Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 67 U 838/14 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 46/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Februar 2015 aufgehoben. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Fortsetzung eines Sozialrechtsstreits.
Die 1963 geborene Klägerin hat am 29. März 2010, damals vertreten durch Rechtsanwalt F R, Klage zum Sozialgericht Berlin (SG) mit dem Begehren erhoben, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 28. Oktober 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 25. Februar 2010 zu verurteilen, weitere Beschwerden am rechten Sprunggelenk als Folgen eines am 30. Januar 2008 erlittenen Arbeitsunfalls anzuerkennen und die Kosten für die hierfür notwendige Krankenbehandlung zu übernehmen. Hierbei ist es ihr u.a. um die Anerkennung einer erstmals am 23. April 2008 mittels MRT und dann am 18. September 2008 durchgangsärztlich festgestellten Osteochondrosis dissecans im rechten Sprunggelenk als Gesundheitserstschaden bzw. als Unfallfolge gegangen.
Das SG hat über den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Verfügung vom 28. April 2010 zur Übersendung einer Schweigepflichtentbindungserklärung und Vorlage eines ausgefüllten Fragebogens zur Person mit Angaben über ärztliche Behandlung aufgefordert und diesbezüglich mit Verfügung vom 15. Juni 2010 erinnert. Daraufhin hat die Klägerin Dres. T und B sowie die C angegeben. Das SG hat sodann bei Dr. B den Befundbericht vom 09. August 2010 eingeholt und mit Verfügung vom 23./ 27. Juli 2010 die Klägerin um ergänzende Mitteilung der Ärzte und Kliniken gebeten, welche sie seit Januar 2008 wegen Beschwerden seitens der unteren Extremitäten behandelt haben. Hierauf hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nach Erinnerung des SG vom 30. September/ 06. Oktober 2010 mit Schreiben vom 15. Oktober 2010 reagiert. Das SG hat sodann weitere Befundberichte bzw. Auskünfte bei den dort genannten sechs weiteren Ärzten bzw. Kliniken eingeholt. Das SG hat die Beteiligten mit Verfügung vom 23./ 24. Mai 2011 zur Stellungnahme zu den eingegangenen ärztlichen Unterlagen aufgefordert. Mit Verfügungen vom 10./ 21. Juni, 26./ 28. Juli und 20. September 2011 sowie mit Verfügung vom 21./ 27. Oktober 2011 hat das SG den Prozessbevollmächtigten erinnert und mit der letztgenannten Verfügung folgenden Hinweis erteilt: "Sollte kein Interesse mehr an der Fortsetzung des Verfahrens bestehen, stelle ich anheim, die Klage zurückzunehmen. Ansonsten erwarte ich den Eingang ihrer Stellungnahme spätestens binnen 1 Monats."
Hierzu hat der Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 05. November 2011 Stellung genommen, indem er auf die Ausführungen in der Klageschrift verwiesen und zu einzelnen Befunden Stellung genommen hat. Das Schreiben schließt wie folgt: "Nach dieser erdrückenden Befundlage für die Beklagte, sollte diese anerkennen die Behandlungskosten für den Unfall und dessen Folgen zu übernehmen."
Mit Verfügung vom 14. November 2011 hat das SG folgende Verfügung an die Klägerin erlassen: "In pp. erwägt das Gericht, von Amts wegen ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen. Damit der Sachverständige eine ausreichende Grundlage für sein Gutachten hat, müssen ihm die einschlägigen Röntgenbilder, CTs, MRTs und sonstige bildgebende Befunde vorliegen.
Die Beibringung dieser Aufnahmen bzw. Unterlagen durch das Gericht gestaltet sich häufig sehr zeitintensiv und aufwändig. Zumeist können die Kläger die Aufnahmen/ Unterlagen schneller bei den Stellen, bei denen sie sich befinden , beschaffen. Ich rege deshalb an, dass die Klägerin die einschlägigen Aufnahmen/ Unterlagen möglichst umgehend selbst besorgt, um sie dem noch zu benennenden Sachverständigen vorzulegen. Achten Sie bitte darauf, dass für eine vollständige Beurteilung auch die vor dem angeschuldigten Ereignis erstellten einschlägigen Aufnahmen von Interesse sind.
Bitte übersenden sie die Aufnahmen nicht dem Gericht und teilen Sie binnen 6 Wochen mit, ob die Klägerin zu einer entsprechenden Mitwirkung bereit ist und die Aufnahmen beschaffen kann "
Diesbezüglich hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 12. Januar 2012 mitgeteilt, dass seine Mandantin selbst keine Bilder oder Aufnahmen habe. Aufgrund des plötzlichen Zahlungsausfalls durch die Beklagte hätten die Ärzte die weitere Behandlung abgelehnt. Das Verhältnis zu den behandelnden Ärzten sei daher nicht mehr sehr gut. Seine Mandantin beziehe Hilfe zum Lebensunterhalt und habe daher die weitere Behandlung nicht privat bezahlen können. Vor diesem Hintergrund sei leider eine gerichtliche Anforderung der Unterlagen unumgänglich.
