L 12 KA 121/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 28 KA 1440/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 121/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Jungpraxisregelung im Honorarvertrag der Beklagten, Abschnitt 2.1, B Nr. 4.1 Abs. 4 HV 3/09, stellt im Falle eines MVZ auf dieses und nicht auf den bei diesem angestellten Arzt ab. Die Voraussetzungen der Jungpraxisregelung müssen daher beim MVZ und nicht bei dem im MVZ angestellten Arzt vorliegen.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 16. Mai 2014, S 28 KA 1440/12 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch der Klägerin im Quartal 3/09 auf Zuweisung eines höheren Regelleistungsvolumens (RLV) wegen im Aufbau befindlicher Praxis (Jungpraxis).

Die Klägerin ist ein in der Rechtsform einer GmbH betriebenes Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) in A-Stadt. Gegründet wurde das MVZ zum 1.7.2007. Zu diesem Zeitpunkt war Dr. T. dort als angestellter Arzt mit einem Tätigkeitsumfang von 40 Stunden/Woche beschäftigt und dessen ärztlicher Leiter (Beschluss des ZA vom 23.5.2007). Ab dem 1.7.2008 stellte die Klägerin Dr. L. (Internist mit Schwerpunkt Hämatologie/Onkologie) mit einem Beschäftigungsumfang 10 Stunden/Woche an. Dr. T. übte seine Tätigkeit ab 1.7.2008 bis 30.9.2010 mit einem Umfang von 30 Stunden/Woche aus. Vor seiner Anstellung im MVZ war Dr. T. seit dem 1.7.1986 als Internist in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Mit Bescheid vom 23.6.2009 wies die Beklagte der Klägerin ein RLV für das Quartal 3/09 in Höhe von 30.661,82 EUR zu. Das RLV wurde dabei für Dr. L. i.H.v. 12.936,03 EUR und für Dr. T. i.H.v. 17.725,79 EUR ermittelt. Bei Herrn Dr. L. legte die Beklagte eine RLV-relevante Fallzahl aus 3/08 von 177 zugrunde (Durchschnittsfallzahl der Arztgruppe: 499), bei Herrn Dr. T. eine RLV-relevante Fallzahl aus 3/08 von 419 (Durchschnittsfallzahl der Arztgruppe: 701). Die tatsächlich erbrachte RLV-relevante Fallzahl von Dr. T. betrug im Quartal 3/09 511.

Am 8.7.2009 (eingegangen 21.10.2009) stellte Dr. T. für die Quartale ab 1/2009 einen (Form-)Antrag auf Erhöhung der Fallzahl - Anpassung des RLV wegen Jungpraxis - und beantragte die Übernahme der Fallzahl der Vorpraxis Dr. T ... Mit Bescheid vom 17.8.2010 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab, da der Zeitpunkt der Erstniederlassung von Dr. T., gerechnet ab dem Antragsquartal, länger als fünf Jahre zurückliege. Eine Jungpraxis bestünde daher nicht. Hiergegen legte Dr. T. mit Schreiben vom 27.8.2010 Widerspruch ein.

Die Beklagte informierte mit Schreiben vom 12.6.2012 den Bevollmächtigten der Klägerin, wonach bei ihr noch Widersprüche der Klägerin gegen die RLV-Zuweisung vom 23.6.2009 sowie gegen den Bescheid der Beklagten vom 17.8.2010 vorlägen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.9.2012 zurück. Eine Jungpraxis liege vor, wenn die Praxis im Vorjahresquartal zwar bereits in Betrieb gewesen sei, sich aber noch im Aufbau befinde, d.h., die für das RLV relevante Fallzahl im entsprechenden Vorjahresquartal noch unterdurchschnittlich gewesen sei. Der Zeitpunkt der Erstniederlassung dürfe dabei, gerechnet ab dem Antragsquartal, nicht länger als fünf Jahre zurückliegen. Im Falle des Wechsels von einer Einzelpraxis in ein MVZ seien diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Der Arzt, der von einer Einzelpraxis zu einem MVZ wechsele, könne vor diesem Hintergrund nicht als Praxisneugründer im Sinne einer Jungpraxis angesehen werden. Vielmehr sei Dr. T. vorher tätig gewesen und sei auch weiterhin tätig. Demnach sei die Fünf-Jahre-Regelung in diesem Fall nicht anwendbar.

