L 7 AS 2925/16 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 2006/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 2925/16 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 8. Juli 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschriften der §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegte Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht Karlsruhe (SG) hat das einstweilige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers in der Sache zutreffend abgelehnt.

1. Der Antragsteller hat mit seinem am 20. Juni 2016 beim SG anhängig gemachten einstweiligen Rechtsschutzgesuch die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) ab 17. Mai 2016 geltend gemacht, wobei nicht erkennbar ist, dass er auch die gesondert geltend zu machenden Individualansprüche seiner Ehefrau und der im Haushalt lebenden Kinder verfolgt (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R - juris Rdnr. 11 zur Auslegung von Anträgen und der längst abgelaufenen Übergangszeit (bis 30. Juni 2007) für eine großzügige Auslegung im Hinblick auf die rechtlichen Besonderheiten einer Bedarfsgemeinschaft i.S. des SGB II). Mit diesem Begehren ist der Antragsteller vor dem SG erfolglos geblieben, nachdem der Antragsgegner mit Bescheid vom 16. Juni 2016 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juli 2016) - vorläufig wegen der vom Antragsteller ausgeübten selbständigen Tätigkeit als Fotograf und der dort erzielten Einkünfte (§§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II, 328 Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) - Arbeitsförderung - (SGB III)) - dem Antragsteller, seiner Ehefrau und den haushaltsangehörigen minderjährigen Kindern Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1. Juni 2016 bis zum 31. Juli 2016 in Höhe von 482,70 EUR (Juni 2016) bzw. 493,50 EUR (Juli 2016) bewilligt und ihn aufgefordert hat, für die Zeit ab 1. August 2016 Wohngeld und Kinderzuschlag zu beantragen.

2. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1 a.a.O., für Vornahmesachen in Abs. 2 a.a.O. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt lediglich der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 2. Alt. SGG in Betracht. Die Begründetheit des einstweiligen Rechtsschutzantrags hängt vom Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen ab, nämlich dem Anordnungsanspruch und dem Anordnungsgrund, die glaubhaft zu machen sind (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Die Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann grundsätzlich nur summarisch erfolgen, es sei denn, das sich aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ergebende Gebot der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie der grundrechtlich geschützte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erforderten eine abschließende Überprüfung. Ist in diesen Fällen im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris), jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG); z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927; Kammerbeschluss vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07 - NZS 2008, 365). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. z. B. Senatsbeschlüsse vom 4. April 2008 - L 7 AS 5626/07 ER-B - und vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - beide juris).

3. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.

Für die Zeit vom 17. Mai 2016 bis zur Anbringung des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens am 20. Juni 2016 fehlt es von vornherein an dem erforderlichen Gegenwartsbezug. Aber auch für die Zeit ab 20. Juni 2016 hat der Antragsteller keinen Anordnungsgrund i.S. der Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht. Vielmehr ist es ihm zumutbar, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Aus dem Gegenwartsbezug der einstweiligen Anordnung folgt, dass dieser vorläufige Rechtsbehelf für bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung zurückliegende Zeiträume nur ausnahmsweise in Betracht kommt; es muss durch die Nichtleistung in der Vergangenheit eine aktuell fortwirkende Notlage entstanden sein, die den Betroffenen in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht (vgl. hierzu etwa Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B -). Eine solche aktuell fortwirkende Notlage hat der Antragsteller weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der am 11. Oktober 1968 geborene, nach seinem Bekunden nur noch unter drei Stunden täglich erwerbsfähige (vgl. § 8 Abs. 1 SGB II), aber als selbständiger Fotograf (vgl. www.art-la-douce.de) tätige Antragsteller, der mit seiner Ehefrau und drei minderjährigen Kindern (geb. 10. Juni 2002, 7. Dezember 2007, 14. Juni 2011) eine Bedarfsgemeinschaft bildet (§ 7 Abs. 3 Nrn. 3a und 4 SGB II), - neben den Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit (nach eigenen Angaben monatlich zwischen 1.335,00 EUR (Anlage ESK vom 11. Juni 2016), 1.350,00 EUR (Beschwerdeschrift vom 20. Juli 2016), 1.450,00 EUR (Antrag vom 31. Mai 2016) bzw. 1.500,00 EUR (Schreiben des Antragstellers vom 31. Mai 2016); vgl. ferner die Einkommensbescheinigung der Steuerberaterin Unger vom 31. Mai 2016 über einen Jahresgewinn 2015 von 16.000,00 EUR) und dem Kindergeld in Höhe von insgesamt 576,00 EUR - durch die Bundesagentur für Arbeit im Mai 2016 Arbeitslosengeld in Höhe von 510,17 EUR und den Antragsgegner im Juni 2016 482,70 EUR erhalten hat, sodass der notwendige Lebensunterhalt (Regelbedarfe nach § 20 SGB II bzw. § 23 Nr. 1 SGB II 2 * 364,00 EUR = 728,00 EUR + 306,00 EUR + 270,00 EUR + 237,00 EUR = 1.541,00 EUR + Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II 1.440,00 EUR - 850,00 EUR (Anteil für selbständige Tätigkeit ausweislich Anlage EKS vom 11. Juni 2016; vgl. BSG, Urteil vom 23. November 2006 - B 11b AS 3/05 R - juris Rdnr. 15, wonach Aufwendungen für Geschäftsräume keine Unterkunftskosten i.S. des § 22 Abs. 1 SGB II darstellen) = 590,00 EUR, mithin insgesamt 2.131,00 EUR) sichergestellt gewesen ist.

