L 13 SB 220/13

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 24 SB 125/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 220/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Oder vom 12. Juni 2013 wird zurückgewiesen soweit der Rechtsstreit nicht erledigt ist. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1973 geborene Kläger begehrt die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 30. Am 22. November 2010 beantragte er beim Beklagten die Feststellung der Behinderung und gab hierzu an, er leide an arteriellem Hypertonus, Hyperlipidämie und einer hypertensiven Herzkrankheit. Der Beklagte holte daraufhin Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte ein und zog den Entlassungsbericht eines Aufenthalts des Klägers in stationärer Rehabilitation vom 11. Oktober 2010 bis zum 30. Oktober 2010 bei, der sich der Kläger auf Veranlassung der Deutschen Rentenversicherung unterzogen hatte. Zur Beschreibung des Leistungsvermögens hieß es dort: "Bei einer maximalen Belastbarkeit von 235 W, einer Ausdauerbelastung von 100 W über 15 Minuten und einer nicht eingeschränkten systolischen Pumpfunktion ist Herr W. entsprechend der REFA-Kriterien für eine schwere berufliche Tätigkeit leistungsfähig. Damit ist der Patient aus unserer Sicht in seiner letzten Tätigkeit als Schlosser leistungsfähig; dies entspricht der Selbsteinschätzung des Patienten. Der Patient wird arbeitsfähig entlassen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kann nach unseren Befunden eine Tätigkeit mit schwerer Arbeit vollschichtig mit überwiegend stehender, gehender oder sitzender Arbeitshaltung ausgeübt werden." Mit Bescheid vom 1. Februar 2011 lehnte der Beklagte die Feststellung eines GdB ab und führte zur Begründung aus, beim Kläger sei als Gesundheitsstörung Bluthochdruck festzustellen, der indes keinen GdB von 20 begründe. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch holte der Beklagte erneut Befundberichte ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. April 2011 zurück.

Mit der am 3. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger zunächst die Feststellung eines GdB von mindestens 50 begehrt. Das Sozialgericht hat daraufhin einen Befundbericht der den Kläger behandelnden Ärztin Dr. H eingeholt und sodann den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Nach Untersuchung des Klägers am 4. Juni 2012 ist der Sachverständige in seinem Gutachten vom 11. Juni 2012 zu der Einschätzung gelangt, beim Kläger seien mehrere Funktionsbeeinträchtigungen festzustellen, von denen indes allein der Bluthochdruck und das Asthma bronchiale mit einem GdB zu bewerten seien (Bluthochdruck 20, Asthma 10). Insgesamt betrage der GdB 20. Auf Einwendungen beider Beteiligter ist der Sachverständige mit ergänzender Stellungnahme vom 17. September 2012 bei seiner Einschätzung verblieben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat der Kläger das ursprüngliche Klagebegehren dahingehend modifiziert, dass er nunmehr die Zuerkennung eines GdB von 30 begehrt hat. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 12. Juni 2013 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Beklagte habe zu Recht die Feststellung eines Grades der Behinderung abgelehnt. Hinsichtlich der festzustellenden Funktionsstörungen folge das Gericht dem Gutachten des Sachverständigen Dr. S, weiche davon aber insoweit ab, als der Bluthochdruck nicht mit einem GdB von 20 zu bewerten sei. Voraussetzung dafür sei eine Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades oder ein diastolischer Blutdruck, der mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung steige, je nach Leistungsbeeinträchtigung. Leistungsbeeinträchtigungen seien indes beim Kläger nicht nachgewiesen und auch durch den Sachverständigen nicht festgestellt worden, weshalb der GdB für den Bluthochdruck mit 10 einzustufen sei.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 1. Oktober 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 4. Oktober 2013 Berufung eingelegt, mit der er angekündigt hat, die Verpflichtung des Beklagten zur Zuerkennung eines GdB von mindestens 30 zu begehren. Hierzu hat er insbesondere vorgetragen, der Kläger leide auch unter psychischen Beschwerden, derentwegen er sich bislang indes nicht in Behandlung befunden habe. Der Senat hat daraufhin Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie, Sozialmedizin, Psychoanalyse, Psychotherapie, Rehabilitationswesen und psychosomatische Medizin Dr. M, der nach Untersuchung des Klägers am 28. Januar 2015 in seinem Gutachten vom selben Tag zu der Einschätzung gelangt ist, auf seinem Fachgebiet sei beim Kläger eine seelische Störung mit affektiven und somatoformen Symptomen festzustellen, bei der es sich um eine leichtere psychovegetative oder psychische Störung handele, die mit einem GdB von 20 zu bewerten sei. Hinsichtlich der Bewertung der festgestellten Behinderungen auf anderen Fachgebieten könne er sich fachfremd nicht äußern, könne aber zu wechselseitigen Beziehungen feststellen, die von ihm festgestellte psychiatrische Behinderung bilde in jedem Fall den Anteil an Beeinträchtigungen und Beschwerden ab, der über die üblichen körperlichen Begleiterscheinungen hinaus gehe. Eine Höherbewertung der auf anderen Fachgebieten festgestellten körperlichen Einschränkungen wegen der gegenseitigen Beeinflussung mit der neurologisch-psychiatrischen Behinderung sei nicht möglich, weil dies einer Doppelbewertung entspräche. Dies gelte etwa für die im Gutachten des Sachverständigen Dr. S genannten Funktionsstörungen, von denen der Bluthochdruck die höchstbewertete Störung sei. Die von ihm festgestellte Störung auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bestehe seit dem Tod des Vaters im Oktober 2009 und habe sich seither nicht wesentlich verändert.

