L 5 RS 736/15

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 27 RS 628/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RS 736/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz - Arbeitsentgelt - Schätzung der
Höhe einer glaubhaft gemachten Jahresendprämie - Zeugenaussage
Ist der Zufluss von Jahresendprämien dem Grunde nach im konkreten Einzelfall, beispielsweise durch Zeugenaussagen, glaubhaft gemacht, kann die Höhe der als zusätzliches Arbeitsentgelt zu berücksichtigenden Jahresendprämien geschätzt werden, auch wenn deren Höhe weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht werden kann.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 23. Juni 2015 insoweit aufgehoben, als die Berücksichtigung von Jahresendprämien für die Zuflussjahre 1979 und 1984 als weiteres Arbeitsentgelt ausgeurteilt wurde. Insoweit wird die Klage abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Beklagte erstattet dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren zur Hälfte.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten – im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens – über die Verpflichtung der Beklagten weitere Entgelte des Klägers für Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz für die (Zufluss-)Jahre 1979, 1983, 1984 und 1985 in Form jährlicher Jahresendprämien festzustellen.

Dem 1936 geborenen Kläger wurde, nach einem Hochschulstudium in der Fachrichtung konstruktiver Ingenieurbau an der Ingenieurschule für Bauwesen C in der Zeit von September 1955 bis März 1961, mit Urkunde vom 27. Februar 1961 der akademische Grad "Diplom-Ingenieur" verliehen. Er war vom 4. April 1961 bis 31. Oktober 1978 als Statiker und Abteilungsleiter im volkseigenen Betrieb (VEB) Industrie-Projektierung D , vom 1. November 1978 bis 31. August 1983 als Problemanalytiker im VEB Metallleichtbaukombinat Forschungsinstitut L sowie vom 1. September 1983 bis 30. Juni 1990 (sowie darüber hinaus) als Statiker im VEB Bauingenieurkombinat für Anlagenbau D beschäftigt. Er erhielt keine Versorgungszusage und war zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nicht in ein Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) einbezogen.

Nach einem vorangegangenem, mit Anerkenntnis der Beklagten vom 30. Juni 2003 endenden sozialgerichtlichen Rechtsstreit (Sozialgericht Leipzig: S 10 RA 211/03 ZV), stellte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Mai 2004 die Anwendbarkeit von § 1 AAÜG, die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 4. April 1961 bis 30. Juni 1990 als "nachgewiesene Zeiten" der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte fest.

Mit Überprüfungsantrag vom 6. Juli 2008 begehrte der Kläger die Berücksichtigung von Jahresendprämien und anderen Sonderzahlungen als Arbeitsentgelt. Den Überprüfungsantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Februar 2010 ab.

Mit am 30. März 2010 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 28. März 2010 reichte der Kläger Lohnunterlagen ein und führte aus, er habe jedes Jahr Jahresendprämien in Höhe vom einfachen bis zum doppelten Monatsbruttogehalt erhalten. Er besitze zwar keine Nachweise zur Höhe der Jahresendprämien. Diese könne aber berechnet werden aus dem Jahresbruttodurchschnittslohn, wenn man minimal ein Zwölftel zu Grunde lege. Die Beklagte wertete das Schreiben des Klägers als erneuten Überprüfungsantrag, fragte bei den Rechtsnachfolgern der ehemaligen Beschäftigungsbetriebe sowie bei der Archivfirma Rhenus Office System GmbH nach dem Vorhandensein von Jahresendprämiennachweise nach, erhielt von diesen Firmen mit Schreiben vom 19. Mai 2011, 27. Juni 2011 und 7. Dezember 2011 jeweils die Auskunft, dass Prämienzahlungsnachweise nicht mehr vorhanden seien und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 30. Mai 2011 ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers vom 19. Juni 2011 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2012 zurück. Zur Begründung führte sie aus: Der Zufluss der begehrten weiteren Arbeitsentgelte in Form von Jahresendprämien sei weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden. Die Höhe der Jahresendprämien des Einzelnen sei von einer Vielzahl von Faktoren abhängig gewesen, die heute ohne entsprechende Unterlagen nicht mehr nachvollzogen werden könnten. Eine pauschale Berücksichtigung der Prämien könne daher nicht erfolgen.

Hiergegen erhob der Kläger am 30. Mai 2012 Klage zum Sozialgericht Leipzig und reichte über die Firma Rhenus recherchierte Personalunterlagen mit Eintragungen zu an ihn ausgereichten Jahresendprämien und anderen Prämien betreffend den Zeitraum von 1963 bis 1978 sowie (mit Schreiben vom 20. Februar 2015) eigene Kalenderaufzeichnungen der Jahre 1987 bis 1989 mit Eintragungen zu an ihn ausgereichten Jahresendprämien und anderen Prämien ein. Die Beklagte erwiderte hierauf, für die Jahre 1963 bis 1978 seien vom Rentenversicherungsträger bereits Verdienste bis zur Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt worden, sodass selbst nachgewiesene höhere Entgelte wegen der begehrten Berücksichtigung von Prämien keine zusätzlichen Entgeltpunkte ergeben würden. Da dies auch für die Jahre 1980 und 1981 gilt (wie vermutlich, ohne dies zu protokollieren, im Rahmen der mündlichen Verhandlungen am 27. Januar 2015 und 23. Juni 2015 vom Sozialgericht angesprochen wurde), beschränkte der Kläger seinen Antrag auf Berücksichtigung weiterer Arbeitsentgelte im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 23. Juni 2015 auf die Jahre 1979 und 1982 bis 1990. Das Sozialgericht Leipzig hat, nach Einvernahme der Zeugen G S und H ... H , die Bescheide vom 22. Februar 2010 und vom 30. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2012 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte gezahlte Jahresendprämien und Exportprämien in den Jahren 1979 und von 1982 bis 1990 wie folgt als glaubhaft gemachtes Arbeitsentgelt anzuerkennen hat: 1979: 982,34 Mark, 1982: 988,34 Mark, 1983: 867,78 Mark, 1984: 996,34 Mark, 1985 und 1986: jeweils 1.036,00 Mark, 1987: 1.805,00 Mark, 1988: 1.880,00 Mark, 1989: 1.860,00 Mark, 1990: 1.071,00 Mark. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Zahlung der Jahresend- und Exportprämien in den Jahren 1987 bis 1989 habe der Kläger durch seine Kalenderaufzeichnungen der Höhe nach glaubhaft gemacht; sie seien zu fünf Sechsteln zu berücksichtigen. Die Zahlung der Jahresendprämien in den Jahren 1979, 1982 bis 1986 und 1990 habe er dem Grunde nach durch die Aussagen der Zeugen S und H glaubhaft gemacht, zumal die Zahlung für die Jahre zuvor nachgewiesen worden sei. Die Höhe der Jahresendprämien könne geschätzt werden (Bezugnahme auf Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 4. Februar 2014, L 5 RS 462/13). Ausgehend von einem Zwölftel des durchschnittlichen Monatsgehalts des Vorjahres seien 70 Prozent zu Grunde zu legen; von diesem Betrag seien fünf Sechstel zu berücksichtigen.

