S 28 AS 1505/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 28 AS 1505/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1775/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 3/15 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, durch welchen er aufgefordert wurde im Rahmen der Grundsicherung nach den Vorschriften des Zweiten Sozialgesetzbuches (SGB II) einen Antrag auf die Bewilligung einer Rente zu stellen.

Mit Bescheid vom 12.03.2013 bewilligte der Beklagte dem am 00.00.1950 geborenen Kläger sowie seiner mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Ehefrau Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 01.04.2013 bis 30.09.2013. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 16.04.2013 forderte der Beklagte den Kläger zur Stellung eines Rentenantrags bis zum 06.05.2013 auf, weil dieser einen Anspruch auf geminderte Altersrente mit Abschlägen haben könnte. Diese vorrangige Leistung schließe einen Anspruch nach dem SGB II aus. Der Kläger sei zur Beantragung der geminderten Altersrente ab dem 63. Lebensjahr verpflichtet und hierzu im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens aufzufordern. Sein privates Interesse am Bestand der Weiterführung der Leistungen nach dem SGB II müsse im Rahmen der pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer Aufforderung zu Beantragung einer Rente wegen Alters, auch mit geminderten Ansprüchen, zurücktreten. Da die finanziellen Mittel für Grundsicherungsleistungen aus allgemeinen Steuermitteln und nicht, wie bei der Rentenversicherung, aus Beiträgen der Versicherten aufgewendet werden müssten, bestehe ein Interesse an der Vermeidung nicht gerechtfertigter Sozialleistungen. Ermessensgesichtspunkt, die zu Gunsten des Klägers hätte berücksichtigen können, seien nicht erkennbar.

Am 14.05.2013 stellte der Beklagte formlos für den Kläger einen Rentenantrag direkt bei der Deutschen Rentenversicherung. Das Verwaltungsverfahren ist ruhend gestellt.

Gegen den Bescheid vom 16.04.2013 erhob der Kläger am 20.05.2013 Widerspruch. Zunächst sei die Rechtslage verfassungswidrig. Er sehe Verstöße unter anderem gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die zu berücksichtigende Vergleichsgruppe seien Arbeitnehmer im Alter des Klägers die eine Gruppe müsse in Zukunft - gestuft bis zum 67. Lebensjahr - arbeiten. Die andere Gruppe, zu der der Kläger gehöre, werde gezwungen, eine abschlagsgeminderte Rente, und zwar - ebenfalls gestufte - ab dem 63. Lebensjahr in Anspruch zu nehmen. Er sehe keinen sachlichen Grund, der diese Ungleichbehandlung rechtfertige. Damit werde auch in die Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG eingegriffen. Rentenanwartschaften genossen den Schutz der Eigentumsgarantie, zumindest für die so genannten rentennahen Jahrgänge. Dazu gehöre der Kläger. Indem er die Abschläge hinnehmen müsse, sei seine Rente teilweise entwertet, und in sein Anwartschaftsrecht werde eingegriffen. Außerdem sei Art. 12 GG verletzt. Dem Kläger steht es danach frei, seinen Beruf frei zu wählen und auszuüben. Wenn er nun gezwungen werde, einen Rentenantrag zu stellen, dann werde er zwangsverwendet und könne seine Arbeitskraft nicht mehr frei verwerten. Ein Antrag des Klägers die aufschiebende Wirkung dieses Widerspruchs bzw. der vorliegenden Klage anzuordnen, blieb in der 1. Instanz (S 28 AS 858/13 ER) und in der 2. Instanz (L 19 AS 1045/13 B ER) erfolglos. Laut einer im Beschwerdeverfahren von dem Kläger vorgelegten Rentenauskunft hätte der Kläger bei einem Rentenantrag am 01.04.2013 gegenüber einer abschlagsfreien Altersrente von 964,17 EUR Abschläge von 7,2 % hinzunehmen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2013 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Es sei noch zu prüfen gewesen, ob eine unbillige Härte angenommen werden könne. Hierzu sei die Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente (Unbilligkeitsverordnung) heranzuziehen. Die in der Unbilligkeitsverordnung in den §§ 2-5 festgelegten Voraussetzungen, in welchen Fällen die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente unbillig ist, erfülle der Kläger nicht. Durch die Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente sei der Kläger bei einem derzeitigen Bedarf im Sinne des SGB II von monatlich 563 EUR in der Lage, dauerhaft unabhängig von der Inanspruchnahme steuerfinanzierter Grundsicherungsleistung zu leben. Dem Kläger sei eine ausreichende Frist gesetzt worden, Gesichtspunkte, die im Rahmen des Ermessens einer Aufforderung entgegenstehen, vorzutragen. Solche Gesichtspunkte seien nicht ersichtlich. Der Beklagte habe auch sein Ermessen ausgeübt. Im Übrigen verweise er auf den Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen zum Aktenzeichen L 19 AS 1045/13 B ER.

