit sei sie das einzige Mädchen in der Familie und damit ein geeignetes Opfer für den Vater gewesen. Das Gericht gehe nicht davon aus, dass die Angaben der Klägerin über den sexuellen Missbrauch durch die Therapie induziert worden seien. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Klägerin den sexuellen Missbrauch auch mit den Einzelheiten verdrängt habe, was bei seelischen Verletzungen im Rahmen der Heilung typischerweise vorkomme, vor allem wenn keine geeignete Psychotherapie stattfinde. Aus dem Gutachten der Sachverständigen Dr. H gehe hervor, dass die Klägerin bereits vor dem sexuellen Missbrauch erheblichen Gewalterfahrungen und Vernachlässigungen ausgesetzt gewesen sei, so dass sie bereits massive strukturelle Persönlichkeitsdefizite gehabt habe. Diese seien nicht nur durch den sexuellen Missbrauch verstärkt worden, sondern im späteren Leben auch durch die negativen Erfahrungen mit Lebenspartnern und schicksalshaften Ereignissen. Die von der Sachverständigen festgestellte und jetzt vorliegende kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen und abhängigen Persönlichkeitszügen und Alkoholabhängigkeit sei somit nicht allein auf den sexuellen Missbrauch ursächlich zurückzuführen, der eine Teilursache darstelle. Diese trete in ihrer Bedeutung deutlich hinter den schädigungsunabhängigen Belastungen zurück, so dass der schädigungsbedingte Anteil an der gesamten psychischen Störung mit einem GdS von 20 anzunehmen sei. Eine posttraumatische Belastungsstörung liege hingegen nicht vor. Die desolate Fami-liensituation und vor allem die Schläge durch die Mutter hätten im Wesentlichen die psychische Belastung der Klägerin verursacht.
Am 01.02.2016 hat der Beklagte gegen das ihm am 14.01.2016 zugestellte Urteil Berufung eingelegt.
Der Beklagte trägt unter Vorlage einer sozialmedizinischen Stellungnahme der Frau Dr. W -Sch vor,
unstreitig sei ein Vollbeweis, dass die Klägerin Opfer des geltend gemachten sexuellen Missbrauchs geworden sei, nicht erbracht. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts könnten die Angaben der Klägerin auch nicht als glaubhaft zu Grunde gelegt werden. Nach deren Angaben sei im Alter von etwa 25 Jahren in psychotherapeutischer Behandlung entdeckt worden, dass sie als Kind missbraucht worden sei, was die Therapeutin ihr eröffnet habe. Schon dies ermögliche es nicht zweifelsfrei, eigene Erinnerungen der Klägerin anzunehmen. Ohne sichere eigene Erinnerungen sei es aber von vornherein nicht möglich zu prüfen, ob diese Angaben relativ wahrscheinlich seien. Wenn das Sozialgericht aus der Annahme des Missbrauchs der Schwester der Klägerin auch die Annahme eines Missbrauchs der Klägerin selbst folgere, könne dies, wenn nicht schon das Vorliegen von eigenen Erinnerungen verneint werden müsse, gerade durch das Miterleben der Inhaftierung und den Besuch in der JVA einen autosuggestiven Prozess in Gang gesetzt haben.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 11.12.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt.
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
ein aussagepsychologisches Gutachten einzuholen zur Frage des unverschuldeten Unterlassens der Antragstellung sowie zur Glaubhaftigkeit der Gewalttat.
Die Klägerin trägt vor,
entgegen dem Vortrag der Beklagten habe sie nicht erklärt, sie habe erst ab dem 25. Lebensjahr auf Grund einer Aufdeckarbeit entdeckt, sie sei missbraucht worden. Sie habe vielmehr erklärt, dass sie den erlebten Missbrauch bis zu diesem Alter verschwiegen habe. Sie habe einfach nicht darüber gesprochen und die Gedanken daran bei Seite geschoben.
