L 9 R 4647/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 1766/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4647/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. Oktober 2014 sowie der Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2013 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem Versicherungsfall am 12. Juni 2012 ab 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2016 zu gewähren.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1957 geborene Klägerin ist 1973 aus Kroatien in die Bundesrepublik Deutschland zugezogen und war hier ab 1977 in wechselnden Beschäftigungsverhältnissen als Montiererin, Löterin, Sachbearbeiterin und Lagerarbeiterin beschäftigt. Im Zeitraum vom 01.09.2004 bis 30.11.2006 und vom 15.01.2007 bis 15.06.2007 sind im Versicherungsverlauf der Klägerin Zeiten einer geringfügigen, versicherungsfreien Beschäftigung und ab 01.01.2005 bis 31.12.2006 und vom 01.01.2007 bis 12.11.2007 Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug vermerkt. Zuletzt war sie ab 15.07.2008 versicherungspflichtig in einem Hospiz als Hauswirtschafterin tätig. Seit dem 13.04.2010 ist sie arbeitsunfähig, nachdem ein Mamma-Karzinom festgestellt worden war. Ab dem 25.05.2010 und bis 10.10.2011 bezog sie Krankengeld, vom 11.10.2011 an Arbeitslosengeld, unterbrochen durch die Gewährung von Übergangsgeld vom 22.10.2010 bis 19.11.2010.

Vom 07.09.2010 bis zum 21.09.2010 befand sich die Klägerin mit den Diagnosen chronifiziertes Schmerzsyndrom vom Typ Fibromyalgie (Exazerbation nach maligner Erkrankung), jetzt: Beginn einer schmerzdistanzierenden/antidepressiven Therapie mit Duloxetin, bekannte Depressionen mit Somatisierungsstörung bei familiärer Belastung, Verdacht auf Gastritis unter NSAR-Einnahme, vorbefundlich: Asthma bronchiale, unter Therapie mit Salbutamol, Mamma-Karzinom rechts 04/2010 mit mammaerhaltender Operation in einer akutstationären Krankenhausbehandlung in den W. Kliniken, O. Dort wurde unter anderem aufgrund der depressiven Grundsymptomatik eine psychologisch/psychiatrische Mitbehandlung am ehesten bei einem muttersprachlichen Therapeuten empfohlen.

Vom 22.10.2010 bis 19.11.2010 befand sie sich im Rahmen eines Heilverfahrens in der Klinik S., I. Im Entlassungsbericht vom 24.11.2010 werden die Diagnosen: "Bösartige Neubildung: Brustdrüse, Adipositas, Fibromyalgie, Psoriasis, Anpassungsstörungen" angegeben. Die Klägerin wurde arbeitsunfähig entlassen. Es wurde empfohlen, eine Karenzzeit bis Mitte Januar 2011 zur weiteren psychischen Erholung einzuhalten und im Anschluss daran einen Arbeitsversuch einzuleiten. Die Klägerin sei hochmotiviert, wieder zu arbeiten, habe jedoch aufgrund des derzeit angegriffenen psychischen Gesundheitszustandes Befürchtungen, den psychischen Anforderungen ihres bisherigen Arbeitsplatzes im Hospiz nicht gerecht zu werden. Nach einer derzeit noch benötigten Erholungszeit sollte die Klägerin in ca. zwei Monaten in der Lage sein, leichte Tätigkeiten vollschichtig in wechselnder Arbeitshaltung unter Berücksichtigung weiterer, näher dargelegter qualitativer Einschränkungen auszuüben.

Für die Zeit vom 10.11.2011 bis 01.12.2011 schloss sich eine weitere medizinische Rehabilitation in Bad S. an. Dort wurde die Klägerin unter Berücksichtigung eines Mamma-Karzinoms rechts, einer mittelgradigen depressiven Episode mit somatischem Syndrom, phobischen Ängsten und Selbstunsicherheit, einem Wirbelsäulensyndrom mit Rückenschmerzen und bei bekannten degenerativen Veränderungen und Fibromyalgie sowie Verdacht auf Neurodermitis arbeitsunfähig entlassen. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnden Körperhaltungen könnten sechs Stunden und mehr ausgeübt werden. Bei Zustand nach Mamma-Karzinom-OP sollten übermäßige Belastungen des betreffenden Schulter-/Armbereiches vermieden werden. Es bestehe eine verminderte psychische Belastbarkeit mit eingeschränktem Umstellungs- und Anpassungsvermögen, sodass eine zusätzliche neurologisch/psychiatrische Begutachtung empfohlen werde, weil hierdurch eine erhebliche Gefährdung der Arbeitsfähigkeit gesehen werde.

