L 8 R 961/15 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 R 961/15 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag des Klägers und Berufungsklägers (Antragstellers) auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Der – zulässige - Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Antragsgegnerin oder der Beigeladenen auf Ausstellung der Bescheinigung E 121 bzw. jetzt des portablen Dokuments (PD) S 1 im Wege der einstweiligen Anordnung.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Dabei ist es für das einstweilige Rechtsschutzverfahren ohne Bedeutung, ob die Ausstellung des E 121 bzw. des PD S1 einen Verwaltungsakt darstellt oder ob – wie es das Sozialgericht in dem dem hiesigen Berufungsverfahren zugrunde liegenden Urteil vom 16. Oktober 2014, Az. S 9 R 458/10, angenommen hat – nicht der Fall ist. Eine Regelungsanordnung könnte auch ergehen, wenn sie schlichtes Verwaltungshandeln, wie es das Sozialgericht für die Ausstellung des E 121 angenommen hat, betrifft.

Der Antragsteller hat jedoch weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

Als Rechtsgrundlage für die Ausstellung des PD S1 kommt Art. 24 Abs. 1 in der am 20. Mai 2004 in Kraft getretenen, aber erst ab 1. Mai 2010 - nach Inkrafttreten der Durchführungsverordnung 987/2009 - anzuwendenden Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (EGV 883/2004) in Verbindung mit Art. 24 Absätze 1, 2, 3 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Betracht oder Art. 28 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EGV 1408/71), in Verbindung mit Art. 29 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie ihre Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EGV 574/72). Dabei kann dahinstehen, welches Recht anwendbar ist, da die genannten Artikel der EG-Verordnungen 1408/71 und 883/2004 nicht wortgleich, aber inhaltsgleich sind. Eine Anwendbarkeit des neuen, zum Zeitpunkt der erstmaligen Geltendmachung der Ausstellung des E 121 am 1. Mai 2009 noch nicht anwendbaren Rechts könnte sich daraus ergeben, dass Übergangsvorschriften nicht vorgesehen sind (vgl. Hauschild in Hauck/Noftz, Kommentar zum EU-Sozialrecht, VO 883/04 – K Art. 84, Rndr. 10). Welche Vorschriften anwendbar sind, braucht jedoch hier nicht entschieden zu werden, da ein Anordnungsanspruch – nach beiden Vorschriften - nicht glaubhaft gemacht wurde. Es werden anschließend (nur) die Vorschriften der EGV 883/2004 i.V.m. EGV 987/2009 zitiert.

Art. 24 Abs. 1 EGV 883/2004 lautet: Eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält und die keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates hat, erhält dennoch Sachleistungen für sich selbst und ihre Familienangehörigen, sofern nach den Rechtsvorschriften des für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaates oder zumindest eines der für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaaten Anspruch auf Sachleistungen bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat wohnte. Die Sachleistungen werden vom Träger des Wohnorts für Rechnung des in Absatz 2 genannten Trägers erbracht, als ob die betreffende Person Anspruch auf Rente und Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats hätte.

Art. 24 EGV 987/2009 lautet:

(1) Bei der Anwendung von Artikel 17 der Grundverordnung müssen sich der Versicherte und/oder seine Familienangehörigen beim Träger ihres Wohnorts eintragen lassen. Ihr Sachleistungsanspruch im Wohnmitgliedstaat wird durch ein Dokument bescheinigt, das vom zuständigen Träger auf Antrag des Versicherten oder auf Antrag des Trägers des Wohnorts ausgestellt wird.

(2) Das in Absatz 1 genannte Dokument gilt solange, bis der zuständige Träger den Träger des Wohnorts über seinen Widerruf informiert. Der Träger des Wohnorts benachrichtigt den zuständigen Träger von jeder Eintragung nach Absatz 1 und von jeder Änderung oder Streichung dieser Eintragung.

(3) Für die in den Artikeln 22, 24, 25 und 26 der Grundverordnung genannten Personen gilt der vorliegende Artikel entsprechend.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Antragsteller (nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen und daher vorläufigen Prüfung) nicht. Er ist in Ungarn in der Volks- bzw. Bürgerversicherung mit Pflichtmitgliedschaft der Gesamtbevölkerung (vgl. AOK–Bundesverband, "Das Gesundheitssystem in Ungarn", zu finden unter http://www.aok-bv.de/politik/europa/index 01408.html) krankenversichert. Damit hat er allerdings keinen Anspruch auf Sachleistungen unabhängig vom Bestehen einer Versicherung, einer Beschäftigung oder einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Sinne des Art. 25 EGV 883/2004, zu den von dieser Vorschrift erfassten zählt das ungarische System nicht (vgl. Schreiber in Schreiber/Wunder/Dern, Kommentar zur VO (EG) Nr. 883/2004, Art. 25 Rdnr. 6 unter Bezugnahme auf die deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland - DVKA -).

