L 11 R 2924/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 1866/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2924/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 09.04.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin, die eine unbefristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bezieht, begehrt Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die am 18.06.1951 geborene Klägerin absolvierte sowohl eine Ausbildung zur Krankenpflegehelferin als auch zur Krankenschwester. Von 1979 bis 1981 arbeitete sie im Altenheim ihrer Eltern, das sie anschließend bis 1991 selbst leitete. Von 1991 bis 2008 betrieb sie das Altenheim als Pension weiter. Danach war sie nach eigenen Angaben nicht mehr berufstätig.

Auf ihren Antrag vom 29.08.2006 bewilligte die Beklagte der Klägerin nach medizinischer Sachaufklärung ab dem 01.09.2006 eine unbefristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Eine Rente wegen voller Erwerbsminderung lehnte sie hingegen ab (Bescheide vom 24.08.2007 und Teilabhilfebescheid vom 12.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.07.2009). Die hiergegen zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage wurde vom SG nach Einholung zweier Sachverständigengutachten gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beim Orthopäden Dr. B. und beim Neurologen und Psychiater Dr. W. (Leistungseinschätzung jeweils leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich möglich) mit Urteil vom 18.10.2011 abgewiesen. Die hiergegen beim Landessozialgericht eingelegte Berufung nahm die Klägerin am 18.04.2012 zurück.

Am 19.08.2013 beantragte die Klägerin erneut Rente wegen voller Erwerbsminderung, da sich ihre gesundheitlichen Beschwerden verschlechtert hätten (Blatt 761 Verwaltungsakte).

Die Beklagte zog Befundberichte der behandelnden Ärzte bei und veranlasste eine Begutachtung bei dem Orthopäden Dr. K ... Im Gutachten vom 17.02.2014 (Blatt 837 Verwaltungsakte) diagnostizierte Dr. K. ein chronisches LWS-Syndrom bei ausgeprägten degenerativen Veränderungen mit Spinalkanalstenose ohne neurologisches Defizit sowie eine mäßiggradige Polyarthrose der Finger beidseits. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könnten leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen sechs Stunden täglich verrichtet werden.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.05.2014 den Rentenantrag ab.

Hiergegen hat die Klägerin am 02.06.2014 Klage zum SG erhoben. Das Gutachten Dr. K. sei in wesentlichen Punkten unzutreffend. Sie leide ständig unter starken Schmerzen, die Schlafstörungen und das Erfordernis häufiger Ruhepausen bedingen würden. Es liege ein ständiger Schwächezustand, Atembeschwerden und ein eingeschränktes Gehvermögen vor. Die rentenrechtliche Wegefähigkeit sei nicht mehr gegeben.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die bisherigen medizinischen Sachverhaltsermittlungen und die Begründungen der angefochtenen Bescheide Bezug genommen.

Das SG hat Beweis erhoben durch die Einholung sachverständiger Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte. Die Allgemeinmedizinerin Dr. S. hat im Schreiben vom 17.10.2014 (Blatt 50 SG-Akte) ausgeführt, dass seit 2010 keine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand eingetreten sei. Die Klägerin könne täglich mindestens sechs Stunden körperlich leichte Tätigkeiten verrichten. Sie sei in der Lage, täglich viermal einen Fußweg von 500 Metern in jeweils 20 Minuten zurückzulegen, sie könne öffentliche Verkehrsmittel benutzen und einen Pkw führen. Der Orthopäde Dr. B. hat mit Schreiben vom 20.10.2014 (Blatt 76 SG-Akte) mitgeteilt, dass aus orthopädischer Sicht leichte Tätigkeiten sechs Stunden täglich verrichtet werden könnten. Die Wegefähigkeit sei jedoch aufgrund der Rückenproblematik zu verneinen.

