Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 10 KR 91/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 116/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2014 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine minimalinvasive adipositas-chirurgische Maßnahme in Form eines Magenbypasses im zugelassenen Krankenhaus zu gewähren.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme einer minimalinvasiven adipositas-chirurgischen Maßnahme in Form eines Magenbypasses als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der inzwischen 59-jährige Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert und leidet seinen eigenen Angaben nach - bereits seit seinem 8. Lebensjahr an Übergewicht sowie seit dem 20. Lebensjahr an einer morbiden Adipositas. Im Juni 2012 stellte er bei der Beklagten Antrag auf operative Behandlung des Übergewichtes, zuletzt in Form eines Magenbypasses. Dabei stützte er sich auf den Bericht des Evangelischen Krankenhauses H. in D-Stadt (20.06.2012). Die Bitte der Beklagten sowie des von ihr eingeschalteten MDK zur Vorlage weiterer Unterlagen verzögerte sich in der Folgezeit, weil sich der Kläger Ende August 2012 zunächst einer Kniegelenks-Operation hatte unterziehen müssen, bei der ihm - nach Aussage seines Hausarztes erfolgreich - ein künstliches Kniegelenk links implantiert worden war (Entlassungsbericht M. Z. vom 01.10.2012). Nach Auswertung der weiteren Unterlagen (Krankenhaus S. vom 18.12.2012 und 30.01.2013; Nervenärztin Dr. X. vom 04.02.2013; Internistin und Diabetologin F. vom 04.03.2013, Ernährungsberaterin S. vom 18.04.2013) durch die beratende Ärztin des MDK, Frau Dr. I. vom 17.05.2013, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.05.2013 eine Kostenübernahme im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass das geforderte konservative Behandlungsregime im Falle des Klägers noch nicht erfüllt sei und deshalb die als "ultimo ratio" zu verstehende chirurgische Behandlung der Adipositas (noch) nicht in Frage komme.
Den auf die sogenannte S-3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas gestützten Widerspruch wies die Beklagte nach nochmaliger Stellungnahme des MDK (Ärztin Dr. B.-J. am 23.08.2013) schließlich mit Bescheid vom 29.01.2014 als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die am 25.02.2014 beim hiesigen Gericht eingegangene Klage, mit der der Kläger im Wesentlichen geltend macht, dass Versicherte, die an einem krankhaften Übergewicht leiden, von ihrer gesetzlichen Krankenversicherung die Kostenübernahme für eine Magenoperation zur Gewichtsreduktion jedenfalls dann verlangen könnten, wenn ihr Bodymaß-Index über 40 Punkten liege. Denn nach der "S-3-Richtlinie Chirurgie der Adipositas" sei es angemessen, wenigstens in den Sonderfällen, in denen der BMI im oberen Bereich liege und den Wert von 40 deutlich überschreite oder zumindest erreiche, eine Magenverkleinerungs-Operation selbst dann zu bewilligen, wenn die glaubhaften und ernsthaften eigeninitiativen Bemühungen des Versicherten zur Gewichtsreduktion nicht den strengen Vorgaben zu einem sechs- bis zwölfmonatigen multimodalen und ärztlich geleiteten Therapiekonzept entsprächen. Angesichts des beim Kläger bestehenden BMI von über 50 Punkten sowie dem Vorliegen eines adipositasassoziierten Diabetes mellitus vom Typ 2, bestehe zwingend eine Operationsindikation, weil die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg sei. Dies gelte erst recht unter der aktuellen S-3-Leitlinie "Therapie und Prävention der Adipositas 2014", wonach eine präoperative konservative Therapie vor einem chirurgischen Eingriff zur Magenminimierung dann für entbehrlich gehalten wird, wenn der Body- Maß-Index über 50 Punkten liege.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine minimalinvasive adipositas-chirurgische Maßnahme in Form eines Magenbypasses zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt, gestützt auf die Stellungnahme der med. Beraterinnen Dr. I. und Dr. B.-J. die Auffassung, dass nach wie vor nicht alle konservativen Maßnahmen zur Behandlung der Adipositas ausgeschöpft worden seien. Im Einzelnen lässt die Beklagte ausführen, dass nach den Ausführungen des MDK die Voraussetzungen einer "Ultima ratio" für den Eingriff in das gesunde Organ Magen im Falle des Klägers nicht erfüllt seien. So habe der Kläger bis zuletzt nicht alle konservativen Möglichkeiten der Gewichtsreduktion ergriffen, insbesondere noch keine mehrwöchige stationäre Rehabilitationsmaßnahme zur Gewichtsreduktion sowie ein sich daran anschließendes multimodales Behandlungsprogramm - erfolglos - durchlaufen. Angesichts der Tatsache, dass der Magen des Klägers selbst gesund sei, käme erst nach Erschöpfung aller angebotenen konservativen Gewichtsreduktionsmaßnahmen, einem tolerablen Operationsrisiko, einer ausreichenden Motivation sowie dem Fehlen manifester psychischer Erkrankungen eine operative Maßnahme zur Gewichtsreduktion in Betracht. Zwar liege angesichts des beschriebenen Diabetes mellitus Typ II auch eine Begleiterscheinung vor, jedoch erreiche diese noch nicht das Maß einer erheblichen Erkrankung. Weil ein ärztlich koordiniertes und geleitetes Gesamtkonzept, welches Diätmaßnahmen, eine Schulung des Ess- und Ernährungsverhaltens, eine Bewegungstherapie, möglicherweise verbunden mit einer pharmakologisch-ärztlichen Behandlung sowie eine kombinierte psychotherapeutische Intervention enthalte, noch nicht vorgenommen worden sei, habe der Kläger keinesfalls die konservativen Behandlungsmöglichkeiten erschöpft und damit (noch) keinen Anspruch auf eine adipositas-chirurgische Maßnahme erworben. Zumal es der Kläger im Jahr 2000 geschafft hätte, allein mittels konservativen Maßnahmen sein Gewicht um 50 kg zu reduzieren. Ein Ausnahmefall im oben geschilderten Sinne könne daher keinesfalls angenommen werden.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch gezielte Befragung der den Kläger behandelnden Ärzte und Kliniken. So führt das Krankenhaus D-Stadt in seinem Bericht vom 08.08.2014 aus, dass der Kläger dort lediglich einmalig, am 28.01.2013, zur ärztlichen Beratung vorstellig geworden sei, wobei bereits damals eine Super-Adipositas mit der Zusatzdiagnose Diabetes mellitus Typ 2, Hypertonie und Hyperurikämie, als das komplette Bild eines metabolischen Syndroms vorgelegen hätte. Dabei habe der Kläger angegeben, dass er ein einen Body-Maß-Index (BMI) von 51,3 Punkten bereits seit längerer Zeit habe und während der Nachtschicht regelmäßig 5 kg abnehme, um sie umgehend wieder zuzunehmen. Der Kläger habe bereits eine "Toumondo General Hospital-Diät" durchgeführt und sei in einem Desease-Management-Programm als Diabetiker eingegliedert. Selbst anlässlich dreier Reha-Kuren habe er über einen Monat (nur) 3 kg reduzieren gekonnt, wobei es anschließend - trotz Ernährungsberatung - wieder zu einem Anstieg gekommen sei. Er sei zudem in einer Selbsthilfegruppe aktiv und habe für den 30.01.2013 einen Termin bei einem Psychologen vereinbart, um eine Verhaltenstherapie zu machen. Damit erfülle er alle Voraussetzungen für die dringende Operation. Die Diabetologin, Dr. F., ergänzt am 09.08.2014, dass der Kläger seitdem er in ihrer Behandlung stehe (ab 07.01.2013), insgesamt 11 kg, davon 6 kg in der orthopädischen Reha-Klinik nach Implantation einer Knie-Totalendoprothese abgenommen habe, jedoch seit der dortigen Entlassung bereits wieder 2 kg zugenommen habe. Infolge der im Januar 2013 erfolgten Ernährungsumstellung und Diabetikerschulung, sei angesichts des vorliegenden Übergewichts mit konservativen Maßnahmen keine ausreichende und anhaltende - d. h. das