Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 3379/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Aufhebung eines Verwaltungsakts wegen nachträglich eingetretener wesentlicher Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse erfordert aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit die genaue Benennung des aufzuhebenden Verwaltungsakts auch nach seinem Datum in der Aufhebungsentscheidung.
Der Bescheid vom 20. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2015 wird aufgehoben. Die Beklagte erstattet dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Beklagte die Verletztenrente des Klägers zu Recht von bislang 30 v.H. auf - noch - 20 v.H. herabgesetzt hat.
Bei dem xxxx geborenen Kläger hatte die Beklagte, gestützt auf die Gutachten des Orthopäden Dr. L. vom 06.08.2013 mit ergänzender Stellungnahme vom 22.10.2013 und des Neurologen Prof. Dr. A. vom 04.09.2013, ein Ereignis vom 24.09.2011 als Arbeitsunfall und als dessen Folge
"Rechts: reizlose Narben im Bereich der Mitte des Schienbeines von ca. 13 cm und ca. 14 cm und ca. 6 cm reizlose Narbe an der Seite des Schienbeines, Schwellneigung des Beines, deutliche Muskelminderung im Bereich des Oberschenkels, Schädigung des Nervus peroneus mit Sensibilitätsminderungen am lateralen Fußrand bis zum Unterschenkel ziehend mit Großzehenheberschwäche, Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk und Kniegelenk, beginnende Kniegelenksarthrose sowie diskrete posttraumatische Osteoporose nach operativ versorgtem offenen Schienbeinkopftrümmerbruch.
Folgenlos ausgeheilter Rippenserienbruch (4. - 6. Rippe) rechts und Rippenbruch (2. Rippe) links."
anerkannt und dem Kläger ab dem 05.03.2012 Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. der Vollrente gewährt (Bescheid vom 15.04.2014). Dabei berücksichtigte die Beklagte eine Teil-MdE von jeweils 20 v.H. sowohl für die Unfallfolgen auf orthopädisch-chirurgischem als auch auf neurologischem Fachgebiet.
Im Dezember 2014 leitete sie von Amts wegen eine Nachprüfung zur Höhe der unfallbedingten MdE ein. Hierzu ließ sie den Kläger durch den Orthopäden Dr. M. (Gutachten vom 07.01.2015) und erneut durch Prof. Dr. A. (Gutachten vom 27.02.2015 untersuchen und begutachten. Während Prof. Dr. A. eine Änderung der Unfallfolgen auf seinem Fachgebiet im Vergleich zur Vorbegutachtung verneinte, führte Dr. M. zusammenfassend aus, die Beweglichkeit des rechten Kniegelenks habe von 0-0-120° auf jetzt 0-0-130° zugenommen. Eine Muskelminderung des rechten Beines bestehe weiterhin. Die Gesamt-MdE bewertete Dr. M. unter Einschluss des Gutachtens des Prof. Dr. A. mit 20 v.H ... Nach Anhörung des Klägers (Schreiben vom 27.04.2015) setzte die Beklagte die Verletztenrente mit Wirkung vom 01.06.2015 auf 20 v.H. herab mit der Begründung, die dem Bescheid vom 15.04.2014 zugrundeliegenden Verhältnisse hätten sich aufgrund einer Verbesserung der Kniegelenksbeweglichkeit wesentlich geändert. Dies rechtfertige die Minderung der Gesamt-MdE auf - noch - 20 v.H. (Bescheid vom 20.05.2015, Widerspruchsbescheid vom 23.09.2015).