Das SG hat weiteren Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei dem Orthopäden Dr. J., K ... Im Gutachten vom 27.11.2014 (Blatt 90 SG-Akte) hat der Sachverständige auf einen flüssigen Barfußgang mit seitengleicher Schrittlänge und seitengleicher Abrollbewegung beider Füße hingewiesen. Im Beinbereich beidseits bestehe keine auffällige Muskelverschmächtigung. Aufgrund des klinischen und bildgebenden Befundes sei davon auszugehen, dass die Klägerin viermal täglich Wegstrecken von jeweils mehr als 500 Meter bei einem Zeitaufwand von jeweils maximal 20 Minuten zu Fuß zurücklegen könne. Es liege keine Einschränkung für die Benutzung öffentlicher oder privater Verkehrsmittel vor. Des Weiteren hat der Sachverständige folgende Diagnosen gestellt: - fixierter Rundrücken mit kompensatorisch vermehrter Lendenhohlschwingung und mäßiger Fehlstatik der Wirbelsäule sowie deutlichen degenerativen Veränderungen im Bereich der unteren HWS und unteren LWS ohne neurologische Ausfälle oder Hinweise auf Nervenwurzelreizung, - Schultereckgelenksarthrosen beidseits, mit endgradig leichter Bewegungseinschränkung der Schultergelenke; leichtes bis mäßiges Impingementsyndrom beider Schultern, - deutliche Krampfaderbildung beider Rückfüße und Unterschenkel, rechtsbetont sowie geringer Senk-Spreizfuß beidseits. Zusätzlich bestehe eine deutliche Adipositas, wohingegen bezüglich eines diagnostizierten Fibromyalgie Syndroms Zweifel anzumelden seien. Die Klägerin könne nur noch leichte und zeitweise mittelschwere körperliche Tätigkeiten verrichten mit Heben und Tragen von Lasten bis zu 10 kg. Die Möglichkeit zum Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen sollte gegeben sein. Nicht möglich seien Arbeiten in Wirbelsäulenzwangshaltungen und vornübergebeugten Körperhaltungen, Überkopfarbeiten beidseits, Zwangshaltungen der Arme, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Arbeiten in Nässe und Kälte. Nach Aktenlage seien zu vermeiden Akkordarbeit, Nachtarbeit, Arbeiten unter Einwirkung von Staub, Gasen und Dämpfen, mit besonderer Beanspruchung des Gehörs und Arbeiten unter nervlicher Belastung. Unter Beachtung dieser Einschränkungen könnten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich verrichtet werden. Besondere Arbeitsbedingungen seien nicht erforderlich. Seit der Untersuchung durch Dr. B. am 22.12.2010 sei es zu keiner relevanten Befundänderung gekommen.

Die Klägerin hat den Entlassungsbericht der S.-Kliniken vom 08.11.2014 und Befundberichte von Dr. G., Dr. B., Dr. V. sowie der Praxis Radiologie a. S. vorgelegt und das Gutachten des Dr. J. kritisiert. Dessen Behauptungen führten ins Leere. Er stelle Vermutungen an, die er gar nicht beurteilen könne.

Mit Urteil vom 09.04.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie habe keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, da sie täglich sechs Stunden und mehr leichte Tätigkeiten verrichten könne. Zur Begründung hat sich das SG auf die Sachverständigengutachten des Dr. K. und des Dr. J. gestützt. Auch auf internistischem Fachgebiet sei die Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht in rentenrelevantem Ausmaß eingeschränkt, wie sich aus der nachvollziehbaren Einschätzung der behandelnden Ärztin Dr. S. ergebe.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 11.06.2015 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil des SG hat die Klägerin am 13.07.2015 (Montag) Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Die bisherige Würdigung der Erkrankungssituation werde den sich daraus ergebenden Einschränkungen nicht gerecht. Die umfangreichen qualitativen Leistungseinschränkungen wie die Tatsache, dass nur noch leichte und zeitweise mittelschwere körperliche Tätigkeiten nur noch mit Heben und Tragen von Lasten bis zu 10 kg, nur im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen, ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne Überkopfarbeiten usw möglich seien, zeige, dass gravierende Einschränkungen bestünden. Eine adäquate sozialmedizinische Auseinandersetzung hiermit sei bislang nicht erfolgt. Von einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen könne keine Rede sein. Sie hat den Bescheid des Landratsamts C. vom 04.05.2015 über die Zuerkennung eines Grades der Behinderung von 50 vorgelegt sowie einen Bericht des Dr. V. vom 24.07.2015 an die behandelnde Allgemeinmedizinerin Dr. S., in welchem ein allergisches Asthma bronchiale mit Belastungsdyspnoe beschrieben ist. Ihre Erwerbsfähigkeit aufgrund des Rückenleidens habe sich weiterhin verschlechtert, wie sich aus den Berichten des Dr. O. und Dr. L. ergebe, die sie ebenfalls zur Gerichtsakte vorgelegt hat. Schließlich hat sie noch einen Bericht des Rheumatologen Dr. G. vom 28.01.2016 mit der Diagnose einer rheumatoiden Arthritis zu den Akten gereicht.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 09.04.2015 und den Bescheid der Beklagten vom 12.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.08.2013 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt auf die Begründungen ihrer Bescheide und die Entscheidungsgründe des SG Bezug.

Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei dem Facharzt für Orthopädie, Rheumatologie, spezielle Schmerztherapie Dr. S., L ... Im Gutachten vom 12.02.2016 (Blatt 183 Senatsakte) hat der Sachverständige folgende Diagnosen gestellt: - Fehlstatik der Wirbelsäule mit diskreter s-förmiger Fehlhaltung der BWS und Hohlrundrückenbildung mit verstärkter Kyphosierung der BWS und verstärkter Lordosierung der LWS, - degeneratives Zervikalsyndrom mit Osteochondrose, Spondylose und Unkovertebralarthrose bei nachweisbaren Funktionseinschränkungen ohne Hinweis auf neurologische Ausfallserscheinungen, - degeneratives BWS-Syndrom mit Spondylosis hyperostotica, Osteochondrose und Funktionseinschränkungen, - degeneratives LWS-Syndrom L5/S1 bei Spondylarthrose und Osteochondrose bei radiologischer Spinalkanalstenose ohne Nachweis für eine radikuläre Symptomatik, - Verdacht auf seronegative rheumatoide Arthritis ohne nachweisbare gravierende entzündliche Veränderungen im Bereich der einzelnen Gelenke und ohne gravierende funktionelle Einschränkungen, - leichte Heberdenarthrose der Fingerendgelenke ohne nachweisbare funktionelle Einschränkung der Langfinger, - subacromiale Enge der Schultergelenke beidseits bei Schultereckgelenksarthrose ohne gravierende Funktionseinschränkungen der Schultergelenke beidseitig, - initiale Hüftgelenksarthrose mit endgradiger Funktionseinschränkung rechtsseitig, jedoch nicht gravierend funktionell ausgeprägt, - initiale medialseitig betonte Kniegelenksarthrose ohne nachweisbare Funktionseinschränkungen und ohne synovitischen Reizzustand, - diskrete Senk-Spreizfußbildung mit initialer Hallux-Valgus-Stellung beidseits ohne erkennbare Funktionseinschränkung, - Stammvarikosis mit ausgeprägter Unterschenkelvarikosis, rechts deutlicher ausgeprägt als links, ohne Hinweis für eine chronisch venöse Insuffizienz, - Osteopenie, - chronische somatoforme Schmerzverarbeitungsstörung im Rahmen eines Fibromyalgie-Syndroms mit leichter depressiver Komponente. Zwar habe sich nach Angaben der Klägerin die Beschwerdesymptomatik in den letzten Jahren und vor allem in den letzten sechs Monaten deutlich verstärkt, jedoch habe sie im Rahmen der klinischen Untersuchung eigentlich unverändert die bereits seit Jahren bestehende Symptomatik vorgetragen. Es handele sich um ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom mit nachweisbaren erheblichen degenerativen Veränderungen. Hinweise für neurologische Ausfallserscheinungen hätten jedoch weder im Bereich der oberen noch im Bereich der unteren Extremitäten gefunden werden können. Bei allen Vorbegutachtungen hätten keine gravierend abweichenden Befunde festgestellt werden können. Unklar sei lediglich das fachinternistische-fachrheumatologische Gutachten im Verwaltungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung im März 2008 (Blatt 233 Verwaltungsakte), das seinerzeit ein unter dreistündiges Leistungsvermögen angenommen habe. Für eine derartige Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit aufgrund eines leichten degenerativen Wirbelsäulensyndroms bei somatoformer Schmerzstörungen sei seinerzeit keine weitergehende Begründung angegeben worden. Diese damalige Einschätzung sei aus fachorthopädischer/fachrheumatologischer Sicht nicht nachvollziehbar. Die Klägerin könne nur noch leichte körperliche Tätigkeiten, und nur ab und zu kurzfristig auch mittelschwere Tätigkeiten ausführen. Sie solle keine Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 5 kg auf Dauer, ohne Zwangshaltungen der Wirbelsäule, ohne ungünstige klimatische Einflüsse und ohne nervliche oder psychische Belastungen ausführen. Regelmäßiger Publikumsverkehr sei nicht zuzumuten. Auch Tätigkeiten mit erhöhtem Verantwortungsgefühl oder erhöhter Konzentrationsfähigkeit sowie Schichtarbeit, Akkord- oder Nachtarbeit seien nicht mehr möglich. Sie könne unter Beachtung dieser Einschränkungen sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche erwerbstätig sein. Besondere Arbeitsbedingungen seien nicht erforderlich. Sie könne viermal täglich mehr als 500 Meter zu Fuß unter einem Zeitaufwand von ca 15 Minuten zurücklegen. Sie sei in der Lage öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und einen Pkw zu führen.