kardiovasculäre Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko wesentliche beeinflussende - Gewichtsreduktion zu erzielen. Nach wie vor liege eine Mega-Adipositas (BMI 50,03) mit begleitender arterielle Hypertonie, symptomatischer Hyperurikämie mit Gichtanfällen, oral therapiertem Diabetes mellitus Typ 2 vor, wodurch bei dem noch relativ jungen Kläger ein stark erhöhtes kardiovaskuläres Risiko mit erheblichen Folgen vorliege. Nach aktuellen Endpunktstudien sei der morbiden Adipositas mittels Magenbypasses am effektivsten eine Heilung des Diabetes und des Bluthochdrucks sowie der metabolischen Parameter zu erreichen und damit auch das Risiko einer tödlichen Herz-Kreislauferkrankung zu minimieren. Bei der noch kurzen Diabetesanamnese und lediglich oraler Therapie erscheine nach der Studienlage eine Heilung durchaus möglich. Zumal der Kläger motiviert sei, durch Lebensstiländerung die eigenen metabolischen Risiken zu optimieren, wobei die konservativen Möglichkeiten dazu sehr begrenzt seien. So hätten im Falle des Klägers diverse Diäten, Rehabilitationsmaßnahmen zur Gewichtsreduktion keinen dauerhaften Erfolg erbracht, was angesichts des BMI über 40 auch nachweislich mittels konservativer Maßnahmen nicht zu realisieren sei. Die Nervenärztin Dr. X. ergänzt in ihrem Bericht vom 12.08.2014, dass der Kläger sich einmalig am 29.01.2013 wegen Adipositas per magna vorgestellt habe, wobei keine depressive Episode zu erkennen gewesen sei. Auch wenn eine Reihe von Diäten (Atkins, Brigitte, General Hospital) und die Einnahme von verschiedenen Medikamenten zu einer vorübergehenden Gewichtsreduktion geführt hätten, habe er jeweils schnell wieder zugenommen. Im Übrigen besuche der Kläger regelmäßig bei seinem Arbeitgeber eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Gewichtsproblemen und gehe auch zur Ernährungsberatung. Weil allerdings seine Ehefrau an Multipler Sklerose leide und dialysepflichtig sei, müsse er immer mehr an Arbeiten im Haushalt sowie die Betreuung des 10jährigen Sohnes übernehmen. Es mache ihm zu schaffen, dass er nicht so am Leben teilnehmen könne, wie er wolle und fühle sich deshalb oft ausgeschlossen. Im Bericht des Hausarzt Dr. G. vom 11.08.2014 wird ausgeführt, dass er den Kläger seit 2001 als Hausarzt betreue, wobei er den Kläger wegen ausgeprägter Hypertonie mit hochdosierten Medikamenten behandeln müsse. Der Kläger habe multiple eigenständige Initiativen zur Gewichtsabnahme ergriffen, die jedoch immer nur zu einer vorübergehenden Gewichtsabnahme mit anschließender Zunahme geführt hätten. Angesichts der Doppelbelastung mit schwer erkrankten, dialysepflichtiger Ehefrau, Kind sowie Arbeit leide er infolge des Übergewichts an zunehmenden Gelenkschmerzen, die inzwischen dazu geführt hätten, dass er - erfolgreich - an beiden Kniegelenken mittels TEP hat operiert werden müssen. Schließlich bestätigt das Kreiskrankenhaus D-Stadt am 12.08.2014, dass der Kläger dort vom 15.06. bis 27.06.2014 stationär sowie vom 28.06. bis 30.10.2012 und am 08.05.2014 ambulant in Behandlung gestanden hätte.
Im Übrigen hat die Kammer den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 11.02.2015 persönlich angehört; bezüglich dessen Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 57-59 der Gerichtsakte) verwiesen. Genauso wird im Hinblick auf den weiteren Sachvortrag der Beteiligten und die Einzelheiten in den erwähnten Unterlagen auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte, die ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 11.02.2015 waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und im Sinne des in der mündlichen Verhandlung vom 11.02.2015 präzisierten Klageantrages auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 25.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2014 war antragsgemäß aufzuheben, weil dieser den Kläger in seinen Rechten verletzt. Denn darin hat der Beklagte rechtswidrig die Kostenübernahme einer minimal-invasiven adipositas-chirurgischen Maßnahme in Form eines Magenbypasses abgelehnt. Die Beklagte war daher zu verurteilen, ihm eine solche Maßnahme in einem zur Behandlung von Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkasse zugelassenen Krankenhaus zu gewähren.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, wobei diese auch die Krankenhausbehandlung umfasst (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 5 SGB V). Krankenhausbehandlung selbst wird dabei vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant in einem zugelassenen Krankenhaus gewährt, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- oder nachstationäre oder durch ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege zu erreichen ist (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Sie umfasst im Rahmen des Versorgungsauftrages alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinischen Versorgung des Versicherten im Krankenhaus notwendig ist, insbesondere die ärztliche Behandlung (§ 29 Abs. 1 Satz 3 SGB V).
Damit setzt die Krankenbehandlung zunächst das Vorliegen einer Krankheit voraus. Auch wenn nicht unstrittig ist, ob ein Übergewicht allein eine Krankheit in diesem Sinne darstellt (vgl. etwa LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.02.2007 - L 24 KR 247/06; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22.06.2006 - L 5 KR 53/06; Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 03.11.2005 - L 5 KR 173/04; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.11.2009 - L 9 KR 11/08 und vom 22.02.2007 - L 24 KR 247/06; SG Dortmund, Urteile vom 22.07.2008 - S 44 KR 92/07 und vom 31.08.2010 - S 40 KR 313/07), besteht in der medizinischen Wissenschaft Einigkeit darüber, dass jedenfalls eine massive Adipositas (Übergewicht) mit einem Body-Mass-Index (BMI) von wenigstens 30 eine behandlungsbedürftige Krankheit darstellt (vgl. SG Darmstadt, Urteil vom 14.11.2012 S 10 KR 309/10; SG Kassel, Urteil vom 30.10.2013 - S 12 KR 198/12 mit weiteren Nachweisen). Deshalb ist in diesen Fällen eine Behandlung mit dem Ziel der Gewichtsreduktion erforderlich, da andernfalls ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleit- und Folgeerscheinungen wie Stoffwechselkrankheiten, Herz- und Kreislaufkrankheiten, Atemwegserkrankungen, gastrointestinale Erkrankungen, Krankheiten des Bewegungsapparates oder gar die Gefahr der Entwicklung bösartiger Neubildungen besteht (vgl. etwa: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 07.12.2004 L 11 KR 1627/04 mit weiteren Nachweisen). Erst recht muss dies gelten, wenn infolge der Adipositas sich bereits Sekundärerkrankungen - im Falle des Klägers erhebliche Arthrosen in den Kniegelenken mit der Notwendigkeit der beidseitigen Implantation künstlicher Gelenke, ein inzwischen insulinpflichtiger Diabetes mellitus sowie ein Bluthochdruck - entwickelt haben (vgl. etwa: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 12.07.2006 - L 5 KR 5779/05 mit weiteren Nachweisen). Angesichts des beim Kläger dokumentierten Übergewichts (BMI 53,3 kg/m2 laut Aussage von Prof. Dr. E. vom 30.01.2013; BMI 51,8 kg/m2 gemäß dem MDK-Gutachten des Dr. I. vom 17.05.2013; BMI 50,03 kg/m2 laut Attest der Internistin und Diabetologin Dr. F. vom 23.04.2013) sowie der bereits eingetretenen sekundären Krankheiten (s.o.) liegt auch nach Einschätzung der Beklagten eine behandlungsbedürftige Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V vor, weshalb die Beklagte dem Kläger auch zwingend die Durchführung von gewichtsreduzierenden Maßnahmen empfiehlt und lediglich die vom Kläger gewünschte adipositas-chirurgische Maßnahme (Magenbypass) als - noch - nicht notwendig erachtet.