Hiergegen richtet sich die am 20.08.2013 erhobene Klage. Der Kläger wiederholt zunächst sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren sowie im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Ergänzend führt er aus, der Kläger habe sich umfangreich um Arbeit bemüht. Er möchte arbeiten und habe sich intensiv darum gekümmert und mit dem Arbeitsmarkt auseinandergesetzt. Die Zwangsverwaltung sei ein erheblicher Eingriff in die Rechte des Klägers. Sie müsse deswegen verhältnismäßig sein. Dies sei nicht der Fall. Für den Kläger Stelle das Handeln des Beklagten sich als Ermessensnichtgebrauch dar. Zumindest liege aber ein Ermessensfehlgebrauch vor. Der Beklagte hätte alle auf der Hand liegenden Einwände zu prüfen gehabt. Dabei wäre er auch gehalten gewesen, die Einwände und Interessen des Klägers herauszuarbeiten oder nachzufragen. Hierzu gehört z.B. das berechtigte Interesse des Klägers an seinem Datenschutz. Der Kläger sei nicht damit einverstanden gewesen, dass Daten aus einer Rentenversicherung an den Beklagten weitergegeben wurden. Dieser Einwand sei in dem Bescheid nicht einmal erwähnt worden. Es sei nicht auch nur ansatzweise eine ordnungsgemäße Ermessensausübung zu erkennen. Zu den entsprechenden Ausführungen im Bescheid trägt er vor es sei zunächst falsch, dass unterstellt werde, der Kläger hätte ein privates Interesse an der Weiterführung der Leistung nach dem SGB II. Dies sei nicht sein Interesse. SGB II-Leistungen werde er in jedem Fall weiter bekommen. Sein Interesse sei, nicht vorzeitig in die Altersrente zu müssen. Auch das öffentliche Interesse sei falsch in die Ermessensgesichtspunkte eingestellt. Denn es stünden sich zwei öffentliche Kassen gegenüber. Einerseits der Haushalt des Beklagten, der sich wiederum aus kommunalen und Bundesmitteln zusammensetze, und andererseits der Haushalt der Deutschen Rentenversicherung. Dabei stehe fest, dass das öffentliche Interesse an einem gesunden Haushalt der Deutsche Rentenversicherung viel größer sei, als das Interesse an dem Haushalt des Beklagten. Der Beklagte sei nur für seine Leistungsempfänger auf dem Gebiet des Kreises I zuständig. Die Deutsche Rentenversicherung sei die Rentenversicherung fast aller Menschen in der Bundesrepublik Deutschland und zahlreicher ausgewanderter Deutscher sowie zahlreicher Gastarbeiter. Es sei offensichtlich, dass das Interesse der Deutschen Rentenversicherung überwiege. Festzuhalten bleibe, dass dieser Aspekt vollständig übersehen worden sei. Weitere private Belange seien die Berufsfreiheit, nämlich das Recht des Klägers weiterzuarbeiten, die Eigentumsgarantie (keine Abschläge bei der Altersvorsorge) und die Wahrung des Sozialdatenschutzes (kein Datenaustausch zwischen den Leistungsträgern). Übersehen worden sei auch, dass der Kläger als so genannter rentennaher Jahrgang einen Bestandsschutz genieße. Er habe nur noch sehr geringe Möglichkeiten den Einkommensabschlägen entgegenzuwirken.