Anspruch auf Sachleistungen gemäß Art. 24 EGV 883/2004 hätte er nur, wenn er mangels hinreichender Beziehungen zum Rentenversicherungssystem des Wohnortstaates, also hier Ungarn, dort keinen originären Anspruch auf Sachleistungen hätte (vgl. hierzu Schreiber, aaO., Art 24 EGV 883/2004, Rdnr. 1). Dass dies der Fall ist, hat der Antragsteller zumindest nicht glaubhaft gemacht. Im Gegenteil dürfte sich aus dem in den Akten befindlichen Schreiben der Gesundheitsversicherungskasse der Region Dél-Alföld vom 17. Februar 2010 entnehmen lassen, dass der Kläger einen Sachleistungsanspruch in Ungarn hat, weil er in der dortigen Pflichtversicherung versichert ist. Allerdings muss er, wenn er in dieser Pflichtversicherung Mitglied ist, auch in Ungarn Beiträge entrichten.

Letztlich bleibt ungeklärt, aus welchen Gründen und auf welcher Grundlage der ungarische Versicherungsträger dem Antragsteller mitgeteilt hat, dass er keine Beiträge zur ungarischen Krankenversicherung zahlen müsste, wenn er den E 121 bzw. das PD S1 beibringen würde. Eine Rechtsgrundlage hierfür ist für den Senat nicht erkennbar. Art. 24 EGV 883/2004 ist für Fälle gedacht, in denen im Wohnortstaat auf Grund der dortigen Vorschriften eben kein Anspruch auf Sachleistungen gegeben ist. Nur wenn dies der Fall ist, hat ihm der Träger des Wohnortstaates doch Sachleistungen zu gewähren, wenn er einen Anspruch auf Sachleistungen gegen den Träger des Mitgliedstaates hat, der ihm die Rente gewährt, hier also eine deutsche gesetzliche Krankenversicherung, wobei die deutsche Krankenversicherung dann der ungarischen Krankenversicherung die Aufwendungen für die Sachleistungen zu erstatten hätte. Um diesen Anspruch gegen die ungarische Krankenversicherung geltend zu machen, benötigt man das PD S 21. Dieses hat das Formular E 121 ersetzt (vgl. "Nützliche Formulare im Zusammenhang mit Sozialversicherungsansprüchen", Generaldirektion Kommunikation der Europäischen Kommission, zu finden unter http://europa.eu/youreurope/citizens/work/social-security-forms/index de.htm). Der Antragsteller dürfte auf die Ausstellung dieses Formulars jedoch keinen Anspruch haben, weil, wie oben erläutert, er einen Sachleistungsanspruch gegen die ungarische Krankenversicherung haben dürfte.

Letztlich geht das Begehren des Antragstellers dahin, eine Krankenversicherung zu erhalten, für die er gar keine Beiträge entrichten muss. Er müsste jedoch, wenn er in Deutschland krankenversichert wäre, hier ebenfalls Beiträge zahlen, auch dann, wenn er in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) versichert wäre (wofür die Voraussetzungen nach Aktenlage nicht erfüllt sind), würde ihm der Krankenversicherungsbeitrag (zur Hälfte) von der Rente abgezogen. Eine beitragslose Krankenversicherung kann der Antragsteller nicht erhalten, wobei darauf hinzuweisen ist, dass der Beitrag zur Krankenversicherung in Ungarn mit zurzeit 6930 Forint = 22,40 Euro monatlich relativ niedrig ist (vgl. zu den Kosten des ungarischen Gesundheitssystems Europäische Kommission, Eures, Das Europäische Portal zu beruflichen Mobilität, Stichwort Ungarn, dort "Lebensbedingungen" "Gesundheitssystem", zu finden unter: https://ec.europa.eu/eures/main.jsp?catId=8767&acro=living&lang=de&parentId=7813&countryId=HU&living=). Unter diesem Gesichtspunkt ist auch ein Anordnungsgrund, also ein Eilbedürfnis nicht glaubhaft gemacht. Der Wunsch, eine beitragslose Krankenversicherung zu erlangen, kann einen Anordnungsgrund nicht begründen, da, wie gesagt, eine solche beitragslose Krankenversicherung nicht möglich ist und auch auf Grund europarechtlicher Vorschriften nicht erlangt werden kann. Sofern der ungarische Träger wegen der Nichtzahlung der Beiträge dem Antragsteller keine Leistungen mehr gewährt, müsste der Antragsteller hiergegen ggfs. in Ungarn um Rechtsschutz nachsuchen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG analog.

Gegen diese Entscheidung gibt es kein Rechtsmittel (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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