Die Klägerin hat erklärt, mit dem Gutachten Dr. S. nicht einverstanden zu sein. Der Sachverständige hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 07.04.2016 (Blatt 288 Senatsakte) an seiner Einschätzung festgehalten.

Die Klägerin hat noch den Bericht einer Herzkatheter-Untersuchung des Klinikums P. vom 03.03.2016 vorgelegt, in dem unauffällige Koronararterien und eine gute systolische LV-Funktion mit normalen Füllungsdrucken beschrieben werden (Blatt 272 Senatsakte). Die Klägerin hat des Weiteren einen Bericht des Klinikverbunds S. vom 26.02.2016, einen Bericht der Labordiagnostik K. vom 06.04.2016 (kein Hinweis auf schwere Entzündungsreaktion) sowie der Radiologie a. S. vom 19.04.2016 vorgelegt.

Die Beklagte hat hierauf vorgebracht, dass sich zwar der Verdacht einer Autoimmunthyreoiditis ergebe, eine Antikörperbestimmung aber noch ausstehe. Es handele sich um ein behandelbares Leiden, welches keine überdauernde Leistungsminderung zur Folge habe.

Die Klägerin hat hierauf einen Bericht des P.-Krankenhauses vom 09.06.2016 vorgelegt, in dem ua "keine höhergradigen Herzrhythmusstörungen" und "gute systolische LV-Funktion, keine Rechtsherzbelastungszeichen" beschrieben sind. Die Zuweisung sei aufgrund belastender Palpitationen bei paroxymalem Vorhofflimmern erfolgt. Im Langzeit-EKG habe sich eine gute linksventrikuläre Funktion gezeigt. Unter Frequenzkontrolle unter Digoxin und Betablockern habe eine spontane Kardioversion festgestellt und die Klägern nach Linderung der Beschwerden und Besserung des Allgemein- und Kräftezustands in die ambulante Weiterbetreuung entlassen werden können.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 12.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer vollen Erwerbsminderungsrente, da sie nicht erwerbsgemindert ist.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554).

Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbs-minderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbs-minderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflicht-beiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraus-setzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Ent-scheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Be-hinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt.

Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Zur Überzeugung des Senats kann die Klägerin täglich noch mindestens 6 Stunden arbeiten und verfügt über die erforderliche Wegefähigkeit, weshalb sie nicht erwerbsgemindert ist. Diese Überzeugung schöpft der Senat aus den beiden Sachverständigengutachten von Dr. J. und von Dr. S ...