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 16.04.2013 und den Widerspruchsbescheid vom 25.07.2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Hinweis des Klägers, dass er sich umfangreich um Arbeit bemüht habe, sei nicht geeignet, vorliegend eine Härte im Sinne der Unbilligkeitsverordnung herbeizuführen. Der Gesetzgeber habe mit der Verordnung abschließend aufgeführt, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Fällen die Inanspruchnahme der vorgezogenen Altersrente unbillig sei. Nach § 4 S. 1 der Verordnung sei die Inanspruchnahme unbillig, solange der Hilfebedürftige sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist oder aus sonstiger Erwerbstätigkeit ein entsprechend hohes Einkommen erzielt. Dies sei im Falle des Klägers nicht gegeben. Auch treffe § 5 Abs. 1 der Verordnung nicht zu, wonach die Inanspruchnahme unbillig ist, wenn Hilfebedürftige durch die Vorlage eines Arbeitsvertrags oder anderer ebenso verbindlicher schriftlicher Zusagen glaubhaft machen, dass sie in nächster Zukunft eine Erwerbstätigkeit aufnehmen und nicht nur vorübergehend ausüben werden. Auch dies treffe für den Kläger nicht zu. Hierbei sei insbesondere darauf abzustellen, dass die Auf-forderung zur Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente durch den Bescheid bereits am 16.04.2013 erfolgt sei. Die vom Kläger angesprochene Zwangsverwaltung sei durch den Gesetzgeber durchaus gewollt. Der Gesetzgeber sei sich der Tragweite der gesetzlichen Regelung durchaus bewusst gewesen. Soweit er darüber hinaus einen Ermessensnicht-gebrauch bzw. ein Ermessensfehlgebrauch vorbringe, sei dem entgegenzuhalten dass sowohl das SG Detmold als auch das LSG NRW dies nicht so gesehen hätten. Inwieweit der Einwand des Datenschutzes eine Rolle spiele, könne dahingestellt sein. Letztlich habe der Kläger selbst dem LSG eine Rentenauskunft vom 31.06.2013 vorgelegt. Die Weitergabe von Daten aus der Rentenversicherung an den Beklagten sei daher eine datenschutzrechtliche Regelung. Weiterhin setze § 12a SGB II nicht voraus, dass die Altersrente auch den Bedarf sämtlicher weiterer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft vollständig decken müsse. Der deutsche Gesetzgeber habe eindeutig festgelegt, dass die steuerfinanzierten Sozialkassen durch die Inanspruchnahme vorzeitiger Renten zu entlasten seien. Der Gesetzgeber habe hier eine Gewichtung der Interessen vorgenommen. Die Ermessensausübung des Beklagten sei nicht zu beanstanden. Schließlich sei der Kläger nicht beschäftigt, seine Weiterarbeit sei nicht gefährdet. Im Übrigen verweist der Beklagte auf die Beschlüsse des LSG NRW und des SG Detmold.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die hiesige Gerichtsakte, die Gerichtsakte S 28 AS 858/13 ER / L 19 AS 1045/13 B ER sowie auf die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Zu Recht hat der Beklagte den Kläger aufgefordert, einen Antrag auf vorzeitige Altersrente zu stellen.

Grundlage für diesen Bescheid sind § 5 Abs. 3 S. 1 und § 12a S. 1, S. 2 Nr. 1 SGB II. § 5 Abs. 3 S. 1 SGB II normiert dabei das Prinzip, dass die Grundsicherungsträger anstelle von Leistungsberechtigten Anträge auf vorrangige Leistungen stellen können, dass dies aber erst nach einer Aufforderung an den Leistungsberechtigten geschehen kann, den entsprechenden Antrag selbst zu stellen. Diese Aufforderung ist Inhalt des streitgegenständlichen Bescheides. Nach § 12a S. 1 SGB II sind Leistungsberechtigte nun verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Abweichend hiervon sind Leistungsberechtigte nicht verpflichtet, bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen (§ 12a S. 2 Nr. 1 SGB II).

