Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 6 R 1533/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 149/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
- Zu den Voraussetzungen einer fiktiven Klagerücknahme
- Liegt der Aufforderung nach § 102 Abs. 2 SGG, das Verfahren zu betreiben, eine vorgehende gerichtliche Anforderung zugrunde, so kann von einer fiktiven Klagerücknahme nur ausgegangen werden, wenn dem Kläger auch die vorgehende Anforderung nachweislich zugegangen ist.
- Wird der Zugang bestritten, kann ohne förmlichen Zustellungsnachweis der vorgehenden Aufforderung ein Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses des Klägers regelmäßig nicht unterstellt werden.
- Liegt der Aufforderung nach § 102 Abs. 2 SGG, das Verfahren zu betreiben, eine vorgehende gerichtliche Anforderung zugrunde, so kann von einer fiktiven Klagerücknahme nur ausgegangen werden, wenn dem Kläger auch die vorgehende Anforderung nachweislich zugegangen ist.
- Wird der Zugang bestritten, kann ohne förmlichen Zustellungsnachweis der vorgehenden Aufforderung ein Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses des Klägers regelmäßig nicht unterstellt werden.
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 03. September 2015 aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass der ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 6 R 4/13 vor dem Sozialgericht München anhängige Rechtsstreit nicht durch Klagerücknahmefiktion nach § 102 Abs. 2 SGG beendet wurde.
III. Die Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten bleibt der Endentscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Verfahren auf Feststellung rentenrechtlicher Zeiten vor dem SG (S 6 R 4/13) durch fiktive Klagerücknahme gemäß § 102 Abs. 2 SGG beendet wurde.
Mit Bescheid vom 22.11.2011 stellte die Beklagte die im Versicherungsverlauf des Klägers enthaltenen Daten für die Zeit bis 31.12.2004 verbindlich fest. Der Widerspruch, mit welchem der Kläger die Berücksichtigung weiterer Zeiten (Arbeitslosigkeit, Kindererziehung) begehrte, wurde mit Bescheid vom 27.11.2012 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen erhob der Kläger am 02.01.2013 Klage zum Sozialgericht München (SG), welche unter dem Aktenzeichen S 6 R 4/13 aufgenommen wurde. Im Rahmen dieses Verfahrens übermittelte die Beklagte mit Schriftsatz vom 15.10.2013 einen aktualisierten Feststellungsbescheid nach § 149 Abs. 5 SGB VI vom 24.09.2013 und bat um Mitteilung, ob die Klage weiter aufrechterhalten werde. Mit Schreiben vom 28.10.2013 übermittelte das SG den Schriftsatz der Beklagten nebst Anlagen mit einfachem Brief an die Wohnsitzadresse des Klägers zur Kenntnis und Stellungnahme binnen einer Woche, ob die Klage angesichts des Vorbringens der Beklagten und dem ergangenen Feststellungsbescheid vom 24.09.2013 für erledigt erklärt werde. Auf dem Entwurf des Schreibens ist handschriftlich vermerkt "nochmals abgesandt am 27.11.2013". Nachdem in der Folge keine Reaktion des Klägers erfolgte, erließ das SG mit Datum vom 05.02.2014 eine Betreibensaufforderung nach § 102 Abs. 2 SGG. Das Schreiben, welchem keine Anlagen beigefügt waren, hatte folgenden Wortlaut: " ... werden Sie hiermit zur Vermeidung der unten genannten Rechtsfolge letztmals aufgefordert, das gerichtliche Schreiben vom 28.10.2013 zu beantworten. Die Klage gilt gemäß § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt, er also ungeachtet einer Aufforderung des Gerichts nicht fristgemäß die vom Gericht als geboten angesehene Mitwirkungshandlung erbringt oder hinreichend durch Tatsachen darlegt und begründet, warum die geforderte Handlung nicht vorgenommen werden kann. In diesen Fällen unterstellt das Gericht den Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers." Das Schreiben war vom Kammervorsitzenden persönlich unterzeichnet worden und dem Kläger laut Zustellungsurkunde am 18.02.2014 zugestellt worden. Am 19.03.2014 rief der Kläger laut aktenkundigem Telefonvermerk bei der Geschäftsstelle des SG an und teilte mit, dass er zwar das Schreiben vom 05.02.2014 nicht jedoch das Schreiben vom 28.10.2013 nebst Anlagen erhalten habe. Um nochmalige Zusendung dieses Schreibens wurde gebeten. Daraufhin wurde am 19.03.2014 das Schreiben vom 28.10.2013 nebst Anlagen nochmals mit einfachem Brief an den Kläger versandt. Nachdem in der Folge wiederum keine Reaktion des Klägers erfolgte, wurde das Verfahren mit Verfügung des Kammervorsitzenden vom 04.06.2014 aufgrund fiktiver Klagerücknahme gemäß § 102 Abs. 2 SGG mit der Begründung ausgetragen, der Kläger habe trotz Aufforderung des Gerichts das Verfahren länger als drei Monate nicht betrieben.