Deswegen hat der Kläger am 19.10.2015 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, in den anerkannten Unfallfolgen sei seit dem Erlass des Bescheides vom 15.04.2014 keine wesentliche Besserung eingetreten, die eine Herabsetzung der unfallbedingten MdE rechtfertigen könnte. Eine Verbesserung der Kniebeweglichkeit für die Beugung um 10° sei für ihn realistisch nicht bemerkbar. Überdies habe er weiterhin Beschwerden beim Sitzen, Gehen, Laufen und Tragen. Dr. M. habe in seinem Gutachten außerdem keine Teil-MdE für die verbliebenen Unfallfolgen auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet benannt. Eine Muskelminderung des rechten Oberschenkels bestehe weiterhin. Zwar habe er durch Übungen an Geräten im Fitnessstudio einen gewissen Aufbau der Beinmuskulatur erreichen können. Er belaste das rechte Bein insoweit trotz Schmerzen und unter Einsatz von Schmerzmitteln nur deshalb, um einem weiteren Muskelabbau vorzubeugen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 20. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. September 2015 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend. Ihr Bescheid sei sowohl in formeller Hinsicht als auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Neben einer Verbesserung der Beweglichkeit des rechten Kniegelenks habe sich auch das Bewegungsausmaß des unfall¬geschädigten rechten oberen Sprunggelenks verbessert.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) zulässig. Denn bei einem Erfolg des Klagebegehrens lebte der frühere Bescheid - hier: derjenige vom 15.04.2014 - wieder auf (vgl. BSG SozR 4-1500 § 77 Nr. 1, Rn. 13; BSG SozR 4-4200 § 7 Nr. 16, Rn. 10; BSG vom 13.02.2013 - B 2 U 25/11 R -, Rn. 10 (juris) und BSG SozR 4-7837 § 2 Nr. 24, Rn. 15). Mit der Aufhebung der angefochtenen Bescheide wäre die Beschwer des Klägers mithin beseitigt und müsste die Beklagte die Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. über den 31.05.2015 hinaus weiterzahlen.
Die Klage ist auch begründet. Denn die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG).
1. Nach § 48 Abs. 1 S. 1 des Sozialgesetzbuchs - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Diese Vorschrift wird für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung durch § 73 Abs. 3 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) spezifisch ergänzt. Danach ist eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X hinsichtlich der Feststellung der Höhe der MdE nur dann wesentlich, wenn sie mehr als 5 v.H. beträgt.
2. Orientiert an diesen Rechtsgrundlagen sind die angefochtenen Bescheide bereits formell rechtswidrig. Denn nach dem Wortlaut des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist bei einer Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung dieser Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ist dabei grundsätzlich erforderlich, in der Aufhebungsentscheidung den aufzuhebenden Verwaltungsakt genau zu benennen und den Umfang der Aufhebung zu bezeichnen (vgl. BSG SozR 4-2700 § 62 Nr. 1; Rn. 22 und BSG SozR 4-2700 § 62 Nr. 2, Rn. 12; ferner LSG Niedersachsen-Bremen vom 01.11.2011 - L 9 AS 831/10 -, Rn. 40 (juris)). Um dem Bestimmtheitsgebot des § 33 SGB X zu genügen, muss der Sozialleistungsträger den aufzuhebenden oder zurückzunehmenden Bescheid auch nach Datum bezeichnen (vgl. LSG Hamburg vom 20.10.2011 - L 5 AS 87/08 -, Rn. 35 und LSG Baden-Württemberg vom 20.06.2013 - L 6 VK 3112/10 -, Rn. 27 f. (jeweils juris)).
Diesen formellen Anforderungen genügen die streitgegenständlichen Bescheide nicht. Denn eine Aufhebung des Bescheides vom 15.04.2014 hat die Beklagte darin nicht verfügt. Vielmehr beschränkt sich der Verfügungssatz auf die Mitteilung, dass bisher ein Anspruch auf eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE in Höhe von 30 v.H. bestand und diese Rente mit Wirkung vom 01.06.2015 nach einer MdE in Höhe von 20 v.H. geleistet wird. Darin liegt weder eine ausdrückliche noch stillschweigende Aufhebung des Bescheides vom 15.04.2014. Den Bescheid vom 15.04.2014 hat die Beklagte erst in der Begründung des Bescheides vom 20.05.2015 und dort zudem allein im Zusammenhang mit einer von ihr angenommenen wesentlichen Änderung der Verhältnisse angeführt. Auch insoweit hat sie keine - wie erforderlich - Aufhebung des Ausgangsbescheides verfügt. Schon dieser formelle Fehler führt deshalb zur Rechtswidrigkeit und damit der Aufhebung der angefochtenen Bescheide.