In ihrer am 2.11.2012 zum Sozialgericht München erhobenen Klage vertritt die Klägerin die Auffassung, das MVZ sei im streitgegenständlichen Quartal als im Aufbau befindlich und damit als Jungpraxis anzusehen. Die Beklagte stellt demgegenüber für den Zeitpunkt der Erstniederlassung nicht auf den Zeitpunkt der Gründung des MVZ ab, vielmehr sei der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem derjenige im MVZ tätige Arzt, dessen Fallzahlerhöhung begehrt werde, erstmals zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen worden sei. Es sei also für diesen Zeitpunkt ein konkreter "Arztbezug" herzustellen.

Das SG hat mit Urteil vom 16. Mai 2014 die Bescheide der Beklagten vom 23.6.2009 und 17.8.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.9.2012 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über die Zuweisung des RLV der Klägerin im Quartal 3/09 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sei der RLV-Zuweisungsbescheid vom 23.6.2009 sowie der Bescheid vom 17.8.2010, mit dem die Beklagte den Antrag auf Erhöhung der Fallzahl und auf Anpassung des RLV abgelehnt habe. Den Akten sei nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, ob die Klägerin auch gegen den RLV-Zuweisungsbescheid vom 23.6.2009 ausdrücklich Widerspruch erhoben habe. Hierfür spreche nur die Mitteilung in dem Schreiben der Beklagten vom 12.6.2012 an den Bevollmächtigten der Klägerin, wonach bei ihr u.a. noch ein Widerspruch der Klägerin gegen die RLV-Zuweisung vom 23.6.2009 vorläge. Die Kammer gehe jedoch davon aus, dass der klägerische Antrag vom 8.7.2009, zugegangen der Beklagten am 21.10.2009, auf Erhöhung der Fallzahl und auf Anpassung des RLV zugleich als inzidenter Widerspruch gegen den RLV-Zuweisungsbescheid vom 23.6.2009 auszulegen sei und die diesbezügliche Fristversäumnis durch die Beklagte mit Bescheid vom 17.8.2010 bzw. Widerspruchsbescheid vom 20.9.2012 geheilt worden sei. Für diese Auslegung spreche, dass im Rahmen der zum 1.7.2009 fortgeschriebenen "Vereinbarung zwischen den Kassenverbänden und der KVB über die Vergütung und Honorierung vertragsärztlicher Leistungen im Jahr 2009 gem. §§ 82 Abs. 2 Satz 1, 87, 87a, 87b, 87c SGB V" (im Folgenden: "Honorarvertrag 3/2009") der Tatbestand "Jungpraxis" dem von Amts wegen vorzunehmenden Verfahren zur RLV-Ermittlung zugewiesen und damit das für die Quartale 1/2009 und 2/2009 noch vorgesehene Antragsverfahren auf Anpassung des RLV hinfällig wurde, ohne dass sich jedoch in materiell rechtlicher Hinsicht die Voraussetzungen der Jungpraxisregelung (wesentlich) geändert hätten. Infolge dessen gehe die Kammer davon aus, dass das Widerspruchsverfahren bezüglich des Bescheids vom 17.8.2010 auch den (inzidenten) Widerspruch gegen den RLV-Zuweisungsbescheid vom 23.6.2009 mit umfasse. Die Klage sei auch begründet, da die Regelung zur "Jungpraxis" beim klägerischen MVZ und nicht beim angestellten Arzt der Klägerin Anwendung finde. Der Beklagte habe - in Umsetzung des Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 20.4.2009 - für Neuzulassungen und Umwandlung der Kooperationsform im Honorarvertrag 3/09 eine Regelung getroffen, wonach Jungpraxen solche seien, wenn seit der ersten Niederlassung nicht mehr als 20 Quartale vergangen seien. Diese hätten Anspruch auf den Fachgruppendurchschnitt. Grundlage der Jungpraxisregelung sei nach der Rechtsprechung des BSG die Möglichkeit für umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxen, zumindest den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen. Danach müsse dem Vertragsarzt wegen seines Rechts auf berufliche Entfaltung unter Berücksichtigung der Honorarverteilungsgerechtigkeit die Chance bleiben, durch Qualität und Attraktivität seiner Behandlung oder auch durch eine bessere Organisation seiner Praxis neue Patienten für sich zu gewinnen und so legitimerweise seine Position im Wettbewerb mit dem Berufskollegen zu verbessern. Daher sei allen Praxen mit unterdurchschnittlichen Umsätzen die Möglichkeit einzuräumen, durch Umsatzsteigerung jedenfalls bis zum Durchschnittsumsatz der Fachgruppe aufzuschließen und damit ihre Praxis zu einer mit typischen Umsätzen auszubauen (Verweis auf BSG, B 6 KA 44/12 R). Im Falle einer Berufsausübungsgemeinschaft, die bereits seit längerer Zeit an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehme, habe das BSG entschieden dass diese durch einen erst seit kurzer Zeit vertragsärztlich tätigen Arzt nicht zu einer Aufbaupraxis im Sinne des Honorarverteilung werde. Sie könne sich nicht durch die Aufnahme eines jungen Partners verjüngen und so die Eigenschaft als Aufbaupraxis länger als fünf Jahre - oder gar regelmäßig - durch Neueintritte junger Partner fortwährend behalten. Die Jungpraxisregelung finde grundsätzlich auch auf neu zugelassene MVZ Anwendung, nicht jedoch auf einzelne im MVZ tätige Ärzte (Verweis auf SG Berlin, Urteil vom 27.6.2012, S 83 KA 223/11). Abzustellen sei auf die Niederlassung bzw. Zulassung, nicht auch auf die Anstellung von Ärzten durch einen zugelassenen Leistungserbringer. Wettbewerber am Markt sei die Praxis und nicht der angestellte Arzt. Da seit der Gründung des hier maßgeblichen MVZ noch keine 20 Quartale vergangen seien und dieses im Vorjahresquartal auch noch nicht den Fachgruppendurchschnitt erreicht habe, sei es als Jungpraxis zu definieren. Damit habe die Klägerin einen Anspruch auf Neuverbescheidung bezüglich der Zuweisung ihres RLV unter Berücksichtigung der Jungpraxisregelung.