Zunächst liegen die Voraussetzungen des § 12a S. 1, S. 2 Nr. 1 SGB II vor. Der Kläger hat am 00.00.2013 sein 63. Lebensjahr vollendet und hat Anspruch auf eine (vorzeitige) Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch ist die Verpflichtung des Klägers zur Inanspruchnahme seiner Altersrente nicht nach den Vorschriften der Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente (Unbilligkeitsverordnung - UnbilligkeitsV) ausgeschlossen. Dass eine der Tatbestände der entsprechenden Tatbestände der Verordnung, nämlich Verlust des Anspruchs auf Ar-beitslosengeld (§ 2), Anspruch auf eine abschlagsfreie Altersrente in naher Zukunft (§ 3), oder Ausübung oder kurz bevorstehende Aufnahme einer mehr als halbschichtig sozialversicherungspflichtigen oder selbständigen Tätigkeit (§ 4, 5) vorlägen, ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Auch die Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 2 SGB II greift vorliegend nicht ein, weil der Kläger sein 58. Lebensjahr nicht vor dem 01.01.2008 vollendet hatte.

An der Verfassungsgemäßheit des § 12a SGB II hat das Gericht keinen Zweifel. Zunächst liegt entgegen dem Vorbringen des Klägers kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleich-heitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG) vor. Ein solcher ergibt sich - jedenfalls für den Fall des Klägers - zunächst nicht daraus, dass der Gesetzgeber die Altersgrenze von 63 Jahren, ab der auch eine Altersrente mit Abschlägen in Anspruch genommen werden muss, nicht parallel zur Anhebung der Altersgrenze für die Regelaltersgrenze (§ 265 Abs. 3 Sechstes Sozialgesetzbuch - SGB VI) angehoben hat. Zwar müssen Personen der Geburtsjahrgänge ab 1947 hierdurch höhere Abschläge auf ihre nach § 12a SGB II in Anspruch zu nehmenden Altersrenten hinnehmen als Angehörige älterer Jahrgänge. Letztendlich ist dies jedoch lediglich ein Reflex der schrittweisen Anhebung der Regelaltersgrenze. Genauso wenig, wie der Gesetzgeber von Verfassung wegen gehalten war, die Regelaltersgrenze auf Ewig auf die Vollendung des 65 Lebensjahres festzuschreiben, war er verpflichtet, im Rahmen des § 12a SGB II den Abstand zwischen der Regelaltersgrenze und der Altersgrenze für die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente auf zwei Jahre zu fixieren. Im Übrigen liegt die Regelaltersgrenze für den Geburtsjahrgang des Klägers bei 65 Jahren und vier Monaten. Ebenfalls kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG stellt es dar, dass es Arbeitnehmern, die nicht hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II sind, frei steht, bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze weiter zu arbeiten, um eine abschlagsfreie Rente in Anspruch zu nehmen, während Bezieher von Grundsicherungsleistungen, die diese Leistungen weiter in Anspruch nehmen wollen, verpflichtet sind, die Rente auch vorzeitig und unter Inkaufnahme von Abschlägen zu beantragen. Es ist schon zweifelhaft, ob hilfsbedürftige und nicht hilfsbedürftige Personen im Sinne der Dogmatik des Gleichheitssatzes überhaupt vergleichbare Personengruppen darstellen, die dann vom Gesetzgeber unterschiedlich behandelt werden. Denn es stellt einen grundlegenden Unterschied dar, dass die einen steuerfinanzierte Leistungen nach dem SGB II beanspruchen, die anderen aber nicht. Jedenfalls ist eine Ungleichbehandlung, so sie denn vorliegt, gerechtfertigt. Wegen der fortwährenden, schnellen Veränderungen des Arbeits-, Wirtschafts- und Soziallebens ist dem Gesetzgeber auf dem Gebiet des Sozialrechts eine besonders weite Gestaltungsfreiheit zuzugestehen. Diese unterliegt nur einer eingeschränkten verfassungsrechtlichen Kontrolle (vgl. BVerfGE 77, 84 [106]; 81, 156 [205 f.]). Es ist dabei insbesondere nicht zu prüfen, ob der Gesetzgeber im Einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat (vgl. BVerfGE 71, 255 [271]; 81, 156 [26]). Die Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit sind erst dann überschritten, wenn ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt, es sich also um Regelungen handelt, die unter keinem sachlich vertretbaren Gesichtspunkt gerechtfertigt erscheinen, so dass die Unsachlichkeit evident ist (vgl. BVerfGE 7, 39 [58]). Eine dergestalt unsachliche Differenzierung ist hier nicht zu erkennen. Das Prinzip der Nachrangigkeit steuerfinanzierter Fürsorgeleistungen ist vielmehr ein anerkannter Rechtfertigungsgrund dafür, Anspruchs-steller zunächst auf anderweitige Möglichkeiten zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zu verweisen, und seien es auch andere Sozialleistungen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24.10.1991, 1 BvR 1159/91).