Daraufhin hat das SG mit Verfügung 25./ 27. Januar 2012 den Prozessbevollmächtigten um ergänzende Mitteilung der Anschriften der Ärzte, Kliniken und sonstigen Stellen ersucht, wo sich Aufnahmen befinden könnten. Diesbezüglich hat das SG den Prozessbevollmächtigten mit Verfügung vom 27. Februar/ 06. März 2012 erinnert und um Erledigung bis spätestens 27. März 2012 gebeten. Das SG hat sodann mit – mit voller richterlicher Unterschrift unterzeichneter – Verfügung vom 21. Mai/ 05. Juni 2012, dem Prozessbevollmächtigten per Postzustellungsurkunde vom 08. Juni 2012 zugestellt, ausgeführt: "In pp. haben Sie auf die Aufforderung des Gerichts vom 27.01.2012, die Anschriften der Ärzte, Kliniken und sonstigen Stellen mitzuteilen, wo sich die für eine Begutachtung notwendigen Aufnahmen befinden können, trotz zwischenzeitlicher Erinnerung nicht reagiert. Ich weise Sie darauf hin, dass das Gericht auf Ihre Mitwirkung bzw. diejenige der Klägerin angewiesen ist, um die von Amts wegen durchzuführenden Ermittlungen zur Klärung der geltend gemachten Ansprüche wegen Unfallfolgen durchführen zu können. Dies gilt insbesondere für die mit dem genannten Schreiben erbetene Mitteilung, da ohne die angeforderte Auskunft die einschlägigen Röntgenbilder, CTs, MRTs oder sonstigen bildgebenden Befunde nicht beschafft werden können, ohne die eine fachkompetente Begutachtung nicht möglich ist.
Ich weise Sie darauf hin, dass die Klage nach § 102 Absatz 2 SGG als zurückgenommen gilt, wenn Sie/ die Klägerin das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betreiben. Ein Nichtbetreiben in diesem Sinne liegt nach Auffassung der Kammer insbesondere dann vor, wenn wie im vorliegenden Fall eine Anfrage betreffend die Beschaffung von Röntgenbildern etc. nicht beantwortet wird und ohne diese Informationen weitere Ermittlungen des Gerichts nicht möglich sind bzw. keinen Sinn machen. Die 3-Monats-Frist beginnt mit dem Zugang dieses Schreibens."
Der Prozessbevollmächtigte hat mit am selben Tag bei Gericht eingegangenem Schreiben vom 18. September 2012 diverse medizinische Unterlagen und Aufnahmen vorgelegt. Das SG hat – wohl ohne aktenkundige richterliche Verfügung - mit Anschreiben vom 19. September 2012 Röntgenbilder und MRT-CDs mit dem Bemerken zurückgesandt, dass im gerichtlichen Anschreiben vom 14. November 2011 ausdrücklich darum gebeten worden sei, die Aufnahmen nicht ans Gericht zu senden, sondern nur mitzuteilen, ob Aufnahmen vorlägen.
Das SG hat den Prozessbevollmächtigten mit Verfügung vom 25. September 2012 darauf hingewiesen, dass ihm das richterliche Anschreiben vom 05. Juni 2012 mit der Aufforderung, das Verfahren zu betreiben, und dem Hinweis auf die nach drei Monaten eintretende Klagerücknahmefiktion bereits am 08. Juni 2012 zugestellt worden sei und die Röntgenaufnahmen erst am 18. September 2012, also erst nach Ablauf der Dreimonatsfrist eingereicht worden seien. Bei dieser Frist handele es sich um eine gesetzliche Frist, die nicht verlängert werden könne, so dass mit dem Ablauf des 10. September 2012 (der 08. September 2012 sei ein Samstag gewesen) die Klagerücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingetreten sei. Der Rechtsstreit sei somit beendet und werde gerichtsseits ausgetragen. Es sei auf die Möglichkeit eines Überprüfungsantrags hinzuweisen.
Der Prozessbevollmächtigte hat mit am selben Tag bei Gericht eingegangenem Schreiben vom 02. Oktober 2012 der Beendigung des Verfahrens widersprochen und zunächst gerügt, dass das zuzustellende Schriftstück nicht die Unterschrift des zuständigen Richters trage. Ferner sei § 102 Abs. 2 SGG eine Ausnahmevorschrift, die aus verfassungsrechtlichen Gründen eng auszulegen sei. Deshalb müsse im Zeitpunkt der Betreibensaufforderung das vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) für eine Rechtsmittelrücknahmefiktion geforderte ungeschriebene Tatbestandsmerkmal erfüllt sein, dass nach dem prozessualen Verhalten des Klägers hinreichend Anlass bestehe, von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses auszugehen. Dies sei hier nicht der Fall. Die Klägerin habe bereits mit Schreiben vom 15. Oktober 2010 dem Gericht eine abschließende Liste der behandelnden Ärzte übersandt. Da sie somit bereits eine vollständige Liste der behandelnden Ärzte vorgelegt habe, sei das Schreiben vom 27. Januar 2012 nur so zu verstehen gewesen, dass sie selbst nachforschen solle, welche Unterlagen beschafft werden könnten. Die Betreibensaufforderung sei daher nur darauf gerichtet gewesen, erneut ein wortgleiches Schreiben zu übersenden wie das vom 15. Oktober 2010. Warum die Schwierigkeiten des Gerichts, medizinische Unterlagen zu beschaffen, zu einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses führen sollten, sei nicht ersichtlich. Im Gegenteil habe sich die Klägerin selbst umfassend bemüht, die Unterlagen zu beschaffen und sie dann auch schnellstmöglich übersandt.