Am 13.07.2015 gingen ein Schreiben Klägers am SG ein, mit welchem er sich gegen die Erledigung des Rechtsstreites wandte. Der letzte Sachstand sei aus seiner Sicht gewesen, dass er einen Schriftsatz der Beklagten erhalten und sich zu diesem äußern sollte, wenn sich die Klage dadurch erledigt habe. Er habe beim SG angerufen und mitgeteilt, dass Schreiben an ihn förmlich zuzustellen seien bzw. von ihm persönlich beim SG abgeholt werden sollten, da an ihn adressierte Post des Öfteren aus seinem Briefkasten verschwinden würde. Trotz der Zusage des SG, den Schriftsatz der Beklagten erneut zu senden habe er ihn bisher nicht erhalten. Es habe keine rechtliche Grundlage gegeben, das Verfahren von Amts wegen zu beenden. Vorsorglich werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Das SG führte das Verfahren daraufhin unter dem Aktenzeichen S 6 R 1533/15 fort. Zu der in der Folge anberaumten mündlichen Verhandlung vom 03.09.2015, welche trotz entsprechenden Antrags des Klägers nicht verlegt wurde, erschien der Kläger unentschuldigt nicht. Das SG hob das angeordnete persönliche Erscheinen auf und stellte mit Urteil nach mündlicher Verhandlung vom gleichen Tage fest, dass der Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen S 6 R 4/13 durch Klagerücknahme beendet worden sei. Der Kläger habe das Verfahren trotz entsprechender Aufforderung des Gerichtes innerhalb von drei Monaten nicht betrieben. Die Aufforderung sei dem Kläger nachweislich am 05.02.2014 zugestellt worden. Es verbleibe bei der Rücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 S. 1 SGG.
Gegen diese Entscheidung legte der Kläger am 29.02 2016 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht ein. Das SG sei zur Fortsetzung der dort anhängigen Klagesache und zur Umsetzung der Sachanträge zu veranlassen. Das SG berufe sich unzutreffender Weise auf ein angebliches Nichtbetreiben. Er habe im Übrigen nach telefonischer Rückfrage vor der mündlichen Verhandlung davon ausgehen können, dass diese auf seinen Antrag hin verlegt werde.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 03. September 2015 aufzuheben und festzustellen, dass das Verfahren S 6 R 4/13 vor dem Sozialgericht München nicht durch Klagerücknahmefiktion beendet wurde.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des Sozialgerichts und die Akten Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist begründet. Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG unter denen die Klage als zurückgenommen gilt, sind nicht erfüllt. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist aufzuheben. Das Sozialgericht wird das unter dem Aktenzeichen S 6 R 4/13 rechtshängig gewordene und anhängig gebliebene Klageverfahren fortzuführen haben.
Gem. § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betreibt. In der Betreibensaufforderung ist der Kläger auf die sich aus § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Die Betreibensaufforderung unterliegt hierbei formellen, materiellen und inhaltlichen Anforderungen, ohne deren Erfüllung sie nicht Grundlage der Rücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG sein kann (BSG, Urteil vom 01.07.2010, Az.: B 13 R 58/09 R).