Gegen das am 3. August 2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12. August 2015 Berufung eingelegt, mit der sie sich (lediglich) gegen die Berücksichtigung der für die Jahre 1979, 1982 bis 1986 und 1990 geschätzten Jahresendprämienbeträge wandte, während sie die Berücksichtigung der ausgeurteilten Jahresend- und Exportprämien in den Jahren 1987 bis 1989 außer Streit stellte. Nach gerichtlicher Beiziehung von Unterlagen des Klägers und Vorlage von weiteren Prämiennachweisen durch diesen, stellte die Beklagte zusätzlich die Berücksichtigung der ausgeurteilten Jahresendprämien in den Jahren 1982, 1986 und 1990 außer Streit, sagte die Überprüfung weiterer, vom Kläger durch Unterlagen belegter, Prämienbeträge (Jahresendprämie für das Jahr 1981, Exportprämie für das Jahr 1985 und Anerkennungsprämie für das Jahr 1985) zu und wandte sich (nur noch) gegen die Berücksichtigung der für die Jahre 1979, 1983, 1984 und 1985 geschätzten Jahresendprämienbeträge. Insoweit habe sich das Sozialgericht lediglich auf die neuere Rechtsprechung des 5. Senats des Sächsischen Landessozialgerichts gestützt, die nicht zutreffend sei. Die Schätzung der Höhe von Jahresendprämien sei nicht zulässig, erfolge willkürlich und verfahrensfehlerhaft. Der Zufluss müsse vielmehr bewiesen werden.

Die Beklagte beantragt – sinngemäß und sachdienlich gefasst –,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 23. Juni 2015 insoweit aufzuheben, als die Berücksichtigung weiterer Arbeitsentgelte für die Jahre 1979, 1983, 1984 und 1985 als geschätzte Jahresendprämienbeträge ausgeurteilt wurden und die Klage insoweit abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Das Gericht hat arbeitsvertragliche Unterlagen und betriebliche Arbeitsbeurteilungen des Klägers sowie weitere Betriebsunterlagen mit Bezug zu Jahresendprämienzahlungen beigezogen.

Mit Schriftsätzen vom 11. und 17. April 2016 haben die Beteiligten jeweils ihr Einverständnis zur Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Dem Gericht haben die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird hierauf insgesamt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

Die auf die Berücksichtigung weiterer Arbeitsentgelte für Jahresendprämien der Zuflussjahre 1979, 1983, 1984 und 1985 beschränkte Berufung der Beklagten ist teilweise, nämlich hinsichtlich der Zuflussjahre 1979 und 1984, begründet, und teilweise, nämlich hinsichtlich der Zuflussjahre 1983 und 1985, unbegründet. Nur insoweit war das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 23. Juni 2015 aufzuheben.

Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 30. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2012 ist teilweise rechtmäßig und teilweise rechtswidrig und verletzt den Kläger teilweise in seinen Rechten, weil er einen Anspruch nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) auf Rücknahme des Ablehnungsbescheides vom 22. Februar 2010 und Abänderung des Feststellungsbescheides vom 10. Mai 2004 unter Feststellung höherer Arbeitsentgelte hat.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X), der nach § 8 Abs. 3 Satz 2 AAÜG anwendbar ist, gilt: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Im Übrigen ist ein rechtswidriger, nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Diese Voraussetzungen liegen vor, denn der Feststellungsbescheid vom 10. Mai 2004 ist teilweise, nämlich soweit er Jahresendprämien für die nur noch streitgegenständlichen Zuflussjahre 1983 und 1985 als zu berücksichtigende Arbeitsentgelte nicht berücksichtigt, rechtswidrig.

Nach § 8 Abs. 1 AAÜG hat die Beklagte als der unter anderem für das Zusatzversorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben zuständige Versorgungsträger in einem dem Vormerkungsverfahren (§ 149 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch [SGB VI]) ähnlichen Verfahren durch jeweils einzelne Verwaltungsakte bestimmte Feststellungen zu treffen. Vorliegend hat die Beklagte mit dem Feststellungsbescheid vom 10. Mai 2004 Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG (vgl. § 5 AAÜG) sowie die während dieser Zeiten erzielten Arbeitsentgelte festgestellt (§ 8 Abs. 1 Satz 2 AAÜG). Jahresendprämien hat sie jedoch zu Unrecht (teilweise) nicht berücksichtigt.

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG ist den Pflichtbeitragszeiten nach diesem Gesetz (vgl. § 5 AAÜG) für jedes Kalenderjahr als Verdienst (§ 256a Abs. 2 SGB VI) das erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde zu legen. Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) und damit im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG stellen auch die in der DDR an Arbeitnehmer rechtmäßig gezahlten Jahresendprämien dar, da es sich um eine Gegenleistung des Betriebs für die vom Werktätigen im jeweiligen Planjahr erbrachte Arbeitsleistung handelte, wobei es nicht darauf ankommt, dass dieser Verdienst nach DDR-Recht nicht steuer- und sozialversicherungspflichtig war (so: BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 21 ff.). Denn der Gesetzestext des § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG besagt, dass den Pflichtbeitragszeiten im Sinne des § 5 AAÜG als Verdienst (§ 256a SGB VI) unter anderen das "erzielte Arbeitsentgelt" zugrunde zu legen ist. Aus dem Wort "erzielt" folgt im Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG, dass es sich um Entgelt oder Einkommen handeln musste, das dem Berechtigten während der Zugehörigkeitszeiten zum Versorgungssystem "aufgrund" seiner Beschäftigung "zugeflossen", ihm also tatsächlich gezahlt worden ist. In der DDR konnten die Werktätigen unter bestimmten Voraussetzungen Prämien als Bestandteil ihres Arbeitseinkommens bzw. -entgelts erhalten. Sie waren im Regelfall mit dem Betriebsergebnis verknüpft und sollten eine leistungsstimulierende Wirkung ausüben. Lohn und Prämien waren "Formen der Verteilung nach Arbeitsleistung" (vgl. Kunz/Thiel, "Arbeitsrecht [der DDR] – Lehrbuch", 3. Auflage, 1986, Staatsverlag der DDR, S. 192f.). Die Prämien wurden aus einem zu bildenden Betriebsprämienfonds finanziert; die Voraussetzungen ihrer Gewährung mussten in einem Betriebskollektivvertrag vereinbart werden. Über ihre Gewährung und Höhe entschied der Betriebsleiter mit Zustimmung der zuständigen betrieblichen Gewerkschaftsleitung nach Beratung im Arbeitskollektiv. Diese allgemeinen Vorgaben galten für alle Prämienformen (§ 116 des Arbeitsgesetzbuches der DDR vom 16. Juni 1977 [GBl.-DDR I 1977, Nr. 18, S. 185; nachfolgend: AGB-DDR]) und damit auch für die Jahresendprämie (§ 118 Abs. 1 und 2 AGB-DDR). Die Jahresendprämie diente als Anreiz zur Erfüllung und Übererfüllung der Planaufgaben; sie war auf das Planjahr bezogen und hatte den Charakter einer Erfüllungsprämie. Nach § 117 Abs. 1 AGB-DDR bestand ein "Anspruch" auf Jahresendprämie, wenn - die Zahlung einer Jahresendprämie für das Arbeitskollektiv, dem der Werktätige angehörte, im Betriebskollektivvertrag vereinbart war, - der Werktätige und sein Arbeitskollektiv die vorgesehenen Leistungskriterien in der festgelegten Mindesthöhe erfüllt hatte und - der Werktätige während des gesamten Planjahres Angehöriger des Betriebs war. Die Feststellung von Beträgen, die als Jahresendprämien gezahlt wurden, hing davon ab, dass der Empfänger die Voraussetzungen der §§ 117, 118 AGB-DDR erfüllt hatte. Hierfür und für den Zufluss trägt er die objektive Beweislast (sog. Feststellungslast im sozialgerichtlichen Verfahren, vgl. insgesamt: BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 21 ff.).

Daraus wird deutlich, dass die Zahlung von Jahresendprämien von mehreren Voraussetzungen abhing. Der Kläger hat, um eine Feststellung zusätzlicher Entgelte beanspruchen zu können, nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, dass alle diese Voraussetzungen in jedem einzelnen Jahr erfüllt gewesen sind und zusätzlich, dass ihm ein bestimmter, berücksichtigungsfähiger Betrag auch zugeflossen, also tatsächlich gezahlt, worden ist.

Gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG entscheidet das Gericht dabei nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Neben dem Vollbeweis, d.h. der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ist, auch die Möglichkeit der Glaubhaftmachung des Vorliegens weiterer Arbeitsentgelte aus Jahresendprämien gegeben. Dies kann aus der Vorschrift des § 6 Abs. 6 AAÜG abgeleitet werden. Danach wird, wenn ein Teil des Verdienstes nachgewiesen und der andere Teil glaubhaft gemacht wird, der glaubhaft gemachte Teil des Verdienstes zu fünf Sechsteln berücksichtigt.

Im vorliegenden konkreten Einzelfall hat der Kläger den Zufluss von Jahresendprämien nur für die Beschäftigungsjahre 1982 und 1984 mit Zufluss in den Jahren 1983 und 1985 dem Grunde nach zwar nicht nachgewiesen, jedoch glaubhaft gemacht (dazu nachfolgend unter 1.). Die konkrete Höhe der Jahresendprämien, die zur Auszahlung an ihn gelangten, hat er weder nachweisen, noch glaubhaft machen können; hinsichtlich der Höhe hat das Sozialgericht jedoch zutreffend von der im Rahmen der konkreten Einzelfallwürdigung von Rechts wegen gegebenen Möglichkeit der Schätzung Gebrauch gemacht (dazu nachfolgend unter 2.).

1. Der Zufluss von Jahresendprämien dem Grunde nach ist im vorliegenden Fall zwar nicht nachgewiesen (dazu nachfolgend unter a), jedoch teilweise glaubhaft gemacht (dazu nachfolgend unter b):

a) Nachweise etwa in Form von Begleitschreiben, Gewährungsunterlagen, Beurteilungsbögen, Quittungen oder sonstigen Lohnunterlagen für an den Kläger geflossene Prämienzahlungen in den nur noch streitgegenständlichen Jahren 1979, 1983, 1984 und 1985 konnte er nicht vorlegen. Er selbst verfügt auch für die Jahre über keine Unterlagen, mit denen er die Gewährung von Jahresendprämien belegen könnte, wie er selbst ausführte.

Nachweise zu an den Kläger gezahlten Jahresendprämien liegen auch nicht mehr vor, wie sich aus den Schreiben der Rechtsnachfolgebetriebe sowie der Rhenus Office Systems GmbH vom 19. Mai 2011, 27. Juni 2011 und 7. Dezember 2011 ergibt. Die ehemals die Lohn- und Betriebsunterlagen der Beschäftigungsbetriebe des Klägers verwaltenden Rechtsnachfolge- und Archivfirmen hatten im Rahmen des Verwaltungsverfahrens auf die entsprechenden schriftlichen Anfragen der Beklagten vom 31. Januar 2011 und 21. Juni 2011 jeweils mitgeteilt, dass in den ehemaligen Beschäftigungsbetrieben des Klägers keine Unterlagen für Prämienzahlungen (mehr) vorhanden sind.

b) Der Zufluss von Prämienzahlungen dem Grunde nach konkret an den Kläger ist aber im vorliegenden Fall teilweise glaubhaft gemacht.

Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist eine Tatsache dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbare Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Dies erfordert mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Dieser Beweismaßstab ist zwar durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss also nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die "gute Möglichkeit" aus, das heißt es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den übrigen gegenüber aber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht deshalb nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen (vgl. dazu dezidiert: BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 5).

Dies zu Grunde gelegt, hat der Kläger im konkreten Einzelfall glaubhaft gemacht, dass die drei rechtlichen Voraussetzungen (§ 117 Abs. 1 AGB-DDR) für den Bezug einer Jahresendprämie in den geltend gemachten Jahren 1982 und 1984 mit Zufluss in den Jahren 1983 und 1985 vorlagen und er jeweils eine Jahresendprämie erhalten hat. Für die Jahre 1978 und 1983 mit Zufluss in den Jahren 1979 und 1984 konnte er dies nicht glaubhaft machen:

aa) Der Kläger war – was den nur noch streitgegenständlichen Zeitraum betrifft – nur in den Jahren 1982 und 1984 jeweils während des gesamten Planjahres Angehöriger eines Betriebs; im Jahr 1982 des VEB Metallleichtbaukombinat Forschungsinstitut L und im Jahr 1984 des VEB Bauingenieurkombinat für Anlagenbau D (§ 117 Abs. 1 Voraussetzung 3 AGB-DDR), wie sich aus den Eintragungen in seinen Ausweisen für Arbeit und Sozialversicherung ergibt.

In den Jahren 1978 und 1983 war er hingegen nicht während des gesamten Planjahres Angehöriger eines Betriebs, sodass die rechtliche Voraussetzung für den Bezug einer Jahresendprämie nach § 117 Abs. 1 Voraussetzung 3 AGB-DDR in diesen Jahren für die Zuflussjahre 1979 und 1984 nicht glaubhaft gemacht worden ist. Im Jahr 1978 wechselte er mit Wirkung ab 1. November vom VEB Industrie-Projektierung D zum VEB Metallleichtbaukombinat Forschungsinstitut L , wie sich aus dem vorgelegten Arbeitsvertrag vom 20. Oktober 1978 (Bl. 99 der Gerichtsakte) ergibt. Im Jahr 1983 wechselte er mit Wirkung vom 1. September vom VEB Metallleichtbaukombinat Forschungsinstitut L zum VEB Bauingenieurkombinat für Anlagenbau D , wie sich aus dem vorgelegten Arbeitsvertrag vom 9. August 1983 (Bl. 105 der Gerichtsakte) ergibt. Aus den Arbeitsverträgen vom 20. Oktober 1978 und 9. August 1983 ergibt sich auch keinerlei Anhaltpunkt oder Hinweis dahingehend, dass die Betriebszugehörigkeit im jeweiligen Vorbetrieb für den Zeitraum der Beschäftigung im späteren Betrieb fort galt oder als vollwertige Zugehörigkeit im jeweiligen Eintrittsjahr des Planjahres zu erachten war.

Gesetzliche Ausnahmetatbestände, die die zwingende Gewährung einer anteiligen Jahresendprämie regeln (§ 117 Abs. 2 Satz 1 AGB-DDR) sind im Fall des Klägers weder vorgetragen, noch ersichtlich. Nach § 117 Abs. 2 Satz 1 AGB-DDR bestand (nur) in folgenden Fällen Anspruch auf Zahlung einer anteiligen Jahresendprämie: 1. Beendigung einer Tätigkeit bei Berufung oder Wahl in hauptamtliche Funktionen staatlicher Organe oder gesellschaftlicher Organisationen oder Wiederaufnahme einer Tätigkeit nach Beendigung dieser Funktion, 2. Aufnahme des Ehrendienstes in den bewaffneten Organen der DDR oder Wiederaufnahme der Tätigkeit nach Beendigung des Ehrendienstes, 3. Aufnahme einer Tätigkeit nach Beendigung der Berufsausbildung, 4. Aufnahme eines Direktstudiums an einer Hoch- oder Fachschule oder Aufnahme einer Tätigkeit nach Abschluss des Studiums, 5. Betriebswechsel auf Grund gesellschaftlicher Erfordernisse, 6. Beendigung der Berufstätigkeit bei Erreichen des Rentenalters oder Eintritt der Invalidität oder Wiederaufnahme bzw. Beendigung einer Tätigkeit im Rentenalter oder während der Invalidität, 7. Beginn der Freistellung nach dem Wochenurlaub entsprechend § 246 AGB-DDR oder Wiederaufnahme einer Tätigkeit nach dieser Freistellung, 8. Tod des Werktätigen.