Dem weiteren Einwand des Klägers, § 12a verletze seine Berufsfreiheit (Art. 12 GG), weil eine "Zwangsverrentung" ihn daran hindere, seine Arbeitskraft frei zu verwenden, ist entgegenzuhalten, dass der Bezug einer Altersrente eine Erwerbstätigkeit keineswegs hindert, weder rechtlich noch tatsächlich. Es liegt mithin bereits kein Eingriff in die Berufsfreiheit vor. Den sonstigen Nachteilen eines Altersrentenbezuges bei gleichzeitiger Erwerbstätigkeit ist mit § 3, 4 UnbilligkeitsV hinreichend Rechnung getragen. Schließlich liegt auch keine Verletzung des Eigentumsrechts (Art. 14 Abs. 1 GG) vor. Genauso wenig, wie die Obliegenheit, vorrangig Vermögen zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhaltes einzusetzen (vgl. § 12 SGB II), den Eigentumsschutz der entsprechenden Vermögensgegenstände verletzt (vgl. BSG, Urteil vom 28.10.2009, B 14 AS 64/08 R), verstößt die Obliegenheit, eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch zu nehmen, gegen das Recht aus Art. 14 Abs. 1 GG. Sie ist Ausdruck des Nachranggrundsatzes (s.o.). Dass der Kläger als Bezieher einer Alters(voll)rente keine weiteren Rentenanwartschaften mehr erwerben kann (vgl. § 6 Abs. 4 Nr. 1 Sechstes Sozialgesetzbuch - SGB VI), stellt keinen Eingriff in bestehende Anwartschaften dar. Im Übrigen ist diese Folge gerade umso geringer, je näher der Betroffene der Regelaltersgrenze ist, und je weniger weitere Rentenanwartschaften er erwerben könnte, weshalb ein besonderer Schutz rentennaher Jahrgänge ausscheidet.