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung vom 30.6.2014 zum Bayer. Landessozialgericht. Die Anwendung der Jungpraxisregelung gehe fehl. Die RLV seien arztbezogen zu ermitteln. Der hier konkret betroffene Arzt (Dr. T.), für dessen RLV-Berechnung eine höhere Fallzahl begehrt werde, sei bereits seit 1.7.1986 im gleichen Planungsbereich zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die maßgebliche Vorschrift des Abschnitts 2.1, Teil B Nr. 4.1 Abs. 4 des in 3/09 gültigen HVV sei bezogen auf den Begriff "Praxen" auslegungsbedürftig. Das BSG lege seiner Wertung, eine in Aufbau befindliche Praxis müsse sich mindestens bis zum Fachgruppendurchschnitt entwickeln können, die Schutzbedürftigkeit des Arztes zugrunde und habe daraufhin die beschriebenen "Wachstumsgrundsätze" entwickelt. Auf ein MVZ sei dies nicht ohne Modifizierung übertragbar. Zum einen gäbe es schon wegen des fachübergreifenden Charakters eines MVZ keinen Durchschnitt der Fachgruppe. Auch könne der Rechtsprechung des BSG nicht entnommen werden, dass es für den Beginn der Aufbauphase den Gründungszeitpunkt des MVZ heranziehe. Auch eine teleologische Auslegung führe dazu, den Erstniederlassungszeitpunkt des Arztes als Beginn der Aufbauphase anzunehmen. Denn nach den maßgeblichen Vorgaben auf Bundesebene würden die RLV arztbezogen ermittelt, ebenso die RLV-relevante Fallzahl, so dass die normativen Vorgaben auf einen Arztbezug angelegt seien. Ebenso stehe der im MVZ tätige Arzt im Wettbewerb nur mit den Ärzten seiner Fachgruppe. Dies stehe auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG, das eine Verjüngung des MVZ durch den Eintritt eines Arztes, der der Jungpraxisregelung unterfallen würde, abgelehnt habe. Verjüngt würde bei einer arztbezogenen Regelung nicht das MVZ als Ganzes. Es würde lediglich dem neu hinzugekommenen Arzt der vom BSG formulierte Wachstumsanspruch zugebilligt. Im Übrigen sei die Klägerin schon nicht schutzbedürftig im Sinne der BSG-Rechtsprechung, da sie keine umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxis sei, wie die Honorarabrechnung aus dem streitgegenständlichen Quartal ergebe. Sie läge wegen des hohen Umsatzes bei den freien Leistungen sogar über dem Fachgruppendurchschnitt und falle daher schon nicht in den Schutzbereich der Norm der Jungpraxis.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 16.5.2014, S 28 KA 1440/12, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Die vom SG zitierte Entscheidung des SG Berlin sei zwischenzeitlich vom LSG Berlin durch Urteil vom 19.2.2014, L 7 KA 68/12 bestätigt worden. Die Jungpraxisregelung könne auf ein neugeründetes MVZ angewendet werden, weil ein neu gegründetes MVZ zunächst ein neuer Leistungserbringer sei. Die Argumentation der Beklagten, ein Wachstum bis zum Fachgruppendurchschnitt sei bei einem MVZ von vornherein nicht denkbar, gehe fehl. Die Honorarverteilungsgerechtigkeit gelte für sämtliche Leistungserbringer, also auch Berufsausübungsgemeinschaften und Medizinische Versorgungszentren. Die Ermittlung des Fachgruppendurchschnitts sei hier auf Grundlage des Arztbezugs ohne weiteres möglich. Dr. T. sei auch nicht in ein bereits lang bestehendes MVZ eingetreten, sondern sei bei dessen Neugründung angestellt worden. Das MVZ sei ein eigenständiger Leistungserbringer. Die Beklagte stelle auch fälschlicherweise auf den Wettbewerb auf dem Gesundheitsmarkt ab. Hier gehe es aber nicht um Marktgesichtspunkte, sondern um die Honorarverteilungsgerechtigkeit unter dem Gesichtspunkt der Budgetierung. Die arztbezogene Berechnungsweise des RLV sei unabhängig davon zu sehen, ob die Praxis als Einzelpraxis oder MVZ bereits seit längerem am Markt sei. Die Regelungen für Ärzte gelten für MVZ entsprechend. Soweit die Beklagte auf die überdurchschnittlich hohen Umsätze bei den freien Leistungen verweise und daraus die fehlende Anwendbarkeit der Jungpraxisregelung ableite, beachte sie nicht ihr eigenes Normengefüge. Abzustellen sei nach Nr. 4.1 Abs. 4 HVV auf die Fallzahlen und nicht auf die Umsätze. Dass die Fallzahlen unterdurchschnittlich waren, bestreite auch die Klägerin nicht. Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten des Beklagten und des Sozialgerichts. Auf den Inhalt der beigezogenen Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143, 151 SGG statthafte und zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben und die Beklagte zur Neuverbescheidung unter Berücksichtigung der Jungpraxisregelung verurteilt.