Auch für die Zeit ab Anbringung des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens am 20. Juni 2016 hat der Antragsteller keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn der Betroffene bei Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache Gefahr laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können oder gegenwärtige schwere, unzumutbare, irreparable rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile erlitte. Die individuelle Interessenlage des Betroffenen, unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter muss es unzumutbar erscheinen lassen, den Betroffenen zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Wie bereits dargelegt, beurteilt sich in einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren das Vorliegen eines Anordnungsgrundes grundsätzlich nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag entscheidet, im Beschwerdeverfahren mithin nach dem Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung. Der Antragsteller hat nicht ansatzweise dargelegt, dass in der Zeit ab 20. Juni 2016 sein grundsicherungsrechtlich maßgeblicher Lebensunterhalt nicht sichergestellt ist. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die Bedarfsgemeinschaft des Antragstellers vom Antragsgegner für Juli 2016 493,50 EUR erhalten hat. Für August 2016 hat der Antragsgegner irrtümlich 633,50 EUR an den Antragsteller ausbezahlt (vgl. Erstattungsbescheid vom 5. August 2016), sodass dieser neben den genannten Einkünften tatsächlich auch noch ergänzende Leistungen nach dem SGB II erhalten hat. Im Übrigen hat die Wohngeldbehörde des Antragsgegners dem Antragsteller mit Schreiben vom 15. Juni 2016 mitgeteilt, dass sich ab 1. Juni 2016 ein Wohngeldanspruch in Höhe von monatlich 372,00 EUR errechne, und um einen entsprechenden Wohngeldantrag gebeten. Der Antragsgegner hat zudem am 16. Juni 2016 gem. § 5 Abs. 3 SGB II einen Antrag auf einen Kinderzuschlag nach § 6a Bundeskindergeldgesetz (BKGG) bei der Familienkasse Baden-Württemberg gestellt, der sich nach seiner Berechnung auf bis zu 420,00 EUR belaufen würde. Die Wohngeldbehörde und die Familienkasse haben mitgeteilt, dass der Antragsteller keinen entsprechenden Antrag gestellt (vgl. Aktenvermerk vom 9. August 2016) bzw. nicht mitgewirkt hat (vgl. Schreiben der Familienkasse vom 14. Juli 2016). Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, warum dem Antragsteller ein Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache unzumutbar sein soll. Er ist vielmehr gehalten, der Empfehlung des Antragsgegners zu folgen und bei den zuständigen Stellen Ansprüche auf Wohngeld und Kinderzuschlag geltend zu machen. Ob dem Antragsteller Ansprüche nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer nach Gewalttaten zustehen, ist nicht im Sozialrechtsverhältnis zum Antragsgegner als SGB II-Leistungsträger zu klären, sondern in dem bereits beim SG anhängigen Klageverfahren (S 9 VG 2930/14). Die Frage, ob die vom Antragsgegner vorgenommene Einkommensanrechnung zutreffend ist, kann im Hauptsacheverfahren bzw. auf Antrag im Rahmen der endgültigen Festsetzung der Leistungshöhe (vgl. §§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II, 328 Abs. 2 SGB III) erfolgen, zumal die vom Antragsteller in Bezug genommene Regelung des § 155 Abs. 2 SGB III ohnehin keine Anwendung findet (vgl. zur Einkommensberechnung im SGB II §§ 11 ff. SGB II, § 3 Alg II-Verordnung).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

5. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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