S 14 KR 1317/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 KR 1317/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten der vom 13.09. bis zum 02.10.2013 durchgeführten Rehabi-litation der Versicherten XXX in Höhe von 1.391,40 Euro zu erstatten. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. 3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 1.391,40 Euro. 4. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von 1.391,40 Euro für von ihr erbrachte Leistungen der medizinischen Rehabilitation.

Die 1950 geborene Versicherte XXX war im hier maßgeblichen Zeitraum bei der Klägerin renten- und bei der Beklagten krankenversichert. Am 13.08.2013 beantragte sie bei der Klägerin eine ambulante medizinische Rehabilitation (Reha) im Zentrum für ambulante Rehabilitation in Ulm. Im Antrag gab sie an in den nächsten sechs Monaten Altersrente beantragen zu wollen.

Mit Bescheid vom 21.08.2013 bewilligte die Klägerin der Versicherten die Durchführung der beantragten Reha. Daraufhin führte die Klägerin diese für die Dauer vom 13.09. bis zum 02.10.2013 durch.

Zuvor, nämlich am 28.08.2013, beantragte die Versicherte bei der Klägerin Rente wegen Alters, welche sie seit Dezember 2013 auch bezieht.

Die Klägerin meldete im Dezember 2013 einen Erstattungsanspruch in Höhe von 1.391,40 Euro bei der Beklagten an. Die Reha sei wegen der Beantragung der Altersrente vom unzu-ständigen Leistungsträger gewährt worden. Die Beklagte weigerte sich jedoch die Kosten hierfür zu erstatten.

Am 20.04.2015 hat die Klägerin deswegen Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten der Reha vom 13.09. bis zum 02.10.2013 der Versicherten XXX in Höhe von 1.391,40 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, die Klägerin könne vorliegend keine Erstattung verlangen. Sie habe die Möglichkeit gehabt den Bescheid über die Bewilligung der Reha gegenüber der Versi-cherten vor deren Durchführung aufzuheben. Dann wären die nun erstattet verlangten Kosten nicht entstanden.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der Verwaltungsakte der Klägerin Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die als Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 Sozialgerichts-gesetzes (SGG) geführte Klage ist statthaft, denn die Klägerin kann ihr Erstattungsbegehren nicht im Wege eines Verwaltungsaktes durchsetzen. Bei Erstattungsstreitigkeiten besteht zwischen den Sozialleistungsträgern kein Über- und Unterordnungsverhältnis; diese stehen sich vielmehr gleichrangig gegenüber, so dass Maßnahmen hoheitlicher Regelung in diesem Verhältnis nicht möglich sind (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 01. April 1993 – 1 RK 10/92 –, SozR 3-2200 § 183 Nr. 6, BSGE 72, 163-169, SozR 3-1300 § 103 Nr. 3, juris m.w.N.).

Der Klägerin steht ein Erstattungsanspruch gemäß § 102 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu.

1. Der Beklagten ist zuzugeben, dass ein Erstattungsanspruch nach der Regelung des § 14 Abs. 4 S. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) nicht in Betracht kommt. § 14 Abs. 4 SGB IX räumt dem zweitangegangenen Rehabilitationsträger einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegen den materiell-rechtlich originär zuständigen Rehabilitations-träger ein. Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der (erstangegangene) Reha-bilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist (§ 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen (zweitange-gangenen) Rehabilitationsträger zu (§ 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX). Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen der Rehabilitationsträger festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften (§ 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX). Dieser spezielle Anspruch geht den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem SGB X vor (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 – B 1 KR 34/06 R –, BSGE 98, 267-277, SozR 4-3250 § 14 Nr. 4, SozR 4-1300 § 104 Nr. 2, juris), scheitert im vorliegenden Fall jedoch bereits daran, dass die Klägerin die Leistung an die Versicherte nicht nach § 14 Abs. 1 S. 2 bis 4 SGB IX, also als zweitangegangener Rehabilitationsträger, sondern als erstangegangener Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX bewilligt hat.

Auch für eine analoge Anwendung des § 14 Abs. 4 SGB IX ist vorliegend kein Raum. Das Gericht hat hinsichtlich einer analogen Anwendung bereits grundsätzliche Bedenken, da es sich bei § 14 Abs. 4 SGB IX um eine Sonderregelung zu den allgemeinen Erstattungsansprüchen der §§ 102 ff. SGB X handelt. Es ist darüber hinaus auch nicht zu erkennen, dass -neben den umfassenden Erstattungsregelungen der §§ 102 ff. SGB X- eine Regelungslücke besteht.