In formeller Hinsicht muss wegen der einschneidenden Folgen der Rücknahmefiktion sichergestellt sein, dass es sich bei der Betreibensaufforderung nicht lediglich um einen Entwurf handelt und dass der Richter nicht von einer Routine-Verfügung ausgeht; hierüber muss auch für die Betroffenen Gewissheit bestehen. Die Betreibensaufforderung muss daher nach der Rechtsprechung des BSG vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet werden. Ein den Namen abkürzendes Handzeichen (Paraphe) genügt als Unterschrift nicht. Auch die gem. § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG zuzustellende Ausfertigung/beglaubigte Abschrift der Betreibensaufforderung muss diesen Umstand erkennen lassen, d. h. durch Wiedergabe des vollen Namens des Richters ausweisen, dass die Betreibensaufforderung von ihm stammt (BSG, Urteil vom 01.07.2010, a.a.O.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Die Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens muss daneben auch inhaltlichen Anforderungen genügen. Dem Kläger muss im Rahmen des § 102 Abs. 2 S. 3 SGG klar und unzweifelhaft deutlich gemacht werden, welche Verfahrenshandlung er vornehmen muss, um die Fiktion der Rücknahme seiner Klage abzuwenden. Die Handlungen zum (hinreichenden) Betreiben des Verfahrens müssen - abhängig vom Stand des Verfahrens - möglichst konkret bezeichnet werden; allgemeine Aufforderungen zum Tätigwerden genügen grundsätzlich nicht (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 11. Aufl. 2014, Rn. 8c zu § 102; NK-VwGO/Schmid § 92 Rn. 33; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom. 12.07.2011, Az.: L 11 KR 1429/11).
Diese Anforderungen werden durch die im vorliegenden Verfahren unter dem Datum vom 05.02.2014 erteilte Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens nicht erfüllt. Das SG hat bei der angegriffenen Feststellung, das Verfahren sei durch fiktive Klagerücknahme erledigt, übersehen, dass der Nachweis einer ordnungsgemäßen Betreibensaufforderung nicht geführt werden kann. Zwar wurde die Aufforderung vom 05.02.2014 an den Kläger ausweislich der Zustellungsurkunde am 18.02.2014 zugestellt. Aus dieser Aufforderung alleine war für den Kläger jedoch nicht zu entnehmen, welche Verfahrenshandlungen konkret gefordert waren. Es wurde dort lediglich pauschal gefordert, das "gerichtliche Schreiben vom 28.10.2013" zu beantworten. Den Zugang dieses ersten Schreibens nebst Anlagen hat der Kläger aber stets bestritten und diesen Umstand - wie auch seine erfolglosen Bemühungen an das Schreiben nebst Anlagen zu gelangen - in der mündlichen Verhandlung nochmals glaubhaft dargelegt. Der Betreibensaufforderung selbst war dieses Schreiben nebst Anlagen nicht beigefügt. Zwar wusste der Kläger aufgrund des nachweislich mit der Geschäftsstelle des SG geführten Telefonats, dass mit diesem gerichtlichem Schreiben vom 28.10.2013 ein Verfahrensschriftsatz der Beklagten übermittelt werden und er zur Fortführung des Verfahrens Stellung nehmen sollte. Gleichwohl konnte diese Verfahrenshandlung vom Kläger ernsthaft nicht verlangt werden, da sich in den Akten des SG kein Nachweis findet, dass der Kläger das der Betreibensaufforderung zu Grunde liegende Schreiben vom 28.10.2013 nebst Anlagen auch tatsächlich erhalten hat. Das Schreiben wurde zwar mehrfach abgesandt, jedoch jeweils nur mit einfachem Brief. Spätestens nachdem der Kläger am 19.03.2014 telefonisch mitgeteilt hatte, das Schreiben vom 28.10.2013 nebst Anlagen nicht erhalten zu haben und hierzu auch zumindest glaubhafte Gründe angab, hätte es sich für das SG aufdrängen müssen, zur nachweislichen Herbeiführung der Voraussetzungen einer fiktiven Klagerücknahme auch die Aufforderung vom 28.10.2013 nebst Anlagen förmlich zuzustellen. Denn ohne Nachweis der Kenntnis des Klägers von dem aktualisierten Feststellungsbescheid der Beklagten vom 24.09.2013 lagen gerade keine begründeten Anhaltspunkte für den ausnahmsweisen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers vor (Meyer-Ladewig, a.a.O., Rn. 8a zu § 102). Wird der Zugang des Ausgangsschreibens bestritten, so steht das Fehlen eines entsprechenden Zustellungsnachweises auch für das Ausgangsschreiben der Rechtsfolge des § 102 Abs. 2 S 1SGG regelmäßig entgegen (so auch Bayer. LSG, Beschluss vom 21.03.2011, Az.: L 10 AL 165/09).