Zutreffend sind zunächst die Ausführungen des SG zur Bestandskraft des RLV-Zuweisungsbescheides, § 153 Abs. 2 SGG. Selbst unterstellt, die Klägerin hätte gegen den RLV-Zuweisungsbescheid vom 23.6.2009 keinen Widerspruch eingelegt, kann ihr dies nicht zum Nachteil gereichen. Zwar kann nach der Rechtsprechung des BSG die Höhe des einer vertragsärztlichen Praxis zugewiesenen RLV im Rahmen der Honorarfestsetzung nicht mehr gerügt werden, wenn die Kassenärztliche Vereinigung (KV) das RLV durch gesonderten, bestandskräftig gewordenen Bescheid festgestellt hat (BSG, Urteil vom 15. August 2012 - B 6 KA 38/11 R -, juris, m.w.N.). Dieser Grundsatz gilt aber dann nicht, wenn Einwände gegen die Höhe des RLV sachgerecht erst im Rahmen der Honorarfestsetzung vorgebracht werden können, etwa weil sich erst mit der Honorarabrechnung ein Überschreiten des RLV ergibt, was vorher nicht absehbar war. Eine solche Konstellation ist u.a. immer dann gegeben, wenn die Höhe des RLV mit dem Hinweis auf nicht zugebilligte Wachstumsmöglichkeiten angegriffen wird. Denn ob eine Praxis im Vergleich zu dem für die RLV-Festsetzung maßgeblichen Referenzzeitraum gewachsen ist, lässt sich typischerweise erst nach Ablauf des jeweiligen Quartals beurteilen (so zutreffend LSG Berlin, Urteil vom 19.2.2014, L 7 KA 68/12).