Denn nach § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V müssen die Leistungen - gerade auch solche der Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 SGB V - ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können daher einerseits Versicherte nicht beanspruchen und andererseits dürfen die Leistungserbringer solche nicht bewirken und schließlich dürfen die Krankenkassen auch solche nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Angesichts dieser zwingenden Vorgaben geht die Rechtsprechung im Allgemeinen davon aus, dass auch deshalb Behandlungsmaßnahmen, die in ein an sich gesundes Organ eingreifen, in der Regel von der Krankenbehandlung ausgeschlossen sind. Daher kommen Maßnahmen im Bereich des (gesunden) Magens, die mittelbar auf die Reduzierung der Adipositas abzielen (Verfahren der bariatrischen Chirurgie, wie vorliegend der Einsatz eines Magenbypasses) nur als "ultimo ratio" in Betracht und bedürfen zu ihrer Durchführung einer speziellen Rechtfertigung. Deshalb sind sie nur bei Patienten angesagt, die eine Reihe weiterer Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen. Dazu hat die - inzwischen gefestigte - Rechtsprechung, insbesondere des Bundessozialgerichts (vgl. etwa BSG, Urteile vom 19.02.2003 - B 1 KR 2/02 R, vom 06.10.1999 - B 1 KR 13/97), folgende Grundsätze entwickelt:
- Die Adipositas muss so gravierend sein, dass ihr Krankheitswerte zukommen, wovon bei einem BMI von mindestens 40 stets auszugehen ist. Dagegen kann dies bei einem BMI von 35 bis unter 40 nur dann angenommen werden, wenn bereits erhebliche Begleiterscheinungen vorliegen.
- Die konservativen Behandlungsmaßnahmen müssen erschöpft sein. Davon kann ausgegangen werden, wenn der Versicherte über einen längeren Zeitraum (sechs bis zwölf Monate) an einem ärztlich überwachten bzw. koordinierten multimodularen Therapiekonzept, welches unter anderem Diätmaßnahmen, Ernährungsschulungen, Bewegungs- und Psychotherapie umfasst, erfolglos teilgenommen hat.
- Eine auseichende Motivation des Versicherten gegeben ist, sein Gewicht zu reduzieren.
- Das Operationsrisiko muss - angesichts weiterer im konkreten Fall gegebener Erkrankungen - tolerabel sein.
- Es darf keine manifeste psychische Erkrankung für die Entwicklung des Übergewichts ursächlich sein bzw. den Erfolg der Maßnahme gefährden.
- Es muss die Möglichkeit der lebenslangen medizinischen Nachbetreuung sichergestellt sein.
Unter Anwendung dieser Grundsätze, die sich auch die erkennende Kammer zu eigen gemacht hatte (vgl. etwa Urteil vom 14.11.2012 - S 10 KR 39/10) und weiterhin macht, steht dem Kläger - ausnahmsweise - ein Anspruch auf die gewünschte minimalinvasiv adipositas-chirurgische Maßnahme in Form eines Magenbypasses zu; auch wenn er selbst noch nicht an einem über sechs bis zwölf Monate laufenden ärztlich geleiteten multimodalen Therapiekonzept - zumal erfolglos - teilgenommen hat. Denn die besonderen Umstände im Falle des Klägers rechtfertigen eine Ausnahmesituation, bei der diese Voraussetzung entbehrlich ist. Denn für den Fall (auch) einer adipositas-chirurgischen Maßnahme, wie hier des Magenbypasses, bedeutet dies, dass die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken der zu erwartenden Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2013 - B 1 KR 1/02 R und die hiesige Kammer bereits in den Urteilen vom 26.09.2007 - S 10 KR 360/06 und vom 14.12.2005 - S 10 KR 530/03 sowie das diese Entscheidung bestätigende Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 12.12.2006 - L 8 KR 55/06).
Zu Gunsten des Klägers ist nämlich zu berücksichtigen, dass dessen Adipositas bereits seit früher Jugend bestand, er in den letzten Jahren immer wieder - wenn auch erfolglos - auf Eigeninitiative hin vielfältige Bemühungen unternommen hat, sein Körpergewicht zu reduzieren. Diese Erfolge - immerhin konnte der Kläger seinen eigenen Angaben zufolge sein Körpergewicht einmal sogar um 50 kg reduzieren - waren jedoch wegen des sich einstellenden "Jo-Jo-Effektes" nicht dauerhaft. Deshalb wird auch in der S-3-Leitlinie "Chirurgie der Adipositas" bereits im Juni 2010 unter Abschnitt 3.2 Unterpunkt 4 Primäre Indikation festgehalten:
"Lassen Art und/oder Schwere der Krankheit bzw. psychosoziale Gegebenheiten bei Erwachsenen annehmen, dass eine chirurgische Therapie nicht aufgeschoben werden kann oder die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist, kann in Ausnahmefällen auch primär eine chirurgische Therapie durchgeführt werden; die Indikation hierzu ist durch einen in der Adipositaschirurgie qualifizierten Arzt und einen bariatrischen Chirurgen gemeinsam zu stellen. Damit hat die Leitlinienkommission ein weiteres Beurteilungskriterium nach eingehender Diskussion präzisierend in diese Leitlinie aufgenommen, nämlich der Begriff der geringen Erfolgsaussicht". (Chirurgische Arbeitsgemeinschaft für Adipositastherapie in Zusammenarbeit mit der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG), der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin).