Bereits zuvor, am 21.07.2011, beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog Befund-, Behandlungs- und Reha-Entlassungsberichte bei und beauftragte den Neurologen und Psychiater Dr. S. mit der Erstellung eines Gutachtens. Nach einer Untersuchung der Klägerin am 12.06.2012 stellte er im Gutachten vom 18.06.2016 ein Mamma-Karzinom rechts 04/2010 mit OP und Rehabilitation, einen NPP C6/7 rechts mediolateral 01/2011, ein CTS rechts mehr als links, eine Cervikobrachialgie links, eine Polyneuropathie der Arme und Beine, eine Dysthymie, eine somatoforme Störung und ein chronisches Kopfschmerzsyndrom fest. Er vertrat die Auffassung, dass die Klägerin aus überwiegend psychischen und psychiatrischen Gründen heraus nicht mehr in der Lage sei, eine Tätigkeit von Erwerbswert in ausreichendem Umfang zu bewältigen. Sie sei nicht mehr in der Lage, ausreichend lange mit ausreichendem Durchhaltevermögen und auch nicht mit erhöhten Pausen entsprechende Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit Einschränkungen, die durch die Brustkrebsoperation, den Bandscheibenvorfall zervikal und das Karpaltunnelsyndrom bedingt seien, auszuüben. Die Feststellungen gelten seit 12.06.2012.

Mit Bescheid vom 30.07.2012 stellte die Beklagte gemäß § 149 Abs. 5 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) die im beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, also die Zeiten bis 31.12.2005, verbindlich fest, soweit sie nicht bereits früher festgestellt worden waren. Insoweit gab sie an, dass die Zeiten vom 10.12.1997 bis 31.12.1998 und vom 16.07.2004 bis 31.08.2004 nicht als Beitragszeit vorgemerkt werden konnten. Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden.

Mit Bescheid vom 30.07.2012 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab, weil die Klägerin die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für diese Rente nicht erfülle. Zur Begründung führte die Beklagte aus, sie stelle fest, dass die Klägerin seit dem 13.04.2010 voll erwerbsgemindert sei. Ihr Versicherungskonto enthalte aber im maßgeblichen Zeitraum vom 13.04.2005 bis zum 12.04.2010 nicht die Mindestzahl von 36 Monaten an Pflichtbeiträgen. In diesem Zeitraum seien nur 22 Monate mit Pflichtbeiträgen vermerkt. Die Klägerin erfülle auch nicht die Voraussetzungen des § 241 SGB VI.

Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machten die Bevollmächtigten geltend, die Klägerin sei zwar seit 13.04.2010 arbeitsunfähig, aber nicht erwerbsgemindert. Auch nach dem Entlassungsbericht der Klinik in Bad S. ergebe sich ebenfalls eine vollschichtige Leistungsfähigkeit in Bezug auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit und für den allgemeinen Arbeitsmarkt. Erst das psychiatrische Gutachten des Dr. S. vom 12.06.2012 gehe von einer Leistungseinschränkung von unter drei Stunden aus.

Die Beklagte hat ein Vorerkrankungsverzeichnis bei der BKK VBU beigezogen und den beratenden Arzt H. gehört, der die Auffassung vertrat, dass ein Leistungsfall erst im Juni 2012 nicht plausibel nachvollzogen werden könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.03.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie hielt daran fest, dass der Leistungsfall am 25.05.2010 eingetreten sei. Die Klägerin selbst habe sich seit 1997/1998 und durch die Verschlechterung im Jahre 2010 durch das Hinzutreten einer Brustkrebserkrankung, eines Bandscheibenleidens der Halswirbelsäule und wegen Kopfschmerzen leistungsgemindert gesehen. Arbeitsunfähigkeit bestehe seit Mai 2010. Außerdem würden die Rehabilitationsentlassungsberichte im Vordergrund stehende, starke psychische Belastungen durch eine depressive Symptomatik und eine Schmerzstörung beschreiben. Daher könne ein Leistungsfall erst im Juni 2012 aus medizinischer Sicht nicht plausibel nachvollzogen werden.

Hiergegen richtet sich die am 25.03.2013 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage. Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen sachverständiger Zeugenaussagen beim Facharzt für Orthopädie Dr. A., der Hausärztin Dr. L., dem Frauenarzt Dr. U. und dem Neurologen und Psychiater Dr. L.

Der Orthopäde Dr. A. unter dem 31.05.2013 hat mitgeteilt, dass das für die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit maßgebliche Leiden auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet und rheumatologischem Fachgebiet liege. Orthopädischerseits sei die Klägerin in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr auszuüben.