Hinweistatsachen für eine dem Kläger möglicherweise im Ermessenswege gewährte anteilige Jahresendprämie (§ 117 Abs. 2 Satz 1 AGB-DDR) für die Betriebswechseljahre 1978 und 1983 sind ebenfalls weder vorgetragen, noch ersichtlich. Nach § 117 Abs. 2 Satz 2 AGB-DDR entschied der Betriebsleiter mit Zustimmung der zuständigen betrieblichen Gewerkschaftsleitung über die Gewährung einer anteiligen Jahresendprämie in "weiteren gesellschaftlich gerechtfertigten Fällen". Anhaltspunkte für das Vorliegen eines "weiteren gesellschaftlich gerechtfertigten Falls" liegen nicht vor. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass derart unbestimmte DDR-rechtliche Ermessensaspekte (vgl. dazu sowie zur Abgrenzung zwischen den Konstellationen des § 117 Abs. 2 Satz 1 Buchstabe e) AGB-DDR einerseits und den Fallgestaltungen des § 117 Abs. 2 Satz 2 AGB-DDR andererseits: Haedrich/Langanke, "Voraussetzungen für die Gewährung einer Jahresendprämie", NJ 1986, 44, 45) rückblickend aus bundesrechtlicher Sicht ohnehin nicht beurteilt werden und Grundlage einer Feststellung von zusätzlichem, glaubhaft gemachtem Arbeitsentgelt im Rahmen des fingierten Anspruchs auf eine zusätzliche Versorgungszusage sein können. Denn Regelungen, die eine bewertende oder Ermessensentscheidung eines Betriebes, Direktors oder einer staatlichen Stelle der DDR vorsahen, sind weder Bundesrecht geworden, noch bundesrechtlich überprüfbar oder nachholbar, weil die dafür erforderlichen Entscheidungen nur auf der Grundlage des von der SED-Ideologie geprägten Systems getroffen werden könnten (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 = JURIS-Dokument, RdNr. 23).

bb) Für die Zuflussjahre 1983 und 1985 ist zudem mindestens glaubhaft gemacht, dass die Zahlung von Jahresendprämien für das Arbeitskollektiv, dem der Kläger angehörte, jeweils in einem Betriebskollektivvertrag vereinbart war (§ 117 Abs. 1 Voraussetzung 1 AGB-DDR). Denn der Abschluss eines Betriebskollektivvertrages zwischen dem Betriebsleiter und der zuständigen Betriebsgewerkschaftsleitung war nach § 28 Abs. 1 AGB-DDR zwingend vorgeschrieben. Die Ausarbeitung des Betriebskollektivvertrages erfolgte jährlich, ausgehend vom Volkswirtschaftsplan; er war bis zum 31. Januar des jeweiligen Planjahres abzuschließen (vgl. Kunz/Thiel, "Arbeitsrecht [der DDR] – Lehrbuch", 3. Auflage, 1986, Staatsverlag der DDR, S. 111). Ebenso zwingend waren nach § 118 Abs. 1 AGB-DDR in Verbindung mit § 28 Abs. 2 Satz 3 AGB-DDR die Voraussetzungen und die Höhe der Jahresendprämie in dem (jeweiligen) Betriebskollektivvertrag zu regeln. Konkretisiert wurde diese zwingende Festlegung der Voraussetzungen zur Gewährung von Jahresendprämien im Betriebskollektivvertrag in den staatlichen Prämienverordnungen: So legten die "Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds und des Kultur- und Sozialfonds für volkseigene Betriebe im Jahre 1972" vom 12. Januar 1972 (GBl.-DDR II 1972, Nr. 5, S. 49; nachfolgend: Prämienfond-VO 1972) in der Fassung der "Zweiten Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds und des Kultur- und Sozialfonds für volkseigene Betriebe" vom 21. Mai 1973 (GBl.-DDR I 1973, Nr. 30, S. 293; nachfolgend: 2. Prämienfond-VO 1973), mit der die Weitergeltung der Prämienfond-VO 1972 angeordnet wurde, sowie die "Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds für volkseigene Betriebe" vom 9. September 1982 (GBl.-DDR I 1982, Nr. 34, S. 595; nachfolgend: Prämienfond-VO 1982) jeweils staatlicherseits fest, dass die Verwendung des Prämienfonds, die in den Betrieben zur Anwendung kommenden Formen der Prämierung und die dafür vorgesehenen Mittel im Betriebskollektivvertrag festzulegen waren (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Prämienfond-VO 1972, § 8 Abs. 3 Satz 1 und 2 Prämienfond-VO 1982). Dabei war, ohne dass ein betrieblicher Ermessens- oder Beurteilungsspielraum bestand, in den Betriebskollektivverträgen zu vereinbaren bzw. festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Jahresendprämien als Form der materiellen Interessiertheit der Werktätigen an guten Wirtschaftsergebnissen des Betriebes im gesamten Planjahr angewendet werden (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Spiegelstrich 2 Prämienfond-VO 1972, § 8 Abs. 3 Satz 3 Spiegelstrich 4 Prämienfond-VO 1982).

Damit kann in der Regel für jeden Arbeitnehmer in der volkseigenen Wirtschaft, sofern nicht besondere gegenteilige Anhaltspunkte vorliegen sollten, davon ausgegangen werden, dass ein betriebskollektivvertraglich geregelter Jahresendprämienanspruch dem Grunde nach bestand (vgl. dazu auch: Lindner, "Die ‚leere Hülle‘ ist tot – wie geht es weiter?", RV [= Die Rentenversicherung] 2011, 101, 104), auch wenn die Betriebskollektivverträge als solche nicht mehr vorgelegt oder anderweitig vom Gericht beigezogen werden können. Vor diesem Hintergrund ist der von der Beklagten in anderen Verfahren erhobene Einwand, die Betriebskollektivverträge seien anspruchsbegründend, zwar zutreffend, verhindert eine Glaubhaftmachung jedoch auch dann nicht, wenn diese im konkreten Einzelfall nicht eingesehen werden können.

cc) Ausgehend von den in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Leipzig am 23. Juni 2015 getätigten Aussagen der Zeugen G S und H H sowie den sonstigen Hinweistatsachen ist zudem glaubhaft gemacht, dass der Kläger und das Arbeitskollektiv, dem er angehörte, die vorgegebenen Leistungskriterien in der festgelegten Mindesthöhe, in den streitgegenständlichen Beschäftigungsjahren 1982 und 1984, erfüllt hatten (§ 117 Abs. 1 Voraussetzung 2 AGB-DDR).

Der Zeuge G S , der mit dem Kläger in der gleichen Gruppe als Mitarbeiter für Forschung und Entwicklung im VEB Metallleichtbaukombinat Forschungsinstitut L ab dem Jahr 1979 zusammen gearbeitet hatte, gab an, dass der Betrieb regelmäßig Jahresendprämien an die Beschäftigen auszahlte und der Kläger, weil er in diesem Betrieb beschäftigt war, davon partizipierte. Da der Kläger mit ihm in derselben Arbeitsgruppe gearbeitet hatte und diese aus lediglich sechs Kollegen bestehende Arbeitsgruppe bezüglich der Höhe der Jahresendprämie immer gemeinsam bewertet wurde, war er sich sicher, dass auch der Kläger jedes Jahr die Jahresendprämie im Betrieb erhalten hat. Die Höhe der Jahresendprämie bezog sich dabei auf den Monatslohn, zuerst in Höhe von 100 Prozent des Bruttolohnes, später in Höhe von 100 Prozent des Nettolohnes. Er gab zudem an, dass es seiner Erinnerung nach keinen Grund gegeben hat, die Jahresendprämie innerhalb der Gruppe unterschiedlich zu regeln. Es gab auch kein Gespräch, in dem über Probleme mit der Jahresendprämie gesprochen wurde.