3. Die angefochtenen Bescheide haben darüber hinaus auch materiell-rechtlich keinen Bestand. Denn aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens ist seit dem Erlass des Bescheides vom 15.04.2014 keine wesentliche Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse - der hier allein in Betracht kommenden Alternative des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X i.V.m. § 73 Abs. 3 SGB VII - eingetreten. Dies steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund der Gutachten des Prof. Dr. A. und des Dr. M., die die Kammer im Wege des Urkundenbeweises verwertet: Prof. Dr. A. hat als Folge des Arbeitsunfalls vom 24.09.2011 - weiterhin - eine Schädigung des Nervus peroneus communis mit führender Störung des Nervus peroneus superficialis rechts, die zu einer Großzehenheberparese rechts Kraftgrad 4/5 führt, eine anhaltende Sensibilitätsstörung im Bereich des lateralen Unterschenkels und des Fußrückens rechts bis in die rechte Großzehe ziehend mit ausgeprägter Allodynie, das heißt, einer gesteigerten Schmerzempfindlichkeit, und eine Minderinnervation bzw. Minderbelastbarkeit des rechten Beines und einen dadurch bestehenden Muskelschwund am rechten Oberschenkel (minus 11,5 cm) diagnostiziert. Zusammenfassend hat er eine gegenüber seinem Vorgutachten vom 04.09.2013 eingetretene wesentliche Änderung der Unfallfolgen auf seinem Fachgebiet ausdrücklich verneint. Zu Recht hat Prof. Dr. A. deshalb die (neurologische) Teil-MdE weiterhin mit 20 v.H. bewertet.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist indes auch bzgl. der orthopädisch-chirurgischen Unfallfolgen keine wesentliche Besserung, die eine Herabsetzung der Teil-MdE auf diesem Fachgebiet rechtfertigen könnte, eingetreten. So erhob Dr. M. u.a. eine leicht gestörte Gangabwicklung mit angedeutetem Hinken rechts. Die bereits im Gutachten des Dr. L. vom 06.08.2013 beschriebenen Narbenverhältnisse bestehen nach dem Gutachten des Dr. M. unverändert fort. Die von ihm objektivierte Muskelminderung im Bereich des rechten Oberschenkels mit bis zu 3 cm ist nur geringfügig geringer ausgeprägt als bei der Untersuchung und Begutachtung des Klägers durch Dr. L. (minus 4 cm). Die von Dr. M. objektivierte Zunahme des Bewegungsausmaßes des rechten oberen Sprunggelenks auf nunmehr 20-0-40° gegenüber 5-0-30° bei der Untersuchung und Begutachtung durch Dr. L. wirkt sich auf die orthopädisch-chirurgische Teil-MdE nicht aus, weil erst eine Bewegungs-einschränkung dieses Gelenks auf 0-0-30° eine MdE um 10 v.H. rechtfertigte (vgl. Schönberger/Mehrens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 678). Das bedeutet, dass auch die Teil-MdE für das von Dr. L. im August 2013 erhobene Bewegungsausmaß am rechten oberen Sprunggelenk weniger als 10 v.H. betrug. Die außerdem von Dr. M. erhobene Zunahme der Beugefähigkeit des rechten Kniegelenks 120° auf nunmehr 130° stellt ebenfalls keine wesentliche funktionelle Besserung dar, weil sowohl eine Beugefähigkeit von 120° als auch von 130° innerhalb der physiologischen Normbreite liegt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 656). Überdies bedingt eine Bewegungs¬einschränkung des Kniegelenks für die Streckung/Beugung auf 0-0-120° für sich lediglich eine unfallbedingte MdE um 10 v.H. (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 654). Vor diesem Hintergrund ist in Bezug auf die orthopädisch-chirurgischen Unfallfolgen seit dem Erlass des Bescheides vom 15.04.2014 zwar eine Zunahme der Bewegungsausmaße des rechten Knie- und oberen Sprunggelenks eingetreten. Diese ist jedoch nicht wesentlich, weil sie ungeachtet des Umstands, dass die Beklagte bislang von einer Teil-MdE von 20 v.H. ausgegangen ist, nicht mehr als 5 v.H. beträgt.
Die Beklagte war deshalb nicht berechtigt, die unfallbedingte MdE von bislang 30 v.H. auf nunmehr 20 v.H. herabzusetzen.