Das SG hat mit Urteil vom 19. Februar 2015 festgestellt, dass der Rechtsstreit durch Klagerücknahme in der Hauptsache erledigt ist. Es hat zur Begründung ausgeführt, es habe beim Abfassen der Betreibensaufforderung vom 21. Mai 2012 Veranlassung gehabt, daran zu zweifeln, ob die Klägerin noch ein schutzwürdiges Interesse an der Fortführung des Rechtsstreits habe. Denn sie habe schon auf ein richterliches Anschreiben vom 14. November 2011 nicht innerhalb der damals großzügig gesetzten Frist reagiert, sondern erst mit zeitlicher Verzögerung mit Schriftsatz vom 12. Januar 2012. Die dortige Bitte ans Gericht, dieses möge die benötigten Aufnahmen selbst beschaffen, sei von der Klägerin noch nachvollziehbar begründet worden. Warum sie dann allerdings auf die weitere Bitte des Gerichts vom 27. Januar 2012, sie möge ihm die Anschriften der Ärzte, Kliniken etc. mitteilen, wo sich einschlägige Aufnahmen befinden könnten, trotz einer zwischenzeitlichen Erinnerung vom 06. März 2012 über mehrere Monate hinweg nicht reagiert habe, sei für das Gericht nicht nachvollziehbar und habe Zweifel begründet, ob seitens der Klägerin überhaupt noch ein schutzwürdiges Interesse an der Weiterführung des Verfahren bestehe. Denn das erkennende Gericht habe ja bereits mit dem richterlichen Anschreiben vom 14. November 2011 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass es ein medizinisches Sachverständigengutachten einholen wolle, dass die Einholung eines solchen Gutachtens aber nur Sinn mache, wenn dem Sachverständigen die einschlägigen Aufnahmen vorlägen. Das Gericht habe nicht ins Blaue hinein von allen behandelnden Ärzten und Kliniken Aufnahmen anfordern müssen, sondern habe von der Klägerin im Rahmen der ihr obliegenden Mitwirkungsobliegenheiten ohne Weiteres erwarten dürfen, dem Gericht diejenigen Ärzte und Kliniken oder auch sonstige Stellen zu benennen, wo sich Aufnahmen des rechten Fußes/ Sprunggelenks befinden könnten, zumal die Klägerin auch nicht erklärt habe, nicht mehr zu wissen, wo sich Aufnahmen befänden. Spätestens mit der Betreibensaufforderung sei der Klägerin das gerichtliche Anliegen noch einmal verdeutlicht worden, so dass spätestens mit Ablauf der Dreimonatsfrist davon auszugehen gewesen sei, dass das Rechtsschutzinteresse der Klägerin vom vorliegenden Verfahren weggefallen sei. Das deutlich nach Ablauf dieser Frist bei Gericht eingegangene Schreiben vom 18. September 2012 lasse zwar darauf schließen, dass die Klägerin entgegen dem zuvor vermittelten Eindruck doch ein Interesse an der Fortführung des Verfahrens habe. Dies habe jedoch die einmal wirksam gewordene Rücknahmefiktion nicht mehr rückgängig machen können, deren Voraussetzungen bis zum Ablauf der Dreimonatsfrist abschließend zu beurteilen seien. Eine Heilung durch späteres Betreiben sei nicht möglich. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien nicht vorgetragen. Die Betreibensaufforderung sei auch formgerecht ergangen. Die zugrunde liegende Verfügung sei vom Vorsitzenden der Kammer mit vollständiger Unterschrift unterschrieben worden. Auf die Rechtsfolge mangelnden Betreibens sei mit aller Deutlichkeit hingewiesen worden.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 13. März 2015 zugestellte Urteil am 10. April 2015 Berufung eingelegt. Sie vertieft ihr bisheriges Vorbringen.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Februar 2015 aufzuheben.
Die Beklagte stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beendigung des Verfahrens festgestellt. Nach der für die vorliegend streitige Verfahrensbeendigung allein in Betracht zu ziehende Regelung in § 102 Abs. 2 SGG gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Die Betreibensaufforderung leidet zwar nicht an formellen Fehlern; insbesondere ist sie nach Aktenlange vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R –, zitiert nach juris Rn. 49). Es ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht zu fordern, dass auch die an die Beteiligten ausgehenden Ausfertigungen vom Richter eigenhändig unterschrieben sein müssen, sondern es reicht die vollständige Namenswiedergabe aus (BSG, Beschluss vom 07. Oktober 2015 – B 14 AS 175/15 B –, zitiert nach juris Rn. 3).
Jedoch ist die Betreibensaufforderung in materiellrechtlicher Hinsicht fehlerhaft, mit der Folge, dass sie eine Rücknahmefiktion nicht auslösen konnte. Es ist das für eine Klagerücknahmefiktion im Zeitpunkt der Betreibensaufforderung geforderte ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses nicht erfüllt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R –, zitiert nach juris Rn. 40 ff., 46 mit Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1998 – 2 BvR 2662/95 –, zitiert nach juris). Das vom BVerfG für gesetzliche Rechtsmittelrücknahmefiktionen aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 103 Abs. 1 GG) geforderte ungeschriebene Tatbestandsmerkmal besagt, dass zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung sachlich begründete Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses bestanden. Solche Anhaltspunkte können sich im sozialgerichtlichen Verfahren - worauf auch in den Materialien zu § 102 Abs. 2 SGG hingewiesen wird (vgl. BT-Drucks. 16/7716 S. 19 zu Nummer 17 (§ 102)) - aus einer Verletzung der prozessualen Mitwirkungspflichten des Klägers (§ 103 S. 1 Hs. 2 SGG) ergeben. Stets muss sich daraus aber der Schluss auf einen Wegfall des Sachbescheidungsinteresses, also auf ein Desinteresse des Klägers an der weiteren Verfolgung seines Begehrens, ableiten lassen. Denn die Klagerücknahmefiktion ist "kein Hilfsmittel zur bequemen Erledigung lästiger Verfahren oder zur vorsorglichen Sanktionierung prozessleitender Verfügungen". Damit aber genügt für eine Betreibensaufforderung i.S.d. § 102 Abs. 2 S. 1 SGG nicht jegliche Verletzung einer Mitwirkungspflicht; vielmehr ist nur das Unterlassen solcher prozessualen Mitwirkungshandlungen erheblich, die für die Feststellung von entscheidungserheblichen Tatsachen bedeutsam sind, die also für das Gericht - nach seiner Rechtsansicht - notwendig sind, um den Sachverhalt zu klären und eine Sachentscheidung zu treffen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. Kammer-Beschluss vom 27. Oktober 1998 - 2 BvR 2662/95 – DVBl. 1999, 166, 168) wird ausdrücklich darauf abgestellt, ob bestimmte Erklärungen der Beschwerdeführer "für die weitere Förderung des Verfahrens notwendig" waren (BSG, Urteil vom 01. Juli 2010 – B 13 R 74/09 R –, zitiert nach juris Rn. 50 ff.).