Infolge der nicht eingetretenen Beendigung durch Klagerücknahmefiktion ist das Klageverfahren weiterhin am SG rechtshängig i.S.v. § 94 SGG, so dass eine Zurückverweisung gemäß § 159 Abs. 1 SGG in die Ausgangsinstanz entbehrlich ist (so auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21.04.2015, Az.: L 7 SB 105/13 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung berücksichtigt die in erster Instanz weiterbestehende Rechtshängigkeit.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
II. Es wird festgestellt, dass der ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 6 R 4/13 vor dem Sozialgericht München anhängige Rechtsstreit nicht durch Klagerücknahmefiktion nach § 102 Abs. 2 SGG beendet wurde.
III. Die Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten bleibt der Endentscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Verfahren auf Feststellung rentenrechtlicher Zeiten vor dem SG (S 6 R 4/13) durch fiktive Klagerücknahme gemäß § 102 Abs. 2 SGG beendet wurde.
Mit Bescheid vom 22.11.2011 stellte die Beklagte die im Versicherungsverlauf des Klägers enthaltenen Daten für die Zeit bis 31.12.2004 verbindlich fest. Der Widerspruch, mit welchem der Kläger die Berücksichtigung weiterer Zeiten (Arbeitslosigkeit, Kindererziehung) begehrte, wurde mit Bescheid vom 27.11.2012 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen erhob der Kläger am 02.01.2013 Klage zum Sozialgericht München (SG), welche unter dem Aktenzeichen S 6 R 4/13 aufgenommen wurde. Im Rahmen dieses Verfahrens übermittelte die Beklagte mit Schriftsatz vom 15.10.2013 einen aktualisierten Feststellungsbescheid nach § 149 Abs. 5 SGB VI vom 24.09.2013 und bat um Mitteilung, ob die Klage weiter aufrechterhalten werde. Mit Schreiben vom 28.10.2013 übermittelte das SG den Schriftsatz der Beklagten nebst Anlagen mit einfachem Brief an die Wohnsitzadresse des Klägers zur Kenntnis und Stellungnahme binnen einer Woche, ob die Klage angesichts des Vorbringens der Beklagten und dem ergangenen Feststellungsbescheid vom 24.09.2013 für erledigt erklärt werde. Auf dem Entwurf des Schreibens ist handschriftlich vermerkt "nochmals abgesandt am 27.11.2013". Nachdem in der Folge keine Reaktion des Klägers erfolgte, erließ das SG mit Datum vom 05.02.2014 eine Betreibensaufforderung nach § 102 Abs. 2 SGG. Das Schreiben, welchem keine Anlagen beigefügt waren, hatte folgenden Wortlaut: " ... werden Sie hiermit zur Vermeidung der unten genannten Rechtsfolge letztmals aufgefordert, das gerichtliche Schreiben vom 28.10.2013 zu beantworten. Die Klage gilt gemäß § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt, er also ungeachtet einer Aufforderung des Gerichts nicht fristgemäß die vom Gericht als geboten angesehene Mitwirkungshandlung erbringt oder hinreichend durch Tatsachen darlegt und begründet, warum die geforderte Handlung nicht vorgenommen werden kann. In diesen Fällen unterstellt das Gericht den Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers." Das Schreiben war vom Kammervorsitzenden persönlich unterzeichnet worden und dem Kläger laut Zustellungsurkunde am 18.02.2014 zugestellt worden. Am 19.03.2014 rief der Kläger laut aktenkundigem Telefonvermerk bei der Geschäftsstelle des SG an und teilte mit, dass er zwar das Schreiben vom 05.02.2014 nicht jedoch das Schreiben vom 28.10.2013 nebst Anlagen erhalten habe. Um nochmalige Zusendung dieses Schreibens wurde gebeten. Daraufhin wurde am 19.03.2014 das Schreiben vom 28.10.2013 nebst Anlagen nochmals mit einfachem Brief an den Kläger versandt. Nachdem in der Folge wiederum keine Reaktion des Klägers erfolgte, wurde das Verfahren mit Verfügung des Kammervorsitzenden vom 04.06.2014 aufgrund fiktiver Klagerücknahme gemäß § 102 Abs. 2 SGG mit der Begründung ausgetragen, der Kläger habe trotz Aufforderung des Gerichts das Verfahren länger als drei Monate nicht betrieben.