Die Hausärztin hat (Schreiben vom 29.05.2013) angegeben, dass ihr die Klägerin seit 1999 bekannt sei. Sie hat darauf hingewiesen, dass sich der depressive Zustand mit den Somatisierungsstörungen und die chronischen Schmerzen sehr nachteilig auf die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin auswirkten. Diese sei in ihrer Arbeitsfähigkeit dadurch sehr eingeschränkt. Ihrer Auffassung nach sei sie begrenzt, mit Einschränkungen eventuell für sehr leichte Tätigkeiten ohne Zeitdruck unter drei Stunden einsetzbar. Der Gesundheitszustand habe sich seit 2010 verschlechtert, es seien neue Diagnosen hinzugekommen wie z.B. Herzinfarkt, Verschlechterung der Depressionen und des chronischen Schmerzzustandes. Auf die Frage, in welchem zeitlichen Rahmen die Klägerin im Mai 2011 noch in der Lage gewesen sei, leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben, hat sie ausgeführt, den zeitlichen Rahmen nicht sicher abgrenzen zu können. Anhand ihrer Unterlagen sei anzunehmen, dass die Klägerin eventuell ca. drei Stunden hätte arbeiten können, mit erheblichen Einschränkungen.

Dr. U. hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 13.06.2013 ausgeführt, die Klägerin nach Mai 1999 seit dem 08.09.2011 wieder zu behandeln. Die Klägerin habe ihm gegenüber angegeben, dass sie wegen Müdigkeit, Erschöpfung und Schmerzen keine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr ausüben könne.

Der Neurologe und Psychiater Dr. L. (Aussage vom 24.07.2013) hat angegeben, die Klägerin seit Mai 2008 wieder durchgehend behandelt zu haben. Anlass der Vorstellung im Jahre 2008 seien chronische Schmerzen gewesen, die sich in erster Linie als somatoforme Schmerzstörung bzw. als Fibromyalgiesyndrom erwiesen hätten. Die Klägerin habe über chronische Schmerzen berichtet, die hauptsächlich stammbezogen im Nacken-und Rückenbereich lokalisiert gewesen seien. Darüber hinaus habe sie über typische depressive Symptome geklagt, wobei es sich vor allem um eine affektive Abstimmung, Antriebsstörungen, Vitalsymptome und einen sozialen Rückzug gehandelt habe. Nachdem die Patientin anfänglich episodenhaft depressiv gewesen sei, habe sich jetzt das Bild einer chronischen Depression gezeigt. Hinzu sei noch ein rechtsseitiges Mamma-Karzinom gekommen, woraus erhebliche Angstzustände mit einer stets anwesenden Angst vor dem Sterbenmüssen resultierte. Zudem habe die Klägerin über Folgeerscheinungen degenerativer Veränderung des Rückens mit einer Lumboischialgie und einer Schmerzausstrahlung ausgehend von der Lendenwirbelsäule über das Gesäß bis in beide Unterschenkel und Vorfüße zu leiden. Klinisch-neurologisch handele es sich um ein Wurzelkompressionssyndrom L4 bis S1 beidseits. Seiner Auffassung nach liege das verbliebene Restarbeitsvolumen unter drei Stunden. Eine Arbeit im Hospiz sei nicht mehr denkbar. Auch im Mai 2011 sei die Patientin nicht mehr in der Lage gewesen, länger als eineinhalb bis zwei Stunden täglich zu arbeiten. Dies betreffe ihre Tätigkeit als Küchenhilfe ebenso wie eine leichtere berufliche Tätigkeit.

Die Klägerin hat hierauf eine Aufstellung der Behandlungsdaten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. vom 24.09.2013 vorgelegt. Danach hat die Klägerin Dr. L. nach einem Termin im Mai 2008 im Jahr 2011 ab Juli fünfmal, im Jahr 2012 fünfmal und im Jahr 2013 bis September ebenfalls fünfmal konsultiert.

Das SG hat hierauf am 10.07.2014 einen Termin zur Erörterung des Sachverhaltes durchgeführt. Wegen des Inhalts der gemachten Angaben wird auf die Niederschrift vom selben Tag verwiesen (Bl. 146 ff. SG-Akten).

Die Beklagte hat die Stellungnahme des Nervenarztes S. vorgelegt, der daran festgehalten hat, dass mit der Arbeitsunfähigkeit seit Mai 2010 in der Gesamtschau ein aufgehobenes Leistungsvermögen festzustellen sei, wie dies auch der weitere Behandlungsverlauf ausweise.