Dies zugrunde gelegt hat im Hinblick auf das prozessuale Verhalten der Klägerin kein hinreichender Anlass bestanden, von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses auszugehen. Im Zeitpunkt der Abfassung der Betreibensaufforderung am 21. Mai 2012 konnte richtigerweise noch nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin das Interesse an der Fortführung des Verfahrens verloren hatte. Bis dahin war die Verfahrensführung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin – in einer zugegebenermaßen für das SG bereits zermürbenden Weise - dadurch gekennzeichnet, dass er auf sämtliche Anfragen des SG mit zeitlicher Verzögerung und zumeist erst auf Erinnerungen reagiert hat. So hat das SG die Klägerin über den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Verfügung vom 28. April 2010 zur Übersendung einer Schweigepflichtentbindungserklärung und Vorlage eines ausgefüllten Fragebogens zur Person mit Angaben über ärztliche Behandlung aufgefordert und diesbezüglich mit Verfügung vom 15. Juni 2010 erinnert, bevor die Klägerin Dres. T und B sowie die C angegeben hat. Das SG hat sodann mit Verfügung vom 23./ 27. Juli 2010 den Prozessbevollmächtigten um ergänzende Mitteilung der Ärzte und Kliniken gebeten, die die Klägerin seit Januar 2008 wegen Beschwerden seitens der unteren Extremitäten behandelt haben, woraufhin der Prozessbevollmächtigte wiederum erst nach Erinnerung des SG vom 30. September/ 06. Oktober 2010 mit Schreiben vom 15. Oktober 2010 reagiert hat. Der Prozessbevollmächtigte hat abermals mit Verzögerung und auf – diesmal mehrfache – Erinnerung des SG auf dessen Verfügung vom 23./ 24. Mai 2011, mit welcher die Beteiligten zur Stellungnahme zu den eingegangenen ärztlichen Unterlagen aufgefordert worden waren, diesmal mit Schreiben vom 05. November 2011 reagiert und sich darin allerdings explizit zum auf den in der Verfügung des SG vom 21./ 27. Oktober 2011 enthaltenen Hinweis ("Sollte kein Interesse mehr an der Fortsetzung des Verfahrens bestehen, stelle ich anheim, die Klage zurückzunehmen. Ansonsten erwarte ich den Eingang ihrer Stellungnahme spätestens binnen 1 Monats.") geäußert, indem er auf die Ausführungen in der Klageschrift verwiesen und zu einzelnen Befunden eingehend Stellung genommen hat sowie das Schreiben mit den Worten schließen lässt: "Nach dieser erdrückenden Befundlage für die Beklagte, sollte diese anerkennen die Behandlungskosten für den Unfall und dessen Folgen zu übernehmen." Zudem hat der Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 12. Januar 2012, wonach seine Mandantin selbst keine Bilder oder Aufnahmen habe und leider eine gerichtliche Anforderung der Unterlagen unumgänglich sei, nahezu fristgerecht auf die Verfügung des SG vom 14. November 2011 reagiert. In dieser hatte das SG der Klägerseite gegenüber auseinandergesetzt, dass die Beibringung radiologischer Aufnahmen bzw. Unterlagen durch das Gericht sich häufig sehr zeitintensiv und aufwändig gestalte und zumeist die Kläger die Aufnahmen/ Unterlagen schneller beschaffen könnten, weshalb die Klägerin gebeten werde, die einschlägigen Aufnahmen/ Unterlagen möglichst umgehend selbst zu besorgen und sich gegenüber dem SG zu einer entsprechenden Mitwirkung binnen sechs Wochen bereit zu erklären. Vor diesem Hintergrund drängte sich allein aus dem Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte nun auf die Verfügung des SG vom 25./ 27. Januar 2012, mit welcher das SG die Klägerin um ergänzende Mitteilung der Anschriften der Ärzte etc. ersucht hat, wo sich Aufnahmen befinden könnten, trotz Erinnerung (Verfügung vom 27. Februar/ 06. März 2012 mit der Bitte um Erledigung bis spätestens 27. März 2012) nicht reagiert hat, noch nicht auf, dass sie das Interesse an der Fortführung des Verfahrens verloren hatte. Hinzukommt, dass allein schon aus dem Schreiben des SG vom 14. November 2011 unter Zugrundelegung eines verobjektivierten Empfängerhorizonts nicht hervorgeht, dass das SG auf die Mitwirkung der Klägerin tatsächlich angewiesen gewesen ist; die Klägerin hätte dem SG die ihm obliegende Amtsermittlung durch die abgeforderten Auskünfte allenfalls möglicherweise erleichtert. Vielmehr hätte es das SG angesichts der überschaubaren Zahl der aktenkundigen behandelnden Ärzte und Kliniken, bei welchen das SG zudem schon zuvor unter Hinweis auf das Vorliegen einer Schweigepflichtentbindung Befundberichte bzw. Auskünfte eingeholt hatte, auch ohne weitergehende Mitwirkung der Klägerin sogleich selbst bewerkstelligen können, radiologische Unterlagen anzufordern.
Da mithin die Voraussetzungen für eine Klagerücknahmefiktion nicht vorliegen, ist das angefochtene Urteil in der geschehenen Weise aufzuheben, und zwar mit der Folge, dass das SG das bislang nicht durch Klagerücknahmefiktion erledigte Verfahren fortzusetzen hat.
Das Sozialgericht wird im Rahmen des bei ihm nun noch anhängigen Verfahrens nach § 193 SGG auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben, das der Sache nach nur einen prozessualen Zwischenstreit darstellt (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. März 2013 – L 1 KR 450/12 WA –, zitiert nach juris Rn. 35).