Am 13.07.2015 gingen ein Schreiben Klägers am SG ein, mit welchem er sich gegen die Erledigung des Rechtsstreites wandte. Der letzte Sachstand sei aus seiner Sicht gewesen, dass er einen Schriftsatz der Beklagten erhalten und sich zu diesem äußern sollte, wenn sich die Klage dadurch erledigt habe. Er habe beim SG angerufen und mitgeteilt, dass Schreiben an ihn förmlich zuzustellen seien bzw. von ihm persönlich beim SG abgeholt werden sollten, da an ihn adressierte Post des Öfteren aus seinem Briefkasten verschwinden würde. Trotz der Zusage des SG, den Schriftsatz der Beklagten erneut zu senden habe er ihn bisher nicht erhalten. Es habe keine rechtliche Grundlage gegeben, das Verfahren von Amts wegen zu beenden. Vorsorglich werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Das SG führte das Verfahren daraufhin unter dem Aktenzeichen S 6 R 1533/15 fort. Zu der in der Folge anberaumten mündlichen Verhandlung vom 03.09.2015, welche trotz entsprechenden Antrags des Klägers nicht verlegt wurde, erschien der Kläger unentschuldigt nicht. Das SG hob das angeordnete persönliche Erscheinen auf und stellte mit Urteil nach mündlicher Verhandlung vom gleichen Tage fest, dass der Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen S 6 R 4/13 durch Klagerücknahme beendet worden sei. Der Kläger habe das Verfahren trotz entsprechender Aufforderung des Gerichtes innerhalb von drei Monaten nicht betrieben. Die Aufforderung sei dem Kläger nachweislich am 05.02.2014 zugestellt worden. Es verbleibe bei der Rücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 S. 1 SGG.
Gegen diese Entscheidung legte der Kläger am 29.02 2016 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht ein. Das SG sei zur Fortsetzung der dort anhängigen Klagesache und zur Umsetzung der Sachanträge zu veranlassen. Das SG berufe sich unzutreffender Weise auf ein angebliches Nichtbetreiben. Er habe im Übrigen nach telefonischer Rückfrage vor der mündlichen Verhandlung davon ausgehen können, dass diese auf seinen Antrag hin verlegt werde.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 03. September 2015 aufzuheben und festzustellen, dass das Verfahren S 6 R 4/13 vor dem Sozialgericht München nicht durch Klagerücknahmefiktion beendet wurde.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des Sozialgerichts und die Akten Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist begründet. Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG unter denen die Klage als zurückgenommen gilt, sind nicht erfüllt. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist aufzuheben. Das Sozialgericht wird das unter dem Aktenzeichen S 6 R 4/13 rechtshängig gewordene und anhängig gebliebene Klageverfahren fortzuführen haben.
Gem. § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betreibt. In der Betreibensaufforderung ist der Kläger auf die sich aus § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Die Betreibensaufforderung unterliegt hierbei formellen, materiellen und inhaltlichen Anforderungen, ohne deren Erfüllung sie nicht Grundlage der Rücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG sein kann (BSG, Urteil vom 01.07.2010, Az.: B 13 R 58/09 R).
In formeller Hinsicht muss wegen der einschneidenden Folgen der Rücknahmefiktion sichergestellt sein, dass es sich bei der Betreibensaufforderung nicht lediglich um einen Entwurf handelt und dass der Richter nicht von einer Routine-Verfügung ausgeht; hierüber muss auch für die Betroffenen Gewissheit bestehen. Die Betreibensaufforderung muss daher nach der Rechtsprechung des BSG vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet werden. Ein den Namen abkürzendes Handzeichen (Paraphe) genügt als Unterschrift nicht. Auch die gem. § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG zuzustellende Ausfertigung/beglaubigte Abschrift der Betreibensaufforderung muss diesen Umstand erkennen lassen, d. h. durch Wiedergabe des vollen Namens des Richters ausweisen, dass die Betreibensaufforderung von ihm stammt (BSG, Urteil vom 01.07.2010, a.a.O.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Die Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens muss daneben auch inhaltlichen Anforderungen genügen. Dem Kläger muss im Rahmen des § 102 Abs. 2 S. 3 SGG klar und unzweifelhaft deutlich gemacht werden, welche Verfahrenshandlung er vornehmen muss, um die Fiktion der Rücknahme seiner Klage abzuwenden. Die Handlungen zum (hinreichenden) Betreiben des Verfahrens müssen - abhängig vom Stand des Verfahrens - möglichst konkret bezeichnet werden; allgemeine Aufforderungen zum Tätigwerden genügen grundsätzlich nicht (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 11. Aufl. 2014, Rn. 8c zu § 102; NK-VwGO/Schmid § 92 Rn. 33; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom. 12.07.2011, Az.: L 11 KR 1429/11).