Mit Urteil vom 28.10.2014 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin jedenfalls aktuell erwerbsunfähig sei. Es könne jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass diese Erwerbsunfähigkeit nicht bereits seit dem 13.04.2010 oder sogar seit dem 09.05.2008 bestanden habe. Die rentenrechtlichen Voraussetzungen für ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente seien weder im Mai 2008 noch im April 2010 erfüllt. Denn weder im Fünfjahreszeitraum vom 13.04.2005 bis 12.04.2010 noch im Fünfjahreszeitraum vom 09.05.2003 bis 08.05.2008 enthalte das Versicherungskonto der Klägerin die Mindestzahl von 36 Monaten Pflichtbeiträge. Im Zwischen-Zeitraum vom 01.09.2004 bis 15.06.2007 enthalte das Versicherungskonto der Klägerin keine Pflichtbeitragszeiten. Dieser Zwischen-Zeitraum sei im Versicherungsverlauf als geringfügige versicherungsfreie Beschäftigung oder als Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug vermerkt. Auch die Verlängerung-/Ausnahmetatbestände der § 43 Abs. 4 und § 241 Abs. 1 und 2 SGB VI seien nicht erfüllt. Die Klägerin trage jedoch die Beweislast für den Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung als anspruchsbegründende Voraussetzung bzw. vorliegende Beweislast dafür, dass die Erwerbsunfähigkeit, wie sie im Klageverfahren behauptet werde, erst nach dem 13.04.2010 eingetreten sei. Dies könne er jedoch anhand der vorliegenden Unterlagen nicht gelingen. Insoweit bezog sich das SG auf die Aussagen der gehörten Ärzte.

Gegen das ihren Bevollmächtigten am 31.10.2014 zugestellte Urteil richtet sich die am 10.11.2014 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingegangene Berufung.

Unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vortrages hält die Klägerin daran fest, Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zu haben.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. Oktober 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr aufgrund eines Leistungsfalles vom 12. Juni 2012 eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab 1. Januar 2013 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat zur Begründung eine Stellungnahme der beratenden Abteilungsärztin Dr. T. vom 16.12.2014 sowie eine nervenärztliche Stellungnahme des Nervenarztes S. vom 11.02.2015 vorgelegt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten 1. und 2. Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat auch in der Sache Erfolg.

Gegenstand des Rechtsstreits ist die hier zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage, mit der die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.01.2013 begehrt. Der Klägerin steht diese Rente ausgehend von einem Versicherungsfall am 12.06.2012 zeitlich befristet - wie tenoriert - zu.

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 89. Ergänzungslieferung 2016, § 43 SGB VI, Rn. 58 und 30 ff.).

Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI verlängert sich gemäß § 43 Abs. 4 SGB VI um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind: 1. Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, 2. Berücksichtigungszeiten, 3. Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nr. 1 oder 2 liegt, 4. Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist gemäß § 43 Abs. 5 SGB VI nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist. Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung sind gemäß § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit 1. Beitragszeiten 2. beitragsfreien Zeiten, 3. Zeiten, die nur deshalb nicht beitragsfreie Zeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag, eine beitragsfreie Zeit oder eine Zeit nach Nr. 4, 5 oder 6 liegt, 4. Berücksichtigungszeiten, 5. Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder 6. Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet vor dem 1. Januar 1992 (Anwartschaftserhaltungszeiten) belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist.

Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, ist eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich (§ 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen und des Versicherungsverlaufes der Versicherten vom 30.07.2012 (Bl. 174 der Akten) stellt der Senat zunächst fest, dass aufgrund der ausgeübten versicherungsfreien geringfügigen Beschäftigung der Klägerin im Zeitraum vom 01.09.2004 bis 30.11.2006 und vom 15.01.2007 bis 15.09.2007 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung letztmals bei einem Leistungsfall im August 2006 erfüllt gewesen sind und unter Berücksichtigung der nachgewiesenen und im Versicherungsverlauf gespeicherten Pflichtbeitragszeiten im Zeitraum vom Juli 2008 bis Juni 2011 die Voraussetzungen der sog. 3/5-Belegung erst wieder mit einem Versicherungsfall im Juni 2011 vorgelegen haben.

Da die Klägerin in der Zeit vom 15.07.2008 noch einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Haushaltshilfe bis zur Operation eines Mamma-Karzinoms im April 2010 nachgegangen war, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Erwerbsminderung bereits im Jahr 2006 eingetreten war und bis zur Antragstellung und darüber hinaus fortgedauert haben könnte. Dies gilt auch dann, wenn sich die Klägerin – wie im Antrag angegeben – selbst für seit 1997/1998 erwerbsgemindert gehalten hat.

Nach den Feststellungen des Senats ist die Klägerin jedoch aufgrund eines Versicherungsfalles vom 12.06.2012 allein aus gesundheitlichen Gründen erwerbsgemindert (siehe hierzu nachfolgende Ausführungen). Zu diesem Zeitpunkt liegen in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor und war die allgemeine Wartezeit erfüllt.

Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünftagewoche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert, dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Der Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung setzt den Nachweis einer Erkrankung oder Behinderung voraus, aufgrund derer der Versicherte auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden (volle Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI) oder mindestens sechs Stunden (teilweise Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI) täglich zu arbeiten, wie oben bereits ausgeführt wurde. Ein Anspruch setzt beweisrechtlich voraus, dass die Anspruchsvoraussetzungen im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts [BSG] vom 07.09.2004 – B 2 U 25/03 R – juris, Rdnr. 13), feststehen. Ob Tatsachen, vorliegend also das Vorliegen und der Schweregrad von Erkrankungen der Klägerin sowie das Bestehen einer rentenanspruchauslösenden quantitativen Minderung des Leistungsvermögens für die Durchführung von Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts nachgewiesen sind oder nicht, entscheidet der Senat als sog. "Tatsachengericht" in freier richterlicher Beweiswürdigung (BSG vom 07.09.2004, a. a. O., Rdnr. 15). Entscheidend ist vorliegend damit nicht nur der Nachweis der Erkrankung, sondern auch deren Vorliegen in einem rentenbegründenden Ausmaß und deren Fortbestand in diesem Ausmaß sowie der Zeitpunkt des Eintritts des Leistungsfalles, der wie die übrigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Erwerbsminderungsrente auch nach § 43 SGB VI im Vollbeweis objektiv feststehen muss. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; BSGE 103, 99, 104). Das Gericht muss sich grundsätzlich die volle Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen der Tatsachen verschaffen. Ausreichend ist insoweit eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 24.11.2010, - B 11 AL 35/09 - juris).

Der Senat sieht es in Übereinstimmung mit der Beklagten aufgrund des Gutachtens von Dr. S. vom 18.06.2012, das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, als nachgewiesen an, dass die Klägerin zumindest ab dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. S. am 12.06.2012 und bis heute erwerbsgemindert ist. Der Sachverständige hat insoweit für den Senat schlüssig und überzeugend ausgeführt, dass bei der Klägerin eine ausgeprägte depressive Symptomatik mit Entwicklung einer dysthymen chronifizierten depressiven Symptomatik besteht. Neben der von ihm als schwerwiegend bezeichneten Brustkrebserkrankung und der schon lange bestehenden Fibromyalgiesymptomatik bestehen vielfältige psychosomatische Krankheitsbilder wie eine Schmerzsymptomatik im Bereich der HWS, ein Bandscheibenvorfall bei C6/7 rechts, ein ausgeprägtes Carpaltunnelsyndrom rechts mehr als links, wobei die klinische Symptomatik deutlicher ausgeprägt ist, als es die neurophysiologische Untersuchung belegt. Des Weiteren hat sich als "Neuerkrankung" eine ausgeprägte Polyneuropathie der Arme und Beine mit deutlicher Verlangsamung der Nervenleitgeschwindigkeit und einer bei der neurologischen Untersuchung festgestellten ataktischen Symptomatik eingestellt, wobei nach Auffassung des Sachverständigen zusätzlich ein neuropathisches Schmerzsyndrom vorliegt, welches die Schmerzsymptomatik durch die Fibromyalgie zusätzlich unterhält. Auswirkungen dieser Gesundheitseinschränkungen sind, dass die Klägerin in ausweglosen inneren und äußeren Situation angelangt ist und überwiegend aus psychischen und psychiatrischen Gründen heraus nicht mehr in der Lage ist, eine Tätigkeit von Erwerbswert in ausreichendem Umfang zu bewältigen. Aufgrund einer ausgeprägten verminderten psychophysischen Belastbarkeit mit Ermüdbarkeit, deutlicher Störung der Umstellung und erschwerter Flexibilität ist die Klägerin nicht mehr in der Lage, ausreichend lange mit ausreichendem Durchhaltevermögen eine Tätigkeit als Küchenhilfe oder leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wenigstens drei Stunden auszuüben.

Dieser Einschätzung hat sich der beratende Arzt H. in seiner Stellungnahme vom 04.07.2012 (Bl. 153 der Akten) in vollem Umfang angeschlossen, und auch die nachfolgenden beratungsärztlichen Stellungnahmen im Klage- und Berufungsverfahren von Dr. T. und dem Nervenarzt S. haben keinen Zweifel daran gelassen, dass eine Minderung der Leistungsfähigkeit auf weniger als drei Stunden vorliegt und seitdem fortbesteht. Auch die insoweit vom SG gehörten sachverständigen Zeugen geben keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass dieser Gesundheitszustand insbesondere auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bis heute fortbesteht. Anhaltspunkte für eine deutliche Besserung sind nicht ersichtlich, sodass eine Rente wegen Erwerbsminderung auch derzeit noch gerechtfertigt ist, was sich insbesondere durch die Einlassungen von Dr. L. und der Hausärztin Dr. L. ergibt.