Dabei hat das Hessische Landessozialgericht nicht nur in seiner Entscheidung vom 22.05.2014 (L 8 KR 7/11) auf diese Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften abgestellt, da diese eine systematisch entwickelte Hilfe für Ärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen darstellt. Auch wenn diese nicht rechtlich bindend sind, gibt sie doch wichtige Entscheidungshilfen, zumal sie auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und auf in der Praxis bewährten Verfahren beruht. "Die Klassifizierung als S-3-Leitlinie bringt zum Ausdruck, dass diese auf der Grundlage einer formellen oder systematischen Evidenzrecherche erstellt wurde und alle Elemente einer systematischen Entwicklung (Logik-, Entscheidungs- und Outformanalyse, Bewertung klinischer Relevanz wissenschaftlicher Studien und regelmäßige Überprüfung) beinhaltet" (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 22.05.2014 - L 8 KR 7/11). Im Übrigen ist zu beachten, dass die Erfolgsaussichten einer rein konservativen Therapie mit dem Ausmaß der Adipositas in einer Wechselbeziehung steht, weshalb etwa beim Vorliegen einer vergleichsweise geringen Adipositas an die Durchführung einer vorherigen konservativen Therapie strengere Anforderungen zu stellen sind, als - wie im vorliegenden Fall - bei einem BMI von 50 und mehr. Daher ist es angemessen, wenigstens in Sonderfällen, in denen der BMI im oberen Bereich liegt und den Wert von 40 deutlich überschreitet, eine Magenverkleinerungsoperation krankenversicherungsrechtlich auch dann zu bewilligen, wenn die hinreichende glaubhaften und ernsthaften eigeninitiativen Bemühungen des Versicherten zur Gewichtsreduktion nicht den strengen Vorgaben zu einem sechs- bis zwölfmonatigen multimodalen und ärztlich geleiteten bzw. überwachten Therapiekonzept entsprachen (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 22.05.2014 - L 8 KR 7/11; SG Mannheim, Urteil vom 17.01.2014 - S 9 KR491/12).
Unter Berücksichtigung dieser konkretisierten Vorgaben ist festzustellen, dass der Kläger zum einen unter einer Adipositas mit einem BMI von über 50, verschiedenen schwerwiegenden Nebenwirkungen (insbesondere seit kurzem auch an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus) leidet, über eine mehr als ausreichende Motivation zur Gewichtsreduktion verfügt (Stellungnahme der Nervenärztin Dr. X. vom 04.02.2013, Bescheinigung der Diplom-Oecotrophin S. vom 18.04.2013 und Attest Dr. F. vom 23.04.2013), das Operationsrisiko dennoch tolerabel ist (vgl. Stellungnahme von Prof. Dr. E. vom 30.01.2013) und keine manifeste psychiatrische Krankheit als Kontraindikation gegeben ist (Stellungnahme Dr. X. vom 04.02.2013). Zudem bietet insbesondere das von dem Kläger zwecks Operation aufgesuchte Krankenhaus E-Stadt die Möglichkeit einer auch längerfristig angelegten Nachsorge. Im Übrigen hegt die Kammer keine Bedenken, den Angaben des Klägers über sein seit Kindheit bestehendes Übergewicht, die eingeleiteten erfolglosen Therapieversuche mittels verschiedener Diäten (vgl. Bericht des Evangelisches Krankenhaus H. in D-Stadt vom 20.06.2012, Angaben gemäß der ärztlichen Stellungnahme des MDK-Arztes Dr. I. vom 17.05.2013, Darstellung des Krankenhauses E-Stadt vom 30.01.2013) und stationärer Reha-Aufenthalte (Entlassungsbericht M. Z. vom 10.09. bis 01.10.2012 und weiterer zwei Reha-Maßnahmen, gemäß den Angaben des Klägers gegenüber dem Krankenhaus E Stadt, Bericht vom 08.08.2014) Glauben zu schenken. Zudem hat der Kläger nachgewiesen, dass er - vor allem im Zusammenhang mit dem Diabetes mellitus - ständig an einer betrieblich angebotenen Ernährungsberatung teilgenommen hat (Diplom-Oecotrophin S. vom 18.04.2013, Internistin und Diabetologin Dr. F. vom 04.03.2013) und ständiger Teilnehmer einer Selbsthilfegruppe zur Gewichtsreduzierung ist. Trotz seiner Bemühungen, die dort erhaltenen Empfehlungen umzusetzen, ist es ihm nicht gelungen, sein Gewicht zu reduzieren; allerdings ist das Gewicht auch nicht weiter angestiegen (Bescheinigung der Diplom-Oecotrophin S. vom 18.04.2013).
Soweit die Beklagte dagegen darauf verweist, dass der Kläger (noch) nicht an einem ärztlich geleiteten multimodalen Therapiekonzept zur Gewichtsreduzierung teilgenommen habe, insbesondere noch kein unter ärztlicher Leitung durchzuführendes Bewegungstraining absolviert habe, muss dem bereits entgegen gehalten werden, dass dem Kläger solche Maßnahmen von der Beklagten nicht angeboten wurden. Hinsichtlich des Bewegungstrainings dürfte es schon deshalb keinen Erfolg haben, weil der Kläger angesichts der beidseitigen Knie-TEP-Operationen nur über ein eingeschränktes Bewegungsprofil verfügt. Schließlich ist im konkreten Falle des Klägers ausgeschlossen, dass er an einem zunächst mehrwöchigen stationären Aufenthalt in einer entsprechenden Fachklinik teilnehmen kann, da er - worauf dieser auf Nachfragen der Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 11.02.2015 überzeugend hingewiesen hatte - aufgrund seiner familiären Situation überhaupt nicht dazu in der Lage ist. So hat er nicht nur seine dialysepflichtige und unter Multipler Sklerose leidende Frau zu betreuen, sondern auch seinen noch minderjährigen Sohn.
Schließlich belegt die interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur "Prävention und Therapie der Adipositas" der Deutschen Adipositasgesellschaft in Zusammenarbeit mit der Deutschen Diabetes Gesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (Version 2.0 vom April 2014), dass eine chirurgische Therapie auch primär ohne eine präoperative konservative Therapie durchgeführt werden kann, wenn die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist oder der Gesundheitszustand des Patienten keinen Aufschub eines operativen Eingriffs zur Besserung durch Gewichtsreduktion erlaubt. Wobei dies vor allem bei besonderer Schwere von Begleit- und Folgeerkrankungen der Adipositas (hier: erhebliche Kniegelenksarthrose mit inzwischen beidseitiger TEP, erheblichem Bluthochdruck und einem inzwischen Insulinpflichtigen Diabetes mellitus) aber auch bereits bei einem BMI von über 50 kg/m2 angenommen wird, oder auch schon bei sonstigen persönlichen psychosozialen Umständen, die keinen Erfolg einer Lebensstiländerung in Aussicht stellen, gegeben ist (Prävention und Therapie der Adipositas Punkt 5.45 vom April 2014). Ob deshalb auch im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung bereits immer schon beim Vorliegen eines BMI über 50 kg/m2 auch ohne vorherige erfolglose präoperative konservative Therapie ein Anspruch auf adipositas-chirurgische Maßnahmen zur Gewichtsreduktion besteht, kann die Kammer hier offen lassen, da im Falle des Klägers eine Summe aller eine Ausnahmesituation begründenden Umstände zusammentreffen. Deshalb ist die Beklagte verpflichtet, dem Kläger als Sachleistung die gewünschte Magen-Bypass-Operation zur Gewichtsreduktion zu gewähren.