4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig und war dem klägerischen Begehren voll inhaltlich stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 und 193 Abs. 1 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Beklagte die Verletztenrente des Klägers zu Recht von bislang 30 v.H. auf - noch - 20 v.H. herabgesetzt hat.
Bei dem xxxx geborenen Kläger hatte die Beklagte, gestützt auf die Gutachten des Orthopäden Dr. L. vom 06.08.2013 mit ergänzender Stellungnahme vom 22.10.2013 und des Neurologen Prof. Dr. A. vom 04.09.2013, ein Ereignis vom 24.09.2011 als Arbeitsunfall und als dessen Folge
"Rechts: reizlose Narben im Bereich der Mitte des Schienbeines von ca. 13 cm und ca. 14 cm und ca. 6 cm reizlose Narbe an der Seite des Schienbeines, Schwellneigung des Beines, deutliche Muskelminderung im Bereich des Oberschenkels, Schädigung des Nervus peroneus mit Sensibilitätsminderungen am lateralen Fußrand bis zum Unterschenkel ziehend mit Großzehenheberschwäche, Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk und Kniegelenk, beginnende Kniegelenksarthrose sowie diskrete posttraumatische Osteoporose nach operativ versorgtem offenen Schienbeinkopftrümmerbruch.
Folgenlos ausgeheilter Rippenserienbruch (4. - 6. Rippe) rechts und Rippenbruch (2. Rippe) links."
anerkannt und dem Kläger ab dem 05.03.2012 Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. der Vollrente gewährt (Bescheid vom 15.04.2014). Dabei berücksichtigte die Beklagte eine Teil-MdE von jeweils 20 v.H. sowohl für die Unfallfolgen auf orthopädisch-chirurgischem als auch auf neurologischem Fachgebiet.
Im Dezember 2014 leitete sie von Amts wegen eine Nachprüfung zur Höhe der unfallbedingten MdE ein. Hierzu ließ sie den Kläger durch den Orthopäden Dr. M. (Gutachten vom 07.01.2015) und erneut durch Prof. Dr. A. (Gutachten vom 27.02.2015 untersuchen und begutachten. Während Prof. Dr. A. eine Änderung der Unfallfolgen auf seinem Fachgebiet im Vergleich zur Vorbegutachtung verneinte, führte Dr. M. zusammenfassend aus, die Beweglichkeit des rechten Kniegelenks habe von 0-0-120° auf jetzt 0-0-130° zugenommen. Eine Muskelminderung des rechten Beines bestehe weiterhin. Die Gesamt-MdE bewertete Dr. M. unter Einschluss des Gutachtens des Prof. Dr. A. mit 20 v.H ... Nach Anhörung des Klägers (Schreiben vom 27.04.2015) setzte die Beklagte die Verletztenrente mit Wirkung vom 01.06.2015 auf 20 v.H. herab mit der Begründung, die dem Bescheid vom 15.04.2014 zugrundeliegenden Verhältnisse hätten sich aufgrund einer Verbesserung der Kniegelenksbeweglichkeit wesentlich geändert. Dies rechtfertige die Minderung der Gesamt-MdE auf - noch - 20 v.H. (Bescheid vom 20.05.2015, Widerspruchsbescheid vom 23.09.2015).