Der Senat vermag sich hingegen nicht davon zu überzeugen, dass der Versicherungsfall der Erwerbsminderung bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten war. Dem steht schon entgegen, dass die Klägerin aus dem stationären onkologischen Heilverfahren am 19.11.2010 entlassen wurde, ohne dass eine zeitliche Leistungseinschränkung unter Berücksichtigung näher ausgeführter, für die Beurteilung nicht weiter relevanter qualitativer Einschränkungen für leichte Tätigkeiten festgestellt worden war. Die Entlassung als arbeitsunfähig mit einer weiteren Karenzzeit bis Mitte Januar 2011 ist mit Blick auf die operativen Eingriffe im April und Mai wegen des Mamma-Karzinoms für den Senat nachvollziehbar und steht einer wiedererlangten Leistungsfähigkeit gerade auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht entgegen, da es hierfür an belastbaren Befunden für die Zeit nach der Entlassung und insbesondere ab Januar 2011 fehlt. Dabei muss nicht gesondert erwähnt werden, dass sich eine bescheinigte Arbeitsunfähigkeit zunächst nur auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit bezieht und nicht ohne weiteres auf eine hier allein entscheidende, leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt übertragbar ist. Angesichts der von der Klägerin zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Haushaltshilfe in einem Hospiz, wo sie ihren Angaben zufolge, an denen der Senat keine Zweifel hegt, sämtliche hauswirtschaftlichen Arbeiten von Gardinen abhängen, waschen und aufhängen, Fensterputzen, Reinigen der Patientenzimmer, Organisation der Küche, ein Großeinkauf in der Woche bis zur Essenszubereitung und –verteilung alle anfallenden Arbeiten durchführen musste und weswegen der Senat von einer mittelschweren bis schweren Tätigkeit ausgeht, ist eine diesbezüglich fortbestehende Arbeitsunfähigkeit schlüssig und nachvollziehbar, aber rechtlich ohne Belang.

Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin in diesem Entlassungsbericht ist auch nicht unschlüssig. Nach dem dortigen vierwöchigen stationären Aufenthalt wurden die Diagnosen "bösartige Neubildung: Brustdrüse, Adipositas, Fibromyalgie, Psoriasis und Anpassungsstörungen" gestellt. Die Klägerin wurde – nach psychologischen Interventionen mittels psychoonkologischen und verhaltenstherapeutisch ausgerichteten Einzelgesprächen – als bezüglich einer Arbeitsaufnahme hoch motiviert beschrieben. Einschränkungen wurden vor allem für Tätigkeiten gesehen, die eine übermäßige Belastung des rechten Armes zur Folge haben können. Einschränkungen im psychischen Bereich, insbesondere der psychischen Belastbarkeit wurden nicht gesehen (siehe negatives Leistungsvermögen [Bl. 1a des Berichtes]). Unter den Ausführungen zum Rehabilitationsverlauf ("Psychisch") wird dort berichtet, dass neben der Thematik der Krankheitsverarbeitung, der berufs- und familienbezogenen Thematik auch die Schmerzproblematik Gegenstand der Behandlung gewesen ist. Die Klägerin habe sich in die klinischen Strukturen integrieren können und habe sich motiviert und kooperativ gezeigt. In offenen Werkgruppen habe sie Ausgleich, Freude und Entspannung im kreativen Schaffen erleben können. Insgesamt habe sich die Klägerin während des Reha-Verlaufes sehr motiviert und kooperativ gezeigt. Abschließend habe sich eine adäquate Krankheitsverarbeitung mit aktiv-bewältigenden Coping-Strategien ergeben, und die Klägerin habe sich psychisch in ausgeglichener und stabiler Stimmungslage befunden. Eine psychologische Weiterbetreuung wurde zudem nur bei Bedarf als erforderlich angesehen. Diese Befunde stehen ganz offensichtlich in einem deutlichen Widerspruch zu den erst später im Juli 2012 beschriebenen Einschränkungen im Gutachten des Dr. S., der, wie oben bereits ausgeführt, eine im Vergleich hierzu erhebliche Verschlimmerung der Beeinträchtigungen nicht nur auf psychiatrischem Fachgebiet dargelegt, sondern auch einen deutlich schlechteren somatischen Befund beschrieben hat (Schmerzsymptomatik im Bereich der HWS, Bandscheibenvorfall bei C 6/7 rechts, ausgeprägtes Carpaltunnelsyndrom, ausgeprägte Polyneuropathie der Arme und Beine mit ataktischer Symptomatik). Nachdem Einschränkungen der psychischen Belastbarkeit nicht in einem relevanten Umfang festgestellt und beschrieben sind, die später beschriebenen neurologischen Erkrankungen offensichtlich noch nicht vorgelegen haben, lässt sich eine zu diesem Zeitpunkt vorliegende zeitliche Leistungsminderung nach Überzeugung des Senats nicht begründen.