Im Übrigen wird zur Ergänzung Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen und die Klägerin betreffende Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Gerichtsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten ist auch begründet. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Gewährung von Versorgung wegen des von ihr angegebenen sexuellen Missbrauchs durch den Vater in der Zeit von 1978 bis 1980 zu.
Nach § 1 Abs. 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffes gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Als tätlicher Angriff im Sinne dieser Vorschrift ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen (BSG, Urteile vom 14.02.2001, B 9 VG 4/00 R; BSG Urteil vom 28.01.2001, L 10 VG 31/08 m.w.N.). Es ist nicht notwendig, dass der Täter nennenswerte Kraft aufwenden muss, um einen Widerstand seines Opfers zu überwinden. Es ist nicht einmal die körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz des Täters erforderlich (BSG, a.a.O.). Vielmehr genügt es, wenn in strafbarer Weise die körperliche Integrität eines anderen rechtswidrig verletzt wird. Das BSG hat mehrfach entschieden, dass die durch neuere Forschungsergebnisse bestätigte Gefahr schwerer psychischer Schädigungen auch bei gewaltfreiem Missbrauch von Kindern einen staatlichen Opferschutz auch im Hinblick auf diese Folgen verlange, die gerade die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft treffen (BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Nach der Rechtsprechung des BSG sind alle sexuellen Handlungen, die in § 176 Strafgesetzbuch (StGB) - sexueller Missbrauch von Kindern - mit Strafe bedroht sind, ohne Rücksicht auf ihre jeweilige Begehungsform als tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs 1 OEG anzusehen. Für die Bewertung einer sexuellen Handlung als sexueller Missbrauch spielt es dabei keine Rolle, wie das Opfer selbst die Tat empfunden oder wahrgenommen hat; auch die innere Einstellung des Täters gegenüber dem Opfer ist für diese Bewertung ohne Bedeutung. Immer dann, wenn es sich um eine Straftat handelt, ist eine besondere Feststellung der Feindseligkeit als innere Tatsache nicht erforderlich. In derartigen Fällen ist eine Feindseligkeit zu unterstellen (vgl. BSG, SozR 3-3800 § 1 OEG Nr. 7).
Als Schädigungsfolgen sind dabei nur solche nachgewiesenen Gesundheitsstörungen anzuerkennen, die wenigstens mit Wahrscheinlichkeit durch das schädigende Ereignis verursacht worden sind. Wahrscheinlichkeit in dem genannten Sinn liegt vor, wenn nach geltender medizinischer Lehrmeinung mehr für als ge-gen einen Ursachenzusammenhang spricht. Ursache einer Gesundheitsstörung sind in dem hier erheblichen Sinn diejenigen Bedingungen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Haben zu dem Eintritt einer Gesundheitsstörung mehrere Bedingungen beigetragen, so sind nur diejenigen Ursache im Rechtssinn, die von ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Schadens wenigstens den anderen Bedingungen gleichwertig sind. Kommt dagegen einem der Umstände gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist er allein Ursache im Rechtssinn (Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung, vgl. Rohr/Strässer/Dahm, Kommentar zum BVG, Anm. 10 zu § 1). Bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs ist die Wahrscheinlichkeit nach der herrschenden wissenschaftlichen medizinischen Lehrmeinung zu ermitteln. Als Grundlage für die Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte dienten der Praxis die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG, SozR 4-3800, § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) erlassen. Nach ihrem § 1 regelt diese unter anderem die Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung ihres Schweregrades im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG. Nach § 2 VersMedV sind die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" festgelegt. Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des GdB bzw. GdS bisher richtete, sind in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Anders als die Anhaltspunkte 1983 bis 2008 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern, so dass insoweit entweder auf die letzte Fassung der Anhaltspunkte (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten, genutzt werden müssen (BSG, Urteil vom 7. 4. 2011 - B 9 VJ 1/10 R - juris; Urteil des Senats vom 12.12.2012, Az.: L 4 VG 5/10).