In Ermangelung von Zulassungsgründen i.S.v. § 160 Abs. 2 SGG ist die Revision nicht zuzulassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Fortsetzung eines Sozialrechtsstreits.
Die 1963 geborene Klägerin hat am 29. März 2010, damals vertreten durch Rechtsanwalt F R, Klage zum Sozialgericht Berlin (SG) mit dem Begehren erhoben, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 28. Oktober 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 25. Februar 2010 zu verurteilen, weitere Beschwerden am rechten Sprunggelenk als Folgen eines am 30. Januar 2008 erlittenen Arbeitsunfalls anzuerkennen und die Kosten für die hierfür notwendige Krankenbehandlung zu übernehmen. Hierbei ist es ihr u.a. um die Anerkennung einer erstmals am 23. April 2008 mittels MRT und dann am 18. September 2008 durchgangsärztlich festgestellten Osteochondrosis dissecans im rechten Sprunggelenk als Gesundheitserstschaden bzw. als Unfallfolge gegangen.
Das SG hat über den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Verfügung vom 28. April 2010 zur Übersendung einer Schweigepflichtentbindungserklärung und Vorlage eines ausgefüllten Fragebogens zur Person mit Angaben über ärztliche Behandlung aufgefordert und diesbezüglich mit Verfügung vom 15. Juni 2010 erinnert. Daraufhin hat die Klägerin Dres. T und B sowie die C angegeben. Das SG hat sodann bei Dr. B den Befundbericht vom 09. August 2010 eingeholt und mit Verfügung vom 23./ 27. Juli 2010 die Klägerin um ergänzende Mitteilung der Ärzte und Kliniken gebeten, welche sie seit Januar 2008 wegen Beschwerden seitens der unteren Extremitäten behandelt haben. Hierauf hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nach Erinnerung des SG vom 30. September/ 06. Oktober 2010 mit Schreiben vom 15. Oktober 2010 reagiert. Das SG hat sodann weitere Befundberichte bzw. Auskünfte bei den dort genannten sechs weiteren Ärzten bzw. Kliniken eingeholt. Das SG hat die Beteiligten mit Verfügung vom 23./ 24. Mai 2011 zur Stellungnahme zu den eingegangenen ärztlichen Unterlagen aufgefordert. Mit Verfügungen vom 10./ 21. Juni, 26./ 28. Juli und 20. September 2011 sowie mit Verfügung vom 21./ 27. Oktober 2011 hat das SG den Prozessbevollmächtigten erinnert und mit der letztgenannten Verfügung folgenden Hinweis erteilt: "Sollte kein Interesse mehr an der Fortsetzung des Verfahrens bestehen, stelle ich anheim, die Klage zurückzunehmen. Ansonsten erwarte ich den Eingang ihrer Stellungnahme spätestens binnen 1 Monats."
Hierzu hat der Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 05. November 2011 Stellung genommen, indem er auf die Ausführungen in der Klageschrift verwiesen und zu einzelnen Befunden Stellung genommen hat. Das Schreiben schließt wie folgt: "Nach dieser erdrückenden Befundlage für die Beklagte, sollte diese anerkennen die Behandlungskosten für den Unfall und dessen Folgen zu übernehmen."
Mit Verfügung vom 14. November 2011 hat das SG folgende Verfügung an die Klägerin erlassen: "In pp. erwägt das Gericht, von Amts wegen ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen. Damit der Sachverständige eine ausreichende Grundlage für sein Gutachten hat, müssen ihm die einschlägigen Röntgenbilder, CTs, MRTs und sonstige bildgebende Befunde vorliegen.
Die Beibringung dieser Aufnahmen bzw. Unterlagen durch das Gericht gestaltet sich häufig sehr zeitintensiv und aufwändig. Zumeist können die Kläger die Aufnahmen/ Unterlagen schneller bei den Stellen, bei denen sie sich befinden , beschaffen. Ich rege deshalb an, dass die Klägerin die einschlägigen Aufnahmen/ Unterlagen möglichst umgehend selbst besorgt, um sie dem noch zu benennenden Sachverständigen vorzulegen. Achten Sie bitte darauf, dass für eine vollständige Beurteilung auch die vor dem angeschuldigten Ereignis erstellten einschlägigen Aufnahmen von Interesse sind.
Bitte übersenden sie die Aufnahmen nicht dem Gericht und teilen Sie binnen 6 Wochen mit, ob die Klägerin zu einer entsprechenden Mitwirkung bereit ist und die Aufnahmen beschaffen kann "
Diesbezüglich hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 12. Januar 2012 mitgeteilt, dass seine Mandantin selbst keine Bilder oder Aufnahmen habe. Aufgrund des plötzlichen Zahlungsausfalls durch die Beklagte hätten die Ärzte die weitere Behandlung abgelehnt. Das Verhältnis zu den behandelnden Ärzten sei daher nicht mehr sehr gut. Seine Mandantin beziehe Hilfe zum Lebensunterhalt und habe daher die weitere Behandlung nicht privat bezahlen können. Vor diesem Hintergrund sei leider eine gerichtliche Anforderung der Unterlagen unumgänglich.