Der angefochtene Bescheid ist auch nicht wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig. Zwar hat der Grundsicherungsträger bereits bei der Aufforderung Ermessen auszuüben (vgl. LSG NRW. Beschluss vom 01.02.2010, L 19 B 371/09 AS ER). Ein Ermessensfehler im Sinne von § 39 SGB I in Form des Ermessensnichtgebrauchs, der Ermessensüberschreitung, Ermessensunterschreitung oder Ermessensfehlgebrauch ist jedoch nicht erkennbar. Nach dem Inhalt des angefochtenen Bescheides hat der Beklagte eine entsprechende Abwägung unter Berücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen getroffen. Aus der Begründung des Bescheides ergibt sich eindeutig, dass er Ermessen ausgeübt hat. Er hat sinngemäß ausgeführt, dass den für die Aufforderung (mittelbar: für die Stellung eines Antrags auf vorzeitige Altersrente) sprechenden Gesichtspunkten, nämlich dem Prinzip der Nachrangigkeit der Grundsicherung und der Obliegenheit zur Selbsthilfe (§ 3 Abs. 1, § 5, § 7 Abs. 1 Nr. 3, § 9 SGB II), keine gegenläufigen Interessen des Klägers gegenüber stünden. Solche sind hier auch nicht gegeben. Zunächst sind die vom Kläger erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken im Rahmen der Ermessensausübung nicht noch einmal zu prüfen. Solange die grundsätzliche gesetzliche Regelung (hier: Pflicht von Leistungsberechtigten, mit Vollendung des 63. Lebensjahrs eine Rente mit Abschlägen in Anspruch zu nehmen) einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhält (s.o.), sind die dabei berücksichtigten grundrechtlichen Erwägungen nicht (erneut) in die Abwägung einzustellen, wenn dies letztendlich den erkennbaren Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung konterkarieren würde, also die Ermessensabwägung als Instrument genützt würde, die gesetzgeberische Grundentscheidung zu korrigieren. Weiterhin war im Rahmen der Ermessensausübung nicht zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er sich, wie vorgetragen, redlich um Arbeit bemüht hat. Denn der Verordnungsgeber hat in der Unbilligkeitsverordnung erkennen lassen, dass er unter dem Gesichtspunkt "Fortsetzung der Versicherungsbiografie" eben nur diejenigen Personen von der Pflicht zur Rentenantragstellung ausnehmen wollte, welche aktuell beschäftigt sind oder die nachweislich alsbald eine Beschäftigung aufnehmen. Das (erfolglose) Bemühen allein, eine Beschäftigung zu finden, wollte er gerade nicht ausreichen lassen, zumal es jedem Leistungsberechtigten ohnehin obliegt, seine Hilfebedürftigkeit durch Aufnahme einer Beschäftigung zu mindern oder zu beenden (vgl. § 2 SGB II). Völlig fehl geht schließlich die Auffassung des Klägers, die Einsparung von Mitteln aus dem Haushalt des Beklagten durch die Inanspruchnahme der Rente durch den Kläger sei kein für die Rentenantragstellung sprechender Gesichtspunkt, sondern dass es vielmehr wichtiger sei, den Haushalt der Rentenversicherung zu "schonen". Dieses Argument führt die gesetzgeberische Grundentscheidung des § 12a SGB II ad absurdum, die ja gerade auf dem Gedanken beruht, dass Mittel aus der Rentenversicherung vorrangig zur Bestreitung des Lebensunterhalts von Rentenberechtigten eingesetzt werden sollen. Soweit im Bescheid (wegen der Mitgliedschaft des Klägers in einer Be-darfsgemeinschaft mit seiner Frau nicht ganz zutreffend) ausgeführt wird, dass der Kläger durch seine Altersrente unabhängig von Leistungen der Grundsicherung leben könnte, so ist dies kein Anzeichen für einen Ermessensfehlgebrauch. Worauf es dem Beklagten erkennbar ankam, war die (wenn auch nur rechnerische) Deckung des Bedarfs des Klägers durch die Altersrente. Das Interesse des Klägers an der Wahrung seines Datenschutzes ist ebenfalls kein Ermessensgesichtspunkt. Sofern im Rahmen des Verwaltungsverfahrens ein Datenaustauch zwischen der Rentenversicherung und dem Beklagten stattfindet, so ist dieser Datenaustauch im Einzelfall rechtlich entweder zulässig, oder nicht zulässig. Ein eventuell notwendiger, aber rechtlich zulässiger Datenaustausch ist kein Gesichtspunkt, der zugunsten des Klägers in die Abwägung hätte eingestellt werden müssen. Dass der Kläger als Bezieher einer Alters(voll)rente keine weiteren Rentenanwartschaften mehr erwerben kann, ist eine zwingende Folge der auch unter diesem Gesichtspunkt verfassungsrechtlich unbedenklichen gesetzgeberischen Grundentscheidung und deshalb kein (weiterer) Ermessensgesichtspunkt.

Im Übrigen verweist das Gericht auf den Beschluss des LSG NRW in der Sache L 19 AS 1045/13 B ER.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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