Ob die bei der Klägerin auf psychischem Gebiet bestehenden Gesundheitsstörungen gemessen an diese Kriterien als Schädigungsfolgen der angegebenen Gewalttaten anzusehen sind, ist zweifelhaft. Denn auch nach dem Gutachten der Frau Dr. H überwiegen andere Ursachen als die angeben und von der Sachverständigen als glaubhaft angesehene Gewalttat. Dies lässt der Senat allerdings dahin stehen, da er schon eine Gewalttat zu Lasten der Klägerin nicht als nachgewiesen ansieht.
Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für eine soziale Entschädigung nach dem OEG, zu denen das Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs und der Gewalttat zählen, müssen nachgewiesen, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sein, dass kein vernünftiger Mensch hieran noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R m.w.N., in SozR 3-3900 § 15 Nr. 3; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 128 Rn 3b). Fehlt es daran, geht dies zu Lasten der Klägerin (objektive Beweis- oder Feststellungslast). Die im Verfahren nach dem OEG häufig auftretenden Beweisschwierigkeiten rechtfertigen keine generelle Beweiserleichterung oder gar eine Beweislastumkehr. Vielmehr gelten auch hier die allgemein anerkannten Beweisgrundsätze. Zu diesen zählen freilich auch die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins sowie die für Kriegsopfer geschaffene besondere Beweiserleichterung nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung - KOVVfG-, die auch für Gewaltopfer gilt (BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R; Urteil des Senats vom 18.05.2011, Az.: L 4 VG 14/09 m.w.N.)
In Übereinstimmung mit den Feststellungen des Sozialgerichts und des Beklagten ist ein Nachweis der geschilderten Gewalttaten zu Lasten der Klägerin nicht geführt worden und kann auch nicht geführt werden, nachdem der Vater der Klägerin verstorben ist und weitere unmittelbare Zeugen nicht mehr zur Verfügung stehen. Dies hat das Sozialgericht im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt. Der Senat nimmt hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Entgegen der Annahme des Sozialgerichts vermag der Senat sich nicht auf die Überzeugung davon zu verschaffen, dass ein Sexualtäter, der die Schwester missbraucht hat, bei Gelegenheit auch die andere Schwester missbrauchen würde. Eine solche Vermutung ersetzt keinen Nachweis, zumal nicht erkennbar ist, worauf sich diese stützen könnte.
Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts greift im vorliegenden Fall die Beweiserleichterungsvorschrift des § 15 S. 1 KOV-VFG nicht ein. Die Verstärkung der Beweisnot geht nach ständiger Rechtsprechung jedenfalls dann zu Lasten des Antragstellers, wenn kein Grund bestand, den Antrag in einer Zeit zu stellen, als noch bessere Beweismöglichkeiten bestanden. Darauf weist auch § 15 VfG-KOV hin, wonach die Angaben des Antragstellers der Entscheidung dann nicht zugrunde zu legen sind, wenn Unterlagen durch sein Verschulden verloren gegangen sind. Diese Regelung bringt den Rechtsgedanken zum Ausdruck, dass Beweiserleichterungen nur solange und soweit gewährt werden, wie sich der Antragsteller in einer kriegsbedingten Beweisnot befindet, für die sich die Allgemeinheit für verantwortlich hielt. Die heute vorliegende Beweisnot der Klägerin ist aber im Wesentlichen nicht durch die Gewalttat bedingt, sondern beruht auf dem Zeitablauf und dem damit verbundenen Wegfall der Beweismittel. Es muss der Klägerin angelastet werden, wenn die Zweifel an dem Hergang der Schädigung mangels überzeugender Beweismittel nicht zu beseitigen sind (vgl. BSG, SozR 3-3100 § 5 Nr. 2, SozR 3-3900 § 15 Nr. 1; Urteil des Senats vom 27. Januar 2016 – L 4 VS 6/14 –, Rn. 48, juris; Urteil des Senats vom 19. August 2015 – L 4 VG 5/13 –, juris).