Daraufhin hat das SG mit Verfügung 25./ 27. Januar 2012 den Prozessbevollmächtigten um ergänzende Mitteilung der Anschriften der Ärzte, Kliniken und sonstigen Stellen ersucht, wo sich Aufnahmen befinden könnten. Diesbezüglich hat das SG den Prozessbevollmächtigten mit Verfügung vom 27. Februar/ 06. März 2012 erinnert und um Erledigung bis spätestens 27. März 2012 gebeten. Das SG hat sodann mit – mit voller richterlicher Unterschrift unterzeichneter – Verfügung vom 21. Mai/ 05. Juni 2012, dem Prozessbevollmächtigten per Postzustellungsurkunde vom 08. Juni 2012 zugestellt, ausgeführt: "In pp. haben Sie auf die Aufforderung des Gerichts vom 27.01.2012, die Anschriften der Ärzte, Kliniken und sonstigen Stellen mitzuteilen, wo sich die für eine Begutachtung notwendigen Aufnahmen befinden können, trotz zwischenzeitlicher Erinnerung nicht reagiert. Ich weise Sie darauf hin, dass das Gericht auf Ihre Mitwirkung bzw. diejenige der Klägerin angewiesen ist, um die von Amts wegen durchzuführenden Ermittlungen zur Klärung der geltend gemachten Ansprüche wegen Unfallfolgen durchführen zu können. Dies gilt insbesondere für die mit dem genannten Schreiben erbetene Mitteilung, da ohne die angeforderte Auskunft die einschlägigen Röntgenbilder, CTs, MRTs oder sonstigen bildgebenden Befunde nicht beschafft werden können, ohne die eine fachkompetente Begutachtung nicht möglich ist.
Ich weise Sie darauf hin, dass die Klage nach § 102 Absatz 2 SGG als zurückgenommen gilt, wenn Sie/ die Klägerin das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betreiben. Ein Nichtbetreiben in diesem Sinne liegt nach Auffassung der Kammer insbesondere dann vor, wenn wie im vorliegenden Fall eine Anfrage betreffend die Beschaffung von Röntgenbildern etc. nicht beantwortet wird und ohne diese Informationen weitere Ermittlungen des Gerichts nicht möglich sind bzw. keinen Sinn machen. Die 3-Monats-Frist beginnt mit dem Zugang dieses Schreibens."
Der Prozessbevollmächtigte hat mit am selben Tag bei Gericht eingegangenem Schreiben vom 18. September 2012 diverse medizinische Unterlagen und Aufnahmen vorgelegt. Das SG hat – wohl ohne aktenkundige richterliche Verfügung - mit Anschreiben vom 19. September 2012 Röntgenbilder und MRT-CDs mit dem Bemerken zurückgesandt, dass im gerichtlichen Anschreiben vom 14. November 2011 ausdrücklich darum gebeten worden sei, die Aufnahmen nicht ans Gericht zu senden, sondern nur mitzuteilen, ob Aufnahmen vorlägen.
Das SG hat den Prozessbevollmächtigten mit Verfügung vom 25. September 2012 darauf hingewiesen, dass ihm das richterliche Anschreiben vom 05. Juni 2012 mit der Aufforderung, das Verfahren zu betreiben, und dem Hinweis auf die nach drei Monaten eintretende Klagerücknahmefiktion bereits am 08. Juni 2012 zugestellt worden sei und die Röntgenaufnahmen erst am 18. September 2012, also erst nach Ablauf der Dreimonatsfrist eingereicht worden seien. Bei dieser Frist handele es sich um eine gesetzliche Frist, die nicht verlängert werden könne, so dass mit dem Ablauf des 10. September 2012 (der 08. September 2012 sei ein Samstag gewesen) die Klagerücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingetreten sei. Der Rechtsstreit sei somit beendet und werde gerichtsseits ausgetragen. Es sei auf die Möglichkeit eines Überprüfungsantrags hinzuweisen.
Der Prozessbevollmächtigte hat mit am selben Tag bei Gericht eingegangenem Schreiben vom 02. Oktober 2012 der Beendigung des Verfahrens widersprochen und zunächst gerügt, dass das zuzustellende Schriftstück nicht die Unterschrift des zuständigen Richters trage. Ferner sei § 102 Abs. 2 SGG eine Ausnahmevorschrift, die aus verfassungsrechtlichen Gründen eng auszulegen sei. Deshalb müsse im Zeitpunkt der Betreibensaufforderung das vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) für eine Rechtsmittelrücknahmefiktion geforderte ungeschriebene Tatbestandsmerkmal erfüllt sein, dass nach dem prozessualen Verhalten des Klägers hinreichend Anlass bestehe, von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses auszugehen. Dies sei hier nicht der Fall. Die Klägerin habe bereits mit Schreiben vom 15. Oktober 2010 dem Gericht eine abschließende Liste der behandelnden Ärzte übersandt. Da sie somit bereits eine vollständige Liste der behandelnden Ärzte vorgelegt habe, sei das Schreiben vom 27. Januar 2012 nur so zu verstehen gewesen, dass sie selbst nachforschen solle, welche Unterlagen beschafft werden könnten. Die Betreibensaufforderung sei daher nur darauf gerichtet gewesen, erneut ein wortgleiches Schreiben zu übersenden wie das vom 15. Oktober 2010. Warum die Schwierigkeiten des Gerichts, medizinische Unterlagen zu beschaffen, zu einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses führen sollten, sei nicht ersichtlich. Im Gegenteil habe sich die Klägerin selbst umfassend bemüht, die Unterlagen zu beschaffen und sie dann auch schnellstmöglich übersandt.