Deswegen hat der Kläger am 19.10.2015 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, in den anerkannten Unfallfolgen sei seit dem Erlass des Bescheides vom 15.04.2014 keine wesentliche Besserung eingetreten, die eine Herabsetzung der unfallbedingten MdE rechtfertigen könnte. Eine Verbesserung der Kniebeweglichkeit für die Beugung um 10° sei für ihn realistisch nicht bemerkbar. Überdies habe er weiterhin Beschwerden beim Sitzen, Gehen, Laufen und Tragen. Dr. M. habe in seinem Gutachten außerdem keine Teil-MdE für die verbliebenen Unfallfolgen auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet benannt. Eine Muskelminderung des rechten Oberschenkels bestehe weiterhin. Zwar habe er durch Übungen an Geräten im Fitnessstudio einen gewissen Aufbau der Beinmuskulatur erreichen können. Er belaste das rechte Bein insoweit trotz Schmerzen und unter Einsatz von Schmerzmitteln nur deshalb, um einem weiteren Muskelabbau vorzubeugen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 20. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. September 2015 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend. Ihr Bescheid sei sowohl in formeller Hinsicht als auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Neben einer Verbesserung der Beweglichkeit des rechten Kniegelenks habe sich auch das Bewegungsausmaß des unfall¬geschädigten rechten oberen Sprunggelenks verbessert.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) zulässig. Denn bei einem Erfolg des Klagebegehrens lebte der frühere Bescheid - hier: derjenige vom 15.04.2014 - wieder auf (vgl. BSG SozR 4-1500 § 77 Nr. 1, Rn. 13; BSG SozR 4-4200 § 7 Nr. 16, Rn. 10; BSG vom 13.02.2013 - B 2 U 25/11 R -, Rn. 10 (juris) und BSG SozR 4-7837 § 2 Nr. 24, Rn. 15). Mit der Aufhebung der angefochtenen Bescheide wäre die Beschwer des Klägers mithin beseitigt und müsste die Beklagte die Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. über den 31.05.2015 hinaus weiterzahlen.
Die Klage ist auch begründet. Denn die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG).
1. Nach § 48 Abs. 1 S. 1 des Sozialgesetzbuchs - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Diese Vorschrift wird für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung durch § 73 Abs. 3 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) spezifisch ergänzt. Danach ist eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X hinsichtlich der Feststellung der Höhe der MdE nur dann wesentlich, wenn sie mehr als 5 v.H. beträgt.
2. Orientiert an diesen Rechtsgrundlagen sind die angefochtenen Bescheide bereits formell rechtswidrig. Denn nach dem Wortlaut des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist bei einer Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung dieser Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ist dabei grundsätzlich erforderlich, in der Aufhebungsentscheidung den aufzuhebenden Verwaltungsakt genau zu benennen und den Umfang der Aufhebung zu bezeichnen (vgl. BSG SozR 4-2700 § 62 Nr. 1; Rn. 22 und BSG SozR 4-2700 § 62 Nr. 2, Rn. 12; ferner LSG Niedersachsen-Bremen vom 01.11.2011 - L 9 AS 831/10 -, Rn. 40 (juris)). Um dem Bestimmtheitsgebot des § 33 SGB X zu genügen, muss der Sozialleistungsträger den aufzuhebenden oder zurückzunehmenden Bescheid auch nach Datum bezeichnen (vgl. LSG Hamburg vom 20.10.2011 - L 5 AS 87/08 -, Rn. 35 und LSG Baden-Württemberg vom 20.06.2013 - L 6 VK 3112/10 -, Rn. 27 f. (jeweils juris)).
Diesen formellen Anforderungen genügen die streitgegenständlichen Bescheide nicht. Denn eine Aufhebung des Bescheides vom 15.04.2014 hat die Beklagte darin nicht verfügt. Vielmehr beschränkt sich der Verfügungssatz auf die Mitteilung, dass bisher ein Anspruch auf eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE in Höhe von 30 v.H. bestand und diese Rente mit Wirkung vom 01.06.2015 nach einer MdE in Höhe von 20 v.H. geleistet wird. Darin liegt weder eine ausdrückliche noch stillschweigende Aufhebung des Bescheides vom 15.04.2014. Den Bescheid vom 15.04.2014 hat die Beklagte erst in der Begründung des Bescheides vom 20.05.2015 und dort zudem allein im Zusammenhang mit einer von ihr angenommenen wesentlichen Änderung der Verhältnisse angeführt. Auch insoweit hat sie keine - wie erforderlich - Aufhebung des Ausgangsbescheides verfügt. Schon dieser formelle Fehler führt deshalb zur Rechtswidrigkeit und damit der Aufhebung der angefochtenen Bescheide.