Da sich der Bescheid der Beklagten vom 25.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2014, mit dem die gewünschte operative Gewichtsreduktion abgelehnt worden war, damit als rechtswidrig erweist, war dieser aufzuheben und die Beklagte darüber hinaus zu verurteilen, dem Kläger eine minimalinvasive adipositas-chirurgische Maßnahme in Form eines Magenbypasses als Sachleistung zu gewähren, wobei dies auf ein nach § 108 SGB V zugelassenes Krankenhaus zu beschränken war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, wobei die Kammer davon ausgeht, dass die im Tenor des Urteils ausgesprochene Beschränkung auf ein zugelassenes Krankenhaus gegenüber dem Klageziel keine Bedeutung beizumessen war.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine minimalinvasive adipositas-chirurgische Maßnahme in Form eines Magenbypasses im zugelassenen Krankenhaus zu gewähren.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme einer minimalinvasiven adipositas-chirurgischen Maßnahme in Form eines Magenbypasses als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der inzwischen 59-jährige Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert und leidet seinen eigenen Angaben nach - bereits seit seinem 8. Lebensjahr an Übergewicht sowie seit dem 20. Lebensjahr an einer morbiden Adipositas. Im Juni 2012 stellte er bei der Beklagten Antrag auf operative Behandlung des Übergewichtes, zuletzt in Form eines Magenbypasses. Dabei stützte er sich auf den Bericht des Evangelischen Krankenhauses H. in D-Stadt (20.06.2012). Die Bitte der Beklagten sowie des von ihr eingeschalteten MDK zur Vorlage weiterer Unterlagen verzögerte sich in der Folgezeit, weil sich der Kläger Ende August 2012 zunächst einer Kniegelenks-Operation hatte unterziehen müssen, bei der ihm - nach Aussage seines Hausarztes erfolgreich - ein künstliches Kniegelenk links implantiert worden war (Entlassungsbericht M. Z. vom 01.10.2012). Nach Auswertung der weiteren Unterlagen (Krankenhaus S. vom 18.12.2012 und 30.01.2013; Nervenärztin Dr. X. vom 04.02.2013; Internistin und Diabetologin F. vom 04.03.2013, Ernährungsberaterin S. vom 18.04.2013) durch die beratende Ärztin des MDK, Frau Dr. I. vom 17.05.2013, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.05.2013 eine Kostenübernahme im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass das geforderte konservative Behandlungsregime im Falle des Klägers noch nicht erfüllt sei und deshalb die als "ultimo ratio" zu verstehende chirurgische Behandlung der Adipositas (noch) nicht in Frage komme.
Den auf die sogenannte S-3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas gestützten Widerspruch wies die Beklagte nach nochmaliger Stellungnahme des MDK (Ärztin Dr. B.-J. am 23.08.2013) schließlich mit Bescheid vom 29.01.2014 als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die am 25.02.2014 beim hiesigen Gericht eingegangene Klage, mit der der Kläger im Wesentlichen geltend macht, dass Versicherte, die an einem krankhaften Übergewicht leiden, von ihrer gesetzlichen Krankenversicherung die Kostenübernahme für eine Magenoperation zur Gewichtsreduktion jedenfalls dann verlangen könnten, wenn ihr Bodymaß-Index über 40 Punkten liege. Denn nach der "S-3-Richtlinie Chirurgie der Adipositas" sei es angemessen, wenigstens in den Sonderfällen, in denen der BMI im oberen Bereich liege und den Wert von 40 deutlich überschreite oder zumindest erreiche, eine Magenverkleinerungs-Operation selbst dann zu bewilligen, wenn die glaubhaften und ernsthaften eigeninitiativen Bemühungen des Versicherten zur Gewichtsreduktion nicht den strengen Vorgaben zu einem sechs- bis zwölfmonatigen multimodalen und ärztlich geleiteten Therapiekonzept entsprächen. Angesichts des beim Kläger bestehenden BMI von über 50 Punkten sowie dem Vorliegen eines adipositasassoziierten Diabetes mellitus vom Typ 2, bestehe zwingend eine Operationsindikation, weil die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg sei. Dies gelte erst recht unter der aktuellen S-3-Leitlinie "Therapie und Prävention der Adipositas 2014", wonach eine präoperative konservative Therapie vor einem chirurgischen Eingriff zur Magenminimierung dann für entbehrlich gehalten wird, wenn der Body- Maß-Index über 50 Punkten liege.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine minimalinvasive adipositas-chirurgische Maßnahme in Form eines Magenbypasses zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt, gestützt auf die Stellungnahme der med. Beraterinnen Dr. I. und Dr. B.-J. die Auffassung, dass nach wie vor nicht alle konservativen Maßnahmen zur Behandlung der Adipositas ausgeschöpft worden seien. Im Einzelnen lässt die Beklagte ausführen, dass nach den Ausführungen des MDK die Voraussetzungen einer "Ultima ratio" für den Eingriff in das gesunde Organ Magen im Falle des Klägers nicht erfüllt seien. So habe der Kläger bis zuletzt nicht alle konservativen Möglichkeiten der Gewichtsreduktion ergriffen, insbesondere noch keine mehrwöchige stationäre Rehabilitationsmaßnahme zur Gewichtsreduktion sowie ein sich daran anschließendes multimodales Behandlungsprogramm - erfolglos - durchlaufen. Angesichts der Tatsache, dass der Magen des Klägers selbst gesund sei, käme erst nach Erschöpfung aller angebotenen konservativen Gewichtsreduktionsmaßnahmen, einem tolerablen Operationsrisiko, einer ausreichenden Motivation sowie dem Fehlen manifester psychischer Erkrankungen eine operative Maßnahme zur Gewichtsreduktion in Betracht. Zwar liege angesichts des beschriebenen Diabetes mellitus Typ II auch eine Begleiterscheinung vor, jedoch erreiche diese noch nicht das Maß einer erheblichen Erkrankung. Weil ein ärztlich koordiniertes und geleitetes Gesamtkonzept, welches Diätmaßnahmen, eine Schulung des Ess- und Ernährungsverhaltens, eine Bewegungstherapie, möglicherweise verbunden mit einer pharmakologisch-ärztlichen Behandlung sowie eine kombinierte psychotherapeutische Intervention enthalte, noch nicht vorgenommen worden sei, habe der Kläger keinesfalls die konservativen Behandlungsmöglichkeiten erschöpft und damit (noch) keinen Anspruch auf eine adipositas-chirurgische Maßnahme erworben. Zumal es der Kläger im Jahr 2000 geschafft hätte, allein mittels konservativen Maßnahmen sein Gewicht um 50 kg zu reduzieren. Ein Ausnahmefall im oben geschilderten Sinne könne daher keinesfalls angenommen werden.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch gezielte Befragung der den Kläger behandelnden Ärzte und Kliniken. So führt das Krankenhaus D-Stadt in seinem Bericht vom 08.08.2014 aus, dass der Kläger dort lediglich einmalig, am 28.01.2013, zur ärztlichen Beratung vorstellig geworden sei, wobei bereits damals eine Super-Adipositas mit der Zusatzdiagnose Diabetes mellitus Typ 2, Hypertonie und Hyperurikämie, als das komplette Bild eines metabolischen Syndroms vorgelegen hätte. Dabei habe der Kläger angegeben, dass er ein einen Body-Maß-Index (BMI) von 51,3 Punkten bereits seit längerer Zeit habe und während der Nachtschicht regelmäßig 5 kg abnehme, um sie umgehend wieder zuzunehmen. Der Kläger habe bereits eine "Toumondo General Hospital-Diät" durchgeführt und sei in einem Desease-Management-Programm als Diabetiker eingegliedert. Selbst anlässlich dreier Reha-Kuren habe er über einen Monat (nur) 3 kg reduzieren gekonnt, wobei es anschließend - trotz Ernährungsberatung - wieder zu einem Anstieg gekommen sei. Er sei zudem in einer Selbsthilfegruppe aktiv und habe für den 30.01.2013 einen Termin bei einem Psychologen vereinbart, um eine Verhaltenstherapie zu machen. Damit erfülle er alle Voraussetzungen für die dringende Operation. Die Diabetologin, Dr. F., ergänzt am 09.08.2014, dass der Kläger seitdem er in ihrer Behandlung stehe (ab 07.01.2013), insgesamt 11 kg, davon 6 kg in der orthopädischen Reha-Klinik nach Implantation einer Knie-Totalendoprothese abgenommen habe, jedoch seit