Diese Anforderungen werden durch die im vorliegenden Verfahren unter dem Datum vom 05.02.2014 erteilte Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens nicht erfüllt. Das SG hat bei der angegriffenen Feststellung, das Verfahren sei durch fiktive Klagerücknahme erledigt, übersehen, dass der Nachweis einer ordnungsgemäßen Betreibensaufforderung nicht geführt werden kann. Zwar wurde die Aufforderung vom 05.02.2014 an den Kläger ausweislich der Zustellungsurkunde am 18.02.2014 zugestellt. Aus dieser Aufforderung alleine war für den Kläger jedoch nicht zu entnehmen, welche Verfahrenshandlungen konkret gefordert waren. Es wurde dort lediglich pauschal gefordert, das "gerichtliche Schreiben vom 28.10.2013" zu beantworten. Den Zugang dieses ersten Schreibens nebst Anlagen hat der Kläger aber stets bestritten und diesen Umstand - wie auch seine erfolglosen Bemühungen an das Schreiben nebst Anlagen zu gelangen - in der mündlichen Verhandlung nochmals glaubhaft dargelegt. Der Betreibensaufforderung selbst war dieses Schreiben nebst Anlagen nicht beigefügt. Zwar wusste der Kläger aufgrund des nachweislich mit der Geschäftsstelle des SG geführten Telefonats, dass mit diesem gerichtlichem Schreiben vom 28.10.2013 ein Verfahrensschriftsatz der Beklagten übermittelt werden und er zur Fortführung des Verfahrens Stellung nehmen sollte. Gleichwohl konnte diese Verfahrenshandlung vom Kläger ernsthaft nicht verlangt werden, da sich in den Akten des SG kein Nachweis findet, dass der Kläger das der Betreibensaufforderung zu Grunde liegende Schreiben vom 28.10.2013 nebst Anlagen auch tatsächlich erhalten hat. Das Schreiben wurde zwar mehrfach abgesandt, jedoch jeweils nur mit einfachem Brief. Spätestens nachdem der Kläger am 19.03.2014 telefonisch mitgeteilt hatte, das Schreiben vom 28.10.2013 nebst Anlagen nicht erhalten zu haben und hierzu auch zumindest glaubhafte Gründe angab, hätte es sich für das SG aufdrängen müssen, zur nachweislichen Herbeiführung der Voraussetzungen einer fiktiven Klagerücknahme auch die Aufforderung vom 28.10.2013 nebst Anlagen förmlich zuzustellen. Denn ohne Nachweis der Kenntnis des Klägers von dem aktualisierten Feststellungsbescheid der Beklagten vom 24.09.2013 lagen gerade keine begründeten Anhaltspunkte für den ausnahmsweisen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers vor (Meyer-Ladewig, a.a.O., Rn. 8a zu § 102). Wird der Zugang des Ausgangsschreibens bestritten, so steht das Fehlen eines entsprechenden Zustellungsnachweises auch für das Ausgangsschreiben der Rechtsfolge des § 102 Abs. 2 S 1SGG regelmäßig entgegen (so auch Bayer. LSG, Beschluss vom 21.03.2011, Az.: L 10 AL 165/09).
Infolge der nicht eingetretenen Beendigung durch Klagerücknahmefiktion ist das Klageverfahren weiterhin am SG rechtshängig i.S.v. § 94 SGG, so dass eine Zurückverweisung gemäß § 159 Abs. 1 SGG in die Ausgangsinstanz entbehrlich ist (so auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21.04.2015, Az.: L 7 SB 105/13 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung berücksichtigt die in erster Instanz weiterbestehende Rechtshängigkeit.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
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