Wie die Klägerin selbst im Antragsverfahren sowie im Berufungsverfahren erklärt hat, hatte sie den sexuellen Missbrauch nicht verdrängt, sondern nur etwa bis 1994 nicht darüber gesprochen. Sie war daher weder 1994, noch im Jahr 1987, als sie volljährig wurde, noch zu einem früheren Zeitpunkt seit 1994 daran gehindert (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG), eine Strafanzeige und/oder einen Antrag auf Gewährung von Versorgung nach dem OEG zu stellen, also zu Zeitpunkten, als eine Sachaufklärung noch eher möglich gewesen wäre, da zu diesen Zeitpunkten jedenfalls der angegebene Täter und die Mutter als Zeugen zur Verfügung standen. Irgendwelche Gründe, die eine solche frühere Antragstellung bzw. einen Strafantrag verhindert hätten, sind nicht erkennbar und werden von der Klägerin auch nicht vorgetragen. Im Gegenteil haben die Klägerin selbst bzw. ihre Schwester darauf hingewiesen, dass die Mutter eine Strafanzeige gegen den Vater der Klägerin gestellt hatte, nachdem diese den sexuellen Missbrauch durch den Vater offenbart hatte. Dass dies im Fall der Klägerin hätte anders sein können, ist nicht ersichtlich, jedenfalls aber nicht aufklärbar, nachdem die Mutter der Klägerin verstorben ist.
Ein Gutachten darüber einzuholen, dass die Klägerin unverschuldet daran gehindert gewesen war, den Antrag nach dem OEG früher zu stellen, wie von der Klägerin beantragt, kommt nicht in Betracht. Die Klägerin hat sich nach ihren Angaben bereits 1994 einer Suchtberaterin und später anderen Personen anvertraut, hätte also schon spätestens damals einen Antrag stellen können, und nicht erst 17 Jahre später.
Auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. H vom 10.04.2015 kann der Senat sich ebenfalls nicht stützen, denn diesem Gutachten liegt schon in den Beweisfragen des Sozialgerichts die rechtlich fehlerhafte Annahme zu Grunde, dass der sexuelle Missbrauch der Klägerin glaubhaft sei. Selbst wenn er glaubhaft wäre, könnte hierauf der Senat nicht die Überzeugung stützen, dass der sexuelle Missbrauch zweifelsfrei nachgewiesen sei, da, wie oben ausgeführt, die Beweiserleichterungsvorschrift des § 15 S. 1 KOV hier nicht Anwendung findet. Deshalb ist auch kein weiteres Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen, wie von der Klägerin beantragt.
Zudem sind auch aus dem Gutachten der Sachverständigen keine detaillierten oder gar konkreten Schilderungen über die Gewalttat zu entnehmen. Die Angabe "beim ersten Mal kam der besoffen in mein Zimmer und ist über mich hergefallen; ich habe geblutet und bin ins Bad gegangen, um mich zu waschen. Ich wusste gar nicht, was passiert war." ist, wie die Sachverständige auch ausgeführt hat, äußerst vage. Selbst wenn der Senat diese Angaben als wahr unterstellt, ergeben sich doch begründete Zweifel dahingehend, dass, worauf der Beklagte zutreffend hingewiesen hat, ein autosuggestiver Prozess vorgelegen haben könnte. Hinzu kommt, dass die vom Sozialgericht gehörte Sachverständige die Kriterien, die an Glaubhaftigkeitsbegutachtung zu stellen sind (dazu: BSG, Urteil vom 17. April 2013, Az.: B 9 V 3/12 R –, juris; Urteil des Senats vom 19. August 2015 – L 4 VG 5/13 –, juris), nicht beachtet hat.
Der Berufung ist daher stattzugeben.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, da Revisionszulassungsgründe (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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