Der Kläger ist dem Ergebnis der Begutachtung insoweit entgegen getreten, als seines Erachtens eine wechselseitige Beziehung der Leiden durchaus zu einer Verstärkung führen könne, weshalb die Anhebung des Gesamt-GdB von 20 auf 30 geboten sei.

In der mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2015 hat der Beklagte ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass er beim Kläger mit Wirkung ab dem 28. Januar 2015 einen Grad der Behinderung von 20 feststelle. Der Kläger hat das Teilanerkenntnis angenommen, im Übrigen aber den Rechtsstreit fortgesetzt.

Der Senat hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Innere Medizin Prof. Dr. Dr. Sch, der den Kläger am 10. September 2015 untersucht hat und in seinem Gutachten vom 5. Januar 2016 zu der Einschätzung gelangt ist, beim Kläger seien folgende Funktionsbeeinträchtigungen festzustellen:

&61485; Bluthochdruck (GdB 20), &61485; allergisches Asthma bronchiale mit sinubronchialem Syndrom, getriggert durch Hausstaubmilbenallergie (GdB 10), &61485; psychiatrische Diagnosen mit Angst- und depressivem Syndrom, somatoforme autonome Funktionsstörung.

Hinsichtlich der psychiatrischen Diagnose hat der Sachverständige weder einen GdB benannt, noch Auswirkungen auf die Gesamt-GdB-Bildung diskutiert. Den Gesamt-GdB bemisst er auf 20. Insoweit habe sich seit November 2010 keine Veränderung des Gesundheitszustandes von Signifikanz ergeben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 12. Juni 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 1. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2011 zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, bei dem Kläger ab dem 22. November 2010 einen Grad der Behinderung von 30 festzustellen.

Der Beklagte wird beantragen,

die Berufung zurückzuweisen, soweit das Verfahren nicht durch angenommenes Teilanerkenntnis vom 18. Juni 2015 erledigt ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sie ist jedoch in der Sache nicht begründet. Dem Kläger steht kein höherer Grad der Behinderung als 20 zu, der bereits im Wege des Teilanerkenntnisses zuerkannt wurde.

Rechtsgrundlage für die Feststellung des GdB ist § 69 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX) in Verbindung mit der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizinverordnung (Versorgungsmedizinische Grundsätze). Bei dem Kläger bestehen im Wesentlichen drei Funktionsbeeinträchtigungen.

Bei ihm ist auf psychischem Gebiet eine leichte Störung festzustellen, die einen Einzel-GdB von 20 bedingt. Insoweit kann den Ausführungen des Sachverständigen Dr. M gefolgt werden. Darüber hinaus kann aufgrund der Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. Dr. Sch hinsichtlich der Asthma-Erkrankung des Klägers festgehalten werden, dass diese einen Einzel-GdB von 10 bedingt. Maßgeblich ist insofern Ziff. B 8.5 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze, wonach ein Bronchialasthma ohne dauernde Einschränkung der Lungenfunktion bei Hyperreagibilität mit seltenen (saisonalen) und/oder leichten Anfällen mit einem GdB von 0 bis 20 zu bewerten ist. Insoweit hat der Sachverständige festgestellt, der Kläger befinde sich regelmäßig in pulmologischer Behandlung. Diese führe zu einem gut eingestellten Asthma. Auch in den aktuellen Untersuchungen habe sich keine pulmonale Obstruktion gefunden und der Patient habe keine relevante Atemnot geschildert, so dass keine neueren funktionell einschränkenden Beschwerden festzustellen seien.

Soweit der Sachverständige darüber hinaus jedoch einen GdB von 20 für den Bluthochdruck des Klägers benennt, wird dies durch das von ihm erstellte Gutachten nicht gestützt. Hinsichtlich des Bluthochdrucks ist einschlägig Ziff. B 9.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze, wonach für eine leichte Form der Hypertonie ohne oder nur mit geringen Leistungsbeeinträchtigungen ein GdB von 0 bis 10 zu vergeben ist und ein GdB von 20 eine mittelschwere Form der Hypertonie erfordert, die Organbeteiligungen leichten bis mittleren Grades zeigt, wobei die versorgungsmedizinischen Grundsätze insoweit ausdrücklich festhalten, der GdB sei "je nach Leistungsbeeinträchtigung" mit 20 bis 40 zu bemessen. Weder aus der Begutachtung im Rahmen des Reha-Aufenthaltes noch während der Begutachtung im gerichtlichen Verfahren hat sich beim Kläger eine Leistungsbeeinträchtigung gezeigt. Auch der jüngst berichtende Sachverständige Prof. Dr. Dr. Sch hat zum Ergebnis der Spiro-Ergometrie ausgeführt "Leistungsfähigkeit altersentsprechend". Unter der Überschrift Kardio-pulmonale Leistungsdiagnostik hat er weiter ausgeführt: "Maximalbelastung im Normbereich. Hiermit nicht limitiert.". Bei dieser Sachlage ist die Zuerkennung eines GdB von 20 für die Bluthochdruckerkrankung nicht gerechtfertigt, so dass ein GdB von 10 angemessen ist.

Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Führendes Leiden ist hier das mit einem GdB von 20 zu bewertende seelische Leiden des Klägers. Hierauf wirken sich das Bluthochdruck- und das Asthmaleiden mit Einzel-GdB von jeweils 10 nicht erhöhend aus, so dass der Gesamt-GdB mit 20 zu bewerten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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