Der Zeuge H H , der mit dem Kläger in der gleichen Brigade im Betriebsteil L des VEB Bauingenieurkombinat für Anlagenexport D zusammen gearbeitet hatte, gab an, dass auch dieser Betrieb regelmäßig einmal im Jahr Jahresendprämien an die Beschäftigen auszahlte und der Kläger, weil er in diesem Betrieb beschäftigt war, davon partizipierte. Die Auszahlung erfolgte meist Anfang des Jahres im Februar oder März für das vorangegangene Beschäftigungsjahr. Die Höhe entsprach in etwa einem Monatsgehalt. Innerhalb der Brigade wurde dabei zunächst ein Grundbetrag vorgegeben. Anschließend wurde innerhalb der Brigade diskutiert, in welcher Höhe, abhängig von der einzelnen Leistung, die Jahresendprämie an die einzelnen Kollegen gezahlt wurde. Hierbei gab es gewisse Zu- und Abschläge.

Die Angaben sind glaubhaft, weil sie durch weitere Unterlagen, die der Kläger im Rahmen des Klage- und Berufungsverfahrens vorlegte, unterlegt werden. Für die Zeit seiner Beschäftigung im VEB Metallleichtbaukombinat Forschungsinstitut L (1. November 1978 bis 31. August 1983) konnte er durch Vorlage des Scheidungsurteils des Kreisgerichts L -N vom 26. Mai 1981 (Aktenzeichen: 13 F /80) belegen, dass er regelmäßig eine jährliche Jahresendprämie bezogen hat, weil in dem Scheidungsurteil – zur Berechnung des Unterhaltsanspruchs der Kinder – ausgeführt wird, "sein durchschnittliches anrechnungsfähiges monatliches Nettoeinkommen beträgt einschließlich anteiliger Jahresendprämie für 1980 M 1.123,-" (Bl. 117 der Gerichtsakte). Für die Zeit seiner Beschäftigung im VEB Bauingenieurkombinat für Anlagenbau D (1. September 1983 bis 30. Juni 1990) konnte er durch seine Kalenderaufzeichnungen in den Jahren 1987 bis 1990 (Bl. 37-39 und Bl. 120 der Gerichtsakte) belegen, dass ihm am 20. Februar 1987 eine Jahresendprämie für das Planjahr 1986 in Höhe von 1.500 Mark, zwischen dem 21. Januar 1988 und dem 29. April 1988 eine Jahresendprämie für das Planjahr 1987 in Höhe von 1.530, Mark, am 28. Februar 1989 eine Jahresendprämie für das Planjahr 1988 in Höhe von 1.530 Mark und am 22. Februar 1990 eine Jahresendprämie für das Planjahr 1989 in Höhe von 1.530 Mark gezahlt wurde. Außerdem legte er ein Einzahlungsavis des Betriebes auf sein Konto mit unleserlichem Sparkassenstempel vor (Bl. 127 der Gerichtsakte), das die Einzahlung eines Betrages in Höhe von 1.500 Mark für eine "Jahresendprämie 1985" ausweist. Dem korrespondierend legte er auch ein Einzahlungs-Avis des VEB Metallleichtbaukombinat Forschungsinstitut L auf sein Konto mit Einzahlungsdatum vom 22. Februar 1982 über einen Betrag in Höhe von 1.175 Mark vor (Bl. 119 der Gerichtsakte), bei dem es sich – legt man die anderen Nachweise vergleichend hinsichtlich der Betragshöhe und des Datums (Februar) zu Grunde – mit hoher Wahrscheinlichkeit um den Jahresendprämienbetrag des Jahres 1981 handelt.

Im Übrigen gaben die Zeugen G S und H H an, dass sie sich an Unzulänglichkeiten des Klägers, die gegebenenfalls eine Kürzung oder Nichtzahlung der Jahresendprämie zur Folge hätten haben können, nicht erinnern konnten. Diese Angaben sind vor dem Hintergrund der vom Gericht beigezogenen Leistungsbeurteilungen und Arbeitseinschätzungen des Betriebes über den Kläger plausibel und bestätigen die berechtigte Annahme, dass der Kläger die individuellen Leistungskennziffern konkret erfüllte. So werden beispielsweise in der Niederschrift zur leistungsabhängigen Erhöhung des Gehalts des Klägers, die vom VEB Metallleichtbaukombinat am 15. Januar 1980 angefertigt wurde (Bl. 101 der Gerichtsakte), seine guten Arbeitsergebnisse und seine gute Einsatzbereitschaft hervorgehoben. In der Abschlussbeurteilung des VEB Metallleichtbaukombinat Forschungsinstitut L vom 29. August 1983 (Bl 104 der Gerichtsakte) werden seine langjährigen Erfahrungen auf dem Gebiet des EDV-Einsatzes in der Projektierung sowie seine gründliche und gewissenhafte Ausführungen aller ihm übertragenen Aufgaben hervorgehoben. In der Abschlussbeurteilung der L Bauingenieur GmbH, dem Rechtsnachfolgebetrieb des VEB Bauingenieurkombinat für Anlagenexport D , vom 6. Oktober 1992 (Bl. 113 der Gerichtsakte), die über den gesamten Beschäftigungszeitraum des Klägers ab 1. September 1983 Auskunft gibt, wurde das komplexe Herangehen des Klägers, insbesondere die enge Zusammenarbeit zwischen Entwurf, Statik und Bauausführung bei der Bearbeitung der ihm übertragenen Vorhaben mit dem Ziel, immer ökonomisch vertretbare Lösungen zu suchen, gelobt, seine Bereitschaft jungen Kollegen stets als Ansprechpartner mit seinen langjährigen Erfahrungen bei der Lösung von Problemen zur Verfügung zu stehen, hervorgehoben und mitgeteilt, dass er alle ihm übertragenen Aufgaben stets zu vollsten Zufriedenheit des Betriebes ausgeführt hat. Unterstrichen wird diese vorbildliche und weder zu Kritik noch Tadel Anlass gebende Arbeitsweise des Klägers durch die ihm in den Jahre 1878, 1979 und 1980 für hervorragende Leistungen im sozialistischen Wettbewerb verliehenen Ehrentitel "Kollektiv der sozialistischen Arbeit" (Bl. 103 der Gerichtsakte) sowie den ihm im Jahr 1989 für vorbildliche sozialistische Arbeit verliehenen Ehrentitel "Aktivist der sozialistischen Arbeit" (Bl. 116 der Gerichtsakte). Zusammenfassend wird dem Kläger damit insgesamt bescheinigt, dass er im Rahmen seiner Beschäftigungsverhältnisse beim VEB Metallleichtbaukombinat Forschungsinstitut L (1. November 1978 bis 31. August 1983) und beim VEB Bauingenieurkombinat für Anlagenbau D (1. September 1983 bis 30. Juni 1990) die ihm übertragenen Aufgaben stets hervorragend erledigte, sodass sich keinerlei berechtigte Zweifel an der Erfüllung der festgelegten Leistungskriterien aufdrängen.

2. Die konkrete Höhe der Jahresendprämien, die in den jeweils nachfolgenden Jahren (1983 und 1985) für das vorangegangene Beschäftigungs- und Planjahr (1982 und 1984) zur Auszahlung an den Kläger gelangten, konnte er zwar weder nachweisen, noch glaubhaft machen (dazu nachfolgend unter a). Hinsichtlich der Höhe hat das Sozialgericht Leipzig im angefochtenen Urteil vom 23. Juni 2015 jedoch zutreffend von der im Rahmen der konkreten Einzelfallwürdigung von Rechts wegen gegebenen Möglichkeit der Schätzung der Höhe Gebrauch gemacht (dazu nachfolgend unter b).

a) Die dem Kläger in den Jahren 1983 und 1985 zugeflossenen Jahresendprämienbeträge sind der Höhe nach weder nachgewiesen (dazu nachfolgend unter aa), noch glaubhaft gemacht (dazu nachfolgend unter bb):

aa) Nachweise etwa in Form von Begleitschreiben, Gewährungsunterlagen, Quittungen oder sonstigen Lohnunterlagen für an den Kläger in den Jahren 1983 und 1985 geflossene Prämienzahlungen konnte er nicht vorlegen. Er selbst verfügt auch über keine Unterlagen, mit denen er die Gewährung von Jahresendprämien belegen könnte, wie er selbst ausführte.