der dortigen Entlassung bereits wieder 2 kg zugenommen habe. Infolge der im Januar 2013 erfolgten Ernährungsumstellung und Diabetikerschulung, sei angesichts des vorliegenden Übergewichts mit konservativen Maßnahmen keine ausreichende und anhaltende - d. h. das kardiovasculäre Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko wesentliche beeinflussende - Gewichtsreduktion zu erzielen. Nach wie vor liege eine Mega-Adipositas (BMI 50,03) mit begleitender arterielle Hypertonie, symptomatischer Hyperurikämie mit Gichtanfällen, oral therapiertem Diabetes mellitus Typ 2 vor, wodurch bei dem noch relativ jungen Kläger ein stark erhöhtes kardiovaskuläres Risiko mit erheblichen Folgen vorliege. Nach aktuellen Endpunktstudien sei der morbiden Adipositas mittels Magenbypasses am effektivsten eine Heilung des Diabetes und des Bluthochdrucks sowie der metabolischen Parameter zu erreichen und damit auch das Risiko einer tödlichen Herz-Kreislauferkrankung zu minimieren. Bei der noch kurzen Diabetesanamnese und lediglich oraler Therapie erscheine nach der Studienlage eine Heilung durchaus möglich. Zumal der Kläger motiviert sei, durch Lebensstiländerung die eigenen metabolischen Risiken zu optimieren, wobei die konservativen Möglichkeiten dazu sehr begrenzt seien. So hätten im Falle des Klägers diverse Diäten, Rehabilitationsmaßnahmen zur Gewichtsreduktion keinen dauerhaften Erfolg erbracht, was angesichts des BMI über 40 auch nachweislich mittels konservativer Maßnahmen nicht zu realisieren sei. Die Nervenärztin Dr. X. ergänzt in ihrem Bericht vom 12.08.2014, dass der Kläger sich einmalig am 29.01.2013 wegen Adipositas per magna vorgestellt habe, wobei keine depressive Episode zu erkennen gewesen sei. Auch wenn eine Reihe von Diäten (Atkins, Brigitte, General Hospital) und die Einnahme von verschiedenen Medikamenten zu einer vorübergehenden Gewichtsreduktion geführt hätten, habe er jeweils schnell wieder zugenommen. Im Übrigen besuche der Kläger regelmäßig bei seinem Arbeitgeber eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Gewichtsproblemen und gehe auch zur Ernährungsberatung. Weil allerdings seine Ehefrau an Multipler Sklerose leide und dialysepflichtig sei, müsse er immer mehr an Arbeiten im Haushalt sowie die Betreuung des 10jährigen Sohnes übernehmen. Es mache ihm zu schaffen, dass er nicht so am Leben teilnehmen könne, wie er wolle und fühle sich deshalb oft ausgeschlossen. Im Bericht des Hausarzt Dr. G. vom 11.08.2014 wird ausgeführt, dass er den Kläger seit 2001 als Hausarzt betreue, wobei er den Kläger wegen ausgeprägter Hypertonie mit hochdosierten Medikamenten behandeln müsse. Der Kläger habe multiple eigenständige Initiativen zur Gewichtsabnahme ergriffen, die jedoch immer nur zu einer vorübergehenden Gewichtsabnahme mit anschließender Zunahme geführt hätten. Angesichts der Doppelbelastung mit schwer erkrankten, dialysepflichtiger Ehefrau, Kind sowie Arbeit leide er infolge des Übergewichts an zunehmenden Gelenkschmerzen, die inzwischen dazu geführt hätten, dass er - erfolgreich - an beiden Kniegelenken mittels TEP hat operiert werden müssen. Schließlich bestätigt das Kreiskrankenhaus D-Stadt am 12.08.2014, dass der Kläger dort vom 15.06. bis 27.06.2014 stationär sowie vom 28.06. bis 30.10.2012 und am 08.05.2014 ambulant in Behandlung gestanden hätte.
Im Übrigen hat die Kammer den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 11.02.2015 persönlich angehört; bezüglich dessen Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 57-59 der Gerichtsakte) verwiesen. Genauso wird im Hinblick auf den weiteren Sachvortrag der Beteiligten und die Einzelheiten in den erwähnten Unterlagen auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte, die ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 11.02.2015 waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und im Sinne des in der mündlichen Verhandlung vom 11.02.2015 präzisierten Klageantrages auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 25.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2014 war antragsgemäß aufzuheben, weil dieser den Kläger in seinen Rechten verletzt. Denn darin hat der Beklagte rechtswidrig die Kostenübernahme einer minimal-invasiven adipositas-chirurgischen Maßnahme in Form eines Magenbypasses abgelehnt. Die Beklagte war daher zu verurteilen, ihm eine solche Maßnahme in einem zur Behandlung von Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkasse zugelassenen Krankenhaus zu gewähren.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, wobei diese auch die Krankenhausbehandlung umfasst (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 5 SGB V). Krankenhausbehandlung selbst wird dabei vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant in einem zugelassenen Krankenhaus gewährt, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- oder nachstationäre oder durch ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege zu erreichen ist (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Sie umfasst im Rahmen des Versorgungsauftrages alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinischen Versorgung des Versicherten im Krankenhaus notwendig ist, insbesondere die ärztliche Behandlung (§ 29 Abs. 1 Satz 3 SGB V).
Damit setzt die Krankenbehandlung zunächst das Vorliegen einer Krankheit voraus. Auch wenn nicht unstrittig ist, ob ein Übergewicht allein eine Krankheit in diesem Sinne darstellt (vgl. etwa LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.02.2007 - L 24 KR 247/06; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22.06.2006 - L 5 KR 53/06; Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 03.11.2005 - L 5 KR 173/04; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.11.2009 - L 9 KR 11/08 und vom 22.02.2007 - L 24 KR 247/06; SG Dortmund, Urteile vom 22.07.2008 - S 44 KR 92/07 und vom 31.08.2010 - S 40 KR 313/07), besteht in der medizinischen Wissenschaft Einigkeit darüber, dass jedenfalls eine massive Adipositas (Übergewicht) mit einem Body-Mass-Index (BMI) von wenigstens 30 eine behandlungsbedürftige Krankheit darstellt (vgl. SG Darmstadt, Urteil vom 14.11.2012 S 10 KR 309/10; SG Kassel, Urteil vom 30.10.2013 - S 12 KR 198/12 mit weiteren Nachweisen). Deshalb ist in diesen Fällen eine Behandlung mit dem Ziel der Gewichtsreduktion erforderlich, da andernfalls ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleit- und Folgeerscheinungen wie Stoffwechselkrankheiten, Herz- und Kreislaufkrankheiten, Atemwegserkrankungen, gastrointestinale Erkrankungen, Krankheiten des Bewegungsapparates oder gar die Gefahr der Entwicklung bösartiger Neubildungen besteht (vgl. etwa: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 07.12.2004 L 11 KR 1627/04 mit weiteren Nachweisen). Erst recht muss dies gelten, wenn infolge der Adipositas sich bereits Sekundärerkrankungen - im Falle des Klägers erhebliche Arthrosen in den Kniegelenken mit der Notwendigkeit der beidseitigen Implantation künstlicher Gelenke, ein inzwischen insulinpflichtiger Diabetes mellitus sowie ein Bluthochdruck - entwickelt haben (vgl. etwa: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 12.07.2006 - L 5 KR 5779/05 mit weiteren Nachweisen). Angesichts des beim Kläger dokumentierten Übergewichts (BMI 53,3 kg/m2 laut Aussage von Prof. Dr. E. vom 30.01.2013; BMI 51,8 kg/m2 gemäß dem MDK-Gutachten des Dr. I. vom 17.05.2013; BMI 50,03 kg/m2 laut Attest der Internistin und Diabetologin Dr. F. vom 23.04.2013) sowie der bereits eingetretenen sekundären Krankheiten (s.o.) liegt auch nach Einschätzung der Beklagten eine behandlungsbedürftige Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V vor, weshalb die Beklagte dem Kläger auch zwingend die Durchführung von gewichtsreduzierenden Maßnahmen empfiehlt und lediglich die vom Kläger gewünschte adipositas-chirurgische Maßnahme (Magenbypass) als - noch - nicht notwendig erachtet.