Rechtsgrundlage für das klägerische Begehren sind die Regelungen, die der Bewertungsausschuss (BewA) auf der Grundlage des § 87b Abs. 2 und 3 i.V.m. Abs. 4 Sätze 1 und 2 SGB V normiert hat. Gem. § 87b Abs. 2 Satz 1 SGB V (in der Fassung vom 1.7.2008; im Folgenden a.F.) sind zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit des Arztes und der Arztpraxis arzt- und praxisbezogene Regelleistungsvolumina festzulegen. Ein Regelleistungsvolumen nach Satz 1 ist die von einem Arzt oder der Arztpraxis in einem bestimmten Zeitraum abrechenbare Menge der vertragsärztlichen Leistungen, die mit den in der Euro-Gebührenordnung gemäß § 87a Abs. 2 SGB V enthaltenen und für den Arzt oder die Arztpraxis geltenden Preisen zu vergüten ist. Abweichend von Absatz 1 Satz 1 ist die das Regelleistungsvolumen überschreitende Leistungsmenge mit abgestaffelten Preisen zu vergüten; bei einer außergewöhnlich starken Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten kann hiervon abgewichen werden. Bei der Bestimmung des Zeitraums, für den ein Regelleistungsvolumen festgelegt wird, ist insbesondere sicherzustellen, dass eine kontinuierliche Versorgung der Versicherten gewährleistet ist (§ 87b Abs. 2 Sätze 2 bis 4 SGB V a.F.). Gem. § 87b Abs. 3 Satz 1 SGB V a.F. sind die Werte für die Regelleistungsvolumina nach Absatz 2 morbiditätsgewichtet und differenziert nach Arztgruppen und nach Versorgungsgraden sowie unter Berücksichtigung der Besonderheiten kooperativer Versorgungsformen festzulegen; bei der Differenzierung der Arztgruppen ist die nach § 87 Abs. 2a SGB V zugrunde zu legende Definition der Arztgruppen zu berücksichtigen. Nach § 87b Abs. 4 Satz 1 SGB V a.F. bestimmt der Bewertungsausschuss erstmalig bis zum 31. August 2008 das Verfahren zur Berechnung und zur Anpassung der Regelleistungsvolumina nach den Absätzen 2 und 3 sowie Art und Umfang, das Verfahren und den Zeitpunkt der Übermittlung der dafür erforderlichen Daten. Der Erweiterte Bewertungsausschuss hat in seiner 7. Sitzung am 27. und 28. August 2008 unter Teil F einen Beschluss gemäß § 87b Abs. 4 Satz 1 SGB V zur Berechnung und zur Anpassung von arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumen nach § 87b Abs. 2 und 3 SGB V gefasst. Mit Beschluss vom 20.04.2009, in Kraft getreten zum 01.07.2009, hat er Teil F, Nr. 3.5 wie folgt abgeändert:

"3.5 Regelleistungsvolumen bei Neuzulassung und Umwandlung der Kooperationsform Die Partner der Gesamtverträge beschließen für Neuzulassungen von Vertragsärzten, Praxen in der Anfangsphase und Umwandlung der Kooperationsform Anfangs- und Übergangsregelungen. Über das Verfahren der Umsetzung einigen sich die Partner der Gesamtverträge."

Daraufhin trafen die Gesamtvertragspartner im Bezirk der Beklagten eine entsprechende Regelung im Honorarvertrag: Gem. Abschnitt 2.1, B Nr. 4.1 Abs. 4 Honorarvertrag 3/2009 werden für die Praxen, die sich noch im Aufbau befinden (Jungpraxen), seit der ersten Niederlassung nicht mehr als 20 Quartale vergangen sind und den Fachgruppendurchschnitt im Vorjahresquartal noch nicht erreicht haben, die eigenen Fallzahlen im Abrechnungsquartal angesetzt. Soweit die eigenen Fallzahlen im Abrechnungsquartal über dem Fachgruppendurchschnitt liegen, kommt der Fachgruppendurchschnitt zum Ansatz.