Auszahlungs- bzw. Quittierungslisten der Abteilung des Betriebes konnten auch die Zeugen nicht vorlegen.

Nachweise zu an den Kläger gezahlten Jahresendprämien liegen auch nicht mehr vor, wie sich aus den Schreiben der Rechtsnachfolgebetriebe sowie der Rhenus Office Systems GmbH vom 19. Mai 2011, 27. Juni 2011 und 7. Dezember 2011 ergibt. Die ehemals die Lohn- und Betriebsunterlagen der Beschäftigungsbetriebe des Klägers verwaltenden Rechtsnachfolge- und Archivfirmen hatten im Rahmen des Verwaltungsverfahrens auf die entsprechenden schriftlichen Anfragen der Beklagten vom 31. Januar 2011 und 21. Juni 2011 jeweils mitgeteilt, dass in den ehemaligen Beschäftigungsbetrieben des Klägers keine Unterlagen für Prämienzahlungen (mehr) vorhanden sind. Weitere Ermittlungen hinsichtlich solcher Prämienzahlungen sind auch nicht mehr erfolgversprechend, da zwischenzeitlich die Aufbewahrungsfrist für die Entgeltunterlagen der ehemaligen Betriebe der DDR abgelaufen ist (31. Dezember 2011; vgl. § 28f Abs. 5 SGB IV).

bb) Die konkrete Höhe der an den Kläger in den Jahren 1983 und 1985 ausgezahlten Jahresendprämienbeträge ist – wie das Sozialgericht Leipzig im angefochtenen Urteil vom 23. Juni 2015 bereits zutreffend ausführte – auch nicht glaubhaft gemacht:

Zwar kann den Angaben des Klägers und der Zeugen G S und H H entnommen werden, dass sich die Jahresendprämie durchschnittlich im Bereich eines Monatslohnes bewegte. Konkretere oder präzisierende Angaben konnten jedoch nicht getätigt werden.

In der Gesamtbetrachtung sind diese Angaben insgesamt zum einen vage und beruhen zum anderen allein auf dem menschlichen Erinnerungsvermögen, das mit der Länge des Zeitablaufs immer mehr verblasst und deshalb insbesondere in Bezug auf konkrete, jährlich differierende Beträge kaum einen geeigneten Beurteilungsmaßstab im Sinne einer "guten Möglichkeit" gerade des vom Kläger und dem Zeugen angegebenen durchschnittlichen Monatslohns abzugeben geeignet ist.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass es im Ergebnis an einem geeigneten Maßstab fehlt, an dem die konkrete Höhe der dem Grunde nach bezogenen Jahresendprämie beurteilt werden kann (vgl. dazu auch insoweit zutreffend: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. September 2012 - L 22 R 832/11 - JURIS-Dokument, RdNr. 61 ff.) und der vom Kläger und den Zeugen behauptete Maßstab, nämlich der durchschnittliche Brutto- bzw. Nettomonatslohn, nach den rechtlichen Koordinaten des DDR-Rechts gerade nicht der Basis-, Ausgangs- oder Grundwert zur Berechnung einer Jahresendprämie war:

Nicht der Durchschnittslohn des Werktätigen war Ausgangsbasis für die Festlegung der Höhe der Jahresendprämie, sondern die Erfüllung der konkreten Leistungs- und Planzielvorgaben (vgl. dazu deutlich: Gottfried Eckhardt u.a., "Lohn und Prämie – Erläuterungen zum 5. Kapitel des Arbeitsgesetzbuches der DDR" [Heft 4 der Schriftenreihe zum Arbeitsgesetzbuch der DDR], 1989, S. 112; Langanke "Wirksame Leistungsstimulierung durch Jahresendprämie", NJ 1984, 43, 44; Haedrich/Langanke, "Voraussetzungen für die Gewährung einer Jahresendprämie", NJ 1986, 44). Aus diesem Grund zählte zu den betriebsbezogenen, in einem Betriebskollektivvertrag festgelegten Regelungen über die Bedingungen der Gewährung einer Jahresendprämie auch die Festlegung und Beschreibung der Berechnungsmethoden, aus denen dann individuelle Kennziffern für den einzelnen Werktätigen zur Berechnung der Jahresendprämie abgeleitet werden konnten.

Dies verdeutlichen auch sonstige rechtliche Regelungen unterhalb des AGB-DDR: So legten die Prämienfond-VO 1972 in der Fassung der 2. Prämienfond-VO 1973 sowie die Prämienfond-VO 1982 fest, wie die Jahresendprämie wirksamer zur Erfüllung und Übererfüllung der betrieblichen Leistungsziele beitragen konnte (§ 7 Prämienfond-VO 1972, § 9 Prämienfond-VO 1982). Danach waren den Arbeitskollektiven und einzelnen Werktätigen Leistungskennziffern vorzugeben, die vom Plan abgeleitet und beeinflussbar waren, die mit den Schwerpunkten des sozialistischen Wettbewerbs übereinstimmten und über das Haushaltsbuch oder durch andere bewährte Methoden zu kontrollieren und abzurechnen waren (§ 7 Abs. 1 Prämienfond-VO 1972, § 9 Abs. 3 Prämienfond-VO 1982). Die durchschnittliche Jahresendprämie je Beschäftigten war in der Regel in der gleichen Höhe wie im Vorjahr festzulegen, wenn der Betrieb mit der Erfüllung und Übererfüllung seiner Leistungsziele die erforderlichen Prämienmittel erarbeitet hatte; für den Betrieb war dieser Durchschnittsbetrag grundsätzlich beizubehalten (§ 9 Abs. 2 Prämienfond-VO 1982). Hervorzuheben ist dabei, dass der Werktätige und sein Kollektiv die ihnen vorgegebenen Leistungskriterien jeweils erfüllt haben mussten (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Prämienfond-VO 1972), die Leistungskriterien kontrollfähig und abrechenbar zu gestalten waren (§ 6 Abs. 1 Satz 2 der "Ersten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds und des Kultur- und Sozialfonds für volkseigene Betriebe im Jahre 1972" vom 24. Mai 1972 [GBl.-DDR II 1972, Nr. 34, S. 379; nachfolgend: 1. DB zur Prämienfond-VO 1972]) und bei der Differenzierung der Höhe der Jahresendprämie von den unterschiedlichen Leistungsanforderungen an die Abteilungen und Bereiche im betrieblichen Reproduktionsprozess auszugehen war (§ 6 Abs. 3 Spiegelstrich 1 der 1. DB zur Prämienfond-VO 1972). Außerdem war geregelt, dass die Jahresendprämien für Arbeitskollektive und einzelne Werktätige nach der Leistung unter besonderer Berücksichtigung der Schichtarbeit zu differenzieren waren (§ 7 Abs. 2 Satz 2 Prämienfond-VO 1972, § 6 Abs. 3 Spiegelstrich 2 der 1. DB zur Prämienfond-VO 1972, § 9 Abs. 3 Satz 1 Prämienfond-VO 1982), wobei hinsichtlich der Kriterien für die Zulässigkeit der Erhöhung der durchschnittlichen Jahresendprämie im Betrieb konkrete Festlegungen nach Maßgabe des § 6 der "Ersten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds für volkseigene Betriebe" vom 9. September 1982 (GBl.-DDR I 1982, Nr. 34 S. 598; nachfolgend 1. DB zur Prämienfond-VO 1982) in der Fassung der "Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds für volkseigene Betriebe" vom 3. Februar 1986 (GBl.-DDR I 1986, Nr. 6 S. 50; nachfolgend: 2. DB zur Prämienfond-VO 1982) zu treffen waren. Danach spielten z. B. der Anteil der Facharbeiter sowie der Hoch- und Fachschulkader in den Betrieben und deren "wesentliche Erhöhung" sowie die "Anerkennung langjähriger Betriebszugehörigkeit" eine Rolle (§ 6 Abs. 2 Satz 2 der 1. DB zur Prämienfond-VO 1982). Die konkreten Festlegungen erfolgten in betrieblichen Vereinbarungen (§ 6 Abs. 3 der 1. DB zur Prämienfond-VO 1982). Die endgültige Festlegung der Mittel zur Jahresendprämierung für die einzelnen Bereiche und Produktionsabschnitte einschließlich ihrer Leiter erfolgte nach Vorliegen der Bilanz- und Ergebnisrechnung durch die Direktoren der Betriebe mit Zustimmung der zuständigen betrieblichen Gewerkschaftsleitungen, die entsprechend der im Betriebskollektivvertrag getroffenen Vereinbarung abhängig vom tatsächlich erwirtschafteten Prämienfonds durch den Betrieb und von der Erfüllung der den Bereichen und Produktionsabschnitten vorgegebenen Bedingungen war (§ 8 Abs. 1 Prämienfond-VO 1972, § 6 Abs. 5 der 1. DB zur Prämienfond-VO 1982).