Der Senat vermag sich auch nicht davon zu überzeugen, dass sich die Einschätzung der Rehabilitationsklinik auf Dauer und rückblickend nicht bestätigt habe. Für die Zeit ab Februar 2011 gibt es keinen neurologisch-psychiatrischen Befund, der eine ähnlich gravierende Einschränkung der Erwerbsfähigkeit belegen könnte, wie dies dann Mitte 2012 im Gutachten des Dr. S. der Fall war. Eine psychiatrische Behandlung nahm die Klägerin erst wieder am 12.07.2011 und nach einer Pause seit Mai 2008 in Anspruch. Zu diesem Zeitpunkt waren – eine Erwerbsminderung in rentenberechtigenden Grad unterstellt – die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Übrigen bereits wieder erfüllt. Dr. L. beschrieb aber in seiner sachverständigen Zeugenaussage vor dem SG eine anfänglich nur episodenhafte Depression, die sich jetzt (Zeugenaussage vom 13.07.2013) als chronische Depression darstelle. Wenn Dr. L. ausführt, die Klägerin habe schon im Mai 2011 nicht mehr länger als eineinhalb bis zwei Stunden arbeiten können, überzeugt das nicht, da die erste Behandlung erst im Juli des selben Jahres stattgefunden hat und diese Einschätzung auch der von ihm beschriebenen Entwicklung der Erkrankung widerspricht. Im Bericht von Dr. H., St. A.-Klinik S., vom 10.02.2011 (Bl. 63 SG-Akten), den die Klägerin zur gynäkologischen Nachsorge regelmäßig konsultierte, ist nach Behandlungen am 21.01. und 10.02.2011 – im Gegensatz zu zeitlich vorhergehenden Berichten – eine psychische Labilität nicht mehr erwähnt, wobei auch insoweit offen bleiben würde, in welcher Ausprägung die Einschränkung (psychische Labilität) vorgelegen hat. Nichts anderes ergibt sich aus den Angaben der behandelnden Hausärztin Dr. L., die ausdrücklich angegeben hat, dass sie den zeitlichen Rahmen bezogen auf das Jahr 2011 nicht sicher abgrenzen könne. Die unsubstantiiert gebliebene Angabe, dass die Klägerin im Mai noch "eventuell" ca. drei Stunden hätte arbeiten können, reicht für eine Überzeugung von einer bereits zu diesem Zeitpunkt eingetretenen zeitlichen Leistungsminderung nicht aus. Im Übrigen hat auch der von der Beklagten gehörte Sachverständige auf einen Prozess der Verschlimmerung der Symptomatik hingewiesen, ohne dass er einen konkreten Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung abweichend vom Termin seiner Feststellungen benannt hat. Der Bericht der W. Kliniken vom 28.10.2010 über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 07.09.2010 bis 21.09.2010 gibt mit Blick auf die Frage einer eingetretenen und fortdauernden Erwerbsminderung vor Juni 2011 keinen weiteren Aufschluss, da sich die Rehabilitation in I. diesem Aufenthalt anschloss und daher die Leistungsfähigkeit zu einem späteren Zeitpunkt beurteilte.

Letztlich ist deshalb nicht mehr streitentscheidend, ob bereits aufgrund des Abschlussberichtes der Rehabilitationsmaßnahme in Bad S. und zu diesem Zeitpunkt ein Leistungsfall für die Anerkennung einer Rente wegen Erwerbsminderung anzunehmen wäre, da die Klägerin mit dem im Berufungsverfahren gestellten Antrag Rente erst mit Wirkung ab 01.01.2013 begehrt und im November 2011 – ein Leistungsfall zu Beginn oder während der Rehabilitationsmaßnahme unterstellt – aufgrund der erfüllten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einem Rentenanspruch ab diesem Zeitpunkt nicht entgegen stehen würde. Nur der Vollständigkeit halber und mit Bezug auf die Feststellung des Versicherungsfalles ist der Senat auch aufgrund der dort wiedergegebenen Leistungsbeurteilung nicht davon überzeugt, dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt bereits in ihrer Erwerbsfähigkeit in einem rentenberechtigenden Grad eingeschränkt gewesen ist. Die dort genannte mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom, phobischen Ängsten und Selbstunsicherheit schließt zwar eine tatsächliche Minderung der Leistungsfähigkeit nicht aus, belegt sie aber auch nicht, da eine mittelgradige Depression nicht per se eine zeitliche Leistungsminderung rechtfertigen kann (siehe hierzu die bereits vom Bevollmächtigten zitierte Literatur, Bl. 147 der SG-Akten). Dies gilt umso mehr, als im Bericht nur vom Vorliegen einer Episode ausgegangen wurde und die endgültige Bewertung einem psychiatrischen Gutachten vorbehalten bleiben sollte. Ferner hat der Bericht nur eine Gefährdung der Erwerbsfähigkeit gesehen und der neurologische Status war im Gegensatz zum Gutachten noch als völlig unauffällig beurteilt worden. Insoweit verbleiben auch diesbezüglich erhebliche Zweifel an einem im November 2011 eingetretenen Versicherungsfall.