Auf der Grundlage dieser normativen Vorgaben hat das SG mit zutreffender Begründung festgestellt, dass die Regelung zur "Jungpraxis" beim klägerischen MVZ und nicht beim angestellten Arzt der Klägerin vorliegend Anwendung findet und wie folgt zutreffend ausgeführt:

"Grundlage der Jungpraxisregelung ist die Rechtsprechung des BSG, wonach umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxen die Möglichkeit haben müssen, zumindest den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen. Danach muss dem Vertragsarzt - wegen seines Rechts auf berufliche Entfaltung unter Berücksichtigung der sog. Honorarverteilungsgerechtigkeit - die Chance bleiben, durch Qualität und Attraktivität seiner Behandlung oder auch durch eine bessere Organisation seiner Praxis neue Patienten für sich zu gewinnen und so legitimerweise seine Position im Wettbewerb mit den Berufskollegen zu verbessern. Daher ist allen Praxen mit unterdurchschnittlichen Umsätzen die Möglichkeit einzuräumen, durch Umsatzsteigerung jedenfalls bis zum Durchschnittsumsatz der Fachgruppe aufzuschließen und damit ihre Praxis zu einer mit typischen Umsätzen auszubauen (BSG, Urteil vom 17.7.2013, Az. B 6 KA 44/12 R, Rn. 17 m.w.N.). Praxen in der Aufbauphase - die auf einen Zeitraum von drei, vier oder fünf Jahren bemessen werden kann - muss die Steigerung ihres Honorars auf den Durchschnittsumsatz sofort möglich sein. Die Bemessung des Zeitraums der Aufbauphase erfolgt im HVV durch die Vertragspartner bzw. in der Satzung über die Honorarverteilung durch die Kassenärztliche Vereinigung (BSG, ebenda, Rn. 18). Im Fall einer Berufsausübungsgemeinschaft, die als solche schon längere Zeit an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt, hat das BSG entschieden, dass diese durch den Eintritt eines erst kurze Zeit vertragsärztlich tätigen Arztes nicht zu einer Aufbaupraxis im Sinne des Honorarverteilungsrechts wird (BSG, ebenda, Rn. 1). Sie könne sich nicht durch Aufnahme eines jungen Partners "verjüngen" und so die Eigenschaft als Aufbaupraxis länger als fünf Jahre - oder gar durch regelmäßige Neueintritte junger Partner fortwährend - behalten (BSG, ebenda, Rn. 27). Wenngleich das BSG ausdrücklich klargestellt hat, dass der von ihm entschiedene Fall keinen Anlass zur Erörterung anders gelagerter Konstellationen gebe (BSG, ebenda, Rn. 29), deutet seine Entscheidung, in der auf die Praxis und nicht auf den eintretenden Vertragsarzt abgestellt wurde, darauf hin, dass es im streitgegenständlichen Fall darauf ankommen muss, ob die Voraussetzungen der Jungpraxisregelung bei der Klägerin und nicht bei dem bei ihr angestellten Arzt gegeben sind."

Diese Auffassung deckt sich mit der Auffassung des SG Berlin in seinem Urteil vom 27.6.2012 (Az. S 83 KA 223/11), bestätigt durch Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 19.2.2014, L 7 KA 68/12, und wird auch vom Senat geteilt.