Weder zu den individuellen Leistungskennziffern des Klägers noch zu den sonstigen, die Bestimmung der Jahresendprämienhöhe maßgeblichen Faktoren konnten der Kläger oder die Zeugen nachvollziehbare Angaben tätigen.

Die Kriterien, nach denen eine hinreichende Glaubhaftmachung erfolgt, sind demnach im konkreten Fall nicht erfüllt. Die bloße Darstellung eines allgemeinen Ablaufs und einer allgemeinen Verfahrensweise wie auch der Hinweis, dass in anderen Fällen Jahresendprämien berücksichtigt worden sind – etwa weil dort anderweitige Unterlagen vorgelegt werden konnten –, genügen nicht, um den Zufluss von Jahresendprämien in einer bestimmten oder berechenbaren Höhe konkret an den Kläger glaubhaft zu machen. Denn hierfür wäre – wie ausgeführt – erforderlich, dass in jedem einzelnen Jahr des vom Kläger geltend gemachten Zeitraumes eine entsprechende Jahresendprämie nachgewiesen worden wäre, und zwar nicht nur hinsichtlich des Zeitraumes, sondern auch hinsichtlich der Erfüllung der individuellen Leistungskennziffern, um eine konkrete Höhe als berechenbar erscheinen zu lassen.

b) Da der Kläger den Bezug (irgend-)einer Jahresendprämie für die konkreten Beschäftigungsjahre jedoch dem Grunde nach glaubhaft gemacht hat, nur deren Höhe weder nachweisen noch glaubhaft machen konnte, durfte und musste das Sozialgericht (ebenso im Übrigen auch der Versorgungsträger selbst, vgl. dazu bereits: BSG, Urteil vom 4. Mai 1999 - B 4 RA 6/99 R - SozR 3-8570 § 8 Nr. 3 = JURIS-Dokument, RdNr. 17) die Höhe im Rahmen der konkreten Einzelfallwürdigung schätzen. Zutreffend hat sich das Sozialgericht Leipzig im angefochtenen Urteil vom 23. Juni 2015 dabei auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats gestützt (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Urteile vom 4. Februar 2014 [L 5 RS 462/13], vom 28. April 2015 [L 5 RS 450/14], vom 12. Mai 2015 [L 5 RS 382/14 sowie L 5 RS 424/14], vom 21. Juli 2015 [L 5 RS 668/14], vom 27. Oktober 2015 [L 5 RS 80/15], vom 10. November 2015 [L 5 RS 206/15], vom 8. Dezember 2015 [L 5 RS 152/15 sowie L 5 RS 296/15], vom 5. Januar 2016 [L 5 RS 158/15], vom 16. Februar 2016 [L 5 RS 585/15], vom 1. März 2016 [L 5 RS 578/15], vom 26. April 2016 [L 5 RS 782/14] und vom 24. Mai 2016 [L 5 RS 765/15], jeweils dokumentiert in JURIS), mit der dieser seine bisherige (unter anderem in den Urteilen vom 13. November 2012 [L 5 RS 192/12 sowie L 5 RS 605/11], vom 2. Oktober 2012 [L 5 RS 789/10], vom 18. September 2012 [L 5 RS 716/10 sowie L 5 RS 322/11] und vom 7. August 2012 [L 5 RS 439/10] dargelegte) Rechtsprechung weiter entwickelt hat. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Schätzung statthaft. Diese Befugnis ergibt sich aus § 202 SGG in Verbindung mit §§ 287 Abs. 2, 287 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung, wenn unter den Beteiligten streitig ist, wie hoch sich ein Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse beläuft. Nach § 287 Abs. 2 ZPO ist diese Norm bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Beteiligten die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teils der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

Diese Voraussetzungen sind in der gegebenen Konstellation der streitigen Höhe der dem Grunde nach zugeflossenen Jahresendprämien erfüllt. Bei der Feststellung weiterer Arbeitsentgelte im Rahmen der festgestellten Zeiten der fingierten Zugehörigkeit des Klägers zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz handelt es sich zumindest mittelbar und sekundär um eine vermögensrechtliche Streitigkeit, weil das von der Beklagten nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG festzustellende und dem für die Feststellung der Leistungen zuständigen Träger der Rentenversicherung mitzuteilende (§ 8 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AAÜG) erzielte Arbeitsentgelt Grundlage der Berechnung der Höhe einer Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist. Dass es sich bei dem Verfahren über die Feststellung von Entgeltdaten nach dem AAÜG in einem dem Vormerkungsverfahren nach § 149 SGB VI ähnlichen Verfahren, das der späteren Rentenfeststellung nur vorgelagert ist, um eine vermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne des § 287 Abs. 2 ZPO handelt, hat das BSG bereits in der Vergangenheit implizit bereits bestätigt (vgl. BSG, Urteil vom 4. Mai 1999 - B 4 RA 6/99 R - SozR 3-8570 § 8 Nr. 3 = JURIS-Dokument, RdNr. 17) und aktuell nochmals hervorgehoben (vgl. BSG, Beschluss vom 11. Dezember 2014 - B 5 RS 11/14 B - amtlicher Umdruck, RdNr. 10). Die vollständige Aufklärung aller für die Berechnung der konkret zugeflossenen Jahresendprämienbeträge maßgebenden Umstände (jährliche Betriebskollektivverträge, individuelle und kollektive Leistungskennziffern, Berechnungsmethoden und Berechnungsgrundlagen ausgehend von den Zielvorgaben der staatlichen Planauflagen, beispielsweise in einer Betriebsprämienordnung) ist auch mit Schwierigkeiten verbunden, die zur Bedeutung des streitigen Teils der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