Die vorliegenden beratungsärztlichen und sozialmedizinischen Stellungnahmen vermögen den Senat schon deshalb nicht zu überzeugen, weil sie nicht hinreichend danach differenzieren, zu welchen Zeitpunkten Erkrankungen und deren Einschränkungen in welchem Ausmaß nachgewiesen waren. Gerade weil die Klägerin wegen psychiatrischer Erkrankungen bereits behandelt wurde und deswegen auch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in Anspruch genommen hatte (etwa 2005), aber deswegen bislang nicht in einem rentenberechtigenden Ausmaß erwerbsgemindert gewesen ist, bestehen erhebliche Zweifel daran, bereits mit der aufgrund der Behandlung eines Mamma-Karzinoms eingetretenen Arbeitsunfähigkeit eine fortbestehende Erwerbsminderung anzunehmen, zumal die hierfür vorliegenden Befunde, wie oben bereits dargelegt, keinen sicheren Beleg hierfür erbringen. Insoweit vermag der Senat hier auch keine Beweislast zu erkennen, die die Klägerin treffen könnte. Denn frei von vernünftigen Zweifeln ist der Senat hier zu der Überzeugung gelangt, dass der Versicherungsfall der durch Krankheit oder Behinderung verursachten Erwerbsminderung am 12.06.2012 eingetreten ist. Für diesen Versicherungsfall liegen – wie oben bereits ausge- führt – die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vor. Soweit die Beklagte hiervon abweichend einen anderen Zeitpunkt zugrunde legt, ist die Entscheidung, da sie zur Ablehnung der Rente führte, aufzuheben, weil sie rechtswidrig ist. Das vom SG zitierte Urteil des LSG Hamburg (20.08.2012 – L 3 R 161/10 –, juris) betrifft eine andere Fallkonstellation, nämlich die Geltendmachung eines Versicherungsfalles zu einem früheren als bislang angenommenen Zeitpunkt. Es betrifft den nicht seltenen Fall, dass Versicherte eine Erwerbsminderung zu einem Zeitpunkt geltend machen, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch erfüllt waren. Hier macht die Klägerin aber nicht geltend, der Versicherungsfall sei früher und zu einem Zeitpunkt eingetreten, als die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (noch) vorlagen, sondern die Beklagte beruft sich darauf, dass eine durch ein Gutachten festgestellte Erwerbsminderung zu einem Zeitpunkt bereits eingetreten war, als die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben waren.

Die arbeitsmarktunabhängige volle Rente wegen Erwerbsminderung ist gemäß § 102 Abs. 2 SGB VI zeitlich zu befristen. Danach werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit grundsätzlich auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Sie kann verlängert werden, dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn. Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Unwahrscheinlich im Sinne des § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI ist dahingehend zu verstehen, dass schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine – rentenrechtlich relevante – Besserungsaussicht sprechen müssen, so dass ein Dauerzustand vorliegt. Von solchen Gründen kann erst dann ausgegangen werden, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und auch hiernach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht (BSG, Urteil vom 29.06.2006, B 13 RJ 31/05 R, Juris). Hier kommt nur eine befristete Rente in Betracht, da eine Besserung jedenfalls nicht unwahrscheinlich ist und nicht alle Behandlungsoptionen ausgeschöpft sind. Dr. S. weist lediglich darauf hin, dass Rehabilitationsmaßnahmen und pharmakotherapeutische Behandlungsstrukturen ohne Erfolg geblieben sind. Bislang ist nach Aktenlage aber weder eine spezielle Schmerztherapie durchgeführt worden, noch sind die neurologisch-psychiatrischen bzw. psychologischen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden, was der Senat dem Bericht dem Rehabilitationsbericht Bad-S. entnimmt. Die Befristung erfolgt nach § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn, wobei befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gemäß § 101 Abs. 1 SGB VI nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet werden. Ausgehend von einem Leistungsfall am 12.06.2012 und der Regelbefristung von drei Jahren war die Rente daher zunächst vom 01.01.2013 bis zum 31.12.2015 zu gewähren. Aufgrund des bereits abgelaufenen Dreijahreszeitraumes hält der Senat die Verlängerung der Gewährung der vorliegenden Rente bis zum Ablauf des laufenden Kalenderjahres für gerechtfertigt, damit Möglichkeiten der Behandlung noch gegeben sind und zeitnah überprüft werden kann, ob sich im Gesundheitszustand der Klägerin Änderungen ergeben haben oder ob solche Änderungen absehbar sind.

Einer Abweisung der Klage im Übrigen bedurfte es nicht, da aufgrund des von einem Rentenberater gestellten Antrages mit dem Ziel, Rente wegen voller Erwerbsminderung erst mit einer zeitlichen Verzögerung zu gewähren, deutlich geworden ist, dass die Klägerin bei einem nach dem Gutachten vorliegenden arbeitsmarktunabhängigen Anspruch selbst nicht von einer nach § 99 SGB VI unbefristet zu gewährenden Rente ausgegangen ist und dies auch nicht beantragt hat oder beantragen wollte.

Die Kostenentscheidung beruht auf dem Umstand, dass die Klägerin in vollem Umfang obsiegt hat und auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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