2. Auch ein gesetzlicher Anspruch aus § 103 Abs. 1 SGB X scheidet aus. Demnach ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat und der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen ist, es sei denn er hat bereits selbst geleistet bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut besteht dieser Erstattungsanspruch jedoch nur, wenn die Verpflichtung zur Leistungserbringung erst nachträglich, also nach Erbringung der Leistung entfällt (vgl. hierzu Prange in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 103 SGB X, Rn. 40). Dieses Tatbestandsmerkmal ist vorliegend nicht erfüllt.

Nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) werden Leistungen zur Teilhabe nicht für Versicherte erbracht, die eine Rente wegen Alters von wenigstens zwei Dritteln der Vollrente beziehen oder beantragt haben. Danach bestand zwar noch zum Zeitpunkt der Beantragung der Reha (am 13.08.2013) und der Bewilligung der Leistung (am 21.08.2013) ein Anspruch der Versicherten gegen die Klägerin. Die Zuständigkeit entfiel aufgrund der Regelung des § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI aber vor deren Durchführung (am 13.09.2013), weil die Versicherte zwischenzeitlich eine Altersrente und damit eine Vollrente im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI beantragt hatte (am 28.08.2013). Die Verpflichtung der Klägerin zur Leistungserbringung ist demnach bereits vor Leistungserbringung (Durchführung der Reha im September) entfallen.

Aus demselben Grund dürfte auch kein Anspruch aus der von dem Klägervertreter im Rahmen der mündlichen Verhandlung überlassenen Gemeinsamen Empfehlung über die Ausgestaltung des in § 14 SGB IX bestimmten Verfahrens (Gemeinsame Empfehlung zur Zuständigkeitsklärung), in der Fassung vom 28. September 2010, bestehen. Deren § 5 Abs. 1 regelt einen Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X gegen den zuständigen Träger, wenn der Anspruch auf Rehabilitation durch Eintritt eines gesetzlichen Ausschlussgrundes nachträglich entfallen ist. Dass die Vertragsparteien trotz ausdrücklicher Bezugnahme des § 103 SGB X eine über das Gesetz hinausgehende Verabredung treffen wollten ist dem Vertragstext nicht zu entnehmen.

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Versicherte bereits auf ihrem Rehabilitationsantrag gegenüber der Klägerin einen beabsichtigten Rentenantrag vermerkt hatte. § 12 Abs. 1 SGB VI regelt ausdrücklich Fälle, in denen Leistungen der Teilhabe ausgeschlossen sind. Keiner der hier geregelten Ausschlussgründe ist einschlägig; den Fall des (bevorstehenden) Antrags auf Rente regelt § 12 SGB VI nicht. Die Ausweitung des Anwendungsbereich der Ausschlussgründe kommt nicht in Betracht (vgl. hierzu auch Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. September 2015 – L 5 KR 414/13 –, juris Rn. 30 ff.).

3. Die Klägerin hat jedoch gegenüber der Beklagten nach § 102 Abs. 1 SGB X einen An-spruch auf Erstattung der geltend gemachten Kosten.

Gemäß § 102 Abs. 1 SGB X ist der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein Leistungsträger aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat. Die Klägerin hat als Rehabilitationsleistungsträgerin Sozialleistungen erbracht, indem sie der Versicherten medizinische Leistungen zur Rehabilitation gewährt hat.

Bei der Auslegung des § 102 Abs. 1 SGB X, insbesondere der Vorläufigkeit, sind die Re-gelungen zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen nach dem SGB IX zu beachten (vgl. hierzu Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. April 2008 – L 30 R 1838/06, juris Rn. 39). Ein erstangegangener Rehabilitationsträger kann einen Rehabilitationsantrag nicht mehr weiterleiten wenn die Frist des § 14 Abs.1 SGB IX verstrichen ist. Er ist vielmehr zur Leistungserbringung im Außenverhältnis gegenüber dem Versicherten verpflichtet, selbst wenn sich im Nachhinein seine Unzuständigkeit herausstellt bzw. sich die Zuständigkeit ändert.