3. Die angefochtenen Bescheide haben darüber hinaus auch materiell-rechtlich keinen Bestand. Denn aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens ist seit dem Erlass des Bescheides vom 15.04.2014 keine wesentliche Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse - der hier allein in Betracht kommenden Alternative des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X i.V.m. § 73 Abs. 3 SGB VII - eingetreten. Dies steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund der Gutachten des Prof. Dr. A. und des Dr. M., die die Kammer im Wege des Urkundenbeweises verwertet: Prof. Dr. A. hat als Folge des Arbeitsunfalls vom 24.09.2011 - weiterhin - eine Schädigung des Nervus peroneus communis mit führender Störung des Nervus peroneus superficialis rechts, die zu einer Großzehenheberparese rechts Kraftgrad 4/5 führt, eine anhaltende Sensibilitätsstörung im Bereich des lateralen Unterschenkels und des Fußrückens rechts bis in die rechte Großzehe ziehend mit ausgeprägter Allodynie, das heißt, einer gesteigerten Schmerzempfindlichkeit, und eine Minderinnervation bzw. Minderbelastbarkeit des rechten Beines und einen dadurch bestehenden Muskelschwund am rechten Oberschenkel (minus 11,5 cm) diagnostiziert. Zusammenfassend hat er eine gegenüber seinem Vorgutachten vom 04.09.2013 eingetretene wesentliche Änderung der Unfallfolgen auf seinem Fachgebiet ausdrücklich verneint. Zu Recht hat Prof. Dr. A. deshalb die (neurologische) Teil-MdE weiterhin mit 20 v.H. bewertet.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist indes auch bzgl. der orthopädisch-chirurgischen Unfallfolgen keine wesentliche Besserung, die eine Herabsetzung der Teil-MdE auf diesem Fachgebiet rechtfertigen könnte, eingetreten. So erhob Dr. M. u.a. eine leicht gestörte Gangabwicklung mit angedeutetem Hinken rechts. Die bereits im Gutachten des Dr. L. vom 06.08.2013 beschriebenen Narbenverhältnisse bestehen nach dem Gutachten des Dr. M. unverändert fort. Die von ihm objektivierte Muskelminderung im Bereich des rechten Oberschenkels mit bis zu 3 cm ist nur geringfügig geringer ausgeprägt als bei der Untersuchung und Begutachtung des Klägers durch Dr. L. (minus 4 cm). Die von Dr. M. objektivierte Zunahme des Bewegungsausmaßes des rechten oberen Sprunggelenks auf nunmehr 20-0-40° gegenüber 5-0-30° bei der Untersuchung und Begutachtung durch Dr. L. wirkt sich auf die orthopädisch-chirurgische Teil-MdE nicht aus, weil erst eine Bewegungs-einschränkung dieses Gelenks auf 0-0-30° eine MdE um 10 v.H. rechtfertigte (vgl. Schönberger/Mehrens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 678). Das bedeutet, dass auch die Teil-MdE für das von Dr. L. im August 2013 erhobene Bewegungsausmaß am rechten oberen Sprunggelenk weniger als 10 v.H. betrug. Die außerdem von Dr. M. erhobene Zunahme der Beugefähigkeit des rechten Kniegelenks 120° auf nunmehr 130° stellt ebenfalls keine wesentliche funktionelle Besserung dar, weil sowohl eine Beugefähigkeit von 120° als auch von 130° innerhalb der physiologischen Normbreite liegt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 656). Überdies bedingt eine Bewegungs¬einschränkung des Kniegelenks für die Streckung/Beugung auf 0-0-120° für sich lediglich eine unfallbedingte MdE um 10 v.H. (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 654). Vor diesem Hintergrund ist in Bezug auf die orthopädisch-chirurgischen Unfallfolgen seit dem Erlass des Bescheides vom 15.04.2014 zwar eine Zunahme der Bewegungsausmaße des rechten Knie- und oberen Sprunggelenks eingetreten. Diese ist jedoch nicht wesentlich, weil sie ungeachtet des Umstands, dass die Beklagte bislang von einer Teil-MdE von 20 v.H. ausgegangen ist, nicht mehr als 5 v.H. beträgt.
Die Beklagte war deshalb nicht berechtigt, die unfallbedingte MdE von bislang 30 v.H. auf nunmehr 20 v.H. herabzusetzen.
4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig und war dem klägerischen Begehren voll inhaltlich stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 und 193 Abs. 1 SGG.
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