Dr. J. hat im Gutachten vom 27.11.2014 für den Senat überzeugend dargelegt, dass es seit der Untersuchung durch Dr. B. am 22.12.2010 zu keiner relevanten Befundänderung gekommen ist und die Klägerin mindestens sechs Stunden täglich arbeiten kann. Dies hat die Allgemeinmedizinerin Dr. S. im Schreiben vom 17.10.2014 an das SG bestätigt. Der vom Senat beauftragte Orthopäde, Rheumatologe und Schmerztherapeut Dr. S. hat im Gutachten vom 12.02.2016 im Wesentlichen dieselben Diagnosen gestellt, wie Dr. J.: - Fehlstatik der Wirbelsäule mit diskreter s-förmiger Fehlhaltung der BWS und Hohlrundrückenbildung mit verstärkter Kyphosierung der BWS und verstärkter Lordosierung der LWS, - degeneratives Zervikalsyndrom mit Osteochondrose, Spondylose und Unkovertebralarthrose bei nachweisbaren Funktionseinschränkungen ohne Hinweis auf neurologische Ausfallserscheinungen, - degeneratives BWS-Syndrom mit Spondylosis hyperostotica, Osteochondrose und Funktionseinschränkungen, - degeneratives LWS-Syndrom L5/S1 bei Spondylarthrose und Osteochondrose bei radiologischer Spinalkanalstenose ohne Nachweis für eine radikuläre Symptomatik, - Verdacht auf seronegative rheumatoide Arthritis ohne nachweisbare gravierende entzündliche Veränderungen im Bereich der einzelnen Gelenke und ohne gravierende funktionelle Einschränkungen, - leichte Heberdenarthrose der Fingerendgelenke ohne nachweisbare funktionelle Einschränkung der Langfinger, - subacromiale Enge der Schultergelenke beidseits bei Schultereckgelenksarthrose ohne gravierende Funktionseinschränkungen der Schultergelenke beidseitig, - initiale Hüftgelenksarthrose mit endgradiger Funktionseinschränkung, rechtsseitig jedoch nicht gravierend funktionell ausgeprägt, - initiale medialseitig betonte Kniegelenksarthrose ohne nachweisbare Funktionseinschränkungen und ohne synovitischen Reizzustand, - diskrete Senk-Spreizfußbildung mit initialer Hallux-Valgus-Stellung beidseits ohne erkennbare Funktionseinschränkung, - Stammvarikosis mit ausgeprägter Unterschenkelvarikosis, rechts deutlicher ausgeprägt als links, ohne Hinweis für eine chronisch venöse Insuffizienz, - Osteopenie, - chronische somatoforme Schmerzverarbeitungsstörung im Rahmen eines Fibromyalgie-Syndroms mit leichter depressiver Komponente. Auch Dr. S. hat darauf hingewiesen, dass die Klägerin im Rahmen der klinischen Untersuchung unverändert die bereits seit Jahren bestehende Symptomatik vorgetragen habe. Der Schwerpunkt der Erkrankung liegt danach weiterhin auf orthopädischem Fachgebiet. Es liegt ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom mit nachweisbaren erheblichen degenerativen Veränderungen vor, jedoch ohne Hinweise auf neurologische Ausfallserscheinungen im Bereich der oberen und unteren Extremitäten. Dr. S. hat dargelegt, dass bei allen Vorbegutachtungen keine gravierend abweichenden Befunde festgestellt werden konnten. Die Sachverständigen Dr. J. und Dr. S. haben für den Senat überzeugend ausgeführt, dass Arbeiten in Wirbelsäulenzwangshaltungen und vornübergebeugten Körperhaltungen, Überkopfarbeiten beidseits, Zwangshaltungen der Arme, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Arbeiten in Nässe und Kälte nicht mehr möglich sind. Zu vermeiden sind Akkordarbeit, Nachtarbeit, Arbeiten unter Einwirkung von Staub, Gasen und Dämpfen, mit besonderer Beanspruchung des Gehörs und Arbeiten unter nervlicher Belastung. Regelmäßiger Publikumsverkehr ist nicht zuzumuten. Auch Tätigkeiten mit erhöhtem Verantwortungsgefühl oder erhöhter Konzentrationsfähigkeit sowie Schichtarbeit, Akkord- oder Nachtarbeit sind nicht mehr möglich. Dr. S. hat nachvollziehbar dargelegt, dass nur noch leichte körperliche Tätigkeiten und nur ab und zu kurzfristig auch mittelschwere Tätigkeiten möglich sind, keine Arbeiten, die auf Dauer mit Heben und Tragen von Lasten über 5 kg auf Dauer verbunden seien. Die Möglichkeit zum Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen sollte gegeben sein. Die Klägerin kann nach den überzeugenden Ausführungen Dr. S. unter Beachtung dieser Einschränkungen sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche erwerbstätig sein. Besondere Arbeitsbedingungen sind nicht erforderlich. Sie kann auch viermal täglich mehr als 500 Meter zu Fuß unter einem Zeitaufwand von ca 15 Minuten zurücklegen und ist in der Lage öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und einen Pkw zu führen. Dr. J. hat insoweit ausdrücklich auf einen flüssigen Barfußgang mit seitengleicher Schrittlänge und seitengleicher Abrollbewegung beider Füße hingewiesen. Im Beinbereich beidseits hat keine auffällige Muskelverschmächtigung bestanden.