Das SG hat mit Urteil vom 19. Februar 2015 festgestellt, dass der Rechtsstreit durch Klagerücknahme in der Hauptsache erledigt ist. Es hat zur Begründung ausgeführt, es habe beim Abfassen der Betreibensaufforderung vom 21. Mai 2012 Veranlassung gehabt, daran zu zweifeln, ob die Klägerin noch ein schutzwürdiges Interesse an der Fortführung des Rechtsstreits habe. Denn sie habe schon auf ein richterliches Anschreiben vom 14. November 2011 nicht innerhalb der damals großzügig gesetzten Frist reagiert, sondern erst mit zeitlicher Verzögerung mit Schriftsatz vom 12. Januar 2012. Die dortige Bitte ans Gericht, dieses möge die benötigten Aufnahmen selbst beschaffen, sei von der Klägerin noch nachvollziehbar begründet worden. Warum sie dann allerdings auf die weitere Bitte des Gerichts vom 27. Januar 2012, sie möge ihm die Anschriften der Ärzte, Kliniken etc. mitteilen, wo sich einschlägige Aufnahmen befinden könnten, trotz einer zwischenzeitlichen Erinnerung vom 06. März 2012 über mehrere Monate hinweg nicht reagiert habe, sei für das Gericht nicht nachvollziehbar und habe Zweifel begründet, ob seitens der Klägerin überhaupt noch ein schutzwürdiges Interesse an der Weiterführung des Verfahren bestehe. Denn das erkennende Gericht habe ja bereits mit dem richterlichen Anschreiben vom 14. November 2011 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass es ein medizinisches Sachverständigengutachten einholen wolle, dass die Einholung eines solchen Gutachtens aber nur Sinn mache, wenn dem Sachverständigen die einschlägigen Aufnahmen vorlägen. Das Gericht habe nicht ins Blaue hinein von allen behandelnden Ärzten und Kliniken Aufnahmen anfordern müssen, sondern habe von der Klägerin im Rahmen der ihr obliegenden Mitwirkungsobliegenheiten ohne Weiteres erwarten dürfen, dem Gericht diejenigen Ärzte und Kliniken oder auch sonstige Stellen zu benennen, wo sich Aufnahmen des rechten Fußes/ Sprunggelenks befinden könnten, zumal die Klägerin auch nicht erklärt habe, nicht mehr zu wissen, wo sich Aufnahmen befänden. Spätestens mit der Betreibensaufforderung sei der Klägerin das gerichtliche Anliegen noch einmal verdeutlicht worden, so dass spätestens mit Ablauf der Dreimonatsfrist davon auszugehen gewesen sei, dass das Rechtsschutzinteresse der Klägerin vom vorliegenden Verfahren weggefallen sei. Das deutlich nach Ablauf dieser Frist bei Gericht eingegangene Schreiben vom 18. September 2012 lasse zwar darauf schließen, dass die Klägerin entgegen dem zuvor vermittelten Eindruck doch ein Interesse an der Fortführung des Verfahrens habe. Dies habe jedoch die einmal wirksam gewordene Rücknahmefiktion nicht mehr rückgängig machen können, deren Voraussetzungen bis zum Ablauf der Dreimonatsfrist abschließend zu beurteilen seien. Eine Heilung durch späteres Betreiben sei nicht möglich. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien nicht vorgetragen. Die Betreibensaufforderung sei auch formgerecht ergangen. Die zugrunde liegende Verfügung sei vom Vorsitzenden der Kammer mit vollständiger Unterschrift unterschrieben worden. Auf die Rechtsfolge mangelnden Betreibens sei mit aller Deutlichkeit hingewiesen worden.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 13. März 2015 zugestellte Urteil am 10. April 2015 Berufung eingelegt. Sie vertieft ihr bisheriges Vorbringen.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Februar 2015 aufzuheben.
Die Beklagte stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beendigung des Verfahrens festgestellt. Nach der für die vorliegend streitige Verfahrensbeendigung allein in Betracht zu ziehende Regelung in § 102 Abs. 2 SGG gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Die Betreibensaufforderung leidet zwar nicht an formellen Fehlern; insbesondere ist sie nach Aktenlange vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R –, zitiert nach juris Rn. 49). Es ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht zu fordern, dass auch die an die Beteiligten ausgehenden Ausfertigungen vom Richter eigenhändig unterschrieben sein müssen, sondern es reicht die vollständige Namenswiedergabe aus (BSG, Beschluss vom 07. Oktober 2015 – B 14 AS 175/15 B –, zitiert nach juris Rn. 3).
Jedoch ist die Betreibensaufforderung in materiellrechtlicher Hinsicht fehlerhaft, mit der Folge, dass sie eine Rücknahmefiktion nicht auslösen konnte. Es ist das für eine Klagerücknahmefiktion im Zeitpunkt der Betreibensaufforderung geforderte ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses nicht erfüllt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R –, zitiert nach juris Rn. 40 ff., 46 mit Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1998 – 2 BvR 2662/95 –, zitiert nach juris). Das vom BVerfG für gesetzliche Rechtsmittelrücknahmefiktionen aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 103 Abs. 1 GG) geforderte ungeschriebene Tatbestandsmerkmal besagt, dass zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung sachlich begründete Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses bestanden. Solche Anhaltspunkte können sich im sozialgerichtlichen Verfahren - worauf auch in den Materialien zu § 102 Abs. 2 SGG hingewiesen wird (vgl. BT-Drucks. 16/7716 S. 19 zu Nummer 17 (§ 102)) - aus einer Verletzung der prozessualen Mitwirkungspflichten des Klägers (§ 103 S. 1 Hs. 2 SGG) ergeben. Stets muss sich daraus aber der Schluss auf einen Wegfall des Sachbescheidungsinteresses, also auf ein Desinteresse des Klägers an der weiteren Verfolgung seines Begehrens, ableiten lassen. Denn die Klagerücknahmefiktion ist "kein Hilfsmittel zur bequemen Erledigung lästiger Verfahren oder zur vorsorglichen Sanktionierung prozessleitender Verfügungen". Damit aber genügt für eine Betreibensaufforderung i.S.d. § 102 Abs. 2 S. 1 SGG nicht jegliche Verletzung einer Mitwirkungspflicht; vielmehr ist nur das Unterlassen solcher prozessualen Mitwirkungshandlungen erheblich, die für die Feststellung von entscheidungserheblichen Tatsachen bedeutsam sind, die also für das Gericht - nach seiner Rechtsansicht - notwendig sind, um den Sachverhalt zu klären und eine Sachentscheidung zu treffen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. Kammer-Beschluss vom 27. Oktober 1998 - 2 BvR 2662/95 – DVBl. 1999, 166, 168) wird ausdrücklich darauf abgestellt, ob bestimmte Erklärungen der Beschwerdeführer "für die weitere Förderung des Verfahrens notwendig" waren (BSG, Urteil vom 01. Juli 2010 – B 13 R 74/09 R –, zitiert nach juris Rn. 50 ff.).