Die Schätzung gestaltet sich im konkreten Fall wie folgt:

aa) Als jährlicher Basiswert der Jahresendprämienhöhe wird jeweils der im Planjahr erzielte durchschnittliche Monatslohn zu Grunde gelegt. Dieser ist im Feststellungsbescheid der Beklagten vom 10. Mai 2004, basierend auf den Lohnnachweisen und Lohnauskünften des ehemaligen Beschäftigungsbetriebes bzw. der Lohnunterlagen verwaltenden Stelle, jeweils ausgewiesen. Damit wird zum einen dem Umstand Rechnung getragen, dass der Kläger und die Zeugen bekundeten, bei der Jahresendprämie habe es sich quasi um ein sog. 13. Monatsgehalt gehandelt, das sich zumindest der Höhe nach weitgehend um einen Monatslohn bewegt habe. Zum anderen ist an dieser Stelle zu konstatieren, dass ein anderer Ausgangswert nicht vorhanden ist, weil die Grundlagen der konkreten Leistungskennziffern gänzlich unbekannt sind. Gerechtfertigt ist dieses Abstellen auf den Monatsdurchschnittslohn vor allem aber deshalb, weil selbst nach den maßgeblichen DDR-rechtlichen Regelungen, die als generelle Anknüpfungstatsachen herangezogen werden können (vgl. zu diesem Aspekt beispielsweise zuletzt: BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 2/13 R - JURIS-Dokument, RdNr. 19), in den Fällen, in denen in den maßgeblichen betrieblichen Dokumenten (Betriebskollektivverträge, Betriebsprämienordnung) die zu erfüllenden Leistungskennziffern nicht präzise vorgegeben waren, bei der Entscheidung über den Anspruch auf Jahresendprämie von den im Betrieb üblichen Bedingungen für die Festsetzung individueller Jahresendprämien auszugehen war. Dabei konnten auch vergleichende Feststellungen der an andere Betriebsangehörige als Jahresendprämie gezahlte Beträge, wie beispielsweise ein als Grundprämie gezahlter bestimmter Anteil eines monatlichen Bruttodurchschnittsverdienstes, als Anhaltspunkte dienen (vgl. dazu ausdrücklich beispielsweise: Oberstes Gericht [der DDR], Urteil vom 16./18. März 1970 - Ua 5/69 - NJ 1970, 270, 274; Kaiser, "Einige Probleme der Jahresendprämie aus der Sicht der Rechtsprechung", NJ 1971, 229, 230). Auch die maßgeblichen staatlichen Prämienverordnungen selbst knüpften in ihren abstrakten Rahmenvorgaben hinsichtlich der Höhe der Jahresendprämie an den durchschnittlichen Monatsverdienst an. So legte beispielsweise § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und Satz 3 Prämienfond-VO 1972 fest, dass die Jahresendprämie mindestens die Höhe eines Drittels eines "durchschnittlichen Monatsverdienstes" und maximal, für hervorragende Leistungen des einzelnen Werktätigen, das Zweifache seines "monatlichen Durchschnittsverdienstes" betrug.

bb) Von diesem jährlichen Basiswert ist ein Abschlag in Höhe von 30 Prozent zu treffen. Mit diesem Abschlag wird den Tatsachen Rechnung getragen, dass die konkrete Höhe der jeweiligen jährlichen Jahresendprämien von einer Vielzahl von individuellen und kollektiven Faktoren abhingen, die rückschauend betrachtet in ihrer Gesamtheit nicht mehr im Einzelnen nachvollzogen werden können. Namentlich wird mit diesem Abschlag unter anderem berücksichtigt, dass - Zeiten der wegen Krankheit vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit während des Planjahres zu einer Minderung der Jahresendprämie führen konnten (§ 117 Abs. 3 AGB-DDR), - die Jahresendprämienhöhe unter Berücksichtigung von Schichtarbeit differenzierend festgelegt wurde (§ 7 Abs. 2 Satz 2 Prämienfond-VO 1972, § 6 Abs. 3 Spiegelstrich 2 der 1. DB zur Prämienfond-VO 1972, § 9 Abs. 3 Satz 1 Prämienfond-VO 1982), - die betriebskollektivvertragsrechtlich festgelegte durchschnittliche Jahresendprämie auch von, von dem Einzelnen nicht beeinflussbaren Faktoren wie dem Anteil der Facharbeiter sowie der Hoch- und Fachschulkader abhing (§ 6 Abs. 2 Satz 2 Spiegelstrich 1 der 1. DB zur Prämienfond-VO 1982), - die Höhe der Jahresendprämie in den einzelnen Abteilungen und Bereichen, entsprechend den unterschiedlichen Leistungsanforderungen im betrieblichen Reproduktionsprozess, unterschiedlich festgelegt wurde (§ 6 Abs. 3 Spiegelstrich 1 der 1. DB zur Prämienfond-VO 1972), - bei Nichterfüllung der festgelegten Leistungskriterien die Jahresendprämie entsprechend, also dem Verhältnis der Nichterfüllung entsprechend, niedriger festzulegen war (§ 9 Abs. 3 Satz 6 Prämienfond-VO 1982) und, - bei Fehlschichten die Jahresendprämie der betreffenden Werktätigen gemindert werden konnte (§ 9 Abs. 5 Prämienfond-VO 1982).

cc) Von den somit zugrunde gelegten (geschätzten) 70 Prozent eines monatlichen Bruttodurchschnittsverdientes ist ein weiterer Abzug in Höhe eines Sechstels als sachgerecht zu veranschlagen, sodass im Ergebnis lediglich fünf Sechstel von 70 Prozent zu berücksichtigen sind. Dieser zusätzliche Abschlag ist nach Ansicht des Senats aus zwei Gründen gerechtfertigt: Zum einen wird damit dem Umstand Rechnung getragen, dass der Kläger den Zufluss der Jahresendprämie dem Grunde nach nicht nachgewiesen, sondern lediglich glaubhaft gemacht hat (Rechtsgedanke des § 6 Abs. 6 AAÜG). Zum anderen ist dieser Abschlag auch wegen eines Erst-Recht-Schlusses (argumentum a fortiori; vgl. zur methodologischen Struktur dieses Arguments: Kramer, "Juristische Methodenlehre", 1998, S. 151 f. und Rüthers/Fischer/Birk, "Rechtstheorie mit Juristischer Methodenlehre", 8. Aufl. 2015, RdNr. 897 f.) gerechtfertigt: Wenn schon das Gesetz in § 6 Abs. 6 AAÜG eine Berücksichtigung von fünf Sechsteln bei nur glaubhaft gemachter Höhe des weiteren Arbeitsentgelts vorsieht, dann muss dies erst recht gelten, wenn die Höhe nicht einmal glaubhaft gemacht ist, sondern lediglich vom Gericht geschätzt werden kann.

Das so geschätzte Ergebnis (fünf Sechstel von 70 Prozent = ca. 58,33 Prozent) nähert sich damit stark dem, in der rentenberatenden Literatur vorgeschlagenen (vgl. dazu ausdrücklich: Lindner, "Die ‚leere Hülle‘ ist tot – wie geht es weiter?", RV [= Die Rentenversicherung] 2011, 101, 104), unter Bezugnahme auf verschiedene Betriebsprämienordnungen einzelner Betriebe angegebenen Mindestwert von Jahresendprämien (60 Prozent) an, weshalb sich der Senat in dieser Schätzung zusätzlich bestätigt sieht.

dd) Dies zu Grunde gelegt, sind für den Kläger Jahresendprämienzahlungen für die Jahre 1982 und 1984 mit Zufluss in den Jahren 1983 und 1985 wie folgt zu berücksichtigen:

JEP-An-spruchsjahr Jahresarbeits-verdienst Monatsdurch-schnitts-verdienst JEP zu Grunde gelegt (= 70%) davon 5/6 JEP-Zuflussjahr 1982 14.876,16 M 1.239,68 M 867,78 M 723,15 M 1983 1984 17.760,00 M 1.480,00 M 1.036,00 M 863,33 M 1985

Diese Beträge wurden vom Sozialgericht Leipzig korrekt ausgeurteilt, da sich die Berücksichtigung von fünf Sechstel aus dem Tenor ergibt.

3. Die Jahresendprämien als Arbeitsentgelt im Sinne der §§ 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV, 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG waren auch nicht nach der am 1. August 1991 maßgeblichen bundesrepublikanischen Rechtslage (Inkrafttreten des AAÜG) steuerfrei im Sinne der § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV in Verbindung mit § 1 ArEV (vgl. dazu ausführlich: BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 33-41). Es handelt sich vielmehr um gemäß § 19 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit (Gehälter, Löhne, Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt wurden).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Jacobi Dr. Schnell Dr. Lau
Rechtskraft
Aus
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