Insofern überzeugt die Argumentation der Beklagten nicht, wonach der erstangegangene Rehabilitationsträger eine bereits erfolgte Leistungsbewilligung gegenüber dem Versi-cherten nach § 48 SGB X aufheben können soll. Sinn und Zweck des § 14 Abs. 1 bzw. 2 SGB IX würde weitgehend ins Leere laufen, wenn bei einer sich ergebenden Unzustän-digkeit nach Ablauf der 2-Wöchigen Frist der erstangegangene Rehabilitationsträger einen bereits erlassenen Bewilligungsbescheid gegenüber dem Versicherten aufheben könnte. Dieser zielt in erster Linie darauf ab das Verwaltungsverfahren durch eine rasche Zuständigkeitsklärung deutlich zu verkürzen, damit die Versicherten die erforderlichen Leistungen schnellstmöglich erhalten (BT- Drucks. 14/5074, S. 95 Nr. 5). Dementsprechend bestimmt § 14 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 bis 4 SGB IX: Wird der Antrag nicht binnen zwei Wochen weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest. Hierdurch wird eine schnelle und dauerhafte Klärung der Zuständigkeit im Außenverhältnis zwischen den betroffenen Versicherten und den Rehabilitationsträgern gewährleistet (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 – B 1 KR 34/06 R –, BSGE 98, 267-277, SozR 4-3250 § 14 Nr. 4, SozR 4-1300 § 104 Nr. 2, juris Rn. 12 m.w.N.). Die Aufhebung des Leistungsbescheides gemäß § 48 SGB X durch die Klägerin war nach Auffassung des Gerichts daher zwischen der Rentenantragstellung durch die Versicherte und Durchführung der Reha nicht möglich.

Die Klärung der Zuständigkeit nach § 14 Abs. 1 bzw. Abs. 2 SGB IX betrifft allerdings nur das Außenverhältnis zum Versicherten. Die grundsätzliche Leistungsverpflichtung der einzelnen Sozialversicherungsträger für Rehabilitationsleistungen bleibt hierdurch unberührt (vgl. § 7 SGB IX). Für eine gerechte Kostenverteilung sorgen in Fällen des Auseinanderfallens der Leistungserbringung und Leistungsverpflichtung die Erstattungsansprüche. Nicht im Verhältnis zum behinderten Menschen, sondern vielmehr im Erstattungsverhältnis der Rehabilitationsträger untereinander wird dem gegliederten Sozialrechtssystem Rechnung getragen (BSG, a.a.o., juris Rn. 16). Dort wird die Frage, wer letztlich materiell-rechtlich zur Erbringung der Rehabilitationsmaßnahme verpflichtet war, geklärt.

Die Leistungserbringung erfolgte nach Auffassung des Gerichts "vorläufig" i.S.v. § 102 Abs. 1 SGB X. Spätestens mit Ablauf der zweiwöchigen Frist des § 14 Abs. 1 SGB IX am 27.08.2013 stand im Außenverhältnis zu der Versicherten fest, dass die Klägerin für die Gewährung der Reha zuständig war. Ob auch eine materiell-rechtliche Leistungsverpflichtung zur Durchführung der Leistung bestand ist demgegenüber ausschließlich im Rahmen der Erstattungsansprüche zu klären. Anders als im Verhältnis zum behinderten Menschen kann daher eine Leistungserbringung nach § 14 SGB IX im Verhältnis zu einem weiteren Rehabilitationsträger als "vorläufig" erbracht anzusehen sein (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. April 2008 – L 30 R 1838/06, juris Rn. 48). Von solch einer vorläufigen Rehabilitationsleistung der zuerst angegangenen Klägerin ist im vorliegenden Fall auszugehen, da diese zunächst zutreffend ihre Zuständigkeit bejaht und Leistungen bewilligt hat. Nach der Bewilligung und vor der Leistungserbringung ist jedoch ein Leistungsanspruch nach den für sie geltenden Rechtsvorschriften entfallen (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI), woraus sich die (materiell-rechtliche) Zuständigkeit der Beklagten ergibt.

Rechtsgrundlage für eine Leistungserbringung durch die Beklagte ist § 40 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Nach § 40 Abs. 1 SGB V erbringt die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen, wenn bei Versicherten eine ambulante Krankenbehandlung nicht ausreicht. Das Gericht geht vorliegend mangels anderweitiger Anhaltspunkte und mangels substantiierten Vortrags hierzu durch die Beklagte davon aus, dass eine ambulante Reha für die Versicherte auch nach dem SGB V erforderlich und medizinisch indiziert war.

Nach alledem hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung ihrer für die Reha aufgewandten Kosten in Höhe von 1.391,40 Euro.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsge-richtsordnung (VwGO).

5. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197a SGG i.V.m. § 13 Abs. 2 Gerichtskosten-gesetz.

6. Die Berufung bedarf aufgrund von § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG der Zulassung, weil es sich um eine Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden handelt, deren Wert des Beschwerdegegenstandes 10.000,- Euro nicht übersteigt. Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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