Denn nach § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V müssen die Leistungen - gerade auch solche der Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 SGB V - ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können daher einerseits Versicherte nicht beanspruchen und andererseits dürfen die Leistungserbringer solche nicht bewirken und schließlich dürfen die Krankenkassen auch solche nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Angesichts dieser zwingenden Vorgaben geht die Rechtsprechung im Allgemeinen davon aus, dass auch deshalb Behandlungsmaßnahmen, die in ein an sich gesundes Organ eingreifen, in der Regel von der Krankenbehandlung ausgeschlossen sind. Daher kommen Maßnahmen im Bereich des (gesunden) Magens, die mittelbar auf die Reduzierung der Adipositas abzielen (Verfahren der bariatrischen Chirurgie, wie vorliegend der Einsatz eines Magenbypasses) nur als "ultimo ratio" in Betracht und bedürfen zu ihrer Durchführung einer speziellen Rechtfertigung. Deshalb sind sie nur bei Patienten angesagt, die eine Reihe weiterer Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen. Dazu hat die - inzwischen gefestigte - Rechtsprechung, insbesondere des Bundessozialgerichts (vgl. etwa BSG, Urteile vom 19.02.2003 - B 1 KR 2/02 R, vom 06.10.1999 - B 1 KR 13/97), folgende Grundsätze entwickelt:
- Die Adipositas muss so gravierend sein, dass ihr Krankheitswerte zukommen, wovon bei einem BMI von mindestens 40 stets auszugehen ist. Dagegen kann dies bei einem BMI von 35 bis unter 40 nur dann angenommen werden, wenn bereits erhebliche Begleiterscheinungen vorliegen.
- Die konservativen Behandlungsmaßnahmen müssen erschöpft sein. Davon kann ausgegangen werden, wenn der Versicherte über einen längeren Zeitraum (sechs bis zwölf Monate) an einem ärztlich überwachten bzw. koordinierten multimodularen Therapiekonzept, welches unter anderem Diätmaßnahmen, Ernährungsschulungen, Bewegungs- und Psychotherapie umfasst, erfolglos teilgenommen hat.
- Eine auseichende Motivation des Versicherten gegeben ist, sein Gewicht zu reduzieren.
- Das Operationsrisiko muss - angesichts weiterer im konkreten Fall gegebener Erkrankungen - tolerabel sein.
- Es darf keine manifeste psychische Erkrankung für die Entwicklung des Übergewichts ursächlich sein bzw. den Erfolg der Maßnahme gefährden.
- Es muss die Möglichkeit der lebenslangen medizinischen Nachbetreuung sichergestellt sein.
Unter Anwendung dieser Grundsätze, die sich auch die erkennende Kammer zu eigen gemacht hatte (vgl. etwa Urteil vom 14.11.2012 - S 10 KR 39/10) und weiterhin macht, steht dem Kläger - ausnahmsweise - ein Anspruch auf die gewünschte minimalinvasiv adipositas-chirurgische Maßnahme in Form eines Magenbypasses zu; auch wenn er selbst noch nicht an einem über sechs bis zwölf Monate laufenden ärztlich geleiteten multimodalen Therapiekonzept - zumal erfolglos - teilgenommen hat. Denn die besonderen Umstände im Falle des Klägers rechtfertigen eine Ausnahmesituation, bei der diese Voraussetzung entbehrlich ist. Denn für den Fall (auch) einer adipositas-chirurgischen Maßnahme, wie hier des Magenbypasses, bedeutet dies, dass die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken der zu erwartenden Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2013 - B 1 KR 1/02 R und die hiesige Kammer bereits in den Urteilen vom 26.09.2007 - S 10 KR 360/06 und vom 14.12.2005 - S 10 KR 530/03 sowie das diese Entscheidung bestätigende Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 12.12.2006 - L 8 KR 55/06).
Zu Gunsten des Klägers ist nämlich zu berücksichtigen, dass dessen Adipositas bereits seit früher Jugend bestand, er in den letzten Jahren immer wieder - wenn auch erfolglos - auf Eigeninitiative hin vielfältige Bemühungen unternommen hat, sein Körpergewicht zu reduzieren. Diese Erfolge - immerhin konnte der Kläger seinen eigenen Angaben zufolge sein Körpergewicht einmal sogar um 50 kg reduzieren - waren jedoch wegen des sich einstellenden "Jo-Jo-Effektes" nicht dauerhaft. Deshalb wird auch in der S-3-Leitlinie "Chirurgie der Adipositas" bereits im Juni 2010 unter Abschnitt 3.2 Unterpunkt 4 Primäre Indikation festgehalten:
"Lassen Art und/oder Schwere der Krankheit bzw. psychosoziale Gegebenheiten bei Erwachsenen annehmen, dass eine chirurgische Therapie nicht aufgeschoben werden kann oder die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist, kann in Ausnahmefällen auch primär eine chirurgische Therapie durchgeführt werden; die Indikation hierzu ist durch einen in der Adipositaschirurgie qualifizierten Arzt und einen bariatrischen Chirurgen gemeinsam zu stellen. Damit hat die Leitlinienkommission ein weiteres Beurteilungskriterium nach eingehender Diskussion präzisierend in diese Leitlinie aufgenommen, nämlich der Begriff der geringen Erfolgsaussicht". (Chirurgische Arbeitsgemeinschaft für Adipositastherapie in Zusammenarbeit mit der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG), der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin).