Im Hinblick auf die von der Klägerin vorgelegten Berichte der Herzkatheter-Untersuchung im Klinikum P. (Bericht vom 03.03.2016) und der stationären Behandlung im P.-Krankenhauses (Bericht vom 09.06.2016) hat der Senat keine Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung gesehen. Es werden unauffällige Koronararterien, eine gute systolische LV-Funktion mit normalen Füllungsdrucken (vgl Bl 272 Senatsakte), keine höhergradigen Herzrhythmusstörungen, eine gute systolische LV-Funktion und keine Rechtsherzbelastungszeichen beschrieben (vgl Bl 324 f Senatsakte), längerfristige Einschränkungen ergeben sich derzeitig nicht und es findet eine ärztliche Behandlung mit multimodaler medikamentöser Therapie statt (vgl Bl 325 f Senatsakte). Soweit der Verdacht einer Autoimmunthyreoiditis im Raum steht, handelt sich um ein behandelbares Leiden, welches im Regelfall keine überdauernde Leistungsminderung zur Folge hat. Im Bericht der Labordiagnostik K. vom 06.04.2016 ist insoweit festgehalten, dass kein Hinweis auf schwere Entzündungsreaktionen vorliegt. Der internistisch- pathohistologische Befund vom 02.06.2016 war überdies weitgehend unauffällig (Duodenalschleimhaut ohne pathologischen Befund, keine Hinweise auf eine Sprue, eine Lambliasis oder Morbus Whipple, keine Malignität, keine h.p.-induzierte Gastritis, keine Autoimmun-Gastritis, keine floride kardio-ösophageale Refluxkrankheit, keine Soorösophagitis, keine Barett-Schleimhaut, mäßiggradige chronische C-Gastritis, geringgradige chronische nicht aktive Gastritis mit einzelnen kleinen Drüsenkörperzysten, geringgradige chronische nicht aktive Entzündung im Bereich der ösophagalen Transformationszone).

Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person der Klägerin eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre, bestehen nicht, ein Teil der qualitativen Beschränkungen wird bereits durch den Umstand, dass nur leichte Arbeiten zumutbar sind, mitberücksichtigt. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5). Es war im Übrigen im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag unter Berücksichtigung nicht arbeitsmarktunüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen zu der Frage, inwieweit welche konkrete Tätigkeit der Klägerin noch leidensgerecht und zumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich und mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs 3 letzter Halbsatz SGB VI).

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Die vorliegenden Gutachten von Dr. J. und Dr. S. haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und geben auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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