Dies zugrunde gelegt hat im Hinblick auf das prozessuale Verhalten der Klägerin kein hinreichender Anlass bestanden, von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses auszugehen. Im Zeitpunkt der Abfassung der Betreibensaufforderung am 21. Mai 2012 konnte richtigerweise noch nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin das Interesse an der Fortführung des Verfahrens verloren hatte. Bis dahin war die Verfahrensführung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin – in einer zugegebenermaßen für das SG bereits zermürbenden Weise - dadurch gekennzeichnet, dass er auf sämtliche Anfragen des SG mit zeitlicher Verzögerung und zumeist erst auf Erinnerungen reagiert hat. So hat das SG die Klägerin über den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Verfügung vom 28. April 2010 zur Übersendung einer Schweigepflichtentbindungserklärung und Vorlage eines ausgefüllten Fragebogens zur Person mit Angaben über ärztliche Behandlung aufgefordert und diesbezüglich mit Verfügung vom 15. Juni 2010 erinnert, bevor die Klägerin Dres. T und B sowie die C angegeben hat. Das SG hat sodann mit Verfügung vom 23./ 27. Juli 2010 den Prozessbevollmächtigten um ergänzende Mitteilung der Ärzte und Kliniken gebeten, die die Klägerin seit Januar 2008 wegen Beschwerden seitens der unteren Extremitäten behandelt haben, woraufhin der Prozessbevollmächtigte wiederum erst nach Erinnerung des SG vom 30. September/ 06. Oktober 2010 mit Schreiben vom 15. Oktober 2010 reagiert hat. Der Prozessbevollmächtigte hat abermals mit Verzögerung und auf – diesmal mehrfache – Erinnerung des SG auf dessen Verfügung vom 23./ 24. Mai 2011, mit welcher die Beteiligten zur Stellungnahme zu den eingegangenen ärztlichen Unterlagen aufgefordert worden waren, diesmal mit Schreiben vom 05. November 2011 reagiert und sich darin allerdings explizit zum auf den in der Verfügung des SG vom 21./ 27. Oktober 2011 enthaltenen Hinweis ("Sollte kein Interesse mehr an der Fortsetzung des Verfahrens bestehen, stelle ich anheim, die Klage zurückzunehmen. Ansonsten erwarte ich den Eingang ihrer Stellungnahme spätestens binnen 1 Monats.") geäußert, indem er auf die Ausführungen in der Klageschrift verwiesen und zu einzelnen Befunden eingehend Stellung genommen hat sowie das Schreiben mit den Worten schließen lässt: "Nach dieser erdrückenden Befundlage für die Beklagte, sollte diese anerkennen die Behandlungskosten für den Unfall und dessen Folgen zu übernehmen." Zudem hat der Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 12. Januar 2012, wonach seine Mandantin selbst keine Bilder oder Aufnahmen habe und leider eine gerichtliche Anforderung der Unterlagen unumgänglich sei, nahezu fristgerecht auf die Verfügung des SG vom 14. November 2011 reagiert. In dieser hatte das SG der Klägerseite gegenüber auseinandergesetzt, dass die Beibringung radiologischer Aufnahmen bzw. Unterlagen durch das Gericht sich häufig sehr zeitintensiv und aufwändig gestalte und zumeist die Kläger die Aufnahmen/ Unterlagen schneller beschaffen könnten, weshalb die Klägerin gebeten werde, die einschlägigen Aufnahmen/ Unterlagen möglichst umgehend selbst zu besorgen und sich gegenüber dem SG zu einer entsprechenden Mitwirkung binnen sechs Wochen bereit zu erklären. Vor diesem Hintergrund drängte sich allein aus dem Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte nun auf die Verfügung des SG vom 25./ 27. Januar 2012, mit welcher das SG die Klägerin um ergänzende Mitteilung der Anschriften der Ärzte etc. ersucht hat, wo sich Aufnahmen befinden könnten, trotz Erinnerung (Verfügung vom 27. Februar/ 06. März 2012 mit der Bitte um Erledigung bis spätestens 27. März 2012) nicht reagiert hat, noch nicht auf, dass sie das Interesse an der Fortführung des Verfahrens verloren hatte. Hinzukommt, dass allein schon aus dem Schreiben des SG vom 14. November 2011 unter Zugrundelegung eines verobjektivierten Empfängerhorizonts nicht hervorgeht, dass das SG auf die Mitwirkung der Klägerin tatsächlich angewiesen gewesen ist; die Klägerin hätte dem SG die ihm obliegende Amtsermittlung durch die abgeforderten Auskünfte allenfalls möglicherweise erleichtert. Vielmehr hätte es das SG angesichts der überschaubaren Zahl der aktenkundigen behandelnden Ärzte und Kliniken, bei welchen das SG zudem schon zuvor unter Hinweis auf das Vorliegen einer Schweigepflichtentbindung Befundberichte bzw. Auskünfte eingeholt hatte, auch ohne weitergehende Mitwirkung der Klägerin sogleich selbst bewerkstelligen können, radiologische Unterlagen anzufordern.
Da mithin die Voraussetzungen für eine Klagerücknahmefiktion nicht vorliegen, ist das angefochtene Urteil in der geschehenen Weise aufzuheben, und zwar mit der Folge, dass das SG das bislang nicht durch Klagerücknahmefiktion erledigte Verfahren fortzusetzen hat.
Das Sozialgericht wird im Rahmen des bei ihm nun noch anhängigen Verfahrens nach § 193 SGG auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben, das der Sache nach nur einen prozessualen Zwischenstreit darstellt (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. März 2013 – L 1 KR 450/12 WA –, zitiert nach juris Rn. 35).
In Ermangelung von Zulassungsgründen i.S.v. § 160 Abs. 2 SGG ist die Revision nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
Saved