Dabei hat das Hessische Landessozialgericht nicht nur in seiner Entscheidung vom 22.05.2014 (L 8 KR 7/11) auf diese Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften abgestellt, da diese eine systematisch entwickelte Hilfe für Ärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen darstellt. Auch wenn diese nicht rechtlich bindend sind, gibt sie doch wichtige Entscheidungshilfen, zumal sie auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und auf in der Praxis bewährten Verfahren beruht. "Die Klassifizierung als S-3-Leitlinie bringt zum Ausdruck, dass diese auf der Grundlage einer formellen oder systematischen Evidenzrecherche erstellt wurde und alle Elemente einer systematischen Entwicklung (Logik-, Entscheidungs- und Outformanalyse, Bewertung klinischer Relevanz wissenschaftlicher Studien und regelmäßige Überprüfung) beinhaltet" (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 22.05.2014 - L 8 KR 7/11). Im Übrigen ist zu beachten, dass die Erfolgsaussichten einer rein konservativen Therapie mit dem Ausmaß der Adipositas in einer Wechselbeziehung steht, weshalb etwa beim Vorliegen einer vergleichsweise geringen Adipositas an die Durchführung einer vorherigen konservativen Therapie strengere Anforderungen zu stellen sind, als - wie im vorliegenden Fall - bei einem BMI von 50 und mehr. Daher ist es angemessen, wenigstens in Sonderfällen, in denen der BMI im oberen Bereich liegt und den Wert von 40 deutlich überschreitet, eine Magenverkleinerungsoperation krankenversicherungsrechtlich auch dann zu bewilligen, wenn die hinreichende glaubhaften und ernsthaften eigeninitiativen Bemühungen des Versicherten zur Gewichtsreduktion nicht den strengen Vorgaben zu einem sechs- bis zwölfmonatigen multimodalen und ärztlich geleiteten bzw. überwachten Therapiekonzept entsprachen (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 22.05.2014 - L 8 KR 7/11; SG Mannheim, Urteil vom 17.01.2014 - S 9 KR491/12).
Unter Berücksichtigung dieser konkretisierten Vorgaben ist festzustellen, dass der Kläger zum einen unter einer Adipositas mit einem BMI von über 50, verschiedenen schwerwiegenden Nebenwirkungen (insbesondere seit kurzem auch an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus) leidet, über eine mehr als ausreichende Motivation zur Gewichtsreduktion verfügt (Stellungnahme der Nervenärztin Dr. X. vom 04.02.2013, Bescheinigung der Diplom-Oecotrophin S. vom 18.04.2013 und Attest Dr. F. vom 23.04.2013), das Operationsrisiko dennoch tolerabel ist (vgl. Stellungnahme von Prof. Dr. E. vom 30.01.2013) und keine manifeste psychiatrische Krankheit als Kontraindikation gegeben ist (Stellungnahme Dr. X. vom 04.02.2013). Zudem bietet insbesondere das von dem Kläger zwecks Operation aufgesuchte Krankenhaus E-Stadt die Möglichkeit einer auch längerfristig angelegten Nachsorge. Im Übrigen hegt die Kammer keine Bedenken, den Angaben des Klägers über sein seit Kindheit bestehendes Übergewicht, die eingeleiteten erfolglosen Therapieversuche mittels verschiedener Diäten (vgl. Bericht des Evangelisches Krankenhaus H. in D-Stadt vom 20.06.2012, Angaben gemäß der ärztlichen Stellungnahme des MDK-Arztes Dr. I. vom 17.05.2013, Darstellung des Krankenhauses E-Stadt vom 30.01.2013) und stationärer Reha-Aufenthalte (Entlassungsbericht M. Z. vom 10.09. bis 01.10.2012 und weiterer zwei Reha-Maßnahmen, gemäß den Angaben des Klägers gegenüber dem Krankenhaus E Stadt, Bericht vom 08.08.2014) Glauben zu schenken. Zudem hat der Kläger nachgewiesen, dass er - vor allem im Zusammenhang mit dem Diabetes mellitus - ständig an einer betrieblich angebotenen Ernährungsberatung teilgenommen hat (Diplom-Oecotrophin S. vom 18.04.2013, Internistin und Diabetologin Dr. F. vom 04.03.2013) und ständiger Teilnehmer einer Selbsthilfegruppe zur Gewichtsreduzierung ist. Trotz seiner Bemühungen, die dort erhaltenen Empfehlungen umzusetzen, ist es ihm nicht gelungen, sein Gewicht zu reduzieren; allerdings ist das Gewicht auch nicht weiter angestiegen (Bescheinigung der Diplom-Oecotrophin S. vom 18.04.2013).
Soweit die Beklagte dagegen darauf verweist, dass der Kläger (noch) nicht an einem ärztlich geleiteten multimodalen Therapiekonzept zur Gewichtsreduzierung teilgenommen habe, insbesondere noch kein unter ärztlicher Leitung durchzuführendes Bewegungstraining absolviert habe, muss dem bereits entgegen gehalten werden, dass dem Kläger solche Maßnahmen von der Beklagten nicht angeboten wurden. Hinsichtlich des Bewegungstrainings dürfte es schon deshalb keinen Erfolg haben, weil der Kläger angesichts der beidseitigen Knie-TEP-Operationen nur über ein eingeschränktes Bewegungsprofil verfügt. Schließlich ist im konkreten Falle des Klägers ausgeschlossen, dass er an einem zunächst mehrwöchigen stationären Aufenthalt in einer entsprechenden Fachklinik teilnehmen kann, da er - worauf dieser auf Nachfragen der Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 11.02.2015 überzeugend hingewiesen hatte - aufgrund seiner familiären Situation überhaupt nicht dazu in der Lage ist. So hat er nicht nur seine dialysepflichtige und unter Multipler Sklerose leidende Frau zu betreuen, sondern auch seinen noch minderjährigen Sohn.
Schließlich belegt die interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur "Prävention und Therapie der Adipositas" der Deutschen Adipositasgesellschaft in Zusammenarbeit mit der Deutschen Diabetes Gesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (Version 2.0 vom April 2014), dass eine chirurgische Therapie auch primär ohne eine präoperative konservative Therapie durchgeführt werden kann, wenn die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist oder der Gesundheitszustand des Patienten keinen Aufschub eines operativen Eingriffs zur Besserung durch Gewichtsreduktion erlaubt. Wobei dies vor allem bei besonderer Schwere von Begleit- und Folgeerkrankungen der Adipositas (hier: erhebliche Kniegelenksarthrose mit inzwischen beidseitiger TEP, erheblichem Bluthochdruck und einem inzwischen Insulinpflichtigen Diabetes mellitus) aber auch bereits bei einem BMI von über 50 kg/m2 angenommen wird, oder auch schon bei sonstigen persönlichen psychosozialen Umständen, die keinen Erfolg einer Lebensstiländerung in Aussicht stellen, gegeben ist (Prävention und Therapie der Adipositas Punkt 5.45 vom April 2014). Ob deshalb auch im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung bereits immer schon beim Vorliegen eines BMI über 50 kg/m2 auch ohne vorherige erfolglose präoperative konservative Therapie ein Anspruch auf adipositas-chirurgische Maßnahmen zur Gewichtsreduktion besteht, kann die Kammer hier offen lassen, da im Falle des Klägers eine Summe aller eine Ausnahmesituation begründenden Umstände zusammentreffen. Deshalb ist die Beklagte verpflichtet, dem Kläger als Sachleistung die gewünschte Magen-Bypass-Operation zur Gewichtsreduktion zu gewähren.
Da sich der Bescheid der Beklagten vom 25.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2014, mit dem die gewünschte operative Gewichtsreduktion abgelehnt worden war, damit als rechtswidrig erweist, war dieser aufzuheben und die Beklagte darüber hinaus zu verurteilen, dem Kläger eine minimalinvasive adipositas-chirurgische Maßnahme in Form eines Magenbypasses als Sachleistung zu gewähren, wobei dies auf ein nach § 108 SGB V zugelassenes Krankenhaus zu beschränken war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, wobei die Kammer davon ausgeht, dass die im Tenor des Urteils ausgesprochene Beschränkung auf ein zugelassenes Krankenhaus gegenüber dem Klageziel keine Bedeutung beizumessen war.
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