Auch die in der Berufungsinstanz vorgetragenen Argumente führen zu keiner anderen Betrachtung. Soweit die Beklagte der Auffassung ist, die maßgeblichen Vorschriften seien für MVZ im Hinblick auf dessen Schutzbedürftigkeit zu modifizieren, gibt es hierfür keine Rechtsgrundlage. Vielmehr gelten nach § 72 Abs. 1 SGB V die Vorschriften für Ärzte für Medizinische Versorgungszentren entsprechend. Schutzbedürftig als Wenigabrechner (bezogen auf die Fallzahlen des Vorjahresquartals) kann ebenso ein MVZ wie ein in Einzelpraxis niedergelassener Arzt sein. Das Argument, die Klägerin rechne wegen der hohen Umsätze bei den freien Leistungen (bezogen auf Dr. T.) überdurchschnittlich ab und könne bereits deshalb nicht unter den Schutzbereich der Jungpraxisregelung fallen, trägt ebenfalls nicht. Die hier maßgebliche Regelung im Honorarvertrag stellt nur auf die Leistungen ab, die im Rahmen des RLV abgerechnet werden können, indem sie den Jungpraxen die durchschnittliche Fallzahl der Arztgruppe zubilligt. Eine weitere Voraussetzung dergestalt, dass auch das Gesamthonorar GKV unterdurchschnittlich sein muss, ist der Regelung nicht zu entnehmen. Auch das BSG hat insbesondere in seinem Urteil B 6 KA 44/12 R darauf hingewiesen, dass Honorarsteigerungen durch Fallzahlerhöhungen möglich sein müssen. Außerhalb der RLV-Systematik liegende Honorare, wie die freien Leistungen, können sich deshalb nicht auf die Berechnung des RLV und daher auch nicht auf die das RLV betreffenden Ausnahmevorschriften auswirken.

Auch ist der Gründungszeitpunkt des MVZ maßgeblich für den Beginn der Berechnung, bis wann eine Jungpraxis vorliegt (vgl. hierzu BSG, B 6 KA 44/12 R, in dem als Beginn der Aufbauphase das Gründungsdatum des MVZ benannt ist). Dass das RLV selbst zwar immer arztbezogen zu berechnen ist, ergibt sich schon aus Sinn und Zweck der Normen. Diese Berechnung führt aber gerade nicht dazu, dass für den Beginn der Jungpraxisregelung auf die Erstzulassung des in das MVZ eintretenden Arztes abzustellen ist. Maßgeblich ist vielmehr das Gründungsdatum des MVZ. Dass die Beklagte entgegen dem Beschluss des Bewertungsausschusses vom 27./28.8.2008 keine Übergangsregelungen für die Umwandlung von Kooperationsformen, sondern nur für als "Jungpraxen" bezeichnete Praxen getroffen hat, kann der Klägerin nicht zum Nachteil gereichen.

Aus diesen Gründen war zu prüfen, ob im Quartal 3/2009 bei dem klägerischen MVZ die Voraussetzungen zur Anwendung der Jungpraxisregelung gem. Abschnitt 2.1, B Nr. 4.1 Abs. 4 Honorarvertrag 3/2009 vorlagen. Dies ist zu bejahen. Seit der Gründung des MVZ zum 1.7.2007 waren im Quartal 3/2009 noch keine 20 Quartale vergangen. Das MVZ hatte im Vorjahresquartal auch unstreitig noch nicht den Fachgruppendurchschnitt erreicht.

Damit hat die Klägerin einen Anspruch auf neuerliche Entscheidung über das ihr für das Quartal 3/2009 zugewiesene RLV. Es handelt sich um einen Anspruch auf rechtsfehlerfreie Bescheidung bezüglich der Zuweisung ihres RLV - aber nicht unmittelbar auf Zuweisung eines bestimmten RLV, weil die Normen an bestimmten Punkten zwar keinen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum, aber einen besonderen Gestaltungsspielraum für die Beklagte vorsehen. Zugunsten der Klägerin ist dabei die Jungpraxisregelung anzuwenden, d.h. bei der RLV-Berechnung sind, da sie den Fachgruppendurchschnitt im Vorjahresquartal 3/2008 noch nicht erreicht hatte, die Fallzahlen der Klägerin im Quartal 3/2009 anzusetzen, jedoch nur bis zum Fachgruppendurchschnitt. Da die im Quartal 3/2009 teilzeitbeschäftigten Dr. L. und Dr. T. unterschiedlichen Fachgruppen angehören, berechnet sich dieser den Anspruch der Klägerin begrenzende Fachgruppendurchschnitt aus der Summe der durchschnittlichen Fallzahlen der Fachgruppen dieser beiden damals bei der Klägerin tätigen Ärzte (entsprechend ihres Beschäftigungsumfangs).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die streitige Regelung des Honorarvertrages bereits zum Quartal 1/10 außer Kraft getreten ist, § 160 SGG